Fridericus Ein Schwurzeuge des Dritten Reiches Von Prof. A. KI ein borg. Zum ersten Schutzheiligen des neuen Staates neben dem Landsknecht Horst Wessel haben die Hitlerprofessoren und Hitlerpatrioten Friedrich den Großen ernannt: in ihm sol- sen sich zum ersten Male Führertum, Heroismus, Staatsgesinnung und Deutschheit, diese wesenhaften Tugenden des nordischen Heldenmenschen, in vorbildlicher Weise zur bezwingenden Einheit zusammengeschlossen haben. An dieser Fridericus-Legende, die heute das amtlich anbefohlene Glaubensbekenntnis aller Bürger des Dritten Reiches ist, haben Volksschullesebücher und wissenschaftliche Wälzer, haben Historiker wie Koser, Ranke, Droysen und Treitschke und Künstler vom Range eines Kleist, Willibald Alexis und Adolf Menzel , hat das dynastische Bedürfnis der Ho- henzollem und das ebenso starke Bedürfnis breiter Volksmassen, jemanden überschwäng- lich verehren zu dürfen, zwei Jahrhunderte lang gewoben. Aber darum bleibt sie doch in jedem einzelnen ihrer Züge falsch und erlogen, der Mensch, der Staatsmann und der Feldherr Friedrich II. weisen so viele Fehler auf, als die Legende ihn hehr- und makellos haben will. Das Heer, das furchtbare Instrument seiner Kriege und Schlachten, hat nicht er, sondern sein Vater, der eigentliche„Soldaten könig " Friedrich Wilhelm L , geschaffen, aber was jenem brutalen Kommisknopf Ausfluß des Instinks war, hat erst der„Philosoph von Sanssouci" in seinem geheimen Testament von 176* zum System erhoben:„Der Soldat muß seine Offiziere mehr fürchten als den Tod". Die heroisch-schönen Worte, die Alexis den Grenadieren in den Mund legt: Fridericus Rex, mein König und Held, Wir schlügen den Teufel für dich aus der Welt!" hätte gewiß kein Angehöriger dieses Heeres gesprochen, denn es war durch Gewalt und List der Werber aus allen deutschen Landen zusammengepreßt, und Friedrich II. selbst sah viel schärfer als Alexis, wenn er gelegentlich äußerte:„Das Wunderbarste für mich ist, daß ich unter diesen Leuten in Sicherheit bin. Jeder von ihnen ist mein unversöhnlicher Feind und doch hält sie die Heereszucht in Schranken." Die„Heereszucht", das war der Profos mit seinen blutbespritzten Ruten, waren„Stock, Fuchtelklinge, Krummschließen und Spießruten- oder Gassenlaufen", und' nur die bleiche Furcht vor ihnen(nicht irgendein patriotisches Gefühl)„konnte die preußischen Soldaten zwingen, großen Gefahren ins Auge zu sehen"(„Testament " 1768), ließ sie die Schlachten des Königs siegreich schlagen. Seine eigene Feldherrengröße trug dazu nicht allzu viel bei, wenn er sich auch immer wieder als den„Sieger in dreizehn Schlachten" preisen ließ. Die Siege von Mollwitz, Roßbach und Zorndorf hat nicht Friedrich, sondern Schwerin , bezw. S e y d 1 i t z erfochten, und bei Kunersdorf unterlag der König, als der verwundete Seydlitz nicht mehr am Kampf teilnehmen konnte. Hin Schlachtenlenker voll theoretischer Starrheit und ohne Anpassungsfähigkeit, der seine wunderbar präzise Kriegsmaschine nur mangelhaft und unter ungeheuren Verlusten(Torgau !) ausnutzte, so stellt sich Friedrich II. der neueren Kriegswissenschaft, auch seinem Bewunderer Delbrück dar, und sein menschlicher Anteil an diesem unaufhörlichen Morden wird am besten durch den bekannten, wenn auch vermutlich erfundenen Ausspruch illustriert: „Kerls, wollt ihr denn ewig leben?" Sie durften nicht„ewig leben", weil sein unstillbarer Hang nach kriegerischen Emotionen, weil seine Rechthaberei und seme Ruhmsucht immer aufs neue gestillt sein wollten, aber wie leichtfertig und als wahres Gegenteil eines „Vaters des Vaterlandes" er selbst sich dabei benahm, zeigt seine leidige Gewohnheit, vor und während der Schlachten zu— dichten. Wenn die Eitelkeit je in Würde- und Verantwortungslosigkeit umschlug, so bei diesen wortreichen Versuchen, mit Pindar