Nr. 38 BEILAGE
Neuer Vorwärts
Oktober 1848- Februar 1934
Von Karl Max
4. März 1934
Wenn überall auf dem Erdenrund die den Scharen des Jelatschitsch die Augenzeugen ,, unter eine rote Glasglocke bäude, Augistinerkirche und Hofbibliothek Millionen, denen die Losung: Demokratie Absicht, Wien einzuschließen, deutlich gestellt". Neben der akademischen Legion darunter, brennen lichterloh. Um 5 Uhr und Sozialismus mehr ist als ein leerer wurde. fochten die Proletarier der Mobilgarde nachmittags brechen die Kroaten durch Schall, in den blutigen Februartagen den Daß die Gegenrevolution es nach ab- mit äußerster Hingabe und Tapferkeit; das zusammengeschossene Burgtor stürheldenmütigen Widerstand und das tragi- gekartetem Plan auf einen großen Ader- ,, die Arbeiter", schreibt der von der mend in die Stadt; die letzte Gegenwehr sche Erliegen des Wiener Proletariats so laß und nichts anderes abgesehen hatte, Frankfurter Nationalversammlung nach verflackert und erlischt; der heroische gepreßten Herzens verfolgt zu haben, als ergab sich aus der Aufforderung zur Wien entsandte Robert Blum , der selbst Kampf, in dem Wien wie 1934 als Preisginge es um ihr ureigenes Schicksal, war Unterwerfung, die am 23. Oktober aus am Kampf teilnimmt ,,, sind bewunderns- fechter der deutschen , der europäischen es ganz ähnlich schon einmal in der euroFreiheit gefochten und geblutet hat, ist päischen Geschichte, im Oktober 1848, zu Ende.
als Ferdinand Freiligrath aus der Seele Unzähliger aufstöhnte:
Wenn wir noch knien könnten,
Wir lägen auf den Knien,
Wenn wir noch beten könnten,
Noch vor dem Berliner 18. März hatte in Wien die Haltung des Volkes die Sache der bürgerlichen Freiheit entschieden. Aber wenn Oesterreich jetzt auch in seiner äußeren Struktur einem modernen konstitutionellen Staatswesen glich, so waren doch die Mächte der Vergangenheit aus Metternichs Tagen, die Dynastie, der feudale Großgrundbesitz und die Militärkaste, noch viel zu stark, um auch innerlich abzudanken, und die unseligen Nationalitätenverhältnisse der Donaumonarchie gestatteten ihnen ebenso wie die Weichherzigkeit und Langmut der Demokratie, bald wieder Hoffnungen zu hegen. Ihrer Weisheit letzter Schluß war Gewalt; namentlich der Feldmarschall Fürst Windischgrätz spielte schon früh mit dem Gedanken, den Kaiser aus seiner revolutionären Hauptstadt nach Olmütz zu schaffen und dann Wien mit stürmender Hand zu nehmen.
Gegen die Magyaren fiel der erste
Streich; der Kroatenbanus Jelatschitsch, der bisher gewissermaßen auf eigene Faust gegen sie Krieg geführt hatte, wurde von der Hofburg zum kaiserlichen Stellvertreter ernannt und zugleich ein Kommissär für Ungarn zur Bändigung der Selbständigkeitsgelüste des Landes bestallt. Daß die Niederwerfung der um thre nationale und politische Freiheit ringenden Magyaren nur das Vorspiel ihrer eigenen Niederknüppelung sein werde, empfand die Wiener Demokratie recht gut, und gesunder Instinkt ließ sie sich am 6. Oktober dem Abmarsch eines gegen Ungarn bestimmten deutschen Grenadierbataillons widersetzen. Zusammenstöße zwischen schwarzrotgold und schwarzgelb gesinnten Teilen der Bürgerwehr und mit der Truppe gingen in eine regelrechte Straßenschlacht über, selbst Artillerie griff ein, aber der Sieg blieb den Freiheitskämpfern. Darauf begab sich der Habsburger Ferdinand von Schönbrunn nach Olmütz , und die Bahn war frei für Windischgrätz.
Wie in unseren Tagen leitete die Gegenrevolution der Haß gegen den Parlamentarismus, und das öde Schlagwort von der Unfähigkeit der Demokratie kursierte schon damals. Von„ Marxismus " und„ Bolschewismus" allerdings wußte jene Zeit noch nichts; die Wiener Proletarier, obwohl durch Arbeitslosigkeit und Teuerung rabiat gemacht, waren auch von sozialistischen und kommunistischen Gedanken weit weniger gestreift als die| Berliner oder gar die Pariser Arbeiter. Gleichwohl glaubt man die heuchlerischen
Mussolinis Ungnade
59
B
>> Komm nach Haus, Josef, ich glaub, es regnet«<
Und furchtbar waten die Sieger im Blut. ,, Die Insassen von ganzen Häusern", schildert es der neueste, gewissenhafte Historiker der 1848er Revolution,„, Personen jeden Alters und Geschlechts wurden dahingemetzelt, Scheußlichkeiten jeder Art begangen, mit der blutberauschten Mordlust der Soldaten verband sich gemeine Raubsucht! Der Terror durchzitterte die unglückliche Stadt". An Toten allein zählten die Freiheitskämpfer nach der niedrigsten Schätzung Zweitausend, nach der höchsten Sechstausend; das Militär gibt als Verluste mit den Verwundeten 56 Offiziere und 1142 Soldaten an, Unter den 1600 Verhafteten greift sich das Standrecht auf gut Glück seine Opfer heraus; 24 Todesurteile werden vollstreckt. Die Dollfuß und Fey haben den Windischgrätz und Jelatschitsch getreulich alles abgeguckt, aber wie diesen der Fluch der Nachwelt folgt, wird es auch mit ihren Nachtretern von 1934 ergehen.
