Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia"- Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 88 SONNTAG, 17. Februar 1935

Aus dem Inhalt:

Hitlerfett das teuerste der Welt

-

Vertrauensratswahlen

wahlen

G

Streicher und Salvarsan Krankenkassen- Skandal in Berlin

50 Jahre Zuchthaus

Kampf der Justiz gegen das Recht

Protest­

Das Oberste Landesgericht in Mün' keit des Obersten Landesgerichtes zu den von Jammer und Not, die das für die An- kanzlers und Abgeordneten von Franken, chen hat viel Arbeit. Wie aus der Presse Geboten der Moral und des Rechtes steht. gehörigen der Verurteilten mit sich bringt, Hermann Müller . Sie ist noch immer die hervorgeht, hat es am 5. Februar 36 Män- Aber vielleicht ist es nicht so überflüssig, ist nicht zu ermessen! Aber wenn einige Partei, die aus den Trümmern des geschla­ner und Frauen, die im Verdacht standen, den Nachweis zu führen, daß diese Tätig- tausend Sozialdemokraten eingesperrt genen Kaiserreichs einen modernen Kul­in Franken und der Oberpfalz einen ge- keit niemals den Zweck, zu dem sie aus- sind, so bleiben immer noch Millionen, turstaat schuf mit freien, gleichberechtig­heimen Funktionärapparat aufgezogen zu geübt wird, erreichen kann. Lassen wir und unter diesen Millionen werden immer ten Bürgern und sozialen Arbeiterrechten. haben, zu insgesamt 50 Jahren Zuchthaus die Zahlen sprechen. In den letzten Jah- wieder Tausende und aber Tausende freu- Sie ist noch immer die Partei der Freiheit and 20 Jahren Gefängnis verurteilt. ren waren es 7 bis 9 Millionen Männer und dig bereit sein, dasselbe zu tun, wie ihre und der Menschlichkeit. Sie ist geblieben, Die Welt ist gewohnt, Nachrichten wie Frauen, die sich regelmäßig bei den Wah- Genossen, die im Zuchthaus sind. Sie wer- was sie war. Geändert haben sich die diese mit einem bedauernden Achselzuk- len zur Sozialdemokratie bekannten. Von den versuchen, miteinander Verbindung zu deutschen Zustände, und zwar so, daß ihre ken hinzunehmen. Vielleicht wird sie aber diesen 7 bis 9 Millionen ist nur ein Teil halten und aus der großen Welt, in der es Stellung zu ihnen keine andere sein kann doch ein wenig aufhorchen, wenn sie den Schwimmholz, der andere ist durch viele noch hell ist, etwas Licht in die deutsche als die der vollkommensten Ablehnung, der folgenden trockenen Zusatz aus Gerichts- Jahre, ja durch Generationen, mit der so- Finsternis zu bringen. Und das ist es ja, totalen Verneinung. Deutschland von die­berichten zur Kenntnis nimmt:» Der Fort- zialdemokratischen Arbeiterbewegung ge- wofür man heute in Deutschland ins Zucht- sen Zuständen zu befreien, so zu befreien, gang des Prozesses wird das Oberste Lan- sinnungsmäßig verbunden. Es ist kein Zu- haus kommt! daß von ihnen nichts übrig bleibt, ist ihr desgericht noch auf Wochen hin- fall, daß in den Sozialistenprozessen des Um das Gewissen der Richter zu er- heiliges Ziel. Um dieses Zieles willen wer­aus beschäftigen.<< Dritten Reiches oft ganze Familien, Brü- leichtern und das Volk zu beruhigen, pfle- den immer wieder Tausende bereit sein, Die 36 Verurteilten, die 50 Jahre Zucht- der, Väter und Söhne, Mütter und Töch- gen die öffentlichen Ankläger zu sagen, lieber den braunen Zuchthauskittel zu tra­haus und die 20 Jahre Gefängnis sind also ter gemeinsam auf der Anklagebank er- daß die Sozialdemokratie heute nicht mehr gen, als das braune Hemd der Sieger von nur ein Anfang. Das gleiche Schicksal, scheinen. Das kann gar nicht anders sein dasselbe sei wie einst. Das ist eine Lüge. gestern. Der Zuchthauskittel ist jetzt das das jene Tapferen erlitten, ist noch hun- bei einer Bewegung, die seit Jahrzehnten Die Sozialdemokratie ist heute noch die- deutsche Ehrenkleid geworden. Die Zahl dert anderen zugedacht. Dabei handelt es in Deutschland Boden gefaßt hat und die selbe wie in jenen Zeiten, in denen deutsche derer, die es tragen, beweist, daß der Sinn sich um ein verhältnismäßig kleines Ge- heute noch Millionen unerschütterlich Staatsanwälte Aufträge sozialdemokrati- für Wahrheit und Ehre in Deutschland biet. Man muß die München - Nürnberger treue Anhänger zählt. scher Vorgesetzter gehorsam auszuführen nicht erstorben ist, daß der Sinn für Recht Zahlen mit einer unbekannten, nur zu Was bedeutet es da schon, wenn man pflegten. Sie ist noch immer die Partei und Menschenwürde, daß die Hoffnung auf schätzenden Zahl multiplizieren, um zu ein paar tausend Sozialdemokraten in die des ehemaligen Reichspräsidenten Fried- den Sieg der Freiheit- daß die So­einer Vorstellung davon zu gelangen, wie Zuchthäuser sperrt? Gewiß, die Summe rich Ebert und des ehemaligen Reichs- zialdemokratie noch lebt. es jetzt in Deutschland zugeht. Deutschlands Zuchthäuser sind heute nicht mit Brandstiftern, Mördern und Die­ben angefüllt, von denen die meisten viel­mehr frei herumlaufen, sondern mit Män­Frauen, die früher Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gewesen sind und die im Verdacht stehen, ihrer Sache treu geblieben zu sein. Diese Männer und Frauen sind Träger einer geschichtlichen Tradition und einer Weltanschauung, die einmal in Deutschland maßgebend wirk­sam gewesen ist und die heute noch einen großen Teil der Welt beherrscht. Sie In der Allgemeinen Ortskrankenkasse Entlassungen doch erfolgen sollten, die vor, daß die Versicherten einfach zu we­haben die Idee der geistigen Freiheit Berlin , auf die sich die braunen Aasgeier Partei im Rahmen des neuen Arbeitsbeschaf- nig Krankengeld erhalten. Die Ab­und der staatsbürgerlichen gestürzt haben, ist ein Riesenschwindel fungsprogramms alle Entlassenen unterbrin- rechnung für die Arbeitgeber für die Mo­Rechtsgleichheit vertreten und auf geplatzt. Das Rechnungswesen ist völlig gen würde. Er stellte weiter den mit ihrem nate November- Dezember ist noch nicht sie den deutschen Staat aufzubauen ver- durcheinander, Mißwirtschaft und Unter- Gehalt Unzufriedenen anheim, sich in der heraus und da die Karteien nicht in Ord­sucht. Um dieser Idee willen wirft man schlagungen sind so ungeheuerlich, daß Privatindustrie besser bezahlte nung sind, werden sie überhaupt nicht sie heute in die Zuchthäuser und die Ge- das System selbst sich zu einer Reini- Stellungen zu suchen. Den sehr zahl- mehr ordnungsgemäß nachgeholt werden fängnisse. Wie es ihnen ergeht, so würde gungsaktion gegen die braunen Parasiten reich

