Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad  , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 99

SONNTAG, 5. Mai 1935

Aus dem Inhalt:

Sozialdemokratische Blutopfer

Deutsch  - polnische Verstimmung Konzil der Messerhelden

Braune Wirtschaftsdämmerung

Neuer Rechtsbruch des braunen Systems

Ein

Gewaltsame Entführung aus der Tschechoslowakei  

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Am 27. April wurde vor dem Grenz- nung pervertieren und den Glauben an Rechtsordnung. Man mag sie als ten Fronten geschaffen. | Die Schweiz   ist bahnhof Eisenstein   der deutsche   Emigrant die allein selig machende Gewalt stärken Einzelfälle von minderer politischer Bedeu- eines der Objekte alldeutschen Erobe­Lampertsberger auf tschechoslowakischem muß. Hier liegt eine ungeheure Gefahr für tung beiseite schieben, aber in ihrer Sum- rungswahns, sie ist ein um so hervorragen­Gebiet von deutschen   Gestapobeamten die europäischen   Länder, die dem Natio- mierung gelangen auch sie zu mächtiger deres Objekt, als ihre gesamte staatliche überfallen. Er wurde trotz Gegenwehr, nalitätenprinzip ihre Existenz verdanken Wirkung und es ist schon eine grauenvolle Existenz bis zum letzten auf friedlichem trotz Einschreitens eines tschechoslowaki- und nicht zu den europäischen   Großmäch- Summierung, auf die wir zurückblicken. Recht beruht. Sie wehrt sich, sie muß sich schen Beamten zu Boden geschlagen, auf ten zählen. In einem Weltbild, das nur Die gesamte Politik des braunen Sy- wehren um der Erhaltung der Grund­reichsdeutsches Gebiet geschleppt und in den Großen Rechte zugesteht und in den stems ist auf Lockerung des Gefüges lagen ihrer Existenz willen. Der Fall Lam­einem bereitstehenden Auto entführt. Ein Kleinen nur Objekte sieht, ist für diese Europas   gerichtet. Sie will die Großen pertsberger aber zeigt, daß sie sich für alle bayrischer Gendarm beteiligte sich mit Länder kein Platz. Das braune System trennen, die Kleinen in ihrem Gefühl der wehrt, gegen die das braune System des gezogener Pistole an der Entführung. vertritt ein Weltbild, das bereits durch mo- Sicherheit erschüttern und wankend ma- Rechtsbruchs sich kehrt, und das sind dernere, humanere, rechtlichere Auffassun- chen. Sie will Furcht einflößen und wo in erster Linie die Länder, auf die der neu­neues Verbrechen des Mörder- gen verdrängt zu sein schien, das sich sie Furcht erkennt, wird sie um so bruta- geborene Militärkoloẞ Hitler- Deutschland vorn ler, mit um so größerer Verachtung des als minderwertige Gegner herabblickt. systems, ein neuer Schlag ins Gesicht der jedoch wieder mit Gewalt nach Nachbarländer Deutschlands  ! Der Fall schiebt. Es ist jene Gewalttheorie, die den Rechts einsetzen. Sie hat für das Recht Jacob schwebt noch, eben eben teilt die alldeutschen Phantasien zugrunde liegt, des Schwächeren nur Verachtung. Sie trägt die ihr eigenes Recht und ihre brutalen Metho- Noch zu viele Schweizer   Regierung mit, daß sie nun das von der die Totalitätstheorien, wie Haager Schiedsgericht anrufen werde. Wir nach großen Räumen greifenden Erobe- den schonungslos über die Grenzen- hat fürchten, daß auch ein Rechtsspruch des rungsideologien, ausgestrahlt sind. Es ist sie nicht im Falle Formis bis ins Herz der Haager Gerichtshofes nur den zynischen die Hegelsche Staatstheorie, die in ihrem Tschechoslowakei   gegriffen? wahren Wesen unvereinbar ist mit der Wir werden nicht aufhören, diese Po Hohn des braunen Systems hervorrufen wird; denn die Rechtsmoral des Dritten Existenz eines wirklichen Völkerrechts. litik der braunen Machthaber zu brand­Ueber das Verhältnis von großen und klei- marken, die ein Verbrechen gegen den Reiches erschöpft sich in den Worten: was im großen wollen denn die! Wir sind groß und die nen Ländern sagte Hegel   in seiner Verfas- Frieden und das Recht ist Wie wollen, daß Völker sind klein, wir sind stark und die sind sung Deutschlands  , als er über das Ge- wie im kleinen. schick der italienischen Kleinstaaten und Regierungen der Gefahr und der schwach! Wie zur Bekräftigung ist ein Wahrheit offen ins Gesicht sehen. Die Ge­neues Verbrechen des Menschenraubs sprach: >> Sie erführen das notwendige Schicksal schichte des militaristischen Machtwahns ihres Falles und neben einem Bedauern mit in Preußen- Deutschland   enthält genug der

erfolgt.

ist nicht zu helfen.

