Harmonie zwischen Diktatur und Kapital

Das Ende der Stände-Illusion

Leicht macht es der Schacht den natio- nalsozialistischen Demagogen ja gerade nicht, ihre sozialistischen Phrasen noch an den Mann zu bringen. Jedes Wort, das er spricht, ist ein Bekenntnis zum Kapi­talismus, und seine Taten gar räumen mit allen Versprechungen des Hitler und seiner Bande ganz radikal auf. Da ist zunächst der »Neuaufbau der deutschen gewerblichen Wirtschaft.« Aber wer etwa gemeint hat, jetzt käme endlich die berühmte Ständeorgani­sation, in der die Klassenunterschiede aufgehoben und Arbeiter und Unterneh­me r in schöner Harmonie die Wirtschaft aus nationalsozialistischem Geist gestalten, der wäre schief gewickelt. Die Wirtschaft wird fachlich und regional gegliedert. Fachlich zerfällt sie in sieben Reichs­gruppen: Industrie, Handel, Banken, Versicherungen und Energiewirtschaft. Diese Reichsgruppen teilen sich in Wirt­schaftsgruppen und je nach Bedarf in Fachgruppen. Die verschiedenen Unter­gruppen werden örtlich in Wirtschaftsbe­zirken zusammengefaßt, deren Bereich dem der Industrie und Handelskammern entspricht. Mit diesen zusammen, sowie mit den Handwerkskammern bilden sie die Wirtschaftskammern der einzel­nen Bezirke: der Zahl der Handelskam­mern entsprechend wird es somit drei­zehn Wirtschaftskammern ge­ben. Die Vertreter dieser Wirtschafts­kammern bilden mit den Vertretern der Reichsgruppen die Reichswirt­schaftskammer. Diese erhält einen Beirat, der sieh aus den Leitern der Reichsgruppen und der Hauptgruppen der Industrie, der Wirtschaftskammern und dem Vorstand der Reichswirtschaftskam­mer, den der Wirtschaftsminister ernennt, zusammensetzt. Dieser Beirat ist das be­ratende Organ des Ministers in allen Wirtschaftsangelegenheiten. Was bedeutet das? Nichts anderes, als daß die alten kapitalistischen Unternehmerorganisatio nen im wesentlichen unverändert bestehen im wesentlichen unverän­dert bestehen bleiben. Was jetzt Reichsgruppe der Industrie heißt, hieß eine Zeitlang Reichsstand der Industrie und ist nichts anderes als der alte Reichsverband der Industrie. Nur daß jetzt die Unternehmerorganisation noch gestärkt ist dadurch, daß die Zuge­hörigkeit zu ihr obligatorisch ist. Nur daß diese Untemehmerorganisationen denn was für die Industrie gilt, gilt ebenso für die Banken, den Handel usw. jetzt die einzigen Organisationen sind, die ihren gewaltigen Einfluß bei der Gestaltung der Wirtschaftspolitik offiziell in die Waag­schale werfen können. Das ist der Skandal! Während die Berufsorgani­sationen der Unternehmer völlig erhalten bleiben und ihre Funktionen voll erfüllen können ebenso wie die Handelskammern, während ihnen im Dritten Reich die Mit­wirkung an der Wirtschaftspolitik offiziell eingeräumt wird, sind die Arbeiterorganisatio­nen völlig stillgelegt, haben die Arbeiter nur die Pflicht, Beiträge für die nationalsozialistischen Organisatio­nen zu leisten und Kraft durch Freude zu sammeln. Von jeder auch noch so ge­ringer Mitwirkung an der Wirtschafts­politik sind sie im nationalsozialistischen Reich ausgeschlossen. Wir wollen gar nicht davon reden, daß in der Republik das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft an der Wirt­schaftsgestaltung ausdrücklich in der Ver­fassung festgelegt war, daß im Reichswirt­schaftsrat Arbeiter und Unternehmer in gleicher Zahl und Stärke vertreten waren: aber selbst in faschistischen Staaten, in Italien oder Oesterreich, sind die Arbeiter­organisationen mit den Untemehmerorga­nisationen zu den Korporationen zusam­mengefaßt, wird ihnen, gefesselt durch die Unterstellung unter die faschistische Par­teidiktatur wie sie sind, doch eine Mög­lichkeit der Betätigung noch gelassen. Die Wirtschaft zur reinen Domäne der Kapitalisten allein zu er­klären, die Schamlosigkeit der Entrech­tung der Arbeiter so weit zu treiben,