In seinen„ Bruchstücken revolutionärer Erinnerungen" erzählt der Dichter Moritz Hartmann , der auch als Delegierter der deutschen Nationalversamm lung nach Wien gekommen war, wie er am letzten Abend des Widerstandes in schon verödeter Gegend plötzlich das. Rasseln der Alarmtrommel vernimmt: ,, Ueber den großen, menschenleeren Platz schritt ein einziger, ungefähr fünfzigjähriger Proletarier, vor ihm ging ein kleiner, vielleicht zehnjähriger Proletarierjunge. Der Junge trug eine große schwarzrotgoldene Fahne, der Alte schlug die Trommel. Er sah nicht rechts,
er sah nicht links; die Bomben flogen über seinen Kopf, sie platzten vor ihm, hinter ihm; er schritt vorwärts, gemessenen Ganges , und schlug den Generalmarsch, und er schlug, als wolle er eine gestorbene Welt aus dem Todesschlafe wecken. Und der Junge mit der Fahne ging ruhig vor ihm, und der Alte schritt und schlug. Wir blieben starr bei diesem Schauspiel und die Tränen traten uns in die Augen. Lieber Freund, sagten wir ihm endlich, lassen Sie das! Es ist alles aus! Nein, antwortete der Alte, sie müssen heraus, sie müssen noch einmal heraus, die Sache darf nicht verloren sein! So sprechend, ging er immer weiter und schlug die Trommel, daß sie den Kanonendonner überschallte, und der Knabe trug ruhig seine Fahne und sah nach allen Seiten, ob sie nicht kommen."
-
Diese beiden Revolutionskämpfer, der alte wie der junge, mit ihrem unverbrüchlichen Glauben an die Sache, sind ein tiefes Symbol. Die Sache darf nicht verloren sein, die Sache ist nicht verloren, denn hinter ihr steht trotz aller Windischgrätze und Jelatschitsche. Dollfuße und Feys ,, der Geschichte ehernes Muß": 1934 so gut wie 1848!
Kannibalen!
Die Japaner aufzunorden, sie als blau
Salbadereien der Dollfuß und Fey zu dem Hauptquartier kam. Die demütigen-| wert". Aber wie 1934 müssen sie der hören, wenn die Ordnungshüter von 48 den Bedingungen mußten auch Schwan- Uebermacht weichen; am Abend dieses in in die ist die Vorstadt Landstraße die Seid umschlungen, in thren Proklamationen die österreichi- kenden und Friedfertigen die Waffe in die Tages ist die Vorstadt Landstraße, die sche Hauptstadt als Brutnest der„ An- Hand drücken. So beginnt der grausame Leopoldstadt, die Jägerzeile, der Rennarchie" hinstellten, das mit„ Mord" und Bürgerkrieg mit Kanonaden, Ausfällen und weg in den Händen der Angreifer. Brand" erfüllt sei. In Wirklichkeit ging es Vorpostenscharmützeln. In Flammen auf- Munitionsmangel bewegt die Verin Wien fast friedlich zu, und wenn auch gehende Siedlungen hinter sich lassend, trauensmänner der verschiedenen Korps zur Verteidigung gerüstet und namentlich dringen die Kaiserlichen vor; am 26. Okto- gegen die Stimmen der Arbeitervertreter äugige Arier zu deklarieren, ist dem offizieldie Arbeiterschaft in vier Bataillone Mo- ber ist auf der ganzen Linie von Nußdorf zum Beschluß der Uebergabe auf Gnade len Deutschland trotz anstrengendster Verbilgarde zusammengefaßt wurde, so woll- bis St. Marx die Schlacht entbrannt; und Ungnade; Botschaft in diesem Sinne suche nicht recht geglückt. Indes die höchten doch viele Rosaseher nicht an den Barrikade um Barrikade muß nach vor- eilt zu Windischgrätz. Aber die falsche sten Reichsstellen bereits eifrig mit den gelbUn- bereitender Artilleriebeschießung mit dem Kunde, ein ungarisches Heer nahe sieg- häutigen Söhnen des Himmels packeln, verberufene suchten zu vermitteln und zu Bajonett genommen werden. Am 28. Ok- reich zum Entsatz der Stadt, facht noch steift sich das gemeine Fußvolk auf die Antober, morgens 10 Uhr, hebt ein höllisches einmal das Feuer des Widerstandes an. sicht, der Japaner müsse minderer Rasse sein, die Brücke zu schlagen; der Rumpfreichs- Bombardement an; Granaten, Bomben, Jetzt sind es nur mehr die Arbeiter, die sofern die These vom auserwählten arischen tag wollte dies und der linksgerichtete Vollkugeln und Kartätschen schlagen in sich verzweifelt bis zur letzten Patrone Volke überhaupt einen Sinn haben soll.- Nun Gemeinderat das; an einer einheitlichen die Stadt ein; in weitem Umkreis lodern wehren. Am 31. Oktober wird die Innen- gibt es aber noch eine Menge andrer NichtLeitung fehlte es durchaus, bis am die Flammen himmelwärts; unter dem stadt unter schweres Geschützfeuer ge- arier auf der Welt, von denen niemand weiß, 11. Oktober durch die Vereinigung der glasigen Dunst von feurigem Rauch nommen; zweitausend Geschosse gehen wie Deutschland sie eines Tages brauchen Bataillone des Windischgrätz mit scheint Wien nach dem Ausdruck eines während dreier Stunden nieder; viele Ge- kann. Und wenn der blonde Hochmut weiter