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Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad  , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 44

SONNTAG, 15. April 1934

Aus dem Inhalt:

Dr. Richard Kern: Hitler   braucht Dollars

Die verschobene Arbeitsschlacht Der Chef der Gestapa

Komintern  , Wien   und Berlin  

Die Rebellion des Katholizismus

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Kulturkampfstimmung in Deutschland  - Kampf um das Konkordat

Ein Schauer des Religionskrieges| der Vereinigung, der selbständigen Exi-| tum ihres Glaubens entgegen ,,, in welchem| Hitlers  . Ja, das Volk erwacht und verlangt die läuft durch Deutschland  . Der Katholizis- stenz und des Wirkens. Vor allem sicherte und durch welches allein der Mensch als Rechnungen. Aber indem wir auf den Augen­mus kommt aus dem Ghetto heraus nicht um seiner Würde vergessend mit die Vereinigungsfreiheit für die katholi- ,, Mensch", als Ebenbild Gottes   jenseits blick der Befreiung warten, bleiben wir ein dem Hitlerismus zusammenzuarbeiten, sche Jugend der Kirche die Beherrschung aller Unterschiede der Geschlechter, der Sklavenvolk, dem man seine Freiheiten wie es Herr von Papen wollte, sondern des Nachwuchses, d. h. die Zukunft. Rassen und Völker, der Stände und Klas- genommen hat, die Gedankenfreiheit, die * um ihm mit einer Wiederbelebung all seiner Traditionen Widerstand zu leisten. Die Schwenkung der vatikanischen Er ist nicht mehr die duldende, sondern die kämpfende Kirche ecclesia mili­tans."( Robert d'Harcourt   in der Revue des deux Mondes  .)

Politik.

Zeigt dieser Brief die Stärke des Kamp­fes, so illustriert der Brief eines hervor­ragenden Klerikers aus Süddeutschland   an französische   Katholiken, wie mit dieser Desillusionierung der Konkordatspolitik auch die politische Konzeption der Unter­stützung des deutschen Nationalismus zer­brochen und eine Schwenkung der katholi­ schen   Politik eingetreten ist:

,, Der Druck, den die Schulen auf unsere Jugend ausüben und auch auf die Eltern, ist unerträglich. Die widerwärtigste Seite des neu­en Regimes ist die Heuchelei, mit der Macht­haber jederzeit den Namen Gottes im Munde

