Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblakk

Nr. 104 SONNTAG, 9. Juni 1935

Aus dem Inhalt:

Das Dritte Reich in Polen Spekulanten in der Politik Das System fürchtet Streiks

Göring als Waffenhändler

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia"

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Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Die Arbeiterschaft erwacht

Wie es in Bayern aussieht Mißstimmung im Mittelstand

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Drei Tage Streik

Aus München wird uns berichtet:

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In der Arbeiterschaft ist wie im Vor- wieder aufgenommen. Eine Maß- 14 Tagen einen Beitrag von 8 Mk. zu leisten Göring als

Erregte Szenen

Waffenhändler

Arbeit zu den alten Bedingungen ner Innung eine Zuschrift, daß er innerhalb monat eine wachsende Tendenz zum regelung oder Verhaftung ist nicht erfolgt. habe, im Nichteinbringungsfalle hätte er Kampf um bessere Arbeitsbedin- Die Vertreter der Arbeitsfront zeigten sich Zwangseinziehung zu erwarten. Der Mann gungen zu spüren. Die Arbeitsfront er- ratlos. In der Belegschaft dauert die Erre- hatte keine andere Zuschrift seiner Innung Wie ein neuer Weltkrieg weckt kein Interesse mehr, dafür aber zei- gung an. Es gibt keinen Arbeiter mehr, der vorher erhalten, es wurde ihm weder eine gen sich ganz primitive Versuche der Selbst- das Regime zu verteidigen wagte, selbst SA- Mitgliedskarte noch Satzungen zugestellt. hilfe. Leute äußern in schärfster Form ihre Erbit- Solche Vorfälle erregen zwar scharfe Kritik, terung. In der Presse erschien über den Vor- aber bezahlt wird doch. die folgenden Die Diskussionen in den Betriebsversamm- gang nur eine kleine Notiz, Protest Wortlaut hatte:> Nationalsozialismus der Tat. gegen lungen nehmen an Offenheit zu. So teilt ein Die Glasschleifer der Freih. von Poschinger­Beobachter aus einer größeren bayri­schen Kristallglasfabrik Frauenau verdienten schen Provinzstadt mit, daß es in der in der letzten Lohnwoche derart wenig, daß Betriebsversammlung eines Metallbe­triebes zu erregten Szenen kam, als ein der Verdienst einfach nicht zum Leben, aus­reichte. Um den Arbeitskameraden über diese Arbeiter auf die Rechtlosigkeit der Beleg­schweren Tage hinwegzuhelfen, veranstalte­schaft hinwies. Er erntete mit seinen An­griffen spontanen Beifall. Der Vertreter der ten die Glasmacher eine Sammlung, die einen schönen Betrag brachte und den bedürftigen Kameraden überreicht wurde.<

Arbeitsfront konnte sich nicht anders helfen, als den Sprecher ernstlich zu verwarnen und ihm anzudrohen, daß er in Dachau landen würde, wenn er durch derartige hetzerische Angriffe das gute Einvernehmen zwischen Be­legschaft und Betriebsführung suche.

zu stören

Darauf schrie ein Arbeiter aus der

fall. Man erwartete, daß der Zwischenrufer verhaftet würde, was aber nicht der Fall

war.

Drei Tage Streik

Offene Kritik

geht

heren Stellung in der Belegschaft hatte ich

Judenverfolgungen

vorbereitet werden soll Hitler und Mussolini , die beiden Dik­tatoren von Europa , finden die Lage in Europa zu ruhig. Der Abschluß der Bei­standspakte zwischen Fankreich und Sow­jetrußland und der Tschechoslowakei und Sowjetruẞland läßt ihnen nicht mehr ge­Wie bereits bekannt, waren am Vorabend nügend Raum für ihre» dynamische<< des 1. Mai in München neue Exzesse gegen Außenpolitik. Hitler hat deshalb die Juden ausgebrochen. Wie nachträglich ge- Entdeckung gemacht, daß der franzö­meldet wird, war der Vorgang wie folgt: In sisch- sowjetrussische Beistandspakt gegen aus einem den Vertrag von Locarno verstößt, und der Nacht zum 1. Mai wurden Auto in die Auslagen des Geschäftes des Mussolini findet, daß die beiden Bei­Juden Pappenheim am Weißenburgerplatz standspakte das europäische Gleichgewicht kindskopfgroße Steine geworfen, die die zerstört hätten, woraus hervorgeht, daß Scheiben zertrümmerten. beide sich nur für den Frieden interessie­

Am anderen Tag sammelte sich vor dem ren, wenn er nach ihren Wünschen geformt wird und ihnen eine Vormachtstellung in Laden eine größere Menschenmenge an, die ganz offen gegen diese Exzesse Stel- Europa zugesteht. lung nahm.

» Gemeinheit«,» Lausbüberei< usw.

