(Etnirum(durch Äindthorst's Mund) unter Protest gegen die ihm bei der ersten Wahl zu Theil gewordene Behandlung, in die von dem �Alterspräsidenten" Bonin vorgeschlagene Wahl durch Akklamation einwilligt. Nun gegen 11l/z Uhr tritt der Reichs- tag in den eigentlichen Gegenstand der TageS- ordnung ein: die zweite Lesung des Umsiurzge- setze-. Zuerst erhält das Wort ein Sprecher des Centruins: Freiherr   v. Frankenstein. Er be- reitet dem zahlreich anwesenden Publikum auf den Tribünen eine kleine Enttäuschung, indem er eine kurze Erklärung abliefet, welche den be- kannten Standpunkt seiner Partei zu dem Um- sturzgesetz darlegt. Darnach scheint es, als ob das Centrum, das auch bis jetzt keine Amende- ments eingebracht ha�, der Diskussion fernzu- bleiben und sich um die heikle soziale Frageher- umzudrücken" beabsichtigt. Das Wort erhält jetzt H-rr V.Marschall, con- servativer Abgeordneter für Pforzheim  , und Stre- ber. Derselbe er ist, glaube ich, Staats- anwalt findet das Gesetz nach jeder Richtung hin vortrefflich; anders ließe sich der Kampf gegen die Sozialdemokratie nicht führen; durch das ge- meine Recht sei dieselbe nicht zu faffen; an einen Mißbrauch des Gesetzes sei nicht zu denken zc. Der folgende Redner, Sonnemann, hat es leicht, den mehr eifrigen als intellektuell entwickelten Herrn Vorredner»ä adsurckum zu führen. Er bestreitet die Nothwendigkeit des Gesetzes, weist darauf hin, daß die Sozialdemokratie als solche sich streng auf dem Boden des Gesetzes gehalten und namentlich bei der letzten Wahl, trotz viel- facher Provokationen, eine bewundernswürdige Disciplin und Ruhe bewiesen habe. Vor wenigen Monaten sei ein ähnliches Gesetz vom Reichstag mit ungeheurer Mehrheit verworfen worden.' Wel­cher Grund liege vor, jenen Beschluß rückgängig zu machen und das damals Verurtheilte zu sanktioniren? Ja, das zweite Attentat! Aber was hat dieses mit dem Gesetz zu thun? Nobiling war kein Sozialdemokrat, er war ein Nationallibe- raler. Wie könne ein vernünftiger Mensch auf die vereinzelte That eines der Sozialdemokratie fernstehenden Menschen hin die Sozialdemokratie außerhalb des Gesetzes erklären wollen? Redner kommt dann auf die vom BerlinerTageblatt" veröffentlichten gefälschtenAuszüge" aus den Nobilingi'chen Untersuchungsakten und zeigt, daß dasAltentatsfieber" künstlich erzeugr worden. Er unterwirft die Bismarck  'sche Politik im Allge- meinen und die Gesetzesvorlage im Besonderen einer, von seinem Standpunkte aus, wohlge- lungenen Kritik, desavouirt die Commune von Paris  , meint, jener ausländische Schriftsteller habe den Nagel auf den Kopf getroffen, der von Bis- marck gesagt,er kenne Europa  , aber nicht Deutsch- land", und geißelt zum Schluß in treffender Weise die traurige Haltung der nationalliberaleu Partei in dieser Angelegenheit. Besonders schlecht kommen dabei die Herren Lasker   und Bamberger  weg; elfterer so schlecht, daß der Präsident sich seiner erbarmen muß. Der Fürst   Reichskanzler hat das Wort!" ER erhebt sich, schwingt nervös denhistorischen" Bleistift, schwingt den Oberkörper hin und her gleich einem Pendel und fängt an zu plau- dern. ER hat an den Veröffentlichungen des Tageblatt" keine Schuld. DieFrankfurter Zei- tung" habe sehr intime Beziehungen zu Frank- reich; sie bringe Mittheilungen aus Regierungs- quellen bevor die übrige Presse etwas wisse. Kurz etwas Aehnliches wie Landesverrath wird der Frankfurter Zeitung  " insinuirt natürlich nicht in denunciatorischer Abficht. Dann wird dieTimes" blosgestellt; sie habe Bismarck   als Sprachrohr gedient(eineEnthüllung" die der Times" nicht sehr behagen dürfte!); ER sei für alle wirklichen Maßregeln zur Hebung der Lage des Volks; sei noch heute für