Zwei Monate Reidistagsbrandprozeil Seit Ende September rollt nun dieser als Prozeß getarnte Propagandafilm des Dritten Reiches . Mit äußeren Effekten ha­ben die Regisseure nicht gekargt: Sitzun­gen im Reichstagsgebäude , persönliches Auftreten der braunen Filmdiven, Tob­suchtsanfall des Morphinisten Göring im Gerichtssaal usw, usw. Aber in der Sache ist In diesen zwei Monaten die Aklage auch nicht das klein­ste Stück voran gekommen. Gewiß, es Vor diesem Rlditer Wörtliches aus dem Reichstagsprozeß Den deutschen Richter macht uns so leicht keiner nach!" Relchsiustizkommissar Dr. Frank beimTag des deutschen Rechts" In Leipzig . �euge Göring zum Angeklagten Dl m 1 1 r o f f: Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der direkt an den Galgen gehört." dichter BOnger: Dimitroff , Sie dürfen sich nicht wundern, wenn der Herr Zeuge derartig auf­braust Ich untersage Ihnen Angeklagter Dimitroff : Jch bin sehr zufrieden..." dichter BOnger: Ob Sie zufrieden sind, ist mir gleich­gültig! Ich entziehe Ihnen das Wort!" Angeklagter Dimitroff ; Sic haben wohl Angst vor meinen Fragen...." Zeuge Göring : Was fällt Ihnen ein, Sie Ganner!" Angeklagter Dimitroff : Ich wollte nur,..." waren über hundert Zeugen da was für Zeugen! Man wurde erinnert an jene schö­ne Parodie des Dreyfuß-Prozesses von A n a t o 1 France, wo sich der Kriegs­minister rühmt:Ich habe Beweise in allen Farben und Formaten, runde, drei­eckige, sechseckige. Mein größter Beweis ist 15 Meter lang, mein kleinster nur einen Guadratmillimeter groß." Die Reichsanwaltschaft hatte für die­sen Prozeß Zeugen in allen Größen und Formaten: Richter Bünger: Schweigen Sie, Sie haben jetzt ruhig zu sein...." Zeuge Göring : Hinaus mit diesem kommunistischen Verbrecherl" Richter BOnger; Hinaus mit Ihnen, Dimitroffl" Zeuge Heines: Torgier Ist ein zynischer Verbrecher." Richter BOnger: Herr Zeuge, Sie haben als Polizeipräsi­dent das Recht, so etwas zu sagen..." # Angeklagter Dimitroff : Nach der Strafprozeßordnung...." Richter BOnger: Wollen Sie endlich den Mund halten??" Angeklagter Dimitroff zum Zeu­gen Dr. Göbbels : Glauben Sie jetzt, daß auch die Kom­munisten das Recht hatten, sich zu ver­teidigen?" Richter BOnger: Wenn Sie sich nicht anständig beneh­men, Dimitroff , werden Sie sofort wieder ausgeschlossen." Zeugin Schreiber: Das werden Sie ia wissen, Sie frecher Kerll" feststand. Er aber duldete trotzdem, daß dieser Angeklagte als Schuft und Brand­stifter im Gerichtssaal beschimpft, daß ihm vom Ministerpräsidenten Preußens der Galgen in Aussicht gestellt wurde. Er bewies damit, daß dieses Gericht sich vor der Staatsmacht duckt, daß es ihr gegenüber keine Selbständigkeit, keinen Willen hat. Zwei Monate Reichstagsprozeß. Sie haben genügt, um den Glauben an eine unabhängige und unparteiische deutsche Justiz in der ganzen Welt zu vernichten. Nicht einmal für diesen ersten Teil des Theaters hat die Maske der Objektivität gehalten. Jedes objektive Gericht hätte nach der erwähnten Aussage der Dame den Angeklagten Dimitroff aus der Unter­suchungshaft entlassen müssen. Diese hündischen Knechte Görings aber verwei­sen statt dessen den Angeklagten Dimi- Europa verrecke! Hoffnung au! den Weltbrand. Wozu