und Voltaire um den Dichterlorbeer zu streiten, indes Tausende und Zehntasende sich auf seinen Befehl verbluteten— aber so kostbare„Propaganda"(kostbar für die anderen) gilt ja wohl bis auf den heutigen Tag als„heldisch". War nun wenigstens die politische L e i 1 1 d e e, in deren Diensten Fridericus seine vielen Kriege anfachte, deutsch ? Nun, •ein einziger Ehrgeiz war. den deutschen Kaiser. der als einziger das ganze deutsche Volk politisch zur Einheit zusammenfassen und zum unbestrittenen Führer in Mittel- und Ostouropa machen konnte, zn schwächen. Ihm Prügel zwischen die Füße zu werfen. Landstücke zu entreißen, ausländische Herrscher— Russen, Franzosen, Türken und Engländer— auf den Hals zu hetzen und die deutschen Landesfürsten gegen ihn zu mobilisieren, um nur ja die Ohnmacht des deutschen Kaisertums, d. h. des großen weiteren Deutschland , zu verewigen. Die Wunden, die am Körper des deutschen Volkes nun schon Jahrhundertelang schwären, hat Er,„Friedrich der Deutsche", schlagen helfen: Er begründete den Gegensatz Habs- burg-Hohenzollern, der sich in zahllosen Bruderkriegen entlud, der 1870 nur Kleindeutschland zustande kommen ließ und der sich heute noch in Hitlers Intriguen gegen Oesterelch, die Tschechoslowakei usw. auswirkt Er verwandte in der Ueberzeugung „daß die natürlichen Grenzen Frankreichs bis zum Rhein reichen, dessen Lauf ausdrücklich gemacht zu sein scheint, um Frankreich von Deutschland zu trennen"(Friedrichs„Geschichte meiner Zeit", 1746), seine Hauptsorge darauf, EIosaß-Lothringen für Ludwig XV. zu erhalten, und war bereit, für dieses hehre Ziel „Schulter an Schulter mit Frankreich zu kämpfen"(„Testament " 1752). Er tat gelegentlich des ScheWcstreites sein Bestes(1914 erlebten wir die Folgen), um keine gesunde Wirtschaft Oesterreichs , d. h. des deutschen Kaisers in Belgien aufkommen zu lassen, kurz, er war immer„groß"— gegen Deutschland , ku tischen Arbeiten des großen Königs vergebens. Der strengste Eigensinn, der wildeste Despotismus, das erbarmungsloseste Zertreten der zarten Keime der menschlichsten Gefühle ist allenthalben. Alles nur Maschine! Ja, Maschine!" Das waren die bitteren Früchte der ersten preußisch-deutschen„Autarkie", und es ist im Hinblick auf sie nur allzu verständlich, wenn Lessing vom„Zyniker auf dem Thron", Goethe von„eigensinniger, voreingenommener, unrektifizierlicher Vorstellungsart" sprach, wenn Schiller bekannte:„Ich kann diesen Charakter nicht lieb gewinnen", oder wenn Winckelmann den Fluch gegen sein Vaterland in folgende Worte preßte:„Ich bin unter einem Tyrannen geboren... Mein Vaterland drückt der größte Despot is- m u s, welcher irgend erdacht ist. Ich denke mit Schaudern an dies Land, wenigstens habe ich die Sklaverei mehr als andere gefühlt. Es schaudert mich die Haut vom Haupte bis zu den Zehen, wenn ich an den preußischen Despotismus und an den Schinder der Völker denke, welcher das von der Natur selbst vermaledeite... Land zum Abschaum der Menschheit und mit eisigem Fluche belegen würde"(Briefe an Füßli und Usteri). Wer zweifelt nach dieser Charakteristik noch, daß Friedrich Rex und Adolf Hitler Brüder im Herrn sind und daß das„Dritte Reich ", wie es immer wieder feierlich versichert, zum„Altpreußen Friedrichs" zurückgekehrt ist? England Der„Neue Vorwärts" ist in den Verkaufsstellen der Firma fV. H. Smith& Son Lid. London Strand House in London und den bedeutendsten übrigen englischen Städten erhältlich. Bestellungen bitten wir direkt an diese Firma zu richten. und darum haben ihm denn auch zuerst die Franzosen den Ehrennamen des Großen verliehen. Die Deutschen hatten dazu wahrlich keinen Anlaß. Die außerhalb der preußischen Staatsgrenzen nicht, weil er sich auch geistig kulturell an Frankreich anbiederte, nur die französischen Dichter und Denker gelten ließ, seine eigenen Werke in der fremden Sprache schrieb, die Muttersprache„wie ein Kutscher mißhandelte und alles wahrhaft Deutsche in den Staub zog: Die mittelhochdeutsche Dichtung scheint ihm„elendes Zeug..