empörenden Ergebnisse, welche jetzt den stolzen Börsenbaron auf die Anklaqebanl geführt haben. Man erinnert sick noch des ungeheuren EclatS, als am 16. Dezember des Jahres 1373 der Ritter v. Pont-Kuxin, in dessen Palais die blaublütige Welt sich alltäglich hatte fetiren lassen, ins Gefängniß geworfen wurde. Gegen eine Eaution von einer Million Gnlden wurde er zwar am 4. Febr. freigelassen, aber die Untersuchung gegen ihn so energisch fortge- setzt, daß heute der Staatsanwalt ihn wegen zehn verschiedener Betrugshandlungen vor die Schranken fordern kann. Welche Ge- wissentosigkeiten, welch ein Abgrund von Corruption sich in diesem Prozesse aufdecken wird, davon kann man sich nach dem Resume der Anklage sattsame Vorstellungen machen. Es heißt nun. daß der Staatsanwalt je nach den Resultaten der Verhandlungen die gerichtliche Verfolgung auch auf alle in diese Schmutzaffaire ver- flochtenen Personen ausdehnen wolle. Jedenfalls wird mit der Berurtheilung des HaupträdelSführerS keine ausreichende Sühne gegeben fein. Das beleidigte öffentliche Gewissen wird erst dann beschwichtigt sein, wenn auch alle Mitschuldigen der Gerechtigkeit überantwortet werden, mögen sie nun hochgeborne Grafen oder Barone, oder gewesene Minister sein!" So weit der Correspondcnt. Nun—«alle Mitschuldigen" und Schuldigen werden wohl schwerlich zur Verantwortung und Strafe gezogen werden. Immerhin aber ist anzuerkennen, daß das österreichische Ministerium sich nicht dazu herbeigelassen hat, die Sache zu vertuschen. Die preußischen Ofenheime können in Ruhe ihre Gründergewinne verzehren. Apropos, von Herrn Ofenheim rührt das geflügelte Wort her:„Heutzutag wird man nicht mehr rasch reich, ohne mit dem Aermel daS Zuchthaus zu streifen." DaS«rasch Reichwerden" ist aber eingestandenermaßen das Ziel der modernen Bourgeoisie.— — Zur Charakteristik deS„Rechtsstaats". In Angel- Hausen-Oberndorf bei Arnstadt im Fürstenthum Schwarzburg- SonderShausen besteht eine Mitgliedschaft der«Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter- Gcw-rkSgenl-sset�chaft"; im Laufe des vorigen Jahres beschloß dieselbe, sich der Krankenkasse dieser Ge- werkSgenvssenschaft anzuschließen. Aber man hatte die Rechnung ohne den Wirth, d. h. in diesem Falle ohne den Landrath in Arnstadt gemacht, der folgenden UkaS erließ: An den Schuhmacher Bernhard Görber zu Angelhausen- Oberndoif. „Durch berichtliche Mittheilung des dortigen Gemeinde- Vorstandes vom 1. d. M. ist an mich eh Statut für die Krankenkasse zu Angelhausen- Oberndorf der«Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter-GewerkSgcnossenschaft beiderlei Geschlechts" zur Vorlage gekommen. Da die von mir erhobenen Beweise(?) daS Resultat ergeben haben, daß der Verein, an dessen Spitze Sie stehen, sozialistische Zwecke»erfolgt, so wird dessen Bildung aus Grund des � 8 des Gesetzes vom S. Juni 13S6 hiermit verboten. Gegen diesen Beschluß steht Ihnen binnen 10 Tagen präklusiver Frist Berufung an daS Fürstliche Ministerium zu Sondershausen cffeu. Arnstadt , den 23. Juni 1874. Der Fürstl. Schwarzb. Landrath. W. F. Rapp." Dagegen rekurrirte die Mitgliedschaft: „An daS Fürstl. Schwarzb. Ministerium in SonderShausen . Oberndorf , den 5. Juli 1874. Bon dem Fürstlichen Landrath in Arnstadt wird uns die Bildung einer Krankenkasse untersagt und