sen für ewig gerettet ist", der Lehre und Freiheit der Person, das Recht der freien Ver­der Erziehung zum Kriege den Satz, daß einigung, ein Volk, das die Herrschaft der der Sinn der Politik Gerechtigkeit und Wahrheit und des Rechts nicht mehr kennt." Trotzdem war an diesem Zeitpunkt die Friede sei. Sie hat in diesem Kampf die Linie der vatikanischen Politik schon sehr katholisch- humanitäre Idee, die Freiheits­Das gemeinsame Losungswort ist gege- zweifelhaft. Besonders in Bayern   war die idee im katholischen   Geiste neu belebt und ben. Die Predigten des Kardinals Faulha- Verknüpfung von staatlichem Regime und gebraucht sie als Waffe gegen den Natio­ber, des Erzbischofs von Freiburg   und der katholischer Kirche so außerordentlich eng nalsozialismus. Bischöfe von Berlin   und Breslau   sind geworden, daß der Stoß des nationalsozia- Dieser Kampf ist seit den Adventpre­Kampfansagen an die Prinzipien des Na- listischen Staatsstreiches auch gegen die digten des Kardinals Faulhaber, seit den tionalsozialismus. Diese Kampfansagen Kirche ging. Die Sieger im Machtkampf Schüssen auf seine Wohnung immer stär­haben im Vatikan   lebhafte Unterstützung in Bayern   dachten nicht an Bündnis oder ker hervorgetreten. Die katholische Pro­gefunden. In einer Osterbotschaft hat sich Machtteilung mit der Kirche. Sie setzten paganda stellt das Märtyrertum in den der Papst an die katholischen   Jugendver- vielmehr unerbittlich den Kampf fort. Sie Vordergrund, um ihre Anhänger neu zu bände Deutschlands   gewandt gegen eine verlangten die Unterordnung der Kirche. fesseln. In einem Brief eines bayrischen mit Lockrufen und mit Druck arbeitende Der bayrische Innenminister Wagner trat Katholiken der in Wien   veröffentlicht wor­Propaganda für eine neue Lebensauffas- an die Spitze einer Vereinigung gegen den ist, heißt es: sung, die von Christus weg ins Heidentum das Konkordat. Der Kampf wurde mit ,, So ist die Person, die heute in der politi- führen. Der Bolschewist läßt wenigstens sei­zurückführt." Er hat ihnen versichert: allen Waffen des Terrors geführt: Ver- schen Polizei den Ton angibt, ein Norddeut- nem Haß gegen die Kirche freien Lauf. Aber ,, Eure Verbände sollen jedenfalls wissen, haftung von Priestern und bekannten Ka- scher namens Heiderich, ein alter Marineoffi- beim Nationalsozialismus haben wir es mit daß ihre Sache unsere Sache ist. Er hat tholiken, Gefängnis, Konzentrationslager, zier, der sich nach besten Kräften der Aufgabe einem unterirdischen und verborgenen Kampf später in einer Ansprache an die Vertre- Verbot von Zeitungen, Schutzhaft für Zei- widmet, die schwachen Spuren der zu tun. Wir erröten über das Schauspiel, das ter von drei Jugendverbänden von den tungsverleger und Redakteure, Verbot für Sympathie für das Reich in Bayern   Deutschland   heute bietet. Die unmoralischsten ungünstigen Nachrichten aus Deutschland   Geistliche, bischöfliche Hirtenbriefe be- auszulöschen, die dort noch existierten. Elemente sind es, die in den Städten wie in gesprochen, vom Märtyrertum der katho- kanntzugeben. Der Hauptstoẞ richtet sich Dieser Beamte hat nicht die mindeste Ahnung den Gemeinden das große Wort führen. Die lischen Jugend und von der Notwendig- gegen die katholische Jugend- von dem bayrischen Volke, das er noch bru- Religion dient nur als Staffage. In der Ju­keit der Bekämpfung des Heidentums. Das bewegung. Sie soll in die Hitlerjugend   taler behandelt, als einst die Preußen die Po- genderziehung sind die Folgen am tra­päpstliche Organ Osservatore Romano  " hineingezwungen werden. Das ist der len oder die Elsässer. Seine ganze Weisheit gischsten. Man erzieht ganz offen unsere Ju­erklärt, es wäre falsch zu behaupten, daß Punkt, der die katholische Kirche   gezwun- und Regierungskunst besteht in einem Wort: gend für den Krieg. Die deutsche Kultur der Vatikan   sich jemals mit der Auflösung gen hat, den Kampf offen aufzunehmen. Gefängnis! Gefängnis, und immer ist um mehrere Jahrzehnte zurückgeworfen. des deutschen   Zentrums einverstanden er- Jetzt hat sie sich erinnert, daß die na- wieder Gefängnis! Er hat aus der Jagd Ich habe bisher den Schrei nach Sicher­klärt habe. tionalsozialistische Ideologie unvereinbar auf die Priester eine Spezialität gemacht und heit in Frankreich   nicht verstanden. In diesen Schlag auf Schlag aufeinan- ist mit ihren Glaubenssätzen. Sie hält den während der letzten neun Monate sind mehr Heute verstehe ich ihn. Ich verstehe eine all­der folgenden Kundgebungen und Erklä- Nationalsozialisten nun entgegen, daß der Priester eingekerkert worden, als während der gemeine Erhebung gegen das Aufkommen eines rungen kommt eine vollständige Mensch nicht nur Blut sei, sondern Geist, ganzen Dauer des Kulturkampfes. Die Zeit Geistes, wie er heute in Deutschland   herrscht. Schwenkung dervatikanischen erschaffen nach dem Bilde Gottes als wird kommen, wo diese Dinge öffentlich be- Man lasse sich nicht durch die offiziellen Mit­Politik gegenüber dem nationalsoziali- Mensch, und nicht als Arier oder Jude.   kannt werden. Das Volk erwacht ein wenig. teilungen der Presse täuschen. Von außen her stischen Regime zum Ausdruck. Der Vati- Sie hält der Rassenlehre das zentrale Fak- Deutschland erwache, so sagten uns die Leute gesehen ist alles schön. Die Feste und die kan hatte geglaubt, ein Bündnis mit dem chauvinistischen Nationalismus in Deutsch­ land   eingehen zu können. Schon Jahre vor der Machtübergabe an Hitler   hatte sich die Politik der katholischen Kirche  von der Linie der Koalition des Zentrums

Die Toten reiten schnell...

Ehrenwache unter als Aufdeckung einer, raffinierten" Geheim-| der Tote im Befreiungskampf des Proletariats Schwarzrotgold Deutschland und vor dem Ausland kann man sind darüber in großer Aufregung, da sie in

organisation serviert. Im gleichgeschalteten gefallen ist. Die Hinterbliebenen der Toten

Bremer   Reichsbanner- Demonstration. In Bremen   sind kürzlich 49 Mitglieder

es nicht wagen, der Wahrheit gemäß zu be- keinem Falle die Genehmigung zu einer solchen richten, daß nach einem Jahr Hitlerdiktatur, Handlung erbellt haben. Sie werden nicht ein­die das ganze Volk geeinigt" hat, Männer der mal vorher davon verständigt, sondern es Arbeit, Kämpfer für Demokratie und Freiheit wird ihnen nach Durchführung der Schändung am Grabe ihres gefallenen Kameraden in einer einfach die Rechnung zur Begleichung der eindrucksvollen, mutigen Demonstration Zeug- Unkosten zugesandt. nis ablegen von ihrer Gesinnungstreue und ihrem ungebrochenen Kampfesmut!

