Nr. 80 BEILAGE.

Neuer Vorwärts

Die Wege der Bestie

10:28

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23. Dezember 1934

Der kleine Saal war gut gefüllt und ren ducrh die Straße. Auf dem Karren,|>> Morgen kommt Besuch der ausländischen auf des Redners Stirn und lächelnd sah er strotzte von Erwartung. Arbeiter, Häus- gebunden und mit einem Strohkranz im Presseschwengel, verstanden Ihr Schweine! zu dem fragenden Jüngling hinab:» O ler, kleine Leute saẞen um die Tische. An Haar, der Ketzer. Neben dem Wagen be- Euch gehts gut, niemand wird geschlagen, doch, es hat sich im Menschen etwas ge­den Wänden lehnten junge Menschen, um waffnete Stadtknechte und Priester, die verstanden? Wer was anders sagt, kann ändert: das sittliche Bewußtsein. Noch im­den Aelteren die Stühle zu lassen. Von den dem Ketzer das Kreuz entgegen halten. seine Knochen im Bunker zusammenklau- mer kann mitten in Europa   eine krankhafte hell gedünchten Wänden ging eine leise Hinterdrein johlendes, lärmendes Volk. ben.<<- Einen Tag später. Dunggrube. Darin Barbarenbande mit Wahnsinn, Greuel, Fol­Frostigkeit aus. Draußen dampfte neblige Handwerker vor ihren Läden.» Seht den ein Rabbiner. Er soll im Mist eine Pre- ter und Menschenschändung herrschen. Aber Nässe und schlug in den Saal herein, des- Schelm! Was hat er getan?<< digt halten, verweigert die Gotteslästerung, wer von ihnen wagt sich zur Bestialität sen Ofen seiner Aufgabe nicht gewachsen Ein Stadtknecht:» Er lästert die Kir- wird geschlagen, bis er zusammenbricht. zu bekennen? Die Greuel früherer Zeiten war. Mit glühenden Backen blies er seine che. Ein Wiedertäufer. Hört sein Geplärr!<< Nach einer Weile steht derselbe Mann die stimmten mit den Gesetzen überein, Wärme in den Raum, aber sie verlor sich Der Ketzer( zu den Priestern):» Ihr an der Dunggrube, soll über jüdische Re- aber wer von den faschistischen Banden­in der Weite. Dann trat der Redner ans habt das Wort eures Meisters geschändet! ligion sprechen. Er beginnt:» Auch für den führern steht öffentlich zu den Schand­Pult und die Erwartung wandelte sich in Ihr dient den Mächtigen! In der Welt jüdischen Glauben gilt als oberstes Gebot taten seiner Prätorianer? Das alles sind Spannung. Mit einfachen Worten begann herrscht Mord und Brand, ihr aber seht zu das große Wort: Liebe Deine Näch-» Mißgriffe untergeordneter Instanzen er; sie trugen die Hörer wie leichter Wel- und mästet gemächlich eure Bäuche! Ist sten...< .< Die Greuel- und Foltergesetze des lenschlag mit sich fort. Bilder entstanden dies das Reich des Friedens und der Men- Scharführer, brüllend:» Hund elender, Mittelalters wagt man nicht. Das sittliche am Horizont, kamen näher und näher und schenliebe- Hellebarden schlagen wir werden Dir die Nächstenliebe rollten auf unsichtbarer Leinwand vor- ihm auf den Mund, die Priester fuchteln| treiben!<< SS  - Leute stürzen sich über.

Römisches Reich  . Ein Mensch

wird von Söldnern durch die Straßen ge­schleppt. Volk wälzt sich hinterdrein. > Kreuziget ihn!» Kreuziget ihn!<< Männer und Frauen bleiben am Wege stehen.>> Was ist mit ihm? Was hat er getan?<» Er hat gesagt, wir alle seien Kinder eines Gottes und seien alle gleich geboren! Habt ihr das schon gehört? Du bist mit deiner Magd und deinem Sklaven gleich!<< Solda­ten mengen sich ins Gespräch:» Er lehrt, liebe deinen Nächsten! Frieden auf Er­den! Du sollst nicht töten! Versteht ihr das? Wir sollen die Gallier lieben? Oder sollen wir uns von den Karthagern über­reden lassen? Er will Roms Waffen schwä­chen; er will unser Handwerk abschaffen, der Narr! Schlagt ihn tot, den Friedens­trompeter!<