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Zeitungen!

Ein Vorstoß des Hitler- Verlages. Das System schlägt einen. verschärften terroristischen Kurs ein. Dazu gehört eine Anordnung des Präsidenten der Reichspresse­kammer Amann über das Erscheinen von Zei­

tungen in Deutschland  . Dieser Erlaẞ ist eine Handhabe, die es gestattet, jedes Blatt zu unterdrücken, das nicht ein ausgesprochen nationalsozialistisches Parteiblatt ist. Jeder

vertreten,

scheinen oder im Besitze besonderer Perso­

Der Fall liegt so sonnenklar, wie nur demselben steht das Gefühl der Notwendig- Lehren für die Bedrohten. Als dem Kur- Zeitungsverleger, der nicht für sich und seine ein solcher Fall liegen kann: Beobachtung keit und der Schuld, welche Pigmaen auf sich fürsten Friedrich III  . von Brandenburg die Frau den Nachweis der arischen Abstammung durch die Gestapo  , Zufassen an der Grenze selbst haben, wenn bis zum Jahre 1800 erbringen kann, wird sie neben Kolosse sich pro- polnischen Publikationen des in War­unter Verletzung tschechoslowakischen stellend zertreten werden.< schau lebenden Herrn von Karlstein miß- künftig als Zeitungsverleger nicht mehr gedul­Gebiets, Teilnahme eines bewaffneten deut­det. Diese Bestimmung geht gegen die Reste So hieß es bei Hegel  . So denken die fielen, ließ er ihn im Jahre 1672 durch schen Beamten, Gewaltanwendung gegen Machthaber des Dritten Reiches   aber preußische Beamte mitten in Warschau   er­der großen Privatpresse in Deutschland  . In­einen tschechoslowakischen Beamten. Da soweit könnte man den Erlaß als einen Aus­nicht in der rückschauenden historischen greifen, auf preußisches Gebiet schleppen ist kein Raum mehr für diplomatische Fik- Betrachtung, sondern in ihrer Politik und in Memel   hinrichten. Polen   prote­fluß des nationalsozialistischen Konkurrenz­tionen und Unklarheiten, für dreiste interesses ansehen. Die weiteren Bestimmun­der Gegenwart. Für sie muß die stierte nicht einmal. Im Jahre 1698 über­braune Lügen und Entstellungen. Ein Existenz der Schweiz   z. B. eine Regelwid- fiel Friedrich III  . mitten im Frieden die gen jedoch zeigen seinen wahren Sinn. nackter, brutaler Gewaltakt und Rechts­rigkeit, ein Widerspruch gegen ihr Welt- Stadt Elbing  . Sie protestierte bei den pol- Es werden künftig Zeitungen verboten, bruch ist erfolgt. Es kann auch nicht bild sein, unvereinbar mit der Ordnung nischen Ständen und rief um Hilfe, aber die ein» Sonderinteresse< mehr die Rede sein von einem Einzelfall; Europas  , die sie unter dem Gesetz der umsonst. Das fernere Schicksal Polens   ist die für einen bestimmten Personenkreis er­denn wer nach den Fällen Lessing  , Bell, Macht ins Auge fassen. In der Tat arbei- bekannt. Formis, Jacob, nicht sieht oder sehen will, ten sie an der Zerstörung der gegenwär- Die Schweiz   hat sich nun zur An- nenkreise sind. Das sind Kautschukbestim­daß es sich um ein System handelt, dem tigen Ordnung Europas  . Vor den großen rufung des Schiedsgerichts entschlossen. mungen, mit deren Hilfe jede Zeitung Demonstrationen ihres Kriegs- und Zer- Der Fall Jacob war nicht der erste braune außerhalb der nationalsozialistischen Partei­Es ist Sache der von diesen brutalen störungswillens erschrecken die Völker Uebergriff auf Schweizer   Gebiet. Andere presse unterdrückt werden kann, die Gewaltakten betroffenen Länder, mit wel- aber auch die kleinen Demon- Entführungsfälle; Grenzzwischenfälle, Schi- Frankfurter Zeitunge so gut wie chen Mitteln sie Achtung ihrer Gebiets- strationen des Uebermuts der kanierungen Schweizer   Bürger sind voraus das> Berliner Tageblatt und die und Rechtshoheit verteidigen wollen, wie Gewalt sind Hammerschläge gegangen. Die deutsche Propaganda ar- Rheinisch- Westfälische und mit welchen Mitteln sie die Sicherheit gegen die internationale beitet in der Schweiz  , sie hat die sogenann- Zeitung. Es gibt jedoch in Hitlerdeutsch­von Personen schützen wollen, die sich im Vertrauen auf Recht und Rechtssicherheit, auf ihr Gebiet begeben haben, wie sie ihre eigenen Beamten gegen Uebergriffe schüt­zen wollen. Es ist eine Folge des deut­ schen   Gewaltsystems, der unmenschlichen braunen Barbarei, der Zerstörung der in­ternationalen Rechtssicherheit durch das braune System, daß aus einem Rechtspro- Genosse Franz Mörtl ist im Konzen  - ist er am 19. April gestorben. nossen Mörtl sind zu 2 und 22 Jahren blem ein Problem der politischen Opportu- trationslager Dachau von den Hitlerban- Seine Leiche wurde am 23. April nach Wei- Zuchthaus verurteilt worden. Als der eine nität werden mußte. diten ermordet worden. von ihnen am 19. Juni 1934 nach Nürnberg  Wir erfahren über das neue Verbrechen Jeder neue Fall des Uebergriffes der Gegenüber dieser mörderischen Praxis transportiert wurde, hat man ihn Gestapo   über die deutschen   Grenzen, des der braunen Banden das folgende: der Gestapo   ist eine Verurteilung zu Zucht- Morgen gefesselt ins Auto gesetzt. Dann Mordes und des Menschenraubes ist eine Franz Mörtl war vor dem Anbruch des haus geradezu noch human! Dieser empö- fuhr das Auto zum Kaffeehaus Weiß in alarmierende Warnung. Denn diese Ueber- Dritten Reiches Stadtrat in Weiden  . Am rende Fall der Ermordung eines Sozial- Weiden. Hier ließen die Gestapoleute und griffe sind Ausfluß des braunen Faust- 17. Mai 1934 wurde er mit seinen beiden demokraten- Mörtl war 57 Jahre alt, ein Nazis den Wagen stehen und zechten stun­rechts, der zynischen Verachtung aller Söhnen unter der Beschuldigung verhaftet, stiller, braver, bereits ergrauter Mann- denlang. Erst abends wurde der Gefangene rechtlichen Bindungen durch ein System, illegale Arbeit getrieben zu haben. Bei entlarvt aufs neue den Blutterror des in Nürnberg   abgeliefert. Er erhielt den