Tausende an

mit der Sozialdemokratie entfernt. Der Abschluß des preußischen Konkordats hatte ihr volle Freiheit gegeben, für den Vatikan   war der Sinn der Koalitionspolitik erfüllt. Die vatikanische Politik drängte danach mit aller Kraft nach rechts. Sie glaubte durch ein Bündnis mit dem reak- des Reichsbanners durch die Geheime tionären Nationalismus Thre Macht Staatspolizei verhaftet worden. Die deutsche  über die Geister ihrer Anhänger befesti- gleichgeschaltete Presse brachte die Meldung gen zu können, sie glaubte, in einem reak- mit der Bemerkung, daß man durch die Ver­tionären deutschen   Staat dieser Prägung haftungen einer besonders raffinierten Geheim­noch an politischem Einfluß zu gewinnen. organisation des Reichsbanners auf die Spur Diese Linie hat zu dem neuen Kon- gekommen sel. In Wahrheit hat die neue Ver­kordat geführt, das im Juli 1933 abge- haftungsaktion in Bremen   eine ganz andere Ehrung der Märzgefallenen Marums Grab Trotz scharfer Bewachung konnten die schlossen und im September ratifiziert Vorgeschichte. Auf einem Bremer   Friedhof befindet sich Nationalsozialisten nicht verhindern, daß auf Das tragische Ende des Genossen Marum  worden ist. Schon damals waren allerdings erhebliche Abweichungen der wirklichen das Grab eines Reichsbanner- einem der Leipziger   Friedhöfe Grup- hat in Baden tiefe Bewegung hervorgerufen. Entwicklung von den Perspektiven des kameraden, der in den Kämpfen für Frei- pen von sozialdemokratischen Arbeitern den Die Behörden hatten geplant, die Leiche eiligst Vatikans eingetreten. Der Kurs auf das heit und Demokratie gefallen war. Märzgefallenen wie in jedem Jahre ihre Eh- und ohne Aufsehen bestatten zu lassen. Die An seinem Todestag legten Bremer   Reichs- rung erwiesen. Es wurden Blumen und auch tapfere Witwe setzte durch, daß die Beisetzung bannerleute auf dem Grab einen Kranz mit ein Kranz mit weißer Schleife niedergelegt. auf den Dienstag nach Ostern verschoben einer großen schwarzrotgoldenen Schleife Als die überwachenden Beamten zu spät diese wurde. Zur Zermonie fanden sich sodann, ob­nieder und stellten am Grabe eine Ehren- heimliche Demonstration merkten, entfernten gleich in den Zeitungen die Stunde nicht an­wache von sechs Reichsbanner- sie die Blumenspenden und auch den Kranz, gegeben werden durfte, viele Tausende alter kameraden in Uniform auf. dessen Schleife die Inschrift trug: Unsterb- Genossen und persönliche Verehrer des Toten, liche Opfer, ihr sanket dahin."

Bündnis mit dem Nationalismus hatte die Stellung des regierenden Zentrums und noch mehr der Bayrischen Volkspartei in Bayern   so geschmäht, daß die süddeut­schen katholischen   Regierungen dem na­tionalsozialistischen Staatsstreich ohne Diese Demonstration erregte natürlich un­weiteres erlagen. Die Illusion, daß die ka­ tholischen   Kräfte, daß Vertreter des Zen  - geheures Aufsehen, und die Polizei beant­trums in einer Art Regierungsarbeitsge- wortete die antifaschistische Kundgebung mit meinschaft im Reich einbezogen werden der Verhaftung der Ehrenwache und der be­würden, war sehr schnell zerstört wor- kannten Funktionäre des Reichsbanners den. Immerhin sicherte das Konkordat den Bremen  . katholischen Vereinigungen die Freiheit

Grabschänder

die stundenlang warteten, um einen letzten Blumengruß auf das Grab werfen zu können. Die Polizel beschränkte sich darauf, photogra­phische Aufnahmen zu machen, die, wie zu be­In Leipzig   sind jetzt Steinmetzarbeiter be- fürchten ist, als Belastungsmaterial gegen die auftragt, alle Inschriften von den Grabsteinen Teilnehmer der Kundgebung benützt werden Der Oeffentlichkeit wird dieses Ereignis zu beseitigen, die darauf schließen lassen, daß sollen.

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