zwar nach§ 8 des Gesetzes vom 9. Juni 1865, weil der Herr Lavdrath die Vermutbung ausstellt, wir verfolgten sozialistische Zwecke. Ich berufe mich auf die beim Fürstl. Landrath eingereichten Sta- hrten, welche zu der Behauptung sicherlich keine Veranlassung bieten, da eS sich doch lediglich um die Errichtung einer Krankenkasse handelt, denn bei der hier bestehenden Kasse gicbl eS nur 1 Thlr. pr. Woche, es ist also jeder Arbeiter ge- vöthigt, noch in eine zweite Kasse zu gehen und haben wir deshalb beschlossen, unS einer Kasse anzuschließen, welche auch an anderen Orten besteht. Ich sehe Ihrem geneigten Be- scheid entgegen. Hochachtend Bernhard Görber, Schuhmacher. Im Auftrage deS Vereins." Das Ministerium antwortete: «Aus den uns mit Bericht vom 11. d. M. zur Ent- scheidung über den RecurS des Schuhmachers Beruh. Görber zu Angelhausen- Obcrndorf eingesendeten, anbei zurückfolgen- den Acten entnehmen wir, daß die von pp. Görber und Ge- «offen projectirte Bildung eines Gewerks-Krankeukassenvcreiv« von der öffentlichen Meinung des Ortes und der Umgegend als ein Unternehmen charakterisirt wird, welches nur als Aushängeschild oder Deckmantel für sozial- demokratisches Treiben dienen soll. Bürgschaft für die Triftigkeit dieser Meinung leisten einmal im Allgemei- nen die an der Spitze stehenden Persönlichkeiten und deren ganze unverhehlbare Geistes- und Gesinnungs- Rich- tung, aber auch der Jnbalt des Statuts selbst, welcher zeigt, daß die Gründung der Krankenkasse aus unreifen Plänen beruht und allem Anschein nach mehr Nebensache ist, da- gegen der Verein stch unverkennbar als ein affiliirter, der Oberleitung einer allgemeinen internationalen GewerkSgenosscn- fchaft mit in Crimmitschau domicilircndcr Vororts- Verwaltung unterstellter und von dieser abhängiger Localvercin darstellt. Der sozialdemokratische Charakter de» Unter- nehmenS tritt daher mit hinlänglicher Deutlichkeit hervor, um der BczirkSbehörde, deren Ueberzeugung von der Sachlage durch die vollkommen übereinstimmende der O r t S b e- Hörde gestützt wird, gesetzliche Anhaltepunkte nach Z 1 der Ministerialbekanntmachung und§§ 2, 3, 4 und 8 veS Gesetzes vom 9. Juni 1865 zu gewähren, den Verein sofort im Entstehen zu verbieten. ES wird daher, ungeachtet des als unbegründet zu ver- werfenden RecurseS des Bernhard Görber aus Oberndorf, die angefochtene landräthliche Verfügung vom 23. Juni d. I. lediglich bestätigt, was dem Recurrenten zu eröffnen ist. SonderShausen , den 24. Juli 1374. Fürstlich Schwarzb. Ministerium, Abtheilunz des Innern. gez.: v. Keyser. An den Fürstl. Landrath zu Arr stadt. Ter Stuhmacher Bernhard Görber zu Angelhausen - Oberndors erhält Abschrift statt besonderer Eröffnung zur Nacbritt zugefertigt. Arnstadt , den 30. Juli 1374. Der Fürstl. Schwarzb. Lavdrath. W. F. Rapp.» Die Fürstlich Schwarzburgische Ministeriallogik richtet sich selbst Natürlich müssen die Angelhausen-Oberndorfer Genossenschaft»- Mitglieder sich fügen. Der«Rechtsstaat" hat sich wieder einmal glänzend bewährt, und ein neuer Beweis ist geliefert, daß den Arbeitern der Weg reformatorifch-gesetzlicher Selbsthülfe shstematisch versperrt wird. Wir legen'S zum Andern! — Ein geistreiches Reptil in der«Weferzeitung" sucht die Prozeß- Liebhaberei deS Fürsten Bismarck wie folgt zu be- schönigen: «Herr Sonnemann klagte neulich im Reichstage darüber, daß der Reichskanzler nicht weniger als 734 Prozesse wegen Beleidi- gung gegen Zeitschriften angestrengt habe, und meinte, das sei nicht sehr großartig. Nun ist aber gerade dieser Krieg deS Reich«-. kanzlers gegen die ultramontane und die radikale Winkelpresse ein Beweis der Bedeutung, welche er den geistigen und moralischen Einflüssen im StaatSleben beilegt.