Wechsler und Händler treten hinzu. > Er predigt, wenn du zween Hemden hast, so gib eins dem, der keins hat. Er ver­flucht Reichtum und Besitz. Bettler und Sklaven rennen ihm nach. Euer Eigentum ist bedroht. Hast du dir ein Haus erspart, so soll es einem andren gehören! Ein Auf rührer ist er und hetzt die Habenichtse gegen die, die fleißig waren. Ans Kreuz mit ihm!<

Dreihundert Jahre später. Rom  . Kolloseum. Raubtiergebrüll. Dazwi­schen aus den Gefangenenkäfigen der Ge­sang der Christen. Die Tribünen, Ränge und Galerien besetzt. In der Großloge Kai­ ser Diokletian   mit seinen Frauen. Im Ker­kergange der Prokurator zum Hauptmann der Wache:» Bringt mir den Aeltesten der Christen! Was treiben die Aufwiegler, Hauptmann? Habt ihr sie richtig hungern lassen? Noch keiner bußfertig?<<

Hauptmann:» Keiner! Sie singen die frechen Lieder ihres Glaubens vom Gottes­sohn, der Brüderlichkeit und Menschen­liebe gelehrt habe!<<

Prokurator:» Man muß sie ausrotten! Sie bedrohen den Besitz, sie bedrohen den Staat. Das Gift ihrer Lehre dringt ins Heer ein. In Thracien   haben zwei Legio­nen gemeutert und sich mit den Thrakern

verbrüdert!<

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und den

menschen

B

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kein Wohlgefallen

aus- Gewissen der aber Millionen Menschlichen mit ist eine zu starke Macht geworden. Die Untermenschen flüchten in die Heuchelei. Das aber ist die Feigheit des Bösen, das ist die Defensive der Bestie. Sie hat keinen andren Weg mehr!<<

Masochismus

Karl Rothe  .

In Berlin   lebt ein Dr. Max Naumann  , Vorstizender des» Verbandes nationaldeut­scher Juden«, einer Gruppe seltsamer Amok­läufer, die bestrebt ist, antisemitischer zu sein als die Antisemiten. Sie versichern im­mer wieder, daß sie gar nichts, rein gar nichts vom Nationalsozialismus trenne und sie quittieren als echte Masochisten jede Back­feige, die ihnen das Regime verabfolgt, mit umso betäubenderem Heigeschrei. In Paris  geben die antisemitisch- faschistischen » Kreuzritter<< die Zeitung» La Croix<, eine Art Gegenstück zu Streichers» Stürmer< her­aus, das zwischen getarnten Erpressungen und unaufhörlichen Galgenrufen hin- und her­pendelt. In diesem Blättchen ist der Präses der nationaldeutschen Juden zu Wort gekom­men. Und er schreibt, in wörtlicher Ueber­setzung, folgendes:

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es

>> Wir nationaldeutschen Juden hätten es als ein nationales Unglück für Deutschland   und für uns deutschnationale Juden gehalten, wenn Hitler nicht die Geschicke des deut­ schen   Volkes in die Hand genommen hätte.< Es wäre also, sagt dieser Naumann  , ein Unglück für die deutschen   Juden gewesen, wenn man sie nicht in den Konzentrations­lagern mit Nilpferdpeitschen geprügelt und mit Gewehrkolben totgeschlagen hätte wäre ein Unglück für sie gewesen, wenn sie nicht aus ihren Stellungen gejagt, zu Zehn­tausenden brotlos gemacht, nicht zu Parias degradiert worden wären, die man tagtäg­lich, vom Staat gesegnet, mit Schmutz be­werfen darf. Es wäre ein Unglück für sie, wenn sie nicht Freiwild für sadistische, Bur­schen wären, die in die intimsten Bezirke ihres Lebens eindringen, um sie auszurot­ten.<

Diesen Naumann und die Individuen seines Schlages soll man nicht weiter analysieren. Aber es ist vielleicht die widerwärtigste Be­gleiterscheinung eines Systems aus Terror, Blut und Gemeinheit, daß es gespenstische Flagellanten von der Art eines Max Naumann  aus der Linie der Psychiatrie heraushebt und zu einem Faktor der deutschen   Politik werden

Pierre.

Reinrassiges Blut nur den

Der Aelteste der Christen kommt, ein mit ihren Kreuzen in der Luft. Die Armen- Gummiknüppeln und Karabinerkolben auf läßt. Und so sieht die auch aus! Patriarch mit weißem Bart. sünderglocke läutet. den Wehrlosen. Bewußt wird er fortgetra­Prokurator:» In einer Viertelstunde be- Ein Handwerker:» Hast du gehört, gen ginnen die Zirkusspiele, Alter! Eure Frist Nachbar? Wir Nürnberger   sollen mit den ist verstrichen. Ihr lästert unsre Götter; Augsburgern in ewigem Frieden leben?! ihr seid schuld, daß Handel und Wandel Solch ein Schelm!<< stocken; ihr hetzt die Armen wider Staat

und Besitz

den?!<

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wollt ihr dem Kreuz ab­

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Reinrassigen!

