Nr. 83 BEILAGE
Neuer Vorwärts
13. Januar 1935
Ihr erlauchter Ahnherr
Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt.| herrschaft sichert, muß es das Beispiel Spa- heldischer Mensch" in solchen Fällen zu mit einer Pistolenforderung antwortete. Goethe. niens hinsichtlich der Judenvertreibung nach- benehmen pflegt: er kniff aufs Kümmer- Jetzt leitete die Staatsanwaltschaft gegen Nein, aus ,, Völkischem Beobachter" und machen. Haut auf die Juden, daß die Fetzen lichste, die ihm zur Last gelegten Aus- Pückler das Verfahren auf Entmündigung ,, Angriff" erfährt niemand die ganze, die fliegen, daß sie all die Kränke kriegen!... drücke seien bildlich gemeint, er habe ,, bloß wegen Geisteskrankheit ein, und da die unverwässerte Lehre des Hakenkreuzes. Nur durch energische rücksichtslose Keile ist die Nation wecken wollen"
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Deutschland , Gutachten der medizinischen SachverstänWer die Hitlerei splitternackt, ohne den die Judenfrage zu lösen, eine andere Lösung erwache!-, und, ähnlich wie der Braun- igen mehr als schlüssig waren, wurde dem schmalsten Lendenschurz vor Augen ha- kenne ich nicht... Warum verdient der Ge- auer in Leipzig seinen Legalitätseid schwor, Antrag im Juli 1908 stattgegeben und der ben will, muß schon den Brechreiz nie- schäftsmann nichts? Warum klagt der Bauer? beteuerte der„ Dreschgraf", er fordere im- ,, Dreschgraf" in einer geschlossenen Anderkämpfen und zum ,, Stürmer" grei- Weil wir dem elenden Judenpack freien Lauf mer nur zu einem„ geistigen Kampf auf stalt untergebracht. Einmal gelang es ihm, fen; sein Julius Streicher ist so begna- lassen und nicht dazwischen hauen, daß die dem Boden des Gesetzes" auf und erzielte zu entspringen, aber man fing ihn wieder det, daß er die rechte nationalsozialistische Fetzen fliegen. Wir müssen die Kerle pak- damit eine Freisprechung. ein und internierte ihn aufs neue. Unbe
Heilsbotschaft förmlich aus dem Halse ken mit eiserner Faust, daß sie bleiches Ent- Das ermunterte ihn, bei nächster Ge- achtet vegetierte er noch eine Weile und stinkt. Der ,, Stürmer" hat denn auch, setzen packt. Nehmen Sie einen Knüppel, legenheit seinen Mistgabelstil noch zu ver- war schon vor seinem Ende von der Oefsich ,, Völkischer Beobachter" und einen Dreschflegel oder eine Mistgabel und gröbern. Neue Anklagen, neue Freisprüche. fentlichkeit ganz und gar vergessen. ,, Angriff" bisher schamhaft versagten, den dann frisch darauf los, juchheissassa! Wir So ging es durch Jahr und Tag, bis sich wahren Ahnherrn der Deutschland- Erneu
was
erer entdeckt; in Nr. 51 des Jahrgangs 1934 steht es in fetten Buchstaben zu lesen: Graf Pückler ,,, ein großer, ein heldischer Mensch", war ,, der große Nationalsozialist einer nichtnationalsozialistischen Zeit". Und zur Probe wird von diesem ,, getreuen Ekkehard des deutschen Volkes" eine Rede abgedruckt. Heil Hitler! Heil Pückler!
