Nr. 99 BEILAGE
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Neuer Vorwärts
5. Mai 1935
Feitz Husemann, der Arbeiterführee
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Und jetzt ist zu den Schatten, die unserem Geist mahnend ihre furchtbaren Wunden zeigen und uns auffordern, nicht zu rasten, bis das Mörderhaus» Drittes Reich « zerstört ist, ein neuer Blutzeuge getreten: Fritz Husemann .
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vorgefunden worden
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Mitteln
Es sind hunderte, es sind tausende von Bergarbeiterschaft, zu einem einem echten macht» auch- noch- jung« tat. Junge Men- Ordnung Männern aus den Reihen der deutschen Volksmanne. Er wurde auf seinem schen respektierten von sämtlichen» Alten« wären, sagte also, daß das KorruptionsArbeiterklasse von Hitlers Mörderbanden Wege nie von Ehrgeiz und Eitelkeit gelei- des Ruhrgebietes ihn am meisten. geschrei eitel Lüge war. Und die Kumerschlagen und zertrampelt,> auf der tet. Neidlos sah er, der geborene Organi- Nie zog er die Mauer der Distanz zwi- pels prägten das geflügelte Wort:» UnFlucht erschossen<< oder durch vorge- sator und Praktiker, zu dem theoretisch, schen sich und den andern Menschen auf. sere Führer kamen mit Fahrrad und mit täuschten» Selbstmord in einem unbeobach- literarisch parlamentarisch bedeutenden Das Wort» Bonze< wurde ihm gegenüber der Aktenmappe, die braunen Bonzen erteten Augenblick<< beseitigt worden. Jeder Kopf der Bewegung, zu Otto Hue auf, ganz und gar sinnlos. Alles in allem: Ein scheinen im Auto und mit einem Stab.< dieser Morde war ein Stoß gegen das Herz nach dessen allzufrühen Tod er auch noch Mensch im edelsten Sinne des Wortes der Arbeiterschaft, hat es erschüttert, hat die internationalen Verpflichtungen der starb seinen Freunden und Kameraden. Die Bergleute wissen heute genau, was es gestählt. Keinen seiner Märtyrer und deutschen Bergarbeiter übernehmen mußte. das für Leute sind, die auf Husemanns und keinen seiner Helden wird dieses Herz verEs war schon während der Papen -| Hues Plätze sitzen: es sind Gelbe! Sachgessen. In ihm leben eingeschreint- im Langsam und allmählich wuchs seine Epoche. Husemann saß zum letzten Male walter der Zechenherren! Betrüger! Heute der Unterdrückung, im Morgen der Volkstümlichkeit beim Volk der den Zechen herren von der Ruhr Die Räuber der Sachsenburg können Freiheit die Namen Stelling, Fe- Bergleute. Sie war nicht das Ergebnis als Verhandlungspartner terroristischen gegenüber. mit chenbach, Joachim, Alexander, von Reklamemethoden. Sie wurde auch Längst war kein Zweifel mehr darüber, wohl erreichen, daß die Kumpels ihre Eggerstedt, Solmitzleben alle nicht künstlich erzeugt durch Anschmei- daß sie auf die Diktatur hindrängten. Sie Zwangskundgebungen füllen. Ohne Gewalt Ermordeten chelung der Massen oder durch gewissen- ließen es die Unterhändler der Bergarbei- ist Herr Stein aber nichts, weniger als lose Demagogie. Im Gegenteil! Gar oft ter deutlich merken. Fritz Husemann nichts. Herr Stein und seine Kumpane stand Fritz Husemann wider Massenstim- fühlte es als seine Pflicht, eine letzte wissen, daß die Hackenstiele der Kumpels mungen und setzte sich steifnackig mit Warnung an die Unternehmer zu sich lieber heute als morgen mit ihnen ihnen auseinander, vor allem in den ersten richten, obwohl er oft sprach er von beschäftigen möchten. Nachkriegsjahren. Er blieb stets dem, was dieser Szene nicht mehr an ihre Wir- Weil es so ist, betrachteten die Unterer für wahr und recht hielt, treu, und wich kung glaubte. Er wies auf die ungezähl- drücker der Bergarbeiter mit Wut und Fritz Husemann > auf der Flucht er- keinen