„ nicht einen Schuß Pulver" wert, Paul Gerharts „Nun ruhen alle Wälder" erklärte er als „dummes und thörichtes Zeug", Goethes „Götz" als scheußliche Nachahmung der schlechten englischen Stücke" Shakespeares und als„ekelhafte Plattheit": von seinen großen Untertanen Winckelmann und Kant wußte er weniger als nichts und die von Lessing angestrebte Berliner Bibliothekarstelle verlieh er einem unbeträchtlichen Franzosen. Die Sachunkenntnis, die aus all dem spricht, sich aber im Gefühl eigener Gottähn- lichkeit ein Urteil über alles und jedes anmaßt, wurde erst wahrhaft verheerend, wo Friedrich auch die Macht besaß, seine„Erkenntnisse" in Handlungen umzusetzen: in Preußen. Da führte der von keinerlei wirtschaftlicher Ueberlegung gestörte Finanzmann ein Steuer- und Zollsystem durch, das Handel und Gewerbe, statt sie zu fördern, lähmte und dessen Schikanen jeden fremden Kaufmann fernhielten. Der merkantilistische„Gründer" rief exotische Handelskompagnien ins Leben, die Millionen verschlangen, der Korruption und dem Betrug Tür und Tor öffneten und schließlich in den ernstgemeinten Bemühungen Friedrichs gipfelten, zusammen mit seinem Kammerdiener Fredersdorf und einer Frau Nothnagel „Gold zu machen". Da zog der Dilettant in Bil- dungsdingen ein Schulwesen auf, das aller Beschreibung spottete, scheuchte der einsam- menschenfeindliche Herrscher alle Untertanen in Freudlosigkeit und Furcht, verwandelte der mißtrauische Sonderling, der als gottgesandtcr „Führer" alles selber machen wollte, den ganzen Staat in ein großes, nach außenhin sorgsam abgesperrtes Polizeigefängnis.„Gerechtigkeit", faßt Ernst Moritz Arndt 1805 zusammen,„milde Schonung des Menschengeschlechts, zarte Behandlung des Nationalsinns sucht der menschliche Forscher in den her- Die Vernichtung des deutschen Theaters Von Tobias Hoff. Was bei Hitlers brutalem Eingriff in den feinmaschigen Organismus der deutschen Kultur mit Sicherheit vorausgesagt werden konnte, ist eingetreten: auch das Theater stirbt Wie in allen anderen Bezirken der Kunst zeigt sich auch beim Theater, daß aufgezwungene Schablone und befohlene Tendenz die schöpferischen Kräfte lähmen und das Publikum verjagen. Das war so von jeher; hierüber könnten am besten die einstigen Volksbühnen berichten. Auch sie sollten gelegentlich von irgendwelchen Radikalismen unter Druck genommen werden; proletarisches Theater wurde gefordert In einigen Fällen wurde es auch und sogar erfolgreich geliefert Die lebensklugen und wahrhaft kunstslitnigen Leitungen der deutseben Volksbühnen haben es aber stets vermieden, durch doktrinäre Einengung ihres Repertoires der Kunst die Flügel zu beschneiden und das Publikum zu langweilen. Man erinnere sich der anfangs intersesanten, später monomonen Episode Piscator , man lächle über(lang ist es herr..) die Attacken, die auch von bürgerlichen Kritikern gegen die .Jbourgeoise Aesthetisierung" der Volksbühnen geritten worden sind. Wie hat zum Exempel Herr Ihering vom Berliner Börsencourier über den„Verrat der Volskbühne" gezetert, weil sie den Unterschied zwischen der Bühne und dem Rednerpult zwischen Theater und Volksversammlung streng wahrte.