Produktiv- Associationen mit Staatshilfe. Man solle IHM nur positive Vorschläge bringen. Wir seien aber bloß negativ. Wüßten nicht was wir wollten; hätten kein klares Programm. Seit 1870 sei der deutsche   Sozialismus verderbt. Da- mals, nach der Niederlage der Commune(zufällig 1871) habe die Internationale sich auf Deutsch- land geworfen, wo die Fortschrittspartei das Feld gut vorbereitet habe, und sonst die günstigsten Bc- dingungen vorhanden gewesen seien.Die Ge- setze sind viel zu mild. Die Todesstrafe war thatsächlich abgejchafft. Ich bin deshalb Sr. Kgl. Hoheit außerordentlich dankbar, daß er wenigstens ein Todesurtheil bestätigt hat." Kurz in Teutschland sei Alles bisher aufs Beste für die Sozialdemokratieeingerichtet" gewesen. DasAgitatorengeschäft" sei deshalb ein sehr dank- bares geworden, man werdeAgitator", wie man früher Schmied und Tischler geworden. Die Frucht sei nun zu Tage getreten. Man müsse einschreiten. Die sozialdemokratischen Vertreter im Reichstag, indem sie sich geweigert, der Ne- gierung zu Schutzmaßregeln gegen weitere Atten- täte behülflich zu sein, hätten jede weitere Rück- ficht unmöglich gemacht.(Die Zumuthung, daß die Sozialdemokraten bei Drehung des Strickes, an den man sie hängen will, behülflich sein sollen, ist etwas stark!) da sei die Fortschrittspartei braver; Herr Hänel(der sich für das Lob be­danken möge) sei in anerkennenswerthester, wohl- thucndsier Weise der Regierung entgegengekommen durch seinen famosenpositiven Vorschlag". Jndeß von der Fortschrittspartei sei vorläufig noch keine Unterstützung zu erwarten. Von den zwei conservativen Fraktionen und den Nationallibe- ralen hänge das Schicksal der Vorlage ab. Er (Bismarck  ) bitte dieselben, im Interesse des Vater- lands, sich doch ja zu verständigen. Wer seine Ziele miterstrebe, der solle doch mit ihm gehen. Er habe, als er den Reichstag aufgelöst, gehofft, daß die Abgeordneten dieser beiden Parteien, auf deren Patriotismus er vertraue, sämmtlich wieder- gewählt würden, um ihm jetzt zur Seite stehen zu können,(eine kühne Behauptung, die einigen der an die Wand gedrückten" Nationalliberalen etwelche zweifelnde Ohos! entlockte). Zuletzt wurde der Herr Reichskanzler ganz sentimental und ap- pellirt an die patriotischen Gefühle der vereinigten Reaktionäre. Sein Wunsch gehe über das Gesetz hinaus: es möge sich aus der conservativen und nationalliberaleu Fraktion eine feste Partei bilden, welche mit der Regierung treu zusammenstehe. (Partei Knobloch!) Nur sehr dünner Beifall lohnte dem Fürst Reichskanzler, als er sich, von seiner anderthalb- stündigen Plauderei erschöpft, niedersetzte. Die Nationalliberalen leisteten höchstens ein halbes Dutzend Bravo's  . Sie mögen noch so gute Miene zum bösen Spiel zu machen suchen daß sie eine nichts weniger als heldenhafte Rolle spielen, ist Jedem von ihnen vollständig klar. Der Abgeordnete Hänel hat das Wort!" Der arme Hänel, den das Bismarck  'sche Lob wie ein Keulcnschlag getroffen, beginnt unter all- gemeiner Unaufmerksamkeit des Hauses. Er braucht einige Minuten, ehe er sich an dem geölten Seil seines Pastorenpathos einigermaßen aufgerichtet. Die Fortschrittspartei ist nicht rein negircnd"(als ob Bismarck   nicht ihrepositive" Willfährigkeit ausdrücklich belobigt hätte!);wir sind so loyal wie die Conservativen" u. s. w. u. s. w. Das beste an dieser Rede ist ihre Kürze. Ordentlich erfrischend wirkt das urwüchsige Gepolter seines Nachfolgers, eines komischen Kautzes Namens Schmid, den irgend ein Württembergischer Wahl- kreis in die conservative Fraktion spedirt hat. Die Stimme ist gut, Gedanken: null. Leider hat er nicht so viel Barmherzigkeit mit den Zuhörern, wie Hänel, und thut es nicht