Zentimeter davon ab, jederzeit be- ten Opfer hin, welche die Arbeiter für Mißtrauen das unausgesetzte Anschossen! Sein treues Gesicht zerfetzt und reit, lieber sein Amt niederzulegen als Ge- Volk und Staat gebracht haben. Er fragte: wachsen des Vertrauens und zerrissen von Gestapo - Bestien!... Die dü- fangener von Stimmungen zu werden, die Soll wieder die Arbeiterschaft in die Tiefe der Liebe, die Husemann entgestere, aufwühlende Kunde flog mit Windes- er für gefährlich hielt. Weil er gerade gedrückt und verknechtet werden? Er gengebracht wurde. Fritz Huseeile durch das Ruhrrevier, durch das und aufrecht auch der Masse gegen- sprach in prophetischem Tone von der mann war und blieb in den Augen der Aachener, Waldenburger, das oberschle- über blieb, hat sie ihn schätzen und lieben Drachensaat, die dereinstmals aufgehen Bergleute ihr Führer. sische und sächsische Kohlenland und gelernt. Auch die kommunistisch gesinnten müsse. Seine Worte machten auf die Ver- Der amerikanische Bergarbeiterverband überall hin, wo Bergleute wohnen und un- Bergleute empfanden hier mit den andern. treter des» gemäßigten Flügels« der Un- hatte gleich nach dem Umsturz Husemann ter der Erde das karge Stück Brot tod- Selbst unter den Zechenherren, mit denen ternehmer starken Eindruck. In privaten angeboten, nach Amerika zu kommen. umdroht verdienen müssen. So manche er sich Zeit seines Lebens herumstritt, wird Gesprächen sagten sie zu ihren Kollegen Er lehnte ab. Er wollte sich von seinen bittere Träne des wehen Schmerzes und es nicht wenige geben, die die Nachricht von der» scharfen Richtung, daß die Rede Kameraden nicht trennen lassen. Er hielt des glühenden Zornes ist geflossen, so von Husemanns Ermordung tief bewegt Husemanns sie nachdenklich und sorgen- unter ihnen aus, weil er sich selbst und mancher wilde Schwur wurde im Dunkel und empört haben wird. voll gestimmt habe. Aber die Thyssen- ihnen treu bleiben wollte. Er stand in der Bergwerke gesprochen... Er verstand es, sich mit den Gegnern Richtung hatte sich längst durchgesetzt ihren Reihen auf dem Arbeitsamt und Ueber Deutschland hinaus eilte die seiner politischen und taktischen Auffas- und ging ihre Bahn weiter, Not und Elend stempelte. Er ging durch Bochums StraKunde zu den Bergleuten Englands, Frank- sungen scharf und entschieden auseinan- verbreitend, Blut und Schrecken dazu. Auf Ben, und sie sahen froh auf die altverreichs, Belgiens , Amerikas , Ungarns , der der zu setzen; geschmäht und herunter- diese Bahn wurde auch die Leiche des War- traute Gestalt. Tschechoslowakei . Der Mann, der feig gerissen hat er niemanden. Auch dem sei- ners geschleudert. Sein Dasein wurde Hitlers Kreaturen erschlagen wurde, war ihnen ja allen gut ner Ueberzeugung nach verranntesten Kumunerträglich. Sie wollten nicht mehr anbekannt als der ehemalige Vorsitzende der pel begegnete er aufs kameradschaftlichste So kam der Tag, wo der kaum dreißig- sehen, daß ein Mann, dem keine GeBergarbeiter Internationale, und rang in wahrhaft brüderli- jährige Führer der braunen» Sachsen- walt zur Verfügung stand und den sie als der Nachfolger des unvergessenen Otto cher Art um seine Seele. Nie wurde er burg- Stürmer der Büroangestellte mit Gefängnishaft und Verhören fortgeHue. Er genoẞ hohes Ansehen bei ihnen Bürokrat, nie massenfremd... Für jeden Stein- dem im Bergarbeiterdienst er- setzt drangsalierten, die Liebe und das und sein schrecklicher Tod wird den Haẞ Kumpel war er zu sprechen. Wer ein An- grauten Husemann im brüsken, neudeut- Vertrauen der Bergleute besaß. Und sie und die Verachtung, die sie für das heu - liegen an ihn hatte, ging ganz einfach schen Tone anherrschte, er habe so- ließen