Nr. 9? SONNTAG, 21. April 1935SPocfottfrta#Verlag: Karlsbad, Hans„Graphia*— Preise nnd Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte SeiteAus dem Inhalt:Die Hochzeiten des Dritten ReichsWegräumung PolensWolken am braunen WirtschaftshimmelHitlers geistiger NährvaterWelturteil gegen HitlerDas System isoliert— Sammlung der GegenkräfteDie brutale Machtpolitik des Hitler-systems hat zu einer moralischen Verurteilung Deutschlands geführt. Der Völkerbundsrat hat einstimmig die von dendrei Locamomächten vorgelegte Resolution angenommen. Diese Resolution istein furchtbares Dokument Sie schleudertBeschuldigung auf Beschuldigung gegendie Regierung des Dritten Reiches, sieendet mit der Bekundung des Entschlusses gegen weitere Vertragsbrüche und Angriffe mit Sanktionen vorzugehen. Siezeigt die Regierung des Dritten Reiches alsden von allen mit Mißtrauen beobachtetenvoraussichtlichen Angreifer im nächstenWeltkrieg.Die Isolierung ist vollkommen. Wohl geht das diplomatische Spielweiter, wohl kann die Konstellation sichändern, aber die Wucht einer solchen feierlichen Verurteilung prägt sich dem Gedächtnis der Völker ein und entschwindetdaraus nicht von heute auf morgen. DieRegierung des Dritten Reiches hat, indemsie diese Beurteilung provozierte, einVerbrechen am deutschenVolke auf sich geladen, das vielleichtunter der Wucht dieser Anklage noch leiden wird, wenn das Hitlersystem schon derGeschichte angehört.Sie mögen nun wieder, wie im Weltkriege, in Deutschland sagen:»Feinderingsum, mag es sein!« Sie mögen in ihrerblinden Anbetung der nackten Gewalt sichüber die Bedeutung eines solchen Urteilshinwegsetzen und meinen, daß sie nun erstrecht die Politik der grenzenlosen Rüstungohne Rücksicht auf den Weltfrieden fortsetzen können und müssen— aber dasVolk wird es büßen müssen, wenn der Tagda ist, den sie entgegensteuern.Sic dürfen sich keinen Illusionen mehrdarüber hingeben, wie die Welt aussehenwird, wenn dieser Tag da sein wird! Diedrei westlichen Großmächte, England,Frankreich und Italien, stehengeschlossener als jemals zuvor seit demAustritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Die politische Konzeption der Hitler und R o s e n b e r g, die Spekulationauf die Gewinnung Italiens und Englandsals Bundesgenossen, hat eine Probe aufsExempel erfahren. Mussolini— einstder Heros der Nationalsozialisten— istheute eine treibende Kraft für die Machtsammlung gegen Deutschland, und dieenglische Politik hat erkennen lassen, wo und wie sie im Emstfalle stehenwird.Nim erheben sich in Deutschland Stimmen der Wut und der Verblüffung, nunertönt das Stichwort»Neue Kriegsschuldlüge«, nun zeigt sich wilde Empörunggegen die englische Politik— wie imAugust 1914.»Neue Kriegsschuldlüge«—dieser Aufschrei ist der Ausfluß desbösen Gewissens. Sie fühlen esjetzt, daß sie nicht mit dem Evangeliumder nackten Gewalt die Welt überrennenkönnen, sie schreien auf unter der Stigmatisierung, die auf einer Wahrheit beruht, die ein gewaltiger Weltbund anerkennt. Neue Kriegsschuldlüge und alteKriegsschuldlüge— es ist wahr, daß 1914das deutsche Volk den Krieg nicht gewollthat, aber es ist tausendmal wahr,daß eine wahnwitzige, großmäulige, mitdem Säbel rasselnde Politik der kaiserlichen Regierung, die immer mehr dem alldeutschen Einfluß verfiel, der ganzen Weltdas Bild eines bösartigen, Gewalt überRecht setzenden Angreifers geliefert hat.Und heute ist es tausendmalschlimmer! Dies System, das mitGewalt das Volk niederhält, ist die Verkörperung der wildesten alldeutschen Tendenzen, die Anbetung der nackten Gewalt SeinWirken ist eine einzige Bereitstellung allerKräfte des Volkes für den Krieg. Militärmacht und Krieg sind die obersten Lebensziele der Männer des Systems, vor denenalles versinkt. Dies System— dasist der Krieg! Und so groß wie seinVerbrechen gegen den Frieden ist, so großist auch das Verbrechen, daß es nun wieder zugleich seine Schuld und sein Verbrechen