unter 43 Minuten! Hatten wir bei Schmid scharfe Stimme und stumpfe Gedanken, so hatten wir beim nächsten (und wahrscheinlich letzten Redner des Tags), dem Partikularisten Bruel   von Hannover  , scharfe Ge- danken und stumpfe, fast unvernehmliche Stimme. In ernster Weise tadelte er, daß Bebel nicht in die Commission gewählt sei und ebenso wollte er nicht zugeben, daß alles Eigenthum als unbedingt heilig angesehen werden müsse. Es gäbe Eigen- thum genug, das diesen Anspruch nicht erheben könne. Sei es auch nicht möglich, die alte jüdische Einrichtung der alle 50 Jahre wiederkehrenden Aufhebung aller Schulden u. s. w. neu einzuführen, so könne doch Vieles geschehen, um das wahre Eigenthum zu schützen, und befonders die Kirche habe die Aufgabe, in dieser Richtung zu wirken. Sie sei dazu auch entschlossen. Vergeblich suche er aber nach den Gründen für das vorliegende Gesetz. Bezüglich der Attentate sei nichts von Belang angeführt, denn die Aeußerung Eulen- burg's, daß die Bewegung in einem Wirrkopfe zu schlechten Thaten anreizen könne, beweise gar nichts; bei einem Wirrkopfe könne jede Bewegung Verrücktheiten erzeugen. Die vielen, oft durch unsittliche Denunzialionen herbeigeführten und keineswegs milde, sondern überaus hart bestraften Majestätsbeleidigungen seien dem Umstände ge- schuldet, daß die Person des Kaisers zum Gegen- stände einer Unzahl von A-ußerungen bei Gelegen- heit der Attentate gemacht sei und unter diesen seien viele abgeurtheilt, bei denen von einer Be- leidigung gar keine Rede sein könne. Während von 1872 bis 1876 grobe Verbrechen, wie Mord, Raub u. f. w. um ca. 100 Prozent zugenommen, seien Majestätsbeleidigungen in jener Zeit nicht in ihrer Anzahl gewachsen. Die Attentate hätten viele unbedachte Aeußerungen veranlaßt. Man mvge aber auch bedenken, mit welchen Gefühlen seine Landsleute, die Hannoveraner, ihrem jetzigen Herrscher gegenüberständen; diese Gefühle könne er am besten charakterisiren durch einen Hinweis auf die napoleonische Fremdherrschast.(Diesen Ausdruck bezeichnet der Vorsitzende, Freiherr von Stauffenberg, beim Schlüsse der Rede, nach- dem er das stenographische Protokoll eingesehen, als ungehörig.) Wenn man hinweise auf die Schädigung des Sinnes für Recht und Sitte, so sei zu bedenken, wie sehr der Kulturkampf, der das Volk in seinen religiösen Gefühlen tief ge­kränkt, wie sehr die 1866 nach ungerechtfertigtem Bruche vonFrieden und Bund" erfolgte Eni- thronung legitimer Fürsten, die vertragswidrige Jnnehaltung ihres Vermögens u. s. w. den Sinn für das Recht im Volke zerstören mußte. Der Klassenhaß könne keine größere Unterstützung finden, als durch das vorgelegte Gesetz, und es sei nicht zu verkennen, daß die Maßregelungen und Ent- lassungen von Arbeitern dne tiefe Verstimmung hervorgerufen. Es sei nothwendiq, auf dem ver- derblichen Wege umzukehren. Die sozialdemo- kratische Agitation würde nie so groß geworden sein, wären nicht wirkliche und bedeutende Miß- stände vorhanden, an deren Beseitigung bis jetzt nicht gedacht sei. Komme das Gesetz zu Stande, so werde zu den bisherigenReichsfeinden" noch der ganze vierte Stand gesellt, dessen Interessen durch dasselbe auf das Tiefste geschädigt würden. Es sei das der Weg zu unheilvollen Revolutionen. Redner kritifirt dann den§ 1 in seiner jetzigen Fassung mit großer Schärfe und empfiehlt schließlich ein von ihm gestelltes Amendement. Jnzwifchen ist es 4'/« Uhr geworden, das Haus ist müde, ein Schlußantrag wird eingebracht und angenommen. Es kommen die persönlichen Be- merkungen. Was der unglückliche Lasker zu sagen hatte) ist gleichgültig. Sonnemann forderte den Reichskanzler auf, seine Insinuationen zu sub- stantiiren, Beweise für seine Anklagen zu bringen. So lange Beweise nicht erbracht, seien disse In- sinuationen verdächtigende Unwahrheiten. Fürst Bismarck   behauptet, keine Anklage erhoben zu haben, sonnemann läßt IHN ab r nicht los, das ganze Haus sei Zeuge der ihm gewordenen Beleidigung.