(!) Man wird doch nicht glauben, daß ihm persönlich an den Schmähungen und Verleum- düngen obscurer Schmierblätter(!) etwas gelegen ist, von denen er wahrscheinlich in den meisten Fällen kaum den Titel kennt. In dem er systematisch darauf hält, daß Verunglimpfungen der Reichs gewalt(?) zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden, hat er einen öffentlichen Zweck im Auge.(!) Er will dadurch erreichen, wie er selbst vor Kurzem auseinandergesetzt hat, daß das Licht der Oeffentlichkeit auch in jene engen und dunklen Kreise ein dringe, in welchen, unbeachtet von Pen anständigen Klassen, die schwarze und die rothe Demagogie daS Volk zu vergiften bemüht ist-(!) Zu dem Ende zieht er die schmachvollen Preßerzeugnisse(!) aus ver Fivsterniß hervor und verschafft er ihnen einen Leserkreis, welcher ohne dies niemals Kunde erhalten würde von den fchänd- lichen Wühlereien, die zu seinen Füßen den Boden unterhöhlen. ES ist wahr, daß daS Mittel originell(!) ist, und daß es mit her- gebrachten Ansichten, englischen Beispielen und sonstigen Autori- täten de» Liberalismus einiger Maßen in Widerspruch steht(also doch!); aber eS ist jedenfalls alles andere eher als ein Zeichen von Geringschätzung gegen die Gefühle und Anschauungen deS Volks. Der Fürst will nicht, daß in den Massen sich die Ueberzeugung festsetze, daS Reich werde von einem Bösewicht, einem ReligionS- »erfolger und Tyrannen regiert, weil er glaubt, daß unter Um- ständen eine solche Ueberzeugung dem Reiche verhängnißvoll wer- den könnte. Et gebraucht deshalb die gesetzlichen Mittel, um Den- jeuigen, welche solche Lügen berussmäßig verbreiten,(!) ihr Hand- werk zu erschweren; er zwingt sie, vor dem ordentlichen Richter Rede und Antwort zu stehen.(Oho!) Wären diese Mittel wirk- sam, man könnte sich nur darüber freuen: mit der Preßfreiheit haben sie so wenig zu schaffen, wie die Ausstörung einer Falsch- münzerbar.de gegen die Gewerbefreiheit verstößt."(!!) Also Fürst Bismarck hat dieses EngroS- Anklagen nöthig, da- mit«sich nicht in den Massen die Ueberzeugung festsetze, daS Reich werde von einem Bösewicht:c. regiert!" Daß Fürst Bismarck eine so schlechte Meinung von sich selbst und seinem Ruf habe, hätten wir nie geglaubt. Da» Reptil, welche» diese«Genialität" verübt hat, gehört ohne Zweifel zu jenen gefährlichen PreßturkoS, von denen gelegentlich deS ArnimprozeffeS gesagt wurde:„Die Offiziösen bringen den Reichskanzler moralisch um!" Mit der„Preßfteih-it" haben besagte Verfolgungen allerdings «nichts zu thun", sintemalen sie daS absolute Gegenrheil derselben bezwecken. DaS non plus ultra von Unverschämtheit ist'S aber, wenn daS WeserzeitungSreptil behauptet, Fürst Bismarck verklage seine politischen Gegner, um sie„aoS Licht der Oeffentlichkeit zu ziehen," — er wolle sie«zwingen, ihm Rede und Antwort zu stehen." In Wahrheit verhält sich die Sache umgekehrt: Fürst Bismarck verklagt