Der sogenannte Bluttransfusions- Dienst war für ganz Berlin   bisher beim Virchow­Krankenhaus zentralisiert. Diese Anstalt überwies allen anderen Berliner   Krankenhäu­sern immer nach Bedarf und Anforderung Blutspender. Jetzt hat das Virchow- Kran­kenhaus dem Berliner   Jüdischen Kranken­

ver­

Bis hierher war der Redner gekommen, gebannt und beklommen hatten die Hun­derte gelauscht da geschah der große Hitlerdeutschland. Durch die Aufschrei. Männer sprangen von den Stüh­schwören oder von Tigern zerrissen wer- Straßen rollt langsam ein Lastauto. Oben, len:» Hinweg mit der Schande! Man auf einer Bank sitzend, ein Mann, das muß sich schämen, ein Mensch zu sein!<< Der Aelteste:» Keiner schwört ab! Wir graue Haar in Hakenkreuzform ausge- Der Zornschrei eines ganzen Raumes quoll sind die Diener eines Größeren! Wir töten schnitten. Um den Wagen braune Unifor- empor, selbst die Wände schienen zitternd nicht, ihr tötet. Wir bedrohen keinen Staat, men, Karabiner über den Rücken. Eine und unheimlich belebt. Ein junger Mensch haus und auch den anderen jüdischen Kran­aber der Reichtum bedroht ihn. Eure Göt- johlende Meute, mit Hakenkreuzen ge- aber hatte sich vorgeschoben, sah zum kenanstalten mitgeteilt, daß sie sich vom 30. ter sind tot. Wir fordern gerechtes Leben schmückt, verhöhnen den Mann auf dem Redner auf und fragte in eine plötzlich November ab ihre Blutspender selbst für jedermann. Unser Herr und Meister ist Wagen mit Zurufen. Straßenpassanten wieder atemlos gewordene Stille, mit einer gekommen, um allen Menschen die Bru- bleiben stehen, schauen kopfschüttelnd Stimme, die so scheu klang, als fürchte oder angekelt über das Treiben hin. Einige sich der Jüngling vor der Antwort:» Also Prokurator( dazwischenfahrend):» Ge- Frauen weinen. Eine alte Frau:> Wer ist hätte sich in zweitausend Jahren an den hug von dem Geschwätz! So redet ihr noch das? Weshalb quält man ihn?<< Ein Ar- Menschen nichts geändert? Also lebten wir Auf einer Tagung des Bundes National­immer? Eure Bischöfe predigen bereits beiter:» Ein Schwerverbrecher, Mutter... nur für eine kleine bessere Minderheit? sozialistischer Deutscher   Juristen in München  zahmer. Bringt ihn in seinen Käfig! Macht Er hat Frieden, Brüderlichkeit, Menschen- Oder wäre gar richtig, was die Flauen sagte der Reichsjuristenführer, Reichsjustiz­die Raubtiere frei!<< liebe gepredigt und für die Armen ge- und Feigen sagen: pfeift auf Glauben und kommissar und Minister Dr. Franck: Hauptmann( dem Abgehenden nach- wirkt! Er hat eine Gesinnung, die nicht Ideale, schlagt Euch den Bauch voll, haut » Der Stand der deutschen   Rechtsdiener hat die stolze Aufgabe, die Rechtswache ein verboten, aber auch nicht erlaubt ist... Euren Nächsten übers Ohr des Führers zu sein.<

derliebe

schauend, bewundernd):

>> Welch

Glaube, welch ein Glaube!<<

Mittelalterliche Stadt. Von

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nichts

schaffen müßten.

Ihre Aufgabe

Ein Nazi hört den Arbeiter, man packt hätte sich am Menschen geändert?!<< Das heißt: die deutschen   Juristen haben nicht ihn, schlägt ihn, schleppt ihn mit fort. Tief und befreit schöpfte der Redner über das Recht, sondern über den Führer zu Konzentrationslager. Die Luft, so, als habe der Aufschrei des Saa- wachen. Der Führer hat es nötig, das Recht

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einem Esel gezogen, rollt ein Schinderkar- Häftlinge sind angetreten. Der SS  - Führer: les einen Alb davongefegt. Schweiß glänzte ist ohnehin tot.