zuzu
Pückler? Ist es der Romantiker, der Weltreisende, der Verfasser des ,, Semilasso", der Gartenkünstler von Schloß Muskau? Aber nein, der Fürst Pück ler , dessen Name noch heute lebendig ist, hat mit dem Nationalsozialismus gar nichts zu tun; der Freund Heinrich Heines sprach von der Judenhetze dunkler Jahrhunderte als von einer ,, barbarischen Zeit, in der wir zu unserer ewigen Schmach eine zahlreiche Klasse unserer Mitmenschen verfolgten und erst selbst verderbten, um sie nachher dieser Verderbnis wegen anklagen zu können." Mit diesem freien und offenen Geist hat der heute vollkommen vergessene, aber von Julius Streicher kanonisierte Graf Pückler außer dem Namen und der schlesischen Heimat nichts gemein. Geboren am 9. Oktober 1860 zu Rogan bei Breslau , ochste er sich bis zum Dr. jur. und Referendar durch, um dann abzuschwenken und sich der Bewirtschaftung seines Ritterguts Klein- Tschirne wenden. Erst als er sich dem Schwabenalter näherte, fühlte er die Berufung zur " Politik" in sich und folgte dem Ruf. Binnen kurzem stand er in dem Schwarm der Judenfresser an sichtbarster Stelle- dank seinen Verrücktheiten und vor allem, weil er den Jargon der Zuhälterkaschemme in die Volksversammlung einführte. Empfahl der Dichter: Rede Dolche! Rede Schwerter!", so redete Pückler Dreschflegel und Mistgabeln. Sein Weltbild war ja so primitiv wie Kartoffelfusel. An allem Unheil ist der Jud schuld! Schmeißt den Jud raus! Schlagt den Jud tot! Da er jede seiner Volksreden mit dieser blutrünstigen Weisheit würzte, zog er die Neugierigen zu| Hauf an, die erwarteten. Wenn er über den Ruin der Landwirtschaft durch die Juden zeterte oder die„ Volksgenossen" zum Boykott jüdischer Geschäfte aufforderte, sind die Nazis nur seine Nachtreter; sogar die SA | geht auf ihn zurück: aus Bauern seines Gutsbezirkes bildete er eine Leibgarde, die
nicht umsonst eine Gaudi
Vorbei die Zeit der Rosen
B
Jetzt riechts nach vollen Hosen!
pöbelte auch die Staatsanwälte
er
Am meisten atmeten seine Gesinnungsgenossen auf, als er von der Bildfläche verschwand, denn er hatte die antisemitische Propaganda allzu stark belastet; wer, der sich in den Zielen mit einem Pückler- Klein- Tschirne gemein machte, forderte nicht das Gelächter heraus! Schon als die Verfügung des preußischen Innenministers dem ,, Dreschgrafen" einen Maulkorb vorband, schrieb die ,, Deutsche Hochwacht", das Organ des antisemitischen Deutschen Volksbundes:
jahrelang
,, Nur dadurch konnte Pückler eine an sich gute Sache so unglaublich schädigen, daß andere antisemitische Blätter aus gewinnsüchtiger Absicht es nicht verschmähten, mit Pückler- Reden, die doch nur kindliches Gestammel waren, Geschäfte zu machen. Er und seine Helfer sind den Juden zwar ungewollte, aber tatsächlich beste Bundesgenossen gewesen. Sie alle zusammen haben es erst der jüdischen und judenfreund. lichen Presse ermöglicht, die ernste vaterländische Sache des Antisemitismus in den Augen vieler Außenstehender zu einer bekannten Zirkusfigur zu machen. Wünschen wir Pückler als Landwirt eine gute Kartoffelernte nach dem Motto: Jedem das Seine, aber wünschen wir endlich dem Antisemitismus keine weiteren Auflagen ähnlicher politischer Hanswurstiaden."
Damit schienen die Akten über den ,, Dreschgrafen" für immer geschlossen, bis jetzt der ,, Stürmer" kommt und den„, groBen Nationalsozialisten" auf den Sockel hebt. Nun hat jede Gemeinschaft die Ahnherren, die sie verdient: die Sozialdemokratie die Marx, Engels und Bebel, die Demokratie Leo Waldeck und Jo hann Jacoby , der politische Katholizismus Windhorst und die Gebrüder Reichensperger, der Liberalismus einen Bennigsten und Treitschke , und selbst der Konservatismus Männer von moralischem oder intellektuellem Format, wie Kleist- Retzow und Julius Stahl . Einzig dem Nationalsozialismus blieb es vorbehalten, sich auf einen PücklerKlein- Tschirne zu berufen, auf einen allgemein, selbst von seinesgleichen ausgelachten und verachteten, aber gemeingefährlichen Geisteskranken. Recht so! Das Erschreckende ist nur: damals wurden die gemeingefährlichen Geisteskranken dieses Schlages in eine Gummizelle gesperrt, während sie heute ein Volk von fünfundsechzig Millionen regieren dürfen.
Karl Max.