das ist dem Hitler und seinem Schacht überlassen geblieben! Der»Neuaufbau« gestattet zugleich Schacht seine persönliche Diktatur über die Wirtschaft noch zu befestigen. Der bisherige»Führer der Wirtschaft«, der Graf von der Goltz verschwindet. Schacht ernennt die Leiter der Reichsgruppen und den Vorstand der Reichswirtschaftskam­mer. Zunächst hat er den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Han­nover Emst H e c k e r zum Leiter der Reichswirtschaftskammer ernannt. Der Herr ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Ilseder Hütte, ein verläßlicher»alter Kämpfer« des Kapitalismus . Sein Stell­vertreter ist der»Professor« Carl L u e r, der im Dritten Reich Präsident der Indu­strie- und Handelskammer in Frankfurt a. M. geworden war und in zahlreichen Reden immer wieder auseinandergesetzt hat, daß der richtig verstandene»deutsche Sozialismus« und der Kapitalismus keine Gegensätze sind. Jedenfalls zeigt die Besetzung der lei­tenden Stellen mit Leuten, die nichts an­deres sind als reine kapitalistische Inter­essenvertreter, ebenso wie der Aufbau der Organisation selbst die fortschrei­tende Verflechtung der kapi­ talistischen mit der politi­schen Macht. Nationalsozialistische Diktatur und kapitalistischer\yirtschafts- markt sind im Begriffe, unter Führung von Schacht und Hitler zu einer Zwei­einigkeit zu werden, der alle»anti­kapitalistischen« Tendenzen rücksichtslos geopfert werden. Das Bankgesetz. Dies zeigt sich auch auf einem ande­ren Gebiet der Wirtschaft, die Schacht eben»neugeordnet« hat, auf dem des Bankwesens. Man erinnert sich noch der Bankenenquete und des Duells, das damals zwischen Schacht und Feder, der noch Staatssekretär im Wirtschaftsmini­sterium war, ausgefochten wurde. Feder kämpfte für seine Brechung der Zins­knechtschaft und vertrat einigermaßen die Sozialisierung der Banken. Schon damals wurde die Niederlage Feders sichtbar und am Siege Schachts, der mit Eifer das Privatbanksystem vertrat, konnte nicht gezweifelt werden. Der Enqueteausschuß hat denn auch in seinem Bericht erklärt, daß die»private Initiative mit eigener Verantwortung die zweckmäßigste Organisation der Kreditinstitute darstellt« und»die Wahrung und. Wiederherstellung der Etragsfähigkeit des Gewerbes« ge­fordert. Das eben vom Kabinett erlassene Bankgesetz trägt diesen Grundsätzen voll Rechnung. Von einer Sozialisierung der Banken, von planmäßiger Lenkimg des Kredits ist natürlich keine Rede. Nicht einmal die Forderung nach Trennung der Geschäftsbanken von den Depositenban­ken, die in diesem Jahre in den Vereinig­ ten Staaten und in Belgien durchgeführt wurde, ist berücksichtigt worden, eben­sowenig die, der Zerlegung der Großban­ken in Regionalbanken. Nur die Reichsaufsicht, die nach der Ban­kenkrise bereits geschaffen worden war, ist etwas verstärkt und trotz ihres Wider­standes auf die Sparkassen ausgedehnt worden. Aber gerade dieser Umstand ist be­deutsam. Die finanzielle Hauptsorge der Diktatur büdet ja die ungeheuere schwebende Schuld, die sie aufge­häuft hat. Rechnet man die schwebende Schuld des Reiches, der Länder und Ge­meinden, die Steuergutscheine und die Arbeitsbeschaffungswechsel zusammen, so kommt man zu einer Summe von etwa 8 Milliarden Mark. Die Fundierung we­nigstens eines Teiles dieser Summe ist das heißersehnte Ziel der Finanzpolitik der Diktatur. Deshalb sucht die Diktatur ihre Verfügungsmacht über die Kreditinstitute zu verstärken. Sie sollen ihre Mittel so­weit wie möglich für die Aufnahme der Schatzwechsel, der Steuergutscheine und der Arbeitsbeschaffungswechsel zur Ver­fügung stellen, sie sollen die Reichsan­leihen kaufen und die Kurse heben, damit Konversionen und neue Anleihen möglich werden. Wie die Industrie von allen»sozialisti­schen Experimenten« geschützt werden soll, dafür aber der Erhaltung der Dikta­