ihn ermorden tige Deutschland empfinden, tiefer noch durch das Tor der» Sachsenburg< wie fort das Haus zu verlassen und und zäher machen. das Verbandsgebäude im Volksmund hieß künftig nichts mehr darin zu In den schwarzen Revieren Deutschland und suchte ihn in seinem Zimmer auf. suchen. Jetzt setzten sich auf Hues und grollt es in der Tiefe lange schon. Das das war nicht ein Er hatte kein Vorzimmer... Husemanns Stühle Leute, die für ihre Auf- Brot wird karg, die Arbeit ständig schwemehr oder weniger bekannter, mehr oder Husemann fühlte unmittelbar ar- gabe nichts mitbrachten als Anmaßung, rer. Ausbeutung und Unfreiheit drücken, weniger tüchtiger Funktionär der soziali- beiter demokratisch. Vor seinem und von denen kaum einer das Los des die Entwürdigung brennt. Husemanns stischen Bewegung Fritz Husemann war eigenen Bewußtsein war er stets nur erster Bergmanns aus eigenem kannte. Kopf- Ermordung hat den Explosionsstoff ungeder deutsche Bergmann unter Gleichen, der Vordermann der Ver- schüttelnd lasen die Bergleute die Aufrufe heuer vermehrt. Glauben die Mörder, sie schlechthin der Mann, in dem sich trauensmann; daß man mit sich Führer- der neuen» Verbandsführer und blätter- könnter für ewige Zeiten den Ausbruch das Volk unter Tage am sinnfältigsten kult treiben lassen konnte, dieser pfiffig- ten, wieder kopfschüttelnd, in dem Miẞ- der schlagenden Wetter verhinverkörperte und in dem es sich selbst wie- eitle Einfall kam einer so geraden, schlich- gebilde, in das sich ihr Verbandsblatt ver- dern? der erkannte. Er war der deutsche Berg- ten Natur wie ihm nie eine Sekunde lang wandelte. Und sie sahen, wie sichs die Die Sage Westfalens erzählt von der mann in Wesen und Charakter, ja bis ins Husemann war der treueste Freund neuen Verbandsführer in der Sachsen - Schlacht am Birkenbaum, in der Holzschnitthafte seiner Gestalt und seiner seiner Freunde, der herzlichste Mit- burg behaglich machten, wie eine die Hcere des Rechts die Horden des UnZüge hinein. Jeder, der ihn je gesehen, mensch, der liebreichste Familien- Autogarage neben der andern entstand rechts im letzten Entscheidungskampf hatte diesen Eindruck. Wenn der hohe, vater, den man sich denken konnte. In und ein Portierhäuschen dafür sorgte, daß schlagen werden. Wo ist der Bergmann , wuchtige Westfale mit dem rauh- gut- seiner Nähe war Wärme, gab es Halt, er kein Kumpel geraden Weges neuen der nicht wüßte, welche Schlacht das mütigen Gesicht, aus dem helle Augen war ständig bereit, auch in kleinsten und» Bergarbeiterführer« erreichen konnte... zweite Gesicht des Schäfers gemeint hat? blitzten, in etwas hinkendem Gang daher- persönlichsten Dingen zu raten und zu hel- Jetzt sagte man ihnen, woran kein Ver- Wahrlich, die Schlacht wird kommen und schritt, dann spürte jeder: dieser starke fen. Er war ein wundervoller Freund bändler gezweifelt, daß die Verbands- die Ermordeten der deutschen ArbeiterRücken, diese breiten Schultern haben der Jugend, der nie überlegen oder ge- geschäfte in mustergültiger schaft werden sie mit schlagen. Last getragen ihr Leben lang und davon sind sie so gebeugt. Diese Last bestand aus den Sorgen der Bergleute. Wenn Fritz Husemann in einer Belegschaftsversammlung, in einer Konferenz, im Landtag oder Reichstag das Wort nahm, dann sprach kein Meister der Rede, der mit seinen Worten blitzen und funkeln konnte aber bei den ersten Worten der zugleich rauhen und hellen Stimme, fühlte man die anziehende Wärme schlichter Ehrlichkeit, wie sie dem arbeitenden Volke eigen ist.
Fritz Husemann
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Opferjahrgang 1915
Anstehen nach Hause brachten, sah bläulich aus und schmeckte schlecht.