auf die Schultern des unglücküchendeutschen Volkes wälztEs hat genug Beschlüsse des Völkerbundes gegeben, die Papier geblieben sind,es existieren viele Verträge, die heute somißachtet werden, daß sie vielleicht nichtmehr das Papier wert sind, auf dem siestehen. Aber wir warnen eindringlich, dieBedeutung dieser einstimmigen Verurteilung Deutschlands durch den Völkerbundsrat zu unterschätzen. Sie hat heutemoralisch isolierende Kraft— aber ihreganze große Bedeutung würde erst hervortreten. wenn unglücklicherweise alle Bemühungen zur Erhaltung des Friedens versagen sollten!Dieser Beschluß des Völkerbundsrateshat nicht nur moralische, sondern unmittelbar praktische Bedeutung.Gegen die Fortsetzung der Politik desDritten Reiches, vollendete Tatsachen zuschaffen, steht nun die Drohung mit Sanktionen und darüber hinaus noch die Drohung, die in der feierlichen Bekräftigung des Loc arnopaktesdurch seine Garanten liegt. Es gibt aufdem Gebiete der deutschen Aufrüstungimmer noch Dinge, die vertragsmäßig verboten und dennoch von großer Bedeutungfür die Vollendung der deutschen Rüstungsind: die Verlegung von Truppen und Flugzeugen in die entmilitarisierteZone am Rhein, die Befestigung derlinksrheinischen Brückenköpfe und derSchwarzwaldhöhen. Wird hier der Versuchder Fortsetzung der Politik des 16. Märzunternommen, so ist nun durch feierlicheninternationalen Beschluß den Bedrohtendas Recht zur Abwehr zugestanden!Die Niederlage des Dritten Reiches inGenf hemmt zugleich seine Hoffnung, durchdie Demonstration seiner militärischenKraft die Konstellation zu sprengen undBundesgenossen an sich heranzuziehen.Das Verhalten des polnischenBundesgenossen ist überauslehrreich. Seine Abstimmung gegenDeutschland ist ein Ausdruck der Stärkedes Weltbundes gegen das Dritte Reich,ein Zeugnis für die Kraft und Bedeutungder moralischen Verurteilung. Wenn England und Italien, Frankreich, Sowjetrußland und die Kleine Entente einig sind,steht dem Dritten Reich eine vernichtendeUebermacht gegenüber, die auch bei stärkster Rüstung und verzweifeltester militärischen Anstrengung des Hitlersystemsihm keinerlei Siegeschancen läßt. DaßDänemark sich der Stimme enthaltenhat, ändert das GesamthUd in nichts. Daskleine Land will sich nicht auf Grund seiner Abstimmung deutschen Repressalienaussetzen, aber mit welchen Gefühlen seinesozialdemokratisch geführte Regierung demHitlersystem und seiner Kriegsvorbereitunggegenübersteht, daran ist nicht der mindeste Zweifel.Es haben mit den Großmächten gestimmt, Spanien und Australien, wie diesüdamerikanischen Staaten. Es ist einWelturteil— ein Urteil gegen Hitler und die Grundgedanken seiner Politik und seines Systems.Nun steht das Dritte Reich da in seiner Kriegsrüstung, die es sich unter Vertragsbruch gegeben hat— aber das istnicht die wahre, die allein selig machendeStärke, die Stärke, die Glied einer friedlichen Ordnung ist, ea ist die Stärke, diemit dem Mißtrauen und dem Haß der Völker, mit der völligen Isolierung bezahltwird! Es ist die Demonstration des reaktionären Charakters eines Systems, dasmit dem Glück und der Zukunft des deutschen Volkes, wie mit dem Frieden derWelt unvereinbar ist. Eis ist eine ewigeKriegsdrohimg, die erst mit dem Sturzdes Systems endgültig gebannt seinwird.Der diplomatische Kampf wird weitergeben. Alle Fragen der europäischen Po-ütik werden in den nächsten Wochen berührt werden; Donaupakt und Balkanpakt, und schon zeigt sich, daß dieFragen des nahen Ostens, so die Dardanellen-Frage, hineinspielen. Der Wegfür den wirklichen Ostpakt, derdem Expansionsdrang des Dritten Reichesnach Osten einen Riegel vorschieben wird,scheint nun frei zu sein. Noch ist die Gefahr nicht gebannt und die Politik def>Dritten Reiches wird alles an alles setzen,um aus der Erstarrung wieder in die Bewegung zu kommen, um die Klarheit derSituation zu trüben, um im Trüben fischenzu können.Aber eine ungeheure Warnung isterteilt, eine Warnung