Der schießende Harlekin DerBürgerbräuputsdi Ton 1933 Ein Schmier enstiick heilig gesprochen Am 8. November jährte sich zum zehn­ten Male die lächerlichste politische Harle­kinade, die sich das Hakenkreuz im letz­ten Jahrzehnt geleistet hat Daß sie vom Münchener Bürgerbräu ihren Ausgang nahm, gehört zu dem hanswursti­gen Bilde. Die Hitlerianer würden viel darum geben, wenn sie den peinlichen Termin auslöschen könnten, aber er ist da, lebt als Hitlers Bürgerbräuputsch in der Geschichte der politischen Komödien fort und mußte gefeiert werden. Als ge­borene Schmierenmimen suchten die brau­nen Häuptlinge mit großem Theater über das unangenehme Jubiläum hinwegzukom­men, ließen in München einMahnmal" einweihen und ihre Schmücke in die Sai­ten stürmen. Wenn schon dieSüddeut­sche Sonntagspost" das braune Schmie­renstück von 1923 zumersten großen Durchbruch deutscher Gesinnung und deut­ schen Lebenswillens" umlügt was durfte man da erst vom Völkischen Beobachter erwarten! Dieser naziotischen Lügerei und Le- geodenmache soll hier die dokumentari­sche Wahrheit gegenübergestellt werden. Sie ist namentlich auch peinlich für jenes blauweiße und schwarzweißrote Bürger­tum, das mit dem hakenkreuzlerischen Putschismus gegen das Reich bündelte, konspirierte und schließlich von der Reichsregierung aus der eigenen Schlinge befreit werden mußte. Als starker Mann der blauweißen Re­aktion versuchte sich damals Herr von K a h r. Einst bayerischer Ministerpräsi­dent, ließ er sich von seiner Regierung zum bayerischen Generalstaatskommissar erheben und fühlte sich damit als partiku- laristischer Diktator. War Hitler der bluffende und heulende Derwisch Süd- deutschlands, so spielte Herr von Kahr den Bismark des Südens, den Wegbereir ter der Wittelsbacher Restauration. Das Reich stölmte noch unter den Folgen des Ruhrabenteuers jenes schmählich abge­dankten deutschnationalen Kanzlers Cuno, unter dessen reaktionärem Regime auch die Inflation voll entfesselt wurde. Das Kabinett Stresemann übernahm einen Trümmerhaufen. Deutschland lag im Fie­ber und der bayerische Kahr -Löwe dachte es von Süden her zu erobern. W i e das war demvaterländischen Lager" nicht ganz klar, aber in jedem Falle soll­ten die Nazis als Drohung und Stoßtrup­pen verwendet werden. Und nun laßt Dokumente sprechen! Der Spuk im Bürgerbräu Am 8. November wollte Kahr im Saale des Münchener Bürgerbräukellers eine gro­ße demonstrative Rede halten. Der Rum mel war gedacht als Kundgebung gegen dasNovemberverbrechen" von 1918. Der kleine Bismarck war im schönsten Zuge da drang, wie Hugenbergs Telegrafen­union noch in selbiger Nacht triumphie­rend meldete, in den von Nazis gut gefüll­ten Saal ein brauner Stoßtruppund gab eine Anzahl Schüsse gegen die Saaldecke ab. Es entstand eine ungeheure Unruhe Hitler brach sich durch die Menge Bahn und erklärte, die Regierung Knilling sei hiermit gestürzt und die nationale Diktatur ausgerufen."' Sieg oder Tod Auch das halbamtliche Wolffsche Telegraphenbüro stand schon mit einem Beine im Putschistenlager. Breit und freundlich berichtete es zu dem blö­den Streich: München , 9. November. Zu den Vorgängen Im Bürgerbräukeller erfahren wir folgende Ein­zelheiten: Staatskommissar v. Kahr hatte ungefähr Stunden gesprochen. Um Uhr entstand am Eingang des Saales eine große Unruhe. Aus dem Menschengewühl heraus Sah man Hitler , eskortiert von zwei schwer be­waffneten Nationalsozialisten, die raft hoch erhobenen Revolvern Ruhe verlang­ten, in den Saal eindringen. Als sich die Ruhe nicht einstellte, gaben die beiden Nationalso­zialisten Revolverschüsse gegen die Lecke ab. Sodann erschien Hitler vor den Versammelten, nachdem er sich durch einen Revolverschnß Ruhe verschafft hatte. Er führte aus:Heute vor fünf Jahren hat die größte Schandtat begonnen, die unser Volk in maßloses Elend stürzte. Heute, nach fünf Jahren, muß der Tag sein, da sich die Geschichte wenden wird.