Steuererhöhungen sind immer eine unange
er sonntags hinter einer Musikkapelle auf- müssen den Juden zur Ader lassen. marschieren und exerzieren ließ. mit dem spitzen Messer, stechen wir hinein, den erlauchten Pogromhetzer zu sechs Die Ausrede Natürlich warf der„, Dreschgraf", wie daß das Blut spritzt! Wir müssen schnei- Monaten Gefängnis verurteilte. Er tobte er bald allgemein hieß, auch„ Marxisten" den, schneiden, schneiden, bis das Judentum wie ein Wilder und bedachte den Vorsit- In der bayrischen Stadtgemeinde Eichund Juden in einen Topf, wenn er loslegte: herausgeschnitten und beseitigt ist." rozenden des Gerichts mit einer Pistolenfor- städt hat die braune Stadtverwaltung die ,, Die Juden haben die Gastfreundschaft, Welche Plagiatoren sind doch trotz ihrer derung, was ihm mehrere Monate Fe- Bürgersteuer von 400 auf 600 Prozent erhöht. die Deutschland ihnen großmütig gewährt Virtuosität im Auskotzen von Gemeinhei- stungshaft eintrug. Deshalb schrie hat, schamlos mißbraucht. Deshalb muß sich ten die Hitler , Göbbels , Göring weiter sein: Haut die Juden!, aber er nehme Sache, und sie sind es erst recht für das deutsche Volk ermannen und von ihrer und das andere Kleinzeug! die diese Leute, die ihren abergläubischen WähFremdherrschaft befreien. Man muß Juden Nur war in einem geistig immunen Volk gegen ,, die Vorkämpfer des Deutschtums" lern ja ein steuerfreies Paradies versprochen und Demokraten mächtig auf das Angesicht mit gesicherten Rechts- und Anstandsbe- zu Felde zögen, den Reichskanzler Bü- haben. Also braucht man eine populäre schlagen, damit sich das ganze freche vater- griffen die Wirkung anders als heute. Die low, der sich nur durch die ,,, Judenpresse" Begründung für das Ungemach. Und man landslose und revolutionäre Gesindel in die allermeisten Hörer nahmen Pückler, wenn im Amt halte, und Wilhelm in Person, hat sie gefunden. Nämlich entlegensten Winkel verkriecht, erschreckt er Beschimpfungen und Morddrohungen der, von Juden und Judengenossen umge- allen Ernstes: Hätten die früheren Stadtverund verängstigt durch die rauhe und zornige ausspuckte, lediglich als dummen August, ben, am Untergang des Staates und der Waltungen in der Systemzeit die SteuerTatkraft der Germanen... Unter dem Einfluß über den sie Tränen lachten. Die andern Vernichtung des Deutschtums schuld sei. sätze bereits gesteigert, so müßten sie nicht das Volk seine Antisemitenhäuptlinge, eine so wenig lek- Schließlich erließ der preußische Minister erst jetzt erhöht werdenè und die Gesundung der kere Gesellschaft sie waren, empfanden des Innern ein Redeverbot gegen Pückler; Richtig Volksseele ist nur zu erhoffen, wenn es heißt: doch etwas wie Scham Raus mit der Judenbande! den hem- auch den amtlichen Stellen dämmerte all- an allem schuld. Hätten z. B. schon die WelIch bin sehr da- mungslosen Gossenton des Herrn für, daß man den treulos Gewordenen, vor Klein- Tschirne, so von mählich, was jedem Einsichtigen längst marer Koalitionsregierungen die Röhm, Ernst daß sie ihn mehr als klar war, daß nur ein krankes Hirn solche usw. erschossen, so hätte es nicht erst der allem also den Sozialisten, die Treue wieder einmal im Reichstag oder sonst in der Blasen werfen könne. Schon in dem Ber - arme Hitler tun lassen müssen. Das ist so einbläut, nötigenfalls mit dem Knüppel in der Oeffentlichkeit unwillig abschüttelten. Die liner Prozeß gegen den ,, Dreschgrafen" klar wie Kloẞbrühe!
des jüdischen Geistes Ideale verloren,
hat
über
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so sagt man
das vermaledeite» System< ist
Hand. Hart, rauh und gewaltsam muß unser Staatsgewalt endlich konnte auf die Dauer hatte ein Psychiater von Ruf und Erfah-| Volk werden, wie ein Löwe muß es mit ge- der wilden Aufreizung zu Gewalttaten rung, Dr. Neumann, dargetan, daß der St. Nikolaus auf Nazi. Die Berliner Nazis waltiger Pranke alles kurz und klein dreschen, nicht untätig zusehen; es gab noch einen Angeklagte zweifellos geisteskrank und im veranstalten im Lustgarten eine Weihnachtswas wagt, ihm Widerstand zu leisten. Zu Bo- Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches, Sinne des Paragraphen 51 der Strafpro- messe. Sie ließen einen Weihnachtsmann feierden mit dem ganzen Semitenpack, und man auf Grund dessen gegen Pückler Anklage zeßordnung nicht verantwortlich sei; er lich durchs Brandenburger Tor einziehen. Er 1st aus allen sozialen und nationalen Nöten erhoben wurde. Aber siehe, vor Gericht fand seine Ansicht bestätigt, als das Ob- Nächstens wird der liebe Gott à la suite der trug unter einem Mantel SA- Uniform. heraus! Damit Deutschland sich die Welt- benahm er sich, wie sich ,, ein großer, ein jekt seiner klinischen Beurteilung prompt SA gestellt!