Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 79 SONNTAG, 16. Dez. 1934

Aus dem Inhalt: Geheimgeschichte des 3. Reichs Harmonie zwischen Diktatur und Kapital

Roms Bannstrahl gegen Sterili­sierung

Die Rebellion der Dirigenten

Was kommt nach Hitler?

Die Sozialdemokratie

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die Hoffnung des Volkes

sie wahrhaft die Hand.

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Ein neuer Tobsuchtsanfall des Systems| lebendige Verbindung mit dem haltspunkt gefunden, und dieser An-| suchen sie Rat und Halt, ihnen drücken scheint bevorzustehen. Sehr ernsthafte Volke. Der Göbbels redet von der haltspunkt sind wir! Beobachter sagen ihn für die Zeit nach Emigrantenpresse«<, er hat sich mit dem Nach der Errichtung der Hitlerdikta- Wir nehmen diesen Prozeß als eine un­der Saarabstimmung voraus. Die Nervosi-» Volk« vorm Adlon getröstet, er hat es tur bedeutete ein Sozialdemokrat in geheuere Verpflichtung. Er geht still tät in der regierenden Clique ist unver- beschworen gegen die» Emigranten- Deutschland nichts mehr. Er war in den und langsam vor sich. Er ist nicht mit kennbar. Jeder sieht im anderen den Tod- presse«. Wie oft hat er uns totgesagt! Augen breitester Massen ein geschlage- programmatischen Formeln und Schlag­feind und fürchtet von ihm den Dolch- Aber jetzt redet er ein ums andere Mal ner und erledigter Mann, mitsamt seiner wörtern zu fassen aber in diesem Pro­toẞ in den Rücken. Sie belauern einan- von uns, und er redet, weil er sich Partei restlos überfahren von der natio- zeß wächst eine große bewegende Kraft der, voll Furcht und voll intimen Haß auf fürchtet. Wir, die Emigranten, wir nalsozialistischen Revolution. für die Zukunft heran. Dieser Prozeß ist die Mitverbrecher. Der Umgestaltungs- hoffen und fühlen mit dem Volke, er und Heute ist das ganz anders! weiter vorgeschritten als das System weiß prozeß des Systems züchtet täglich neuen seine Spießgesellen aber sind die wahren Heute ist der Sozialdemokrat wieder an- und fürchtet! Haß. Aus der Zahl der arrivierten brau- Fremdlinge, und sie werden dem Volke gesehen, geachtet und gesucht. Wenn Es redet von» nationaler Solidarität<< nen Bonzen fliegt einer nach dem anderen immer fremder und feindlicher werden. die Bevölkerung aus allen Schichten er­zurück ins Nichts. Die ganz oben setzen Was wissen sie davon, wie sie und ihre nüchtert aufblickt, sieht sie, daß die Sozial- wächst in der Gegnerschaft gegen das den Fuß auf die Mitarbeiter von gestern Taten auf das Volk wirken! Uns aber demokraten noch da sind. Sie fühlt nicht System! und heute, die sie opfern, um sich selbst sagt man es mit aller Aufrichtigkeit. nur, daß unsere Arbeit weitergeht, sie Die große Wiederkehr der Vernunft ist zu behaupten. Die Liste wird immer län- Denn wir gewinnen immer stärker, was erblickt auch viele, die aufrecht geblieben im Gange, und wir werden alles tun, um ger. Brückner aus Breslau , Gott - sie niemals wahrhaft besessen haben: sind. In ihnen sucht sie politische und sie zu stärken. Von unten auf entsteht fried Feder, Hans Frank , Vertrauen! Es geht eine stille Wand- wirtschaftliche Vernunft gegenüber dem neue Volkskraft, die um Freiheit und Ver­Rauschning in Danzig , dazu die lung im Volke vor sich, ein Erwachen und Wahnsinn des Systems. Sie nimmt sie nunft ringt. Diese Kraft ist auf die Masse der kleineren Bonzen. eine Wiederkehr der Vernunft. ist als Garantie einer besseren Zukunft: Die Dauer weder durch den Terror, noch durch

Es ist das innere Gesetz dieses Sy­stems, daß es niemals zur Stabilität ge­langen kann, sondern sich immerfort selbst innerlich zerfleischen muß. Wenn das ganze Volk zu ihren Füßen liegen würde, geknebelt, hoffnungslos, restlos ver­stimmt, so würden sie dennoch nicht zur Ruhe kommen. Nicht nur die Struktur des Systems, sondern auch die Furcht, ge­

boren aus

der Größe des Verbrechens,

und die innere Gemeinheit der Spitzen des Systems gebiert immer wieder

Kämpfe,

neue Tobsuchtsanfälle,

neue neuen

Terror. Aber das Volk ist nicht rest­und das verstärkt

die

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los verstummt. terroristischen Neigungen des Sy­stems. Immer aufs neue kämpfen sie an

gegen

Miesmacherei,

Unzufriedenheit, öffentlich über

Mißtrauen. Sie rasen nörgelnde Kritik, Sabotage, Gerüchte, > Lüge und Gemeinheit. Bald versuchen sie, die Stimmung für sich mit propagan­distischen Kunststücken zu halten. Göb­ bels » Tag der nationalen Solidarität bald glauben sie, durch Massenverhaftun­gen, durch Verfolgung der unbeugbaren und unbesieglichen Opposition die Wand­lung im Denken des Volkes aufzuhalten.