(Stürmisches Bravo.) Ich schlage folgendes vor: Das Kabinett Knil­ling ist abgesetzt(Bravol) Die bayerische Re­gierung wird gebildet aus dem Landesverwe­ser und einem mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Ministerpräsidenten. Ich schlage vor als Landesverweser Exzellenz von Kahr. Ich schlage weiter vor als Ministerpräsidenten Pöhner. Die Regierung der Novemberverbrecher In Berlin wird für abgesetzt erklärt, ebenso Ebert. Die deutsche nationale Regierung wird fn Bay­ ern , hier in München gebildet. Es wird weiter Kebildet sofort eine deutsche nationale Armee. Ich schlage vor, daß bis zur Nie­derwerfung der Verträge, die heute Deutschland zugrunde richten, die Leitung der Politik dieser provisorischen natio­nalen Regierung Ich übernehme. Exzellenz Ludendorff übernimmt die Lei- tung der deutschen , nationalen Armee. General v. L o s s o w wird deutscher Reichs­wehrminister, Oberst von S ei ß e r wird deutschen Reichspollzelmlnlster, Die Aufgabe der provisorischen deutschen natio­nalen Regierung ist, die ganze Kraft für das Land und für das Reich einzusetzen und den Marsch anzutreten gegen das Sündenbabel Berlin . Ich frage Sie nun, ob Sie mit dieser Lösung einverstanden sind.(Den Ausfüllungen Hitlers folgte unbeschreiblicher Jubel.) Sie sehen: Was uns hier leitet, ist nicht Eigenbrötelei, sondern der Kampf, den wir aufnehmen in der 12. Stunde, gilt für unser deutsches Vaterland. Aufbauen wollen wir einen Bundesstaat völkischer Art, in dem Bayern die Stelle einnehmen wird, die ihm gebührt. Ich bitte Sie, sich ruhig im Saal zu verhalten. Der Bür­gerbräusaal ist mit sechs Hundertschaften der .Nationalsozialisten umzingelt._.... Der morgige Tag findet entweder In Deutschland eine nationale Regierung oder uns tot. Es gibt nur eins von beiden." Die für die Regierung vorgeschlagenen Män­ner entfernten sich darauf aus dem Saal und berieten eine gute halbe Stunde in einem Nebenlokal. General Ludendorff , der nicht anwesend war, wurde herbeigeholt und war dann auch bei diesen Beratungen zu­gegen. Stürmisch begrüßt traten dann die neuen Regierungsmänner in den Saal. Zunächst gab der Generalstaatskommissar von Kahr die Erklärung ab, daß er die Leitung der Geschik- ke Bayerns übernehme und sich als Statt­halter der Monarchie betrachte(Stür­mischer Beifall), derlenigen Monarchie, die vor fünf Jahren von Verbrechern zerschlagen wor­den sei. Er übernehme sein Amt in der Hoff­nung, daß er zum Segen der geliebten bayeri­ schen Heimat und des großen deutschen Va­terlandes wirken könne. Unter brausendem Jubel reichte Hitler Kahr die Haod und sprach ihm darauf den Dank für die Ueber- nahme des neuen Postens aus. Ebenso erklär­ten sich die anderen vorgeschlagenen Männer für die Uebernahme ihrer Aemter bereit. Und was war in dem Räume geschehen, in dem man eine halbe Stunde beriet? Dort hatte Schmierenmime Hitler bald heulend, bald mit dem Revolver fuchtelnd, in die Decke knallend und auf seine be­waffneten Leute verweisend, von Kahr, Lossow und Seißer die Erklärung er­preßt, daß sie mit von der Partie seien. Die|ubelnde Reaktion Die faschistische Reaktion im ganzen Reiche jauchzte innerlich und stand auf dem Sprunge. Würde diesmal gelingen, was dem Kapputsch nicht gelang? Würde die Reichswehr marschieren und gegen wen? Freudig berichteten die schwarzweiß- roten Reptile über Hitlers Tfraden. Aber noch am selbigen Tage wurden die Gesichter der harrenden Volksverder- ber länger und länger. Die Reichsregierung erheß einen entschlossenen Aufruf, in dem das Verbrechen gebrandmarkt und die Niederwerfung des Putsches angekündigt wurde. Und schon am Abend des 9. No­vember war wieder ein Traum der put­schistischen Reaktion zerronnen. Die offi­ziöse