vor alleman das deutsche Volk: Mit diesemSystem geht es einem neuen Kriege, undin einem neuen Kriege einer neuen Niederlage entgegen. Neue Niederlage bedeutetden Untergang, Rettung liegt nurim Sturz des Systems!Wegräumung PolensRosenberg zum östlichen Nichtangriffspakt*Hitler hat seine Bereitwilligkeit erklärt,einem östlichen Nichtangriffspakt beizutreten, auch dann, wenn einige Teilnehmer dieses Paktes unter sich besondereAbkommen schüeßen sollten, in denen siesich zur gemeinsamen Abwehr eines Angreifers verpflichten. Grundsätzlich Neuesenthält diese Bereitwilligkeitserklärungeigentlich nicht. Denn Deutschland hatschon seit Rapallo und dem Berliner Vertrag ein Freundschaftsabkommen mitSowjetrußland, es hat schon in Lo-carno einen Nichtangriffspakt auch mitPolen geschlossen, der von Hitler durcheinen neuen Nichtangriffspakt verstärktworden ist. Andererseits hatte(oder hat?)Polen einen müitärischen Bündnisvertragmit Frankreich, der es auch ohne neuePakte verpflichten könnte, gemeinsam mitder kleinen Entente gegen einen Angreifer im Osten vorzugehen.- Der praktischeWert aller dieser schon bestehenden odernicht mehr bestehenden oder noch ungeborenen Verträge läßt sich schwer abschätzen.Wahrscheinlich ist er auch nicht viel größer, als der Wert des Teil V des Vertrages von Versailles, der von der deutschenAbrüstung handelt. Wichtiger und interessanter als diese Pakte, die wie Wolkengebilde am Himmel entstehen, ineinanderfließen und wieder verschwinden, sind diegroßen politischen Strömungen, die diesehimmlischen Erscheinungen zum Entstehenund wieder zum Verschwinden bringen.Darum verdient eine zu Unrecht verschollene Schrift des führenden Außenpolitikers der NSDAP Alfred Rosenberg heute besonderes Interesse. Sie heißt»Der Zukunftsweg einer deutschen Außenpolitik« und ist im Jahre 1927 im offiziellen Parteiverlag von Franz EherNachfl. in München erschienen. In ihremAufbau und in ihren Ausführungen stelltsie eine eindrucksvolle Ergänzung deraußenpolitischen Richtlinien dar, die Hitler in seinem Buch»Mein Kampf« vorgezeichnet hat.Grundlegend wie bei Hitler ist der Gedanke, daß Deutschland die Bundesgenos-senschaft Englands und Italiens gewinnenmuß, um den französischen Todfeind zuvernichten. Auch für Rosenberg ist aberdie Vernichtung Frankreichs nicht Selbstzweck, sie ist nur Sicherung des Rückensbei der Lösung der eigentlichen deutschenAufgabe Raumim Osten zu gewinnen.So heißt es gleich am Anfang der Schrift;»Mit der Erkenntnis, daß das deutscheVolk, will es nicht In des Wortes wahrsterBedeutung untergehen, eigenen Grund undBoden für sich und seine Nachkommenbraucht, und mit der zweiten nüchternen Einsicht, daß dieser Boden nicht mehr In Afrikaerobert werden» kann, sondern In Europa, Inallererster Linie im Osten erschlossen werdenmuß, mit dieser Erkenntnis ist die organische Einstellung einerdeutschen Außenpolitik für Jahrhundertegegeben. Denn aus diesen Erkenntnissen ergibt sich die grundlegende Frage, welcheMächte stehen einerstärkeren Ausweitung, z. B. nach Polen,feindlich gegenüber? Und wessen Staats-Interessen werden durch diese deutsche Raum-ersch ließung nicht berührt, vielleicht sogarmit gefördert? Auf die erste Frage gibt esnur eine Antwort: Frankreich und Polen(Rußland ist ein Problem für sich). Die zweiteFrage läßt sich mit England und Italien beantworten.... Da man in Paria in Erkenntnisseiner Inneren Schwäche Bundesgenossenbraucht, so Ist auch Polens Sache seine ureigenste Angelegenheit, wie die BewaffnungRußlands vor dem Kriege war.«Den Wert Polens als Bundesgenossenschätzt Rosenberg allerdings äußerst gering ein;»Einen aktuellen Kampf gegen Rußlandmöchte Polen natürlich— mit dem Ziel derEinverleibung Weißrußlands— gerne führen,doch Ist man sowohl In Warschau wie InLondon sich darüber Im klaren, daß Im Ernstemit diesem politischen Völkergemlschkein wirklicher Krieg gefUhrt werdenkann.«Ueberflüssig zu sagen, daß Rosenberg