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SCI

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aber die wahre Volkssolidarität

er­

nicht nur die reine Gegnerschaft gegen das Sozialdemokratie ist auf dem Wege, das Massensuggestion, noch durch Propagan­System und seinen Druck die Hoffnun- Vertrauen des Volkes aufs neue zu ge- dakunststücke zu fesseln. Es ist noch ein gen auf eine bessere Zukunft haben viel- winnen. Zu ihren Anhängern sprechen langsames, langsames Schreiten. Aber es mehr bereits einen positiven An- die Enttäuschten aufrichtig. Bei ihnen ist unerbittlich!

Ihre Polizei und ihre Spitzel sagen ihnen genug über Miesmacher, über das Murren im Volke, über die geheime Ar­beit der Opposition. Aber die dem Sy­stem wahrhaft gefährliche Wandlung im Denken des Volkes ist die, die nicht erkennen, die sie nur Furcht ahnen können! Dies System hat| einst den Anspruch erhoben, daß es mit dem Volke verbunden sei wie kein anderes|

sie

voll

System. Es war eine Propagandalüge,

Sie

eine groteske Selbstenttäuschung. reden sich heute noch ein, daß sie dem|

-

aber sie sind

SS zerreißt Göbbels den Anzug

Dichter Ring, einsame Insel- und dennoch Fetzen

Jaldab nob, is.00

Am Tag der» nationalen Solidarität< sind schöne Bilder trauter Volksgemeinschaft ge­stellt worden. Die prominenten Sammler wa­ren von SS- und Polizeiketten so dicht um­geben, daß die stürmische Liebe ihrer Unter­tanen nur wie fernes Gesäusel zu ihnen drang.

Hitler über Feder

Ganz freiwillig

Im achten Kapitel des Buches>> Mein Die sächsischen Beamten haben neuerdings Kampf« schildert Hitler den Beginn seiner po- einen Spendenschein bekommen, auf dem sie litischen Tätigkeit. Endlose Pläne gingen im bescheinigen müssen. daß sie mit allen frei­März 1919 durch seinen Kopf. Das Ende jeder willigen Abzügen einverstanden sind und kei­Die> Deutsche Allgemeine Zeitung<< schildert Erwägung sei jedoch die nüchterne Feststel- nerlei Kontrolle über Verwendung der Gelder

das so:

-

Dieser Schein hat nachstehenden

Spendenschein,

Ich beteilige mich freiwillig an dem Beamten- Opferwerk Sachsen

für die Dauer seines Bestehens. Ich be­scheinige, daß ich dazu nicht gezwungen oder gedrängt worden bin, sondern ledig lich neben sonstigen Spenden ein Opfer bringen will.

lung gewesen, daß er Hitler als Namen- fordern. loser selbst nicht die geringste Voraussetzung Text: > Wir versuchen durch die dichte zu irgend einem zweckmäßigen Handeln be­Kette der SS - Leute durchzurutschen. um zu Ministerpräsidenten Göring zu ge- sessen habe. Etwa im Mai 1919 habe er dann langen, der auf der rechten Seite des Adlon an einem Kurs für Angehörige der Wehr­sammelt. Aufgepaßt! Durch! Er steht in macht teilgenommen, der den Teilnehmern Uniform mit dem Pour le Merite . Wir wer­bestimmte Grundlagen staatsbürgerlichen den einfach weggedrängt, so, wie wir hin­gedrängt worden sind. Hinter der Men- Denkens liefern sollte. Hitler bekennt, daß er schenmenge aber, die wir zu umgehen sich bis dahin mit wirtschaftlichen Problemen trachten, fängt uns Oberleutnant nur insoweit beschäftigt habe, als diese so­Brückner, der persönliche Adjutant des ziale Fragen berührten. In diesem Kurs aber kam ihm die Erleuchtung. Einer der Vor­tragenden war Gottfried Feder . Ueber ihn sagt Hitler ( auf Seite 229, I. Bd.>> Mein Kampf<, 12. Auflage 1933):

Führers ab.< Und nun

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auf zu Göbbels !