nern und

Korruption,

loxub

wohin wir blicken!

Riesenschwindel bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin

In der zweiten Hälfte des Januar fand ein

es allen Politikern der zivilisierten Welt entschließen mußte. ergehen, wenn sie das Unglück hätten, Un­tertanen des Dritten Reiches zu sein, den allgemeiner Betriebsappell der AOK Berlin | englischen Konservativen, den amerikani- statt. Der stellvertretende Gauleiter Staats­schen Republikanern und selbst den Angehörigen der rechtesten schen Angestellten eine drohende Rede. Rechtsparteien in Frankreich .

Demokraten, rat Görlitzer hielt den nationalsozialisti­

Die Denn es Abteilungsvorsteher mußten ihre Abteilung

ist ja nicht die bestimmt sozialdemokra- in der großen Abfertigungshalle in der Runge­

vertretenen an Lebensjahren jungen können! >> alten Kämpfern< sagte er,

daß sie nach seiner Meinung nicht dazu Rosenberg und der Index

berufen seien, als Krankenkassenangestellte zu sterben( Dienstpflicht!).

Hierauf ein Husten und Räuspern der Ent­täuschten und der allgewaltige G.:» Ich muß um Ruhe und Aufmerksamkeit ersuchen.<<

Die weiteren Ausführungen ergaben die

Feststellung, daß man die frühere marxi­

land geächtet ist, es ist die freiheitliche missar melden. Dieser meldete dann den Ge- stische Kassenverwaltung und die früheren Gesinnung überhaupt, mehr noch, jede Art samtbetrieb dem mit großem Gefolge erschie- Angestellten für die heute verfahrenen Zu­von Gesinnung, die der herrschenden Rich- nenen Pg. Görlitzer. tung gegenüber ihre Selbständigkeit zu

wahren versucht.