Meldung: Zur Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht wird in Deutsch land der Jahrgang 1915 unter die Waffen gerufen. Nie wurden die Würmer, Jahrgang 1915, Ein Jahrgang was ist das? Für den recht satt. Sie blieben im Wachstum zurück, eingefleischten Militär das> Menschenmate- waren blaẞ, kränklich.
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mißtrauischen Kleinen gesagt.
Meist
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Von den politischen Zuständen begriffen die Kinder wenig. Es änderte sich alles zu schnell. Viele Arbeiterkinder wurden von den sozialistischen Kinderfreunden in Erholung geschickt, bauten Zeltlager mit den> Roten Falken<, holten auf Wanderungen nach, was sie körperlich in den ersten Jahren ihres Da
Nach der Inflation kamen ein paar Jahre, wo die meisten aufatmeten, aber es waren
nicht allzuviele. Immer drohte ein Wort in ihr bescheidenes Glück, das hieß: Krise.
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rial<, mit dem er seine Kaders füllt. Aber Als sie schon plappern konnten, kam ein An dreißig oder vierzig Jahre diente wer sind die Menschen, aus denen das Mate- fremder Soldat ins Haus.» Das ist dein Papa! seins versäumt hatten. Fritz Husemann dem alten Ver- rial besteht, wer ist dieser Jahrgang 1915? wurde dem bandes. Er war noch jung, als er in die Als sie geboren wurden, standen ihre Vä- Manches sah den Papa erst, als es schon zur Bewegung kam. Von der Pike an hat er ter nicht an ihrer Wiege, hockten weit, weit Schule ging. Ert 1920 kehrten die Kriegsihr gedient. Es gab keine Funktion im fort in einem nassen Unterstand, in den Grä- gefangenen heim... der französischen, der Der Krieg war aus, nicht die Not. Die weitverzweigten Leben des Bergarbeiter- ben der russischen, verbandes, die er nicht irgendeinmal selbst flandrischen Front. Viele der Neugeborenen wenigsten vom Jahrgang 1915 können sich Der Vater verdiente gut, doch ein paar Wochen, ein paar Monate mußte er zuweilen ausgeübt hätte, es gab auch wohl kaum haben ihren Erzeuger niemals gesehen:» Ge- heute noch der Kriegszeit erinnern. beginnt ihr Gedächtnis mit der verrückten aussetzen. Zwei, drei Jahre lief es glatt, das einen Bergarbeiterort in Deutschland , in fallen auf dem Feld der Ehre.<< dem er nicht schon ein oder mehrere Male Wenig Kinder kamen damals, 1915, zur Zeit, als das Geld plötzlich nichts mehr wert ärgste schien überwunden. Aber da gab es gewesen ist. Kaum die Hälfte der früheren Zahl. war. Kehrte der Vater am Lohntag heim, riß auf einmal überhaupt keine Arbeit mehr. Ein Im Laufe von vier Jahrzehnten wuchs Dreiviertel Jahr nach Kriegsausbruch riß die ihm die Mutter das Geld aus der Hand und Betrieb nach dem andern schloß. Jetzt erst war die richtige, die große Krise da. stürzte zum Krämer, denn am nächsten Tag er an seinen Aufgaben, zeigte er, was in Kette der Neugeburten plötzlich ab. Selbst für die wenigen, die damals zur bekam sie nur noch die Hälfte für die dem einst so verachteten Bergarbeiterstand Der Vater hockte zu Hause, wurde einsilDie Mütter Scheine. Meist aber war der Krämer noch big und verstimmt. Der Jahrgang 1915 kam an geistiger und sittlicher Kraft aufwärts Welt kamen, fehlte die Milch. wollte. Er wurde nach und nach zum ge- standen halbe Nächte vor den Geschäften in rascher: Kam die Mutter mit dem Geld ein- aus der Schule: auch für ihn war keine Arbeit schickten, erfahrenen, wissensreichen Ver- Kälte und Regen an, nur um etwas Nahrung kaufen, so waren die Preise schon herauf- da. Lehrstellen gab es hier und da. hatte einer ausgelernt, so lag er draußen; trauensmann und Führer der freigesinnten zu erwischen. Die Milch, die sie nach langem gerutscht...
Welt.
Aber