Aus einem Zeitungsbetrieb folgender Bericht ein: Die Stimmung unter den im Betriebe tätigen Setzern ist seit eini­gen Monaten ganz umgeschlagen. Nach der Natürlich sind beide dabei Konkur­Versammlung: Machtergreifung habe ich als alter Gewerk­renten. Da aber augenblicklich eine Sta­» Sperrts uns alle nach Dachau, dann is Man hörte Worte, wie» unerhörte Zuständes, bilisierung der schaftler oft Kritik an der Regierung geübt. europäischen Situation a Ruh!< Unter meinen Kollegen haben sich nur drei So zeigte» drohte, finden sich beide in der Arbeit sich klar, daß die Bevölkerung keinerlei Ver- für die Wiederherstellung der Unstabilität, Diesem Zwischenruf folgte allgemeiner Bei- zu mir bekannt, allerdings auch nicht vor den anderen. Die übrigen haben sich gleich- ständnis für die Streiche der Nazis hatte. Die und der eine markiert sogar Annäherung geschaltet, fünf gingen zur SA. Von meinen Polizei mußte die immer größer werdende und neue Freundschaft an den anderen. nationalsozialistischen Kollegen wurde ich Menge schließlich auseinandertreiben. Dem Die Segnungen der Diktatur werden wie­Beobachter war klar, daß die Ausschreitungen der einmal demonstiert. immer gewarnt, mich nicht so offen gegen kein Ausfluß der Massenerregung, sondern die Regierung zu äußern. Aus meiner frü­Der deutsche Vorstoß gegen den franzö­eine vorbereitete Sache einiger Verbrecher sisch- sowjetrussischen Pakt ist ein groß des Juden angelegtes Störungsmanöver. Dieser Bei­Schwarz erschienen während des Tages Na- standspakt ist im Augenblick die stärkste tionalsozialisten und warnten die Käufer vor Garantie für die Aufrechterhaltung des ler) bei 48 Arbeitsstunden 10 bis 13 Mark, heute meine Kollegen warnen muß, ihre kri- dem Betreten des Geschäftes. Es war auf- Friedens, er ist eine politische Realität fallend, daß sich niemand abhalten ließ. Ja, ersten Ranges. Unzweifelhaft steht er man konnte sogar beobachten, daß einige allen expansionistischen Bestrebungen des äußern. Ich brauche nichts mehr zu sagen Käufer ihre eingekauften Waren demonstra- Hitlersystems im Osten Europas entgegen. In der und höre nur mit innerer Freude zu. Redaktion kennt man diese Stimmung, aber tiv kaum verpackt in der Hand trugen. Frankreich von diesem Vertrag abzuzie­niemand sagt dazu ein Wort. des Charitas- hen, England gegen ihn einzunehmen, ist Er greift indi­gänge erfüllen mich mit großer Zuversicht. verbandes wurde, wie bekannt, während deshalb das Ziel Hitlers . Die Zeit ist nicht mehr ferne, wo diese Men- der Sammelaktion verboten. In Wasserburg rekt den Locarnopakt, diese Garantie des schen reif werden für den Kampf. z. B. hat man die Sammlung beenden lassen Friedens in Westeuropa , an. Es gehört zu und hat dann die gefüllten Büchsen beschlag- Hitlers Grundsätzen, daß er selbst be­

Von einem dreitägigen Streik wird aus Frauenau berichtet. Die Freih. von Poschingersche Kristall­glasfabrik hat zirka 400 Mann Beleg­schaft. Dort verdient ein Glasschleifer( Kug­

Seit dem Ansteigen der Lebensmittelpreise hat sich der Reallohn weiter erniedrigt. Die Not der Arbeiter nahm erschreckende For­men an. Verhandlungen mit der Betriebsfüh­rung um Erhöhung des Akkordsatzes wur­den abgelehnt. Es sei bemerkt, daß bereits vor zwei Jahren der damalige Minister Esser dem Werke einen Besuch abstattete und den

noch eine gewisse Achtung gerettet, so daß

ich nie zu Schaden kam. Was mich nun in Erstaunen versetzt, ist die Tatsache, daß ich

tische Stimmung nicht so laut und offen zu

Diese Vor­

war. Auch vor dem Geschäft

Die

Sammlung

Arbeitern Hilfe versprach. Damals hat er mit Mißstimmung im Mittelstand nahmt. Die Erregung über das gemeine Vor- stimmt, ob ein Vertrag von den Partnern Poschinger scharfe Worte gewechselt. Die