Diejenigen, welche seine, des Fürsten Bismarck Handlungen an die Oeffentlichkeit ziehjen, und erwirkt in den meisten Fällen eine Verurtheilung auf Grund des einen oder andern dabei gebrauchten Ausdrucks! So hat der Fürst Reichskanzler z. B. uns die Ehre einer Beleidigungsklage wegen einiger Artikel erzeigt, in welchen der Thatsachen erwähnt war, daß Fürst Bismarck als Minister reich geworden ist, daß er eine Papierfabrik angelegt hat, die für öffentliche ReichSanstaltev Papier liefert; daß er einen Menschen, der„mit dem Aermel daS Zuchthaus gestreift"— den vor aller Welt gebrandmarkten Wagener � alS seinen persönlichen Vertreternach Eisenach geschickt hat, und so weiter. Diese Thatsachen zu bestreiten fällt dem Fürst Bismarck nicht ein, und kann ihm nicht einsallen— trotzdem verlangt er unsere Bestrafung, und wird wohl auch aus Grund diese» oder jenes für injuriöS zu erklärenden Worte»— und welches Wort ließe sich nicht für injuriöS erklären?— unsere Verurtheilung herbeiführen. Die Thatsachen«erden dadurch aber nickt alterirt, und ob öS im Interesse de» Herrn Reichskanzler ist, daß auf sie«daS Licht der Oeffentlichkeit dringe" möchten wir einiger maßen bezweifelu; dagegen scheint eS unS ziemlich gewiß, daß Fürst Bismarck nicht klagen würde, wenn diese und ähnliche Thatsachen (Lamarmora- Enthüllungen rc.) durch Abwesenheit glänzten.— — Unsere Gegner sind unermüdlich darin, ihre Unwissen- heit in Bezug auf AlleS, was die sozialdemokratische Bewegung angeht, zur Schau zu stellen. Da schreiben sie jeyt in die Welt hinaus:„Sicherer Beweis deS Rückgangs der Sozialdemokratie — das Prcßorgan von Hasen clever, Hasselmann ic.. der in Berlin herausgegebene«Sozialist" stellt seine Thätigkeit ein und hört mit Ansang deS JahrS 1875 zu erscheinen aus." Die betreffenden Blätter verwechseln unser von vornherein nur als provisorischer Ersatz für die aufgelöste Organisation angekündigte« Berliner Lokalblatt mit dem Organ deS Allgemeinen deutscken Arbeiter- vereinS, dem„Neuen Sozialdemokrat"! Die alleroberflächlichste Kenntniß der deutschen Arbeiterbewegung hätte den braven XnovnotkinFS— Hr. Hüttner ist natürlich darunter— diese neue Blamage erspart. Eins sollten unsre Gegner doch endlick begreifen: wer die Sozialdemokratie bekämpfen will, muß erst lernen, was die Sozialdemokratie ist, und wie sie sich berhätizt. — ReptilifcheS. Wie wir auS dem« Nürnberg-Fürthe, Sozialdemokrat" ersehen, hat der«Nürnberger Kurier" die komische Schaamanwandlung, sich durch daS ihm neulich von unS beigelegte Epitheton„reptilisirt" gekränkt zu fühlen, und die ebenso komische Naivität, unS in der anständigen Form, welche dieser Sorte von Blättern(„Schmutzpresse", sagt der„Kurier"), eigen thümlich ist, zum Widerruf aufzufordern. Zu widerrufen haben wir nichts. Ein Blatt, das die bekannten Fabrikate des Berliner Preßbureau'S regelmäßig zum Abdruck bringt, ist zum mindesten „reptilisirt". Wohl aber haben wir die Anklage zu verstärken: Der«Nürnberger Courier" hat vor einigen Jahren in di rekten Preß- Beziehungen zu preußischen RegierungS behöpden gestanden(das Nähere möge der„Kurier" in un- serem Nürnberger Parteiorgan nachlesen, daS ihm aus Lokal freundschaft den nöthigen Raum widmen kann), und wir stehen nicht an, unsere Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß diese