Neuer Mord in Dachau  

Ein Blutzeuge des Freiheitskampfes

den überführt.

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am

die Hemden über den Kopf zusammen und schlug sie mit Gummiknüppeln. Der Haupt­anführer bei diesen Mißhandlungen war der Kriminalhauptwachmeister zu den Gefangenen: Beetz. Er sagte

das auf das Schwert pocht und dessen dem großen Prozeß gegen bayrische So- Hitlersystems. Die Richter sind in diesem ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken. Doktrin lautet: Macht geht vor zialdemokraten vor dem Obersten Landes- System nur Drahtpuppen. Sprechen sie Bei den Vernehmungen in Nürnberg  Recht. Würde dies Prinzip internatio- gericht in München   wurde er zu 7 Monaten keine Bluturteile, so schlägt die soge- wurden die gefangenen Sozialdemokraten nale Geltung erhalten, so würde Europa   Gefängnis verurteilt, die durch die Unter- nannte Polizei des Systems die von den schwer mißhandelt. Man band ihnen angesichts seiner reichen nationalen Dif- suchungshaft als verbüßt galten. Er Richtern Verschonten kurzerhand tot. ferenzierung einem endlosen Zustand des wurde aus der Haft entlassen. Eine neue Welle des blutigen Terrors Krieges entgegengehen, der nur jeweils Diese Freilassung bedeutete die lang­von kurzen Friedenspausen unterbrochen same, qualvolle Hinrichtung für Mörtl. Die geht über Deutschland  . Es ist, als ob das werden würde, die nur der Erschöpfung Gestapo   nahm ihn sofort in» Schutz- System sich für seine außenpolitische Nie­der Völker ihre Existenz verdanken. Kein haf t« und schleppte ihn nach Dachau. derlage an den Freunden des Friedens und Zweifel, daß die Häufung solcher Ueber- Dort wurde er bei der Einlieferung so der Freheit in Deutschland   rächen wolle! griffe, daß die systematische Demonstra- schwer mißhandelt, daß er ins Kranken- Die Brutalität der tion der Macht, die ungehemmt Taten der haus gebracht werden mußte. Seine Ver­Willkür begehen kann, auf die Dauer den letzungen waren so schwer, daß er in eine Glauben an eine internationale Rechtsord- Münchner Klinik geschafft wurde. Dort

bayrischen Gestapo  

» Wenn ich dürfte wie ich wollte,

ich schlüge Sie, daß Sie nicht mehr kriechen können.<<

Solche Polizeivertreter sind es gewesen, Die beiden Söhne des ermordeten Ge- die Franz Mörtl ermordet haben!