> Während vor dem Hotel die Menge wie eine Mauer stand, bewegte sich Dr. Göb­ bels , wie eine Insel von einem kleinen unzerreißbaren Ring von SS - Männern umgeben, in dem Raum zwischen Adlon und Brandenburger Tor . Von Zeit zu Zeit hielt er eine Be­ratung mit Herrn Hanke vom Propaganda­' ministerium, entwarf einen strategischen Plan und verlegte dann in Zusammen­arbeit mit der Polizei seine SS­Insel bald in die Richtung nach der fran­ zösischen Botschaft, bald nach der andern Seite.<

Als aber Göbbels von der Sammelei ge­nug hatte, erkletterte er den ersten Stock des

Volke ganz nahe seien unendlich weit von ihm entfernt. Es ist Adlon , trat ans Fenster und sprach, wie der wie bei den Sammlungen am Tag der Völkische Beobachter< berichtet, vom sichern nationalen Solidarität«. Göring und Göb- Port aus zu der erstaunten Menge also: bels gingen mit der Sammelbüchse» ins

Volk

> Ihr habt mir da unten meinen ganzen Anzug zerrissen!<

» Zum erstenmal in meinem Leben ver­nahm ich eine prinzipielle Auseinander­setzung mit dem internationalen Börsen­und Leihkapital. Nachdem ich den ersten Vortrag Feders angehört hatte, zuckte mir auch sofort der Gedanke durch den Kopf, nun den Weg zu einer der wesentlichsten Voraussetzungen zur Gründung einer neuen Partei gefunden zu haben.

zu

Den monatlichen Betrag setze ich auf RM..( ungefähr ein 2 Prozent meines Brutto- Einkommens) fest und verpflichte mich, ihn unaufgefordert abzuführen.

Ueber den Einzug sowie Verwendung des Geldes bin ich unterrichtet und ich überlasse alles weitere dem Gauamtsleiter bezw. Gauwart von Sachsen . Name

Stand

Beschäftigungsamt

Ort

Geworben durch

Beschäftigungsamt und Stelle

Nun kann sich jeder vorstellen, was mit einem Beamten oder Angestellten geschieht, Das Verdienst Feders beruht in meinen der diesen Zettel unausgefüllt zurückgibt, Augen darin, mit rücksichtsloser Brutalität sich also nicht freiwillig zu dem bereits vor­den ebenso spekulativen wie volkswirt­geschriebenen freiwilligen Abzug von einem schaftlichen Charakter des Börsen- und Leihkapitals festgelegt, seine urewige Vor- halben Prozent seines Monatsgehaltes neben aussetzung des Zinses aber bloẞgelegt den anderen Spenden, die ihm ebenfalls frei­haben. Seine Ausführungen waren in allen willig abgezogen werden, bereit erklärt. grundsätzlichen Fragen so richtig, daß die Denn abgesehen davon, daß der Zellenwart Kritiker derselben von vorneherein weniger unausgefüllte Zettel gar nicht zurücknimmt, die theoretische Richtigkeit der Idee be­ebenso keine, die in ablehnendem Sinne ausge­stritten, als vielmehr die praktische Mög­füllt sind, würde der Zellenwart sofort jeden lichkeit ihrer Durchführung anzweifelten. der es wagen Allein, was so in den Augen anderer eine Beamten und Angestellten, Schwäche der Federschen Darlegungen war, würde, sich von der Sammlung auszuschlie­bildete in den meinen ihre Stärke.<< Ben, der vorgesetzten Dienstbehörde und der Man lese die beiden Sätze aufmerksam und Kreisleitung der NSDAP melden. Die Folge > SS - denke dabei, daß es heute umgekehrt ist. wäre ein strenges Verhör des Beamten und richt und kein Gestapo. >> Zusammenarbeit mit der Polizei« Auch in den Augen Hitlers sind jetzt die eventuell seine sofortige Entlassung. und dennoch den Anzug zerrissen? Haben Ideen Feders Illusionen. Sie sind ihm bei der Was mit den Abzügen geschieht, darf sie Fragen sind verboten. Denn je deutlicher das die SS - Männer selbst getan oder war's Verständigung mit dem Kapitalismus im We- nicht interessieren.

SS - Leuten!

Zu

- will sagen unter das Publikum vor dem Hotel Adlon Unter den Linden . Aber selbst von diesem» Volk« trennte sie eine undurchdringbare Kette von » Das Volk, zu dem sie reden, und das sie aufmarschieren lassen, ist nur maskiert, auch wenn es in Masse auftritt. Was sich in der Masse vollzieht, wenn sie nicht ver­sammelt, ist und der Massensuggestion zerreißbarer Ring von SS - Männern<

des>> Völkischen< einem Mitarbeiter äußerte er sich zum Ueberfluß noch:

> Das hätten die Emigranten mal sehen sollen, die heute morgen in ihren Zeitungen sagten, wir wären hier von 300 Kriminal­beamten umgeben.<<

Die Emigranten hören und staunen.» Un­

unterliegt, das sagt ihnen kein Spitzelbe- Insel<

Wir wissen es!

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sich die Volksferne des Systems abzeich- eine Wollstra- Hose, die vor Angst geplatzt ge. Deshalb fort mit diesen Ideen, fort mit Dafür flüstert man sich die großen und klei­

net, desto stärker wird unsere ist?

ihrem Träger!

nen Korruptionsfälle zu.