direkten Preßbeziehungen fortdauern, und der„Niirn- berger Kurier", also nicht bloß„reptilisirt" ist, sondern ein ganz reguläres, ausgetragenes„Reptilienblatt". — Arbeiterentlassungen. Wir machten unter dieser Rubriz in voriger Nummer die Mittheilung, daß der MenscheuvernichtungS- maschinenverfertiger Krupp in Essen von seinen 16,000 Arbeiter» 3000 zu entlassen genöthigt sei. Die Mittheilung, die wir der „Volkszeitung" entlehnten, ist falsch. Krupp entläßt keinen, nicht einen einzigen Arbeiter, da er auf vier bis fünf Jahre mit Auf- trägen, namentlich von Seiten der deutschen Regierung versorgt sei. Nette Aussichten für den Frieden! — Parteigenosse Bermel aus Hof hat am 28. Dezember v.J. eine dreiwöchentliche Haft angetreten, die ihm von der Hofer Polizei zuerkannt worden war. Die Volksschule und die Lage ihrer Lehrer in der Provinz Preußen . Eine Skizze'von einem Ostpreußen . (Fortsetzung.) Zur Illustration dieses Bildes diene Folgendes: Vor einiger Zeit brachte der in Jnsterburg erscheinende«Bür- ger- und Bauernsreund", daS einzige Blatt in der Provinz, welcke» trotz aller Verfolgungen, die es erduldet hat, dennoch seine Unab- hängigkeit bewahrt und oft den Nagel auf den Kopf trifft, unter „Provinzielles" ein wirklich niedliches Stückchen von der hohen(???) Bildung unfrer Volksbildner: „— Bei dem fühlbaren Mangel an Lehrern begann ein ehr- samer Handwerker, ein gar frommer(?) Mann und Günstling eines hochgestellten Geistlichen sich bei einem Landlehrer bei Gum- binnen als Präparand zum Lehrfache auszubilden. Bald war er denn auch so weit, daß er Schülern und Schülerinnnern Fehler in die Hefte hineinkorrigiren konnte. Von einem Examen war nicht die Rede, da diese Leistung genügte, bei dem Lehrermangel und hoher Protection dem frommen Manne eine Lehrerstelle der Goldap zu geben. Unser fromme»(?) Lehrerlein machte neulich eine Conferenz mit. Nach derselben vereinigten sich die Lehrer in einem Gastlokale, allerlei Gespräche führend. Auch das Wort Instinkt" kam vor. DaS war eine Gelegenheit für unseren Pro- tectionSlehrcr sein Licht leuchten zu lassen. Eiftig fuhr er da- zwischen,«meine Herren Collegen, ich bin da gewesen, ich muß eS bestreiten, der Inn stinkt nicht." So geschehen von einem Volks- lehrer im Jahre 1874. Und Staunen und Grause« bemächtigte sich seiner Collegen und unserer auch.— Arme Volksschule!" Aber wie will man von einem Lehrer gediegene Bildung, wie will man Liebe zu seinem gewiß hohen und heiligen Beruf ver- langen, wenn man ihm ein Einkommen gewährt, von welchem er nickt einmal im Stande ist, sich die nothwendigsten LebenSbedürf- nisse zu beschaffen, bei dem er fortwährend nur eine kümmerliche Existenz führt und schon um deshalb, weil er stets mit NahrunzS- sorgen zu kämpfen hat, gar nicht an seine Fortbildung denken kann? DaS neulich erschienene Werk„Allgemeine Chronik veS Volksschulwesens von L. W. Seyffarth" eines gewiß„gesinnungs- tüchtigen" und„reichStreuen" ManneS giebt nur zu klare Auf- schlüsse über die wahrhaft traurige Stellung der Lehrer in der Provinz Preußen und ihr so glänzendes(???) Gehalt, denn diese« beträgt durchschnittlich 160 Thaler, sage EinhundertundsechSzig Thaler— jährlich. Im rickligen Berhältniß zu diesem wahrhaft idyllischen Gehalt stehen auch die Pensionen der Lehrer, welche zwischen 50 und 200 Thalern variiren nnd sogar in vielen Fällen unter 50 Thaler betragen. ES ist bei solchen Verhältnissen auch nicht zu verwundern, wenn die Zahl der Lehrer weit hinter dem Bedürfnisse zurückgeblieben ist. Aber was thut da«, wenn nur die„Kultur" brav Fortschritte macht! Und zu der«Kultur". deren Segen wir heut allerorten verspüren, braucht man zunächst nur— GenSd'armen und Polizisten, und die werden auch nicht mit 180 Thaler abgespeist.