brauchen wir eigentlich Europa ? Der ganze Kontinent ist doch nur eine ein­zige Zusammenballung von Staaten, die mit Hitlerdeutschland nicht einverstanden sind. Also, weg mit dem Erdteil! Soweit ist heute die braune Oberbonzerie mit Ihrer Politik; sie kennt keine Nachbarlän­der mehr, sie kennt nur noch Erbfeinde. Nieder mit ihnen! Aber da ist der völ­kische Philosoph Spengler , der er­kennt zwar ringsum auch nur Feinde und Verfall, aber ihm scheint das alles den Untergang der gesamten weißen Rasse änzukünden und den Sieg der Gelben. Darum betont er in seinem neuen Buche wiederumdie gemeinsamen Interessen des weißen Mannes". Das klingt verdammt paneuropäisch und übernational und paßt weder zu Hitlerdeutschlands Austritt aus dem Völkerbünde, noch zum Autarkierum­mel. Also, muß der völkische Eingänger in die Schranken gewiesen werden. Wer ist dazu geboren? Natürlich der Rasse­gelehrte des Dritten Reiches , Dr. Joh. von L e e r s, der sich mit Spenglers europäi­schen Besorgnissen in derLiterarischen Welt" auf vier Spalten auseinander setzt und als nationalsozialistische Heilsbot­schaft dekretiert: Mit aller Offenheit erwidere ich Oswald Spengler , daß die Stunde, In der die Breit­selten japanischer Panzerschiffe gegen Saigon donnern, die Stunde, in der die politische Macht der Westmächtc in außer­europäischen Erdteilen zusammenbricht, die Angeklagter Dimitroff ; Ich bin erstaunt über diese Aussage." Richter BOnger: Schweigen Sie angenblickllchl" Zeugin Schreiber: Dimitroff wollte mich vergewaltigen." Angeklagter Dimitroff : Eine Frage an diese Zeugin zu richten, liegt unter meiner Würde." Richter BOnger: Dimitroff , Sie sollen sich nicht so dreiste Bemerkungen erlauben!" Angeklagter Dimitroff : Hier werden nur unwahre Zeugenaus­sagen gemacht...." Richter BOnger: Ich weise das zurück und entziehe Ihnen das Wort!" Angeklagter Dimitroff : Diese klassischen Zeugen der klassi­schen Anklageschrift haben wir Ja hier auftreten sehen." Richter BOnger: Dimitroff , wenn Sie sich noch eine Se­kunde so verhalten, wird die gewöhn­liche Strafe über Sie verhängt, aber noch verschärft!" Zeuge Graf Heilder t: .Abo Ich bin dann am Abend des Relcbstagsbraodes mit meinem Freund troff wieder und wieder aus der Verhand­lung, weil er den Stolz der Unschuld zeigt und die Falstaffgarde der Anklagezeugen mit der gebührenden Verachtung straft. Vor Görings Wutanfall kroch das Gericht ins Mauseloch; als der Fememörder Hei­nes drohend mit der SA auftrumpfte, winselte der Vorsitzende um Entschuldi­gung, weil er die Angeklagten nicht gänz­lich ohne Verhör aufknüpfte; vor Göb­ bels lag er platt auf dem Bauche, als dieser Minister-Zeuge rein persönliche Haßurteile über Torgier fällte. Der Alte Fritz hat einmal gemeint, daß Richter, die ihre Macht mißbrauchen, um ihre üblen Passionen aufzuführen, schlim­mer wären, als eine Diebesbande, vor der könne man sich schützen, aber nicht vor Schurken Im Talar! bejubelte Stunde sein wird, in der die Tore des Gefängnisses brechen, das man Europa nennt, und in dem das deutsche Volk verstümmelt, zertreten, gemiß­bandelt und bespuckt heute noch gefangen gehalten wird. Wie denn? Meint der germanische Rasseonkel die Konzentrationslager, die Schutzhaftkerker, die Judenverfolgungen, die Schandtaten der Hitlerbanden?? 