(Fürst Bismarck   verschwindet aus dem Haus.) Er wiederhole, die Jnsinua- tionen des Herrn Reichskanzlers entbehrten jeder Begründung und seien absolut unwahr. Er fordere Beweise oder Widerruf. Fürst Bismarck  bleibt verschwunden. Unter großer Unruhe und in einer von Be- wunderung des Fürsten Bismarck sehr entfernten Stimmung schließt der Reichstag   kurz vor 5 Uhr. Morgen 11 Uhr Fortsetzung der heutigen Tages- ordnung. Die zweite Lesung dauert voraussichtlich bis Sonnabend. , den 10. Oktober.  | Der Zudrang des Publikums zu der heutigen Reichstagssitzung ist ebenso lebhaft wie gestern, alle Zuhörcrtribünen sind gefüllt. Die Sitzung wird kurz vor V,12 Uhr eröffnet; der Präsident ertheilt sofort das Wort an Hassel» mann. Nach einigen einleitenden Worten, in denen er ausspricht, daß die Sozialdemokratie we- der durch das Ausnahmegesetz noch durch andere Mittel auszurotten fei, kommt aa{» gestrige Plauderei Bismarck's   zurück; widerlegt dessen Vorwurf, daß die Sozialdemokraten keine praktischen, positiven Borschläge gemacht hätten, durch Hinweis auf die Reichstagsvcrhandlungen und unser Programm, und beschäftigt sich dann mit den sonderbaren Vorstellungen des Fürsten  Die drohende Polizeigesahr. Der königl. Geheime Regierungsrath L. Jacobi (bekanntlich ein glühender Sozialistenhasser) giebt eine Monatsschrift für deutsche Beamte heraus, welche außer den Fachartikeln auch kleinere Aussätze über verschiedene Zeitfragen enthält. Da befindet sich auch im neunten Heft dieses Jahr- ganges ein sehr lesenswerthes Urtheil über eine direkt zur Sozialistenbekehrung geschriebene Schrift, daß wir dieselbe unseren Lesern nicht vor- enthalten wollen. Der Arttkel des Geheimen Rath Jacobi lautet: Wie man hört, wird gegenwärtig durch die Obrigkeit ein Schriftchcn von Karl v. Raumer: Das Familienleben des Volkes unter Be- rücksichtigung der Lehren der Sozialdemokratie, besprochen für das Volk",(Breslau  , im Selbst- Verlage des Verfassers, 1878), vertheilt, um in den von der Sozialdemokratie unterwühlten Kreisen verbreitet zu werden. Es ist gewiß an und für sich löblich, wenn gegen das Verderben der Sozialdemokratie nicht nur der leichte uud breite Weg der Verbote und Strafen, sondern auch der schmale und schwierige Pfad der Belehrung betreten wird. Es kann auch bereitwillig anerkannt werden, daß die Lehren, welche Herr von Raumer spendet, nicht nur von dem wohlmeinendsten Geiste eingegeben und mei- stens ansprechend, im Wesentlichen wirklich Volks- thümlich gefaßt sind, sondern auch zum großen Theile volle Berücksichtigung verdrenen. Er schrl- dert in 8 Abschnitten(die Ehe; dre Mutter, als Pflegerin; Erzieherin; Lehrerin; Haushälterin; die Erwerbsthätigkeit des Weibes; die Fortbildung der Kinder; die politische Stellung der Frau; Religion; Alter) die Pflichten und den segen eines sittlichen Hauswesens fo lebhaft, warm und innig, daß man sicher fein darf, er habe an sich selbst das Wort erprobt:Häuslichkeit! In Deines Glückes Frieden liegt allein der Menschen großes Loos!" Uud dessen ungeachtet halte ich dafür, daß die Abwehr der Sozialdemokratie eine ver- fehlte sei und sogar das Gegentheil erzielen könnte. Der Ausgangspunkt der ganzen Schrift ist m. E. Verkehrt und verderblich. Sie beginnt mit fol- genden Worten:Eine der herrlichsten Thatsachen der göttlichen Schöpfung ist es, daß die edelsten Güter des Lebens auch dem Aermsten zu Theil wurden; zu diesen Gütern gehört auch die Liebe. Der