tur und ihrem Machtstreben dienstbar ge­macht wird, so werden auch die Banken als privatkapitalistische Organisationen erhal­ten, ja deninderKrise in dieMacht des Staa­tes gefallenen der Weg der Repriva- tisierung eröffnet, aber um den Preis, daß sie die Mittel ihrer Kunden der Finanzgebarung der Diktatur zur Verfü­gung stellen. Und der arme Feder, dem in seiner krausen Vorstellung eine so ganz andere Lösung vorschwebte, wird zur Be- sieglung des Bundes zwischen Banken­macht und Diktatur unbarmherzig in die Wüste des dauernden Ruhestandes ge­schickt. Schacht triumphiert, denn mit seinem Verfasser hofft er das ganze natio­nalsozialistische Programm endgültig in den Ruhestand versetzt zu haben. Der gleichen Sorge um eine Stützung des Anleihemarktes dient auch eine Neu­regelung des sogenannten Anleihegesetzes. In den nächsten drei Jahren dürfen Ak­tiengesellschaften nicht mehr als 6 Pro­zent in bar auszahlen, wenn sie auch vor­her nicht mehr als 6 Prozent gegeben haben, und nicht mehr als 8 Prozent, wenn sie früher schon 8 oder mehr Prozent ver­teilt hatten. Alles, was über 6, respektive 8 Prozent an Dividende ausgeschüttet wer­den soll, muß der Golddiskontbank, der Tochtergesellschaft der Reichsbank über­wiesen werden. Diese wird diese Beträge in Reichsanleihen anlegen, die für die

Fortsetzung der Arbeitsbeschaffung(lies Rüstungen) verwandt werden. Nach drei Jahren, wenn der erste Abschnitt von Hitlers Fünfjahresplan abgelaufen ist, sollen die Aktionäre die Dividende ausge­zahlt bekommen wenn dann die An­leihen noch einen Wert haben. Es ist eine ziemlich verzweifelte Mafc nähme und da die Anzahl der Gesellschaf­ten, die über 8 Prozent Dividende ver­schütten können, ziemlich gering gewor­den ist, so wird der Betrag, der da ge­wonnen wird, zunächst auf 40 Millionen jährlich geschätzt. Einen Teil dieses künftig entgehen­den Gewinns werden übrigens die Ein­geweihten durch umfangreiche Baissespekulationen, die die scharfen Kursrückgänge auf den deut­schen Aktienmärkten erkennen lassen, sich bereits gesichert haben. Aber so sachlich unbedeutend die Maß­nahme ist, die ja den Ueberschuß nicht etwa konfisziert, sondern seine Auszah­lung nur auf drei Jahre hinausschiebt, so trefflich läßt sie sich für die national­sozialistische Demagogie ausbeuten. Ist diese»Festsetzung von Höchstdividen­den« nicht endlich mal etwas Sozialisti­sches? Wird nicht den müßigen Kupon- schneidem gezeigt, wie im Dritten Reich Gemeinnutz vor Eigennutz geht? Von 40 MUlionen wird nicht geredet und kein Vergleich gezogen werden zwischen dieser Bagatelle und den Milliarden, die durch Kürzung der Löhne, der Arbeitslosenun­terstützungen und Sozialrenten für die Politik der Diktatur den Arbeitern er­preßt worden sind. Aber wird die Dema­gogie auch wirklich noch viel nützen? Uebertönt nicht heute schon die Sprache der Tatsache immer mehr auch die Laut­sprecher der Propaganda? Dr. Richard Kern.