0 nein, es donnert gegen das Ausland und droht: Wir machen uns heute gesund, stark bereit Auch wir sehen die Jahre der Entscheidung kommen, aber wir werden bei dieser Entscheidung nicht dort stehen, wo Os­ wald Spengler uns erwartet allen blaß- blauen Ideologien zum Trotz, sondern dort wo der Kampf gegen das Gespenst von Versailles uns hinstellt Wir haben nicht die InteressenEuropas ", desAbendlandes", derweißen Rasse" oder sonstiger Träumereien und Konstruktionen zu vertreten, sondern wir haben bereites Volk zu werden, wenn die anderen im unorganischen Cäsarismus unmögliche Positionen zu behaup­ten sich bemühen, um einmal das Volk dort imReich" das Erbe anzutreten, wo unsere Aufgabe liegt, auf dieser kleinen Halbinsel Asiens , von Flandern bis zum Gelben Meer. Dort am Gelben Meer wird man sich wenn sie nichts dagegen haben an die Ja­paner anlehnen, denen ia jüngst im Auftrag Hitlers von seinen Wordenträgern Neurath und Leers arische Blutmischung zuerkannnt wurde, um sie für Germanen bündnisfähig zu machen. Mögen sie also kommen und Europa zerstören Hitlerdeutschland wird dabei mithelfen. Professor Arnim zum Abendessen in' ein Restaurant gefahren. Um halb 9 Uhr wurde Ich telephonisch benachrichtigt, daß der Reichstag brenne." Richter BOnger: Wie Wtte?" Zeuge Graf Helldorf ; ....daß der Reichstag brenne?" Betretenes Schwelgen! Richter BOnger: Aber-- aber da hat Ja der Reichstag noch garnicht gebrannt? Zeuge Graf Helldorf : Nun, es kann auch etwas nach halb 9 Uhr gewesen sein." Richter BOnger(halblaut): Ja, der Reichstag ist erst um 9.15 Uhr angezündet worden." Zeuge Graf Helldorf : Schweigt Richter BOnger: So. und was taten Sie dann, Herr Zeuge?" Tom Ministerprlisldenten bis zum Zuchihausbruder. Sie hatte als Zeuginnen jene sympatlri- schen deutschen Hausfrauen, die durch Operngucker fremde Wohnungen ausspio­nieren, sie hatte als Zeugen jene Sorte Kellner, die hinter Wandschirmen die Ge­spräche ihrer Gäste belauschen und auf den abgegessenen Tischen nach Schnitzel zerrissener Briefe suchen. Sie hatte Ge­dächtniskünstler, die sich noch nach Jah­ren der gleichgültigsten Dinge genau er­innerten, sie hatte auch Geistesseher, wie jenen Reichstagsportier, der am Nachmittag des verhängnisvollen 27. Februar einen Astralleib von Dimitroff vor dem Portal des Reichstags hafte sagen hören:in zwanzig Minuten fliegt der Reichstag in die Luft", während der wirkliche Di­ mitroff derweil in München saß! Ein ganzes Heer von Aufpassern, Auf­schneidern. Spionen, Gefälligkeitszeugen, Liebedienern und kalten Meineidsschurken ist aufgeboten worden, und dieses Heer hat doch nicht einen schlagenden Beweis dafür liefern können, daß Torgier und die drei Bulgaren irgend etwas mit dem Reichstagsbrand zu tun haben. Was sie lieferten, sind Indizien zweiter und drit­ter Ordnung, die selbst als wahr unter­stellt nur in Verbindung mit Beweisen erster Ordnung für einen Kriminalisten Bedeutung haben wür­den. Woran es fehlt, das sei hier einmal positiv gesagt: 1. Es fehlt bisher jeder Beweis dafür, daß Torgier und die drei Bulgaren um die Zeit der Brandstiftung am Tatort gewesen sind. Für Torgler und Dimi­ troff steht sogar ein einwandfreies Alibi fest 2. Es fehlt jeder Beweis durch Spuren an Körper oder Kleidung der vier Ge­nannten, daß einer von ihnen mit Brandmaterialien, insbesondere mit charakteristisch riechenden Flüssig- "Tcelteii Tiahtiert oder Brand'gestiftet' hat. 3. Es fehlt jeder Beweis, daß die vier genannten Angeklagten jemals solches Brandstiftermaterial besaßen, sich be­sorgt oder aufbewahrt haben. 