bayerische Korrespondenz Hoffmann brachte eine amtliche Erklärung über die Bürgerbräukomödie. Kahr und seine Regierung Knilling beschuldigten die Hit­lerianer des meuchlerischen, erpresseri­schen Ueberfalles und der gemeinsten Ver­gewaltigung Wehrloser. Die Vergewaltigung Im anderen Räume Eine verächtliche, verabscheuungs- würdlge Tat..." Die amtliche bayerische Erklärung ent­hüllte ein Intrigenspiel, das für alle Be­teiligten gleich blamabel und lächerlich war: Hitler und Ludendorff hätten der bayerischen Regierung und dem Wehr­kreiskommandanten von Lossow mehr­fach zugesichert, daß sie keinen ernsten Schritt ohne vorherige Verständigung un­ternehmen würden. Alle vaterländischen Verbände hätten Kahrs Auffassungen und Zielen zugestimmt, man sei sich noch am 8. November nachmittag auch mit Luden­dorff über dieerstrebenswerten Ziele" einig gewesen. Doch abends schon oh Greuel! Hören wir Kahrs amtliche An­klage: Wenige Stunden später, gegen'/«g Uhr abends, erfolgte in der überfüllten Versamm­lung im Bürgerbräukeller, während Exzellenz von Kahr seine angekündigte Rede hielt, ein verbrecherischer Ueberfall durch Hitler mit einem stark bewaffneten Anhang, wobei Kahr , Lossow und Seißer mit vor­gehaltener Pistole gezwungen wur­den, an der Verwirklichung der von Hitler schon lange gehegten Pläne, namentüch der Aufstellung einer Relchsdlktatur Hltler-Luden- dorff mitzutun. Jedermann, der Zeuge des an sich schon überaus häßlichen, in Anbetracht der gegebenen Versprechungen und Zusagen doppelt niederträchtigen Ueber­fall s war, mußte das Verächtliche und V e r absc h eu u n g s w ü r d i ge dieser Tat empfinden, sofern er über die hier dar­gestellte Vorgeschichte unterrichtet war. Wenn Kahr-Lossow unter dem Zwang der V e r h ä 1 1 n i ss e die von ihnen erpreßte Er­klärung abgaben, so geschah dies, weil die Herren von der Ueberzeugung erfüllt waren, daß nur in einem einheitlichen Zusammengehen und Vorgehen dieser drei Personen noch die Möglichkeit gelegen war. die Staatsautorität innerhalb Bayerns aufrechtzuerhalten und das Auseinanderfailen aller Machtmittel zu verhin­dern... Da das Publikum über die Umstände der Vergewaltigung in einem anderen Räume nicht unterrichtet war, nahm es die spä­teren gemeinsamen Erklärungen zwar zum großen Teile mit Erstaunen, doch auch mit einer gewissen Befriedigung auf, weil es an eine freiwillige Uebereinstimmung und Einigung glaubte.,. Auf diese Weise gelang es dem General­staatskommissar, dem Wehrkreiskommandan­ten und Polizeiobersten die Bewegungsfreiheit wieder zu gewinnen, die im ersten günstigen Augenblick dazu benutzt wurde, um in der Kaserne des 19. Infanterieregiments in Ober­wiesenfeld die Regierungs-Truppen und die Polizeiwehr zu mobilisie­ren und Verstärkung aus den Standorten der Umgebung heranzuziehen. Die nationalsozialistische Partei Ober­land und Reichsflagge wurden für aufge­löst erklärt. Wie Hitler fiel! Als diese Anklage Kahrs gegen die braunen Erpresser gedruckt erschien, war auch des Hitlerkrakehles letzter Akt er­ledigt. Er blieb]tn Stile der Bürgerbräu- komödie: Die Hitlertruppen besetzten einige staatliche Gebäude und traten schwer bewaffnet denSiegesmarsch" zur Feld­hermhalle an. Dort trat ihnen Reichs­ wehr entgegen und schoß. Daraufhin besann sich auch die Polizei auf ihre Pflicht Ohne Gegenwehr wurde der ganze braune Aufmarsch auseinander­gejagt, wurden die besetzten Gebäude gesäubert Reichsgewalt hatte die Kahr - leute aus der Schlinge befreit. Es gab dabei acht Tote und zehn Verletzte. Bei den er­sten Schüssen lag Hitler auf dem Bauche, dann ward er nicht mehr gesehen. Während einige seiner Leute verbluteten, floh der Tapfere im Auto 50 km weit Die nationale Regierung" war nicht da und Hitler nicht tot, sondern er erholte sich bei seiner Freundin Hanfstengel vom Tode der