Es geht Immer besser Die Hamburger Hochbahn-A.G. legt eben ihren Geschäftsbericht für 1933 vor. Daraus ist zu entnehmen, daß die Personenbeförde­rung der Hochbahn weiter zurückgegangen ist: von 208,6 Millionen Personen im Jahre 1832 auf 191,7 Millionen im Jahr 1933. Das ist eine Verminderung um 8.1 Prozent; die Senkung der Betriebseinnahmen beträgt 12.1 Prozent. Trotz dieser rückläufigen Entwicklung ist das Personal vermehrt worden: von 8638 auf 9061 Personen. Der Geschäftsbericht ent­hält zu diesem Vorgang dieses Bekenntnis: »Die nationalsozialistische Einstellung zu den Interessen des deutschen Volkes im ganzen bedingt, die Frage der Wirtschaft­lichkeit der getroffenen Maßnahmen weni­ger zu betonen.« Die»nationalsozialistische Einstellung« hat welter bedingt, daß, obwohl es 453 Mehr- beschäftigte bei der Hochbahn gab, die Gesamtlohnsumme von 21,69 Millionen KM auf, 20,40 Millionen RM, also um 1,290.000 BM zurückgegangen Ist. Dieser erhebliche Rückgang kann nicht anders als durch eine bedeutende Kürzung der Löhne und Gehälter der Ange­stellten und Arbeiter zustande gekommen sein. Aber vielleicht hat diese»national­sozialistische Einstellung« auch zu einer Kür­zung der Dividenden und Tantiemen geführt? Vielleicht ging es der Hochbahn- A.G. wirklich so schlecht, daß sie zu den empfindlichen Lohn- und Gehaltsherabsetzun­gen schreiten mußte? Nein! Der Geschäfts­bericht teilt auch noch mit, daß im Jahre 1933 die jährliche Fahrgeldabgabe an den hamburgischen Staat von der nationalsoziali­

stischen Regierung erlassen worden ist. Die­ses Geschenk macht mehr als 2,330.000 RM aus! Außerdem hat die Gesellschaft aus ge- I tilgten Dollarbonds infolge der Herabsetzung | des Goldwertes des Dollars einen Kursgewinn von 3,870.000 RM eingeheimst. Es brauchen die Aktionäre keine Kürzung ihrer Dividenden zu befürchten. Wieder wie im Vorjahre werden 5 Prozent ausgezahlt. Das sind 4,437.000 RM, von denen mehr als 3 Millionen RM in die Taschen privater Aktionäre fließen, den Rest­betrag erhält der hamburgische Staat als Aktionär. Hätte die hamburgische Regierung nicht auf die dem Staat zustehende Fahrgeldabgabe verzichtet, so würde dem Staat einschließlich des Dividendenanteils mehr als das Doppelte dessen zugeflossen sein, was er jetzt erhält. Doch dann würden die Privatkapitalisten einen wesentlich geringeren Profit erhalten- Und eben das erträgt die»nationalsozialisÖ* sehe Einstellung« nicht.

Kluge Antwort. Wie gehts in Deutschland ? Wir können uns nicht beklagen (Notenkraker, Amsterdam .)

Ein KabineMsgreself Der Reichsjägermeister hat keine ZeP Die deutschen Förster schütteln den Kopf über eine Bestimmung im neuen Jagdgesetz- Nämlich, daß In»besonderen Fällen« der Jäger von der Nachsuche befreit und diese von einem Kenner der Revier- und Schußverhältnisse geführt werden kann. So etwas hat es bisher nie gegeben und wider< spricht der Ehre eines echten Jägers. Nach­suche ist die Verfolgung eines angeschosse­nen Wildes. Es muß gefunden werden, damit es nicht irgendwo an der Verwundung elen­dig krepiert. Jeder Jäger sieht In der Nach­suche eine unbedingte Verpflichtung. Nur Herr G ö r I n g nicht. Er hat bei einer Jagd vor einiger Zeit einen Hirsch angeschossen- Nach einiger Zelt wurde ihm die Nachsuche langweilig und er erklärte seiner Ge" folgschaft, daß er keine Zeit mehr habe. Da kam er aber bei den hohen Forst­beamten schlecht an. Sie erklärten ihm, daß die Nachsuche stets unter der Führung des Jägers zu stehen habe, der den Fehlschuß abgegeben habe. Görlng schob dringende Staatsgeschäfte vor. Darauf erklärte der höchste Forstbeamte, daß er die Nachsuche für den folgenden Morgen 5 Uhr ansetze und sich die Ehre geben werde, den Herrn Reichs- forstmeister abzuholen(auf gut deutsch heißt das:»geweckt«). Göring brauste auf und erklärte, wegen dieses Hirschen nicht wichtige Arbeit vernachlässigen zu können und wenige Tage später kam das neue Jagdgesetz mit der obenzitierten Ausnahme­bestimmung.