Arme kann also mit derselben Liebe um die Hand der Jungfrau werben, wie der Reiche. Es liegt in folcher Gleichberechtigung eine große Gnade Gottes, und die Erkenntniß derselben muß den Aimen mit Dank erfüllen." Ich gleicher Weise geht der AbschnittDie Mutter" davon aus, daß dasMutterglück, die Mutterliebe ebenfalls wieder zu den herrlichen Schätzen gehört, welche durch Gottes Gnade in gleichem Maße unter Arm und Reich vertheilt sind." Also wirklich, das soll der Arme als eine Gottes-Gnade betrachten, dafür soll er Gott danken und preisen, daß ihm, obwohl er arm, dennoch die Liebe, die Ehe und das Elternglück nicht versagt sind? Wie denn, sinddie Armen",das niedere Volk", nicht Glieder derselben Menschheit gleich den Reichen? Sind sie nicht auch Fleisch von Adam's Fleisch und Blut von Adam's Blut? Wo stehen sie denn auf der Stufenleiter der Erdbewohner? Hat jene Gottesgabe nicht auch das Thier in seiner thieri- schen Weise? Und der Arme soll vor dem Schöpfer anbeten, daß er trotz seiner Armuth dessen nicht beraubt sei, was die Natur auch den vierbeinigen Wesen gegeben hat? Wissen Sie, Herr v. Raumer, was Ihnen die Armen, wenigstens die sozialdemo- kratisch angehauchten, erwidern werden: Danken? nein, im Gegentheil fluchen müßten wir dem Gott, der auch jene Herzensguter an den Mammon ge- Kunden hätte!" Was dem Verfasser vielleicht vor- geschwebt hat, würde in folgender Form des Ge- dankens annehmbar gewesen sein:Ihr Reichen brüstet Euch nicht, Ihr Armen verzweifelt nicht, denn die herrlichsten Schätze auf Erden sind doch gleich vertheilt!" Aber unerträglich ist der Trost, daß der liebe Gott die Armen doch auch noch gleich Menschen betrachtet, indem er ihnen die ersten menschlichen Gefühle vergönnt. Diese unglück- selige Scheidung zwischen den eigentlichen Men- schen und den Armen wiederholt sich auch S. 42 in den Worten:Man wird doch der Mutter(der Armen) nicht weniger zutrauen dürfen, als dem Thiere?!" Wer da glaubt, daß eine Schrift, durch welche solch' ein schwarzer Faden läuft, bei den Armen Anklang finden könne, wer da nicht glaubt, daß viele bei jenen ersten Worten allsogleich das Büch- lein wegwerfen werden, der kennt dasniedere Volk" nicht, am wenigsten in densozialdemo- krattsch unterwühlten" Kreisen. Schon jene Be- zeichnung:Das niedere Volk", welche vom Titel ab durch alle Seiten läuft, ist möglichst ungeschickt gewählt von dem, der bei demniederen Volk" Eingang finden will. Es liegt hierin(ohne alle Absicht des Verfassers) etwas Herabsetzendes, welches bei der Empfindlichkeit, der Selbstschätzung, dem Gefühle der Gleichberechtigung, wovon heut- zutagedas niedere Volk" von Außen her künstlich überfüllt ist, nur zurückstoßend wirken kann. Warum denn nicht lieber den Titel wählen, der wenn auch nicht ganz zutreffend doch all- gemein üblich ist: dieArbeiter"? Wer sich die schwierige Aufgabe stellt, m die vorurtheil- erfüllten Schichten unsres Volkes Eingang zu finden, der muß vor Allem bedenken:Seid klug, wie die Schlangen!" Abgesehen von dieser verfehlten Einkleidung der ganzen Schrift, leidet sie auch sonst an recht schwachen Stellen, welche freilich aus derselben Wurzel stammen. So eifert der Verfasser gegen die Frauenarbeit außer dem Hause und wendet das Holtei'sche Wort an:Suste nischt, ock heem!" (Sonst nichts, nur nach Haus!) Gut, nun aber heißt es weiter: Heilung sei nicht von gesetzlichen Maßregeln zu erwarten. Die Umkehr könne nur aus dem Volke kommen,dies sei Pflicht der Männer" und diese vermögen es durch Fleiß und Sparsamkeit." Nicht die Arbeitgeber; denn:soll der einzelne Fabrikbesitzer freiwillig die billigere Frauenarbeit ablehnen, sich so vielleicht die Mög- lichkeit nehmen, in Bezug auf die Preise