4. Es fehlt jeder Beweis, wie und wo die Angeklagten sich über die gemein­same Tat verständigt, ja, daß sie sich auch nur gekannt und jemals im Le­ben gesehen haben. Selbst die Zeugen, die gewisse Ange­klagte beisammen gesehen und Gespräche zwischen ihnen beobachtet haben wollen sogar Gespräche zwischen solchen An­geklagten, die nicht ein einziges Wort in einer gemeinsamen Sprache reden! sie wissen nichts über den Inhalt der Gespräche zu sa­gen. Uebrigens: Nur Zeugen, die einge­schriebene und eingeschwore n e N a z i sind, haben derartiges bekunden können! Aber, nehmen wir einmal an, die Aus­sagen der Karwahne, Weberstädt, Frey, Kröger und Konsorten wären ebenso wahr, wie sie in Wirklichkeit zusammen­phantasiert und erlogen sind, was wäre dann? Dann wäre nichts erwiesen, als daß man eine Anzahl Stunden vor der Tat Torgler in Gesellschaft van der Lübbes ge­sehen hätte. Ein Verdachtsmoment, aber bei weitem kein Beweis! Daß die beiden eine Brandstiftung miteinander verabredet, daß Torgler dabei irgendwie geholfen Itätte, das müßte dann immer noch erwiesen werden. Vorläufig beruht nach wie vor die Anklage gegen Torgler und die drei Bulgaren auf Kombinationen, auf unbewiesenen, zum Teil direkt wider­legten Vermutungen der Anklage. So ist in den zwei Monaten der äußere Bau der Anklage genau so fragmentarisch geblieben, wie er zu Anfang lag, von der inneren Unwahrscheinlichkeit gar nicht zu reden. Um diese zu verdecken, hat man die Nazi-Minister vor die Schranken des Gerichts bemüht. Hier aber lauerte die schwerste Blamage für die Anklage: der tobsüchtige Zeuge Göring Sein Auftreten zerfetzte den letzten Zwei­fel daran, daß dieses Gericht nur eine Atrappe der brutalen Gewalt ist. Nicht weniger als dreiBerichtigungen" muß­ten Görings Pressekulis hinterher verfas­sen, um den katastrophalen Eindruck des Auftretens ihres Meisters abzumildern: eine wegen der Beleidigung Rußlands , eine wegen der Beschimpfung Spaniens und die dritte wegen der Worte Görings, daß er die Angeklagten fassen und austilgen würde, wie auch immer der Spruch des Gerichts ausfiele. Eins aber konnten selbst die Offiziösen nicht wegdementieren: daß der Minister den Angeklagten Dimitroff angebrüllt hatte mit den Worten: Für mich sind Sie der Schuft, der nach Deutschland gekommen ist, um den Reichstag anzuzünden. Sie gehören an den Galgen!" Wenige Tage nach diesem Wutgebrüll sagte mit leiser Stimme an der gleichen Stelle eine Zeugin aus; Sie hatte mit Di­ mitroff im Schlafwagenzug München - Berlin eine Reisebekanntschaft angeknüpft, auf dem Münchener Hauptbahnhof am Abend des Reichstagsbran­des! Die Zeugin kam nicht überraschend. Der Gerichtsvorsitzende, Senatspräsident Bünger, wußte auf Grund der Akten von Anfang des Prozesses an, daß Hir Dimitroff ein einwandfreies Alibi