(Heute ist dieser wilde Herr längst und begeistert gleichgeschaltet) Man besinne sich ferner auf die zum Teil gut gelungenen Versuche, durch Sprechchöre, von Musik und rhythmischen Bewegungen unterstützt Balladen und Oratorien des Freiheitskampfes zu gestalten. Das alles bat es gegeben; die Nazis haben auch das nur übernommen, ohne etwas Wnzuzutun. Doch haben sie alles vergröbert und mechanisiert Hierzu hat kürzlich das hundertunddreipro- zentige„Berliner Tagblatt" unbeabsichtigt ein entzückendes Zeugnis abgelegt In einer Besprechung des offenbar verdammt gleichgültigen Stückes von Karl Lcrbs„U. B. 116", einer der vielen poslhumen U-Boot-Reporta- gen, heißt es: JDie handelnden Männer sind konsequent nach einem naheliegenden Schema geordnet das schon im Schlageter-Drama hervortrat" Dies Schema eben, primitiv und ledern, als Werbetrommel erprobt ist der Drosselgriff an das Herz der Kunst. Noch deutlicher wird solche selbstmörderische Einschränkung des Theaters und dessen Möglichkeiten, wenn Staatskommissar Hlnkel und dessen Trabanten kommandieren:„daß es die Bindamgen des Blutes sind, die der deutschen Kunst Form und Inhalt geben müssen." Das ist solange es nicht brüsk ausgesprochen wird, selbstverständlich; als Schwarz-weiß-Parole der Nazis aber ist es Quatsch, zäher Brei, der die Dichter und sogar die Stückemacher genau so lähmt, wie die Schauspader eingeschnürt werden, wenn sie „stets darauf bedacht sein müssen, daß ein neuer deutscher Menschentyp spurlos zu machen sei." Wir sollen, durch solch Kommandos befangen gemacht, die Schauspieler den Cäsar, den Don Carlos und seihst den Teil„als neuen deutschen Menschen" darstellen. Das ist wiederum entweder banale SdbstveTständlichkeit oder fanatischer Unsinn. Wenn die Meister des deutschen Theaters nicht durch die Engstirnigkeit den Rassenwahn und die Intoleranz des Hitlerismus aus dem Lande gejagt worden wären, sie müßten feiern, weil ihnen die Parteischablone, die zum Wesen dieser bornierten Systems gehört, keinen Wirkugsraum gewährt Die Verlustliste des deutschen Theaters ist leicht gegeben; wo aber Ist der Ersatz geblieben? Reinhardt Jeßner, Martin, Bar- n o w s k i, um nur einige Berliner von ungezählten Deutschen zu nennen, M o i s s i, Kortner , Ernst Deutsch , die Bergner sind fort; wer ist an ihre Stelle getreten? Unfähige Ndditse! Dazu kommt, daß auch spezifisch arische Bühnenkünstler Deutschland meiden; wie dies sogar der Scher Ische„Montag" weinend festgestellt hat Gewiß, im hitlerverseuchten Deutschland sind einige gute Stücke neu aufgeführt worden, auch wurde hier und da geistiges Theater gespielt Aber entweder mußten gerade diese Theaterleiter ihren Zusammenbruch anmelden, oder sie gehörten zur alten Garde, und die erfolgreichen Stücke waren schon gestrichen und angenommen längst bevor die Glorie des Drit ten Reiches anhob. Wenn wirklich unter Hitlers Gnadensonne eine beachtenswerte Erscheinung mehr in den Vordergrund trat wie etwa Hanns Jobst so bleibt festzustellen, daß lohst bei vertauschtem Vorzeichen, bestenfalls vom Range Ernst T o 1 1 e r s, ist, der dafür verloren ging, und ferner, daß er bereits im Volksstaate aufgeführt worden ist(obendrein unter jüdischer Obhut). Das gilt mehr oder weniger für alle„neuen" Männer des Nazitheaters. Das kennzeichnet zugleich die ChaTakteriosigkedt dieser durchaus parasitären Kulturpropaganda. Ohne Charakter aber gab es niemals große künstlerische Tat Verlogene Kompromisse sind für die Kunst viel gefährlicher ais Verfolgung und Verachtung. Herr Göbbels in der repräsentativen Loge bei einer Erstaufführung der Berliner Volksbühne: das ist unüberbietbares Symbol für den Sturz(nicht der Volksbühne, deren schwerer Kampf Anerkennung verdient) der Gesinnung des neudeutschen Theaterbetriebes in die Niederungen jener Zweckmäßigkeit, die das Mittel schändet. Ein Blick auf die Theateranzeigen der deutschen Zeitungen genügt: Klassiker, Amü- sverkitsch, einige wenige neue Stücke. Nicht im entferntesten das neue Theator eines neuen Volkes. Schon darum nicht, weil es in Deutsch land zur Zeit nur Herden gibt, die der Peitsche der Sklavenhalter gehorchen, und weil wahrhaft große Kunst, vorzüglich das Theater, sich nnt in der Freiheit entwickeln kann. 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