der Fa- brikate mit anderen Fabrikanten zu konkurriren? Könnt ihr dies von dem einzelnen Arbeitgeber verlangen?"Nun," würde der Arbeiter erwidern, wie können Sie denn aber von dem einzelnen Arbeiter oder von allen Arbeitern verlangen, daß sie, bei dem jetzigen Druck der Löhne, auf den Zuschuß der Frauenarbett in der Fabrik ver- zichten? Haben Sie doch die Gefälligkeit, sich an meiner Statt an den Maschinenwebstuhl zu denken und durch Fleiß und Sparsamkeit sowohl mehr zu verdienen, daß die bisher neben mir beschäf- tigte Frau ruhig daheim der Kinder und des Hauswesens warten kann." Ich meine, Herr v. Raumer hätte besser gethan, Arbeiter, Arbeit- geber und Gesetzgebung gemeinsam zur Abwehr des Uebels aufzurufen, nicht alle Schuld auf jene allein zu werfen. Namentlich die Gesetzgebung sollte den in dem Arbetterstande schon sehr ver- breiteten Wunsch, die außerhäusliche Frauenarbeit zu verdrängen, mehr und mehr zu unterstützen suchen. Ebenso einsettig ist es, wenn der Verfasser behauptet,die Arbeiter haben es den Arbeit- gebern" durch Aeußerungen der Unzufriedenheit, der Anmaßung abgewöhnt, daß letztere die ersteren zu ihrer Familie rechnen. Verdrossenheit, Wider- spcnstigkeit schaue aus den Augen der Gesellen. Unter solchen Umständen sei es kein Wunder, wenn auch die Arbeitgeber das Interesse für die Ar- i» beiter verlieren, sie nicht zu ihrer Familie zählen, sie nicht an ihrem Tische mit sitzen lassen, sondern ihnen Kostgeld geben. Ich will nicht fragen, weshalb Krupp, Borfig oder in Breslau Ruffer nicht wenigstens den Versuch ge- macht haben, ihre Arbeiter, mindestens die unver- heiratheten, zu ihrer Familie zu rechnen uud an ihrem Tische sitzen zu lassen; ich will nur fragen, wie denn Herr v. Raumer, dicweil er m. W. Ziegeleibefitzer war, sich hierzu verhalten hat? Moralpredigen ist leicht, doch gegen den Stachel der Wirklichkeit löcken, sehr schwer. Die Großindustrie hat jene Familiengemeinschaft von Arbeitgebern und Arbeitern unwiderstehlich auf- gelöst; es ist durchaus verkehrt, den Arbeiter hierfür in erster Reihe verantwortlich zu machen. Bei anderen Stellen hätte ich sehr gewünscht, daß der Verfasser neben den Vorwürfen gegc dasniedere Volk' auch die Warnung gesetzt hätte Aber vornehmlich folget nicht dem bösen Beispiel der.Reichen'!" Denn wenn es z. B. heißt:Jh, Eltern des niederen Volkes, werfet einen Blick auf Eure halberwachsenen Kinder. Erröthet Ihr nicht, wenn Ihr die 15- oder 16 jährigen Kinder in großen Städten arbeitsscheu herumbummeln seht? Die Hände in den Hosentaschen, die Cigarre im Munde, sas Gesicht von Spirituosen geröthet, eine lüderliche Dirne zur Seite--"; darf man da nicht mutatis Hmtanäis interpelliren:Ihr Eltern der oberen Zehntausend?" I Kurzum, ich fürchte, daß dies höchst wohl- gemeinte Büchlein in den Schichten desniederen Volks" nichts fruchten, sondern eher den Klassen- haß, wie Oel   das Feuer nähren wird. Wer zu den Arbeitern heute mit Erfolg sprechen will, entschließe sich vor Allem, sie als das zu betrachte« und zu behandeln, was sie staatsrechtlich und christlich sind: als Seinesgleichen, als seine Brüder, und hänge das Kleid der Standesunterschiede ein- mal an den Nagel!" Der Artikel ist gut, aber für die, die er treffen soll, überflüssig. Dieobern Zehntausend sind allzusehr durch ihre Unkenntniß des Volks- lebens und der Arbeit vor solchen Ermab- nungen geschützt, daß es gar nicht besonders de* durch den Reichthun erzeugten Hartherzigkeit er? bedarf, um solche Ermahnungen völlig in den W!«° zu schlagen.. Was aber die arbeitende Klasse von ei« Obrigkeit  " zu erwarten hat, die das Schun?' werkchen des Herrn von Raumer empfiehlt, d»« wird jeder Arbeiter sich selbst sagen können.