Die in

Franken und der Oberpfalz beheimatet. zu

stände nicht verantwortlich machen kann. Herr G. wörtlich:» Wir haben eine saubere Verwaltung übernommen.<<

Das sagt genug. In Nürnberg , der Haupt- sprach weiter davon, daß er persönlich der den verschiedensten Cliquen nicht durchset­

stadt

von

Die» Germania « schreibt:

» Das erzbischöfliche Ordinariat in Frei­ burg stellt in einem Erlaẞ fest, daß neuer­dings in einzelnen Tagesblättern von der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums in auffallender Weise Propa­ganda für Rosenbergs> Mythus des 20. Jahrhunderts< gemacht werde. Auch wird immer wieder in Schulungsla­gern und Einführungskursen in die NS­Weltanschauung der» Mythus < als ein par­teiamtliches Lehrbuch ausgegeben und emp­fohlen. Demgegenüber betont das erzbi­schöfliche Ordinariat im Interesse der Klar­heit, daß sowohl die maßgebenden amt­lichen Stellen wie auch Rosenberg selber das Buch stets als Privatarbeit bezeichnet haben.<<

Warum nicht ein­

Görlitzer begann seine Ausführungen mit der Feststellung, daß die Durchsetzung der München Verurteilten waren in Belegschaft mit 90 Prozent Nationalsozialisten Der letzte Teil der Ausführungen galt dem besonderen Leistungen verpflichte. Er neuen Reichskommissar, der sich gegenüber herrscht Julius Auffassung sei, zen kann. G. stellte fest, daß Hoffmeister ein Warum so schüchtern? daß es ein großer Fehler des inzwischen alter Pg. sei und durch das besondere Ver- fach die Mitteilung, daß Rosenbergs Buch seit abberufenen Pg. Diewitz gewesen sei, einen trauen und auf Wunsch des Führers berufen langem auf dem Index, auf der Liste der für alle Katholiken verbotenen Bücher steht? so erheblichen Teil der eingearbeiteten An- wurde. gestellten zu entlassen.

Franken,

Streicher, den Hitler eben erst wieder besucht hat, um ihm zu seinem 50. Ge­

burtstag

zu

Streicher ist für die ganze Welt ein Pro­

gratulieren. Der Name Julius

Streichers, Gegner

In das zum Schluß ausgebrachte>> Sieg

Sehr interessant war die Mitteilung, daß dies Heil< stimmten nur wenige der Anwesenden Der bekannte kleine Druck

des Streicherpro- nicht der einzige Vorwurf ist, den die Partei ein.

nicht Diewitz und den anderen abberufenen lei- Wir können zur Ergänzung noch fol­

Aus Hitlerdeutschland wird berichtet: >> Das badische Sondergericht verurteilte

gramms. Sie haben sich erlaubt öffentlich, sondern in eng vertrautem Zir-| tenden Angestellten: Dr. Rotter, Dr. Wal- gendes feststellen: Die Verwaltungskosten einen Angeklagten wegen Einschmuggelns

kel

eine andere Meinung zu vertreten ther und Deutsch macht. Er fügte aber haben im Jahre 1931 10.78 Prozent betra­

illegaler Schriften in dem bekannten

als die in Franken jetzt landesübliche. gleich hinzu, daß der Betriebsappell nicht die gen, 1934 dagegen 22.6 Prozent. Neuer- kleinen Druck zu drei Monaten Ge­

-

Dafür sind sie zu Zuchthaus - und Ge- Stelle sei, um über Einzelheiten zu sprechen. dings ist der ganze Vorstand wegen Unter- fängnis.<< fängnisstrafen verurteilt worden. Dafür( Wie konnte er auch mitteilen, daß sich die schlagungen verhaftet worden. Der frühere

sollen noch hunderte andere ins Zucht- Staatsanwaltschaft

Das ist ein unfreiwilliges Geständnis der für die Herren interes- Generaldirektor Die witz, der seinerzeit Diktatur über die Wirksamkeit unserer Ar­

haus, die im Untersuchungsgefängnis auf siert, weil sie das Kassenvermögen für das die erste NS- Zelle in der AOK gebildet beit. Sie hat sich durchgesetzt, sie ist nicht

ihren Prozeß warten.

Nach diesen einfachen Feststellungen

ihrige hielten!)

hatte, wurde aus dem Sanatorium heraus mehr zu unterdrücken! Der» bekannte verhaftet. kleine Druck« wird aller Henkerjustiz Die Miẞwirtschaft in der Krankenkasse zum Trotz bestimmt noch viel bekannter falls ist ungeheuerlich. Es kommt immer wieder werden!

G. widersprach den Gerüchten, daß um­

bedarf es kaum noch vieler Worte, um das fangreiche Kündigungen geplant seien,

Verhältnis

klarzulegen, in dem die Tätig- um sofort darauf hinzuweisen, daß,