anderen. Die bisherigen Bundes­genossen aber brüllten einander in Presse und Oeffentlichkeit zu:Verräter! Erpres­ser! Verbrecher! Schufte! Hanswürste!" Die braune Primadonna Zwei Tage später wurde Hitler am Staffelsee verhaftet und in die Festung Landsberg eingeliefert Sein Arm hing in einer Binde er hatte ihn beim Hin­schmeißen aufs Münchener Pflaster ver­staucht,(Wie angenehm er im übrigen seine Festungszeit verlebte, schildert jüngst in seinen Erinnerungen ein nationalsoziali­stischer Sturmführer.) Die schwarzweiß rote Presse aber hielt es nach dem bla­mablen Verlauf des Spektakelstücks wie­dermal für geraten, von dem Braunauer Derwisch abzurücken- In der völkischen Deutschen Zeitung schrieb der völkische Max Maurenbrecher dem Komö­dianten auf Festung folgenden Epilog: Wie Unzählige vor ihm und nach Ihm ist auch er dem Teufel jener Primadonna- Eitelkeit zum Opfer gefallen... Andere, die sich um ihn drängen, trugen gleiche Schuld. Sie stachelten seinen Ehrgeiz, Sie logen ihn für sich und andere zum Schöpfer und Führer um... Er hatte Stunden voller Verzweiflung. Es ist vorgekommen, daß er wildfremden Be­suchern gegenüber herausplatzte, er sei ein verbrauchter Mann, seine Bewegung habe sich totgelaufen, der Revolver auf dem Tisch sei seine letzte Rettung.... So hatte auch seine politische Führung im letzten halben Jahre Haltung und Rich­tung verloren". Aber der Primadonnerich ergriff nicht den Revolver, sondern die rettende Hand der Großkapitalisten. Er ließ sich von der allzu großmütigen Republik begnadigen, spielte Legalität, stellte sich auf den i, Bo­den der Demokratie", verständigte sich mit der Schwerindustrie und bekam da­durch wie geschmiert wieder das, was MaurenbrecherHaltung und Richtung" nennt Gibt es ein November- ▼erbrechen? Jawohl, es gibt ein Novemberver­brechen: Hitlers Bierkellerputsch von 1923. Aber die faschistischen Reak­tionsherde wurden auch nach dieser Pro­vokation nicht ausgeräuchert. Die Sozial­demokratie forderte ganze Arbeit die bürgerlichen Mittelpartelen konnten sich nicht einmal zu halber aufraffen. Und so war es möglich, daß der braune Demago­ge 10 Jahre später seinen Trick von 1923 wiederholte. Er gab den Deutschnationa­len alle möglichen Versicherungen über diegemeinsamen Ziele" und warf ihnen meuchlings die Schlinge über den Kopf, wie ehemals den Kahrleuten. Diesmal aber war keine Demokratie mehr da, die das braune Banditentum hätte niederschlagen können. Hugenberg und Papen, der Kahr von 1932, hatten die Macht der Demokra­tie zerstören helfen. Derselbe Verbrecher, der nach Kahrs Worten gemeine Erpres­sung undniederträchtigen, verbrecheri­schen, verächtlichen Ueberfall" verübte dieser Ehrenmann ist heute deutscher Kanzler. Dieser Maulheld, der so oft mit dem Revolver drohte und immer nur in die Decke schoß, dieser Scharlatan, der Deutschland einst vom Münchener Bier­keller aus erobern wollte und dessen blö­de Harlekinade einem Dutzend Menschen Blut und Leben kostete diese lächer­liche hysterische Primadonna herrscht heute als Despot über Deutschland ! Wallfahrt der Verbrecher Wie Presse und Rundhink berichten, ist diese traurige Harlekinade von 1923 durch die Spitzen des III. Reiches am 9. November feierlich begangen worden. Mit Hitler und anderen Großbonzen an der Spitze, wurde der damals so kläglich ver­laufene Marsch vom Bürgerbräu zur Feld­ herrnhalle wiederholt. Verbrecher kehren immer wieder zum Tatort zurück, dies. mal mit Fahnen und Ehrenzeichen. Polizei und Reichswehr mußten diesmal Männ­chen machen. Wo Hitler sich damals auf den Bauch schmiß, ehe er ausriß, wurde ein Kranz niedergelegt. D I e Stirn, jämmerliche Blamagen und Lächerlichkeiten in Märtyrertum und Hei­dentot umzufeiern, haben nur die braunen Irrenhäusler. Sie sind und bleiben uner­schöpfliche Studienobjekte für Psychiater.