— Fragen wir jedoch, wie ist dieses Gehalt berechnet, und besteht eS neben den von der Gemeinde dem Lehrer zu gewährende« Naturalien in baarem Gelde? Du wirst denken, mein lieber Leser» daß dem so ist; wenn ich Dir jedoch statt deS Avers den ReverS dieser Medaille zeige, wirst Du bitter enttäuscht werden.— In keinem Lande wird wohl dem Volke mehr Sand ,n die Augen gestreut, als gerade in Preußen, und nirgend versteht man es besser, das Volk gründlich zu täuschen und es sowohl in leiblicher al« geistiger Knechtschaft zu halten, als gerade im Jatelligenzstaat Preußen. Es ist nicht zu leugnen, eS giebt in Preußen manche» gute Gesetz— aber eS ist nur gewöhnlich ein Zuckerbrövchen, eine Lockspeise, die guten Gesetze stehen meistens nur auf dem Papier und Papier ist bekanntlich— geduldig.— Will nun da» Volk von einem Reckt Gebrauch machen, dann wird es zu seinem Schrecken gewahr, daß eS nur ein Nebclbild war, welches ihm unter den Händen versckwindet; denn von dem preußischen Beamten- wollte sagen Mandarinenthum, welches in der Kunst die Gesetze zu interpretiren eS zu einer wahren Meisterschaft gebracht hat, wird daS Gesetz in einem ganz anderen Sinne ausgelegt und das Volk um sein gutes Recht betrogen; eS kann dann sagen, da wir den„Erbfreund" zum Grenznachbar haben, und unS immer mehr den Institutionen des„heiligen" Rußland nähern, welche« allen ftommen Seelen als ein Ideal vorschwebt: Bon Osten kommt die Sonne, Von Osten kommt die Knute, Greift'« Kindchen nach dem Lichte, -Bekommt eS mit der Ruthe. Doch nach dieser kleinen Abschweifung zurück zu unserem Thema. Wie sckon erwähnt, wirv-daS Einkommen der preußischen Volk»- schullchrer nicht allein nach Geld, sondern hauptsächlich nach Naturalien berechnet. Im preußischen Landtage sowohl al« in der Presse, endlich auch durch zahllose Petitionen seitens der Lehrer selbst, besonders durch die unermüdlichen Interpellationen deS allverehrten alten Diesterweg, diese« gewiß redlichen Kämpfers gegen das absichtlich von oben herab begünstigte System der VolkSver- dummung durch daS orthodoxe Pfaffentyum, welchem die Haupt- sächliche Leitung der Schule in die Hände gegeben war. und der dabei auch aus die elende, traurige Lage der Leyrtt hinwies, wurde das Ministerium bestürmt, an eine Bervesserung derselben zu denken. Nur war die Frage, wie die« geschehen sollte, ohne ven schon ohnehin miserablen Etat für daS Volksschulwesen von circa zwer Million Thalern im StaalShauShaltSetat zu erhöhen? Gelv giebt man bekanntlich in Preußen, namentlich den Lehrern, die man schon auS dem Grunde, weil eS ja möglich wäre, daß sie daS Volk ausklären könnten, als ein noihwendigeS Uebel betrachte:, nicht gern, daS verwendet man lieber zum ZuchtyauS- und Ge- fängniß-, zum FestungS- und Kasernenbau, zu Dotationen für
Ausgabe
7 (8.1.1875) 2
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