hat

Besprechung Neue Blutschuld

Wie immer wird berichtet, daß es beson- gehen der Nazis ist in den katholischen gehalten worden sei oder nicht. Wenn er Arbeiter hatten auf die Hilfe Essers gehofft, ders die Geschäftswelt ist, die ihren Kreisen aufs höchste gestiegen. In einzelnen findet, daß Frankreich den Locarnopakt doch vergeblich. Um die Not der Arbeiter Unmut über die ungeheuren Lasten, die durch kleineren Orten der Provinz kam es zwischen verletzt habe, fühlt er sich nach seinen ganz zu begreifen, muß man wissen, daß sie Steuer- und Preisdiktat auferlegt werden, Nazi und Katholiken zu kleinen Streitereien. Grundsätzen auch nicht mehr gebunden. bei ihren niederen Löhnen größtenteils so zum Ausdruck bringt. Besonders geklagt Besonders gereizt wurde die katholische Be- Im Hintergrund steht die Militarisierung weit von der Fabrik entfernt wohnen, daß wird über die rücksichtslose Steuereintrei- völkerung auch dadurch, daß man gerade am der entmilitarisierten Zone am Rhein . Die sie nur an Sonntagen heimfahren können. So bung, die zu großen Härten und schwerer Tage vor der Sammlung in der Presse die Hitlerpolitik pflegt mit brutalen Faust­die Fabriksleitung Schlafbaracken ge- Schädigung führt. Wie aus München berich- Verhandlung der wegen Devisenschmuggels schlägen zu arbeiten. Wenn die Westmächte baut, die in einem fürchterlichen Zustand tet wird, hat man in den letzten Wochen und angeklagten Ordensschwestern publizierte. auf den erpresserischen Vorstoß gegen den sind. Die Arbeiter schlafen auf ganz gewöhn- Monaten besonders streng darauf gesehen, Beistandspakt im Osten nicht eingehen, lichem Strohlager. Seit Jahrzehnten leiden wenn sich Gewerbetreibende und Geschäfts­steht eine neue vollendete Tatsache auf der die Menschen dieses Los und viele von ihnen leute in kleinen Zirkels zur Tagesordnung, eine neue Ueberraschung, hofften auf die rettende Tat der neuen Macht ihrer Lage zusammenfinden. in Deutschland . Heute die nach allen Erfahrungen keine Ueber­aber sind die Zu­raschung mehr sein sollte. stände so schlecht geworden, daß sie in der Vergangenheit keine Parallele mehr haben. Die Arbeitsfront ist diesen Verhältnissen ge­genüber ohnmächtig. Letzte Verhandlungen mit Poschinger haben sich wiederum zer­schlagen, daraufhin hat der Groß­teil der Kugler die Arbeit einge­stellt. Es sprach zwar niemand von Streik, aber jeder wußte, daß es einer war.

Nebenzimmer zur

einer

Das deutsche Spiel wird durch die Stel­lungnahme Mussolinis gegen die Beistands­pakte im Osten erleichtert. Schließlich ist

auch Mussolini ein Garant des Locarno­

Genosse Jacobs den Mißhandlungen erlegen Alles ist in den Zwangsinnungen ver­einigt. Dort wird Versammlungszwang aus- Genosse Matthias Jacobs, früherer geübt. Eine wirkliche Besprechung der Sor- Landtagsabgeordneter in Gladbach, ist an gen und Nöte der Geschäftswelt ist in diesen Versammlungen nicht möglich. Aus seinem schweren Leiden verstorben. Er ist bayerischen Stadt wird z. B. berich- im Konzentrationslager Papenburg durch paktes. Er verfolgt seinerseits ein poli­tet, daß sich eine Anzahl Gastwirte in einem furchtbare Mißhandlungen zum Krüppel tisches Erpressungsmanöver: Gebt mir den Besprechung über die gemacht worden. Nach der Entlassung Krieg in Abessinien frei, und ich helfe euch Bierpreisfrage zusammengefunden aus dem Lager konnte unser tapferer bei der Sicherung des Friedens in Europa , haben. Man wollte sich über die möglichen Die Vertrauensräte teilten Poschinger mit, Schritte unterhalten. Genosse das Bett nicht mehr verlassen und wollt ihr aber nicht, dann kann ich auch Da erschien die Poli­anders! Die Politik der Hitlerdiktatur daß es den Arbeitern wegen Geldmangel zei und verhaftete vier Teilnehmer, nachdem war fast immer im Krankenhaus. Er war braucht sich nicht weiter zu demaskieren, nicht mehr möglich sei, in die Arbeit zu sie die Personalien aller anderen Anwesenden 50 Jahre alt. Wir gedenken auch dieses sie ist demaskiert genug. Die Politik Mus­kommen, da sie nichts mehr zu essen haben. festgestellt hatte. Zwei Personen wurden Genossen mit großer Trauer, da er bis zum solinis zeigt sich jetzt in sehr aufklären­Die Arbeitsfront hat daraufhin eine Samm- nach Dachau gebracht. Dieses strenge Vor- letzten Atemzug in Treue zu unserer dem Licht. Es ist etwas Wunderbares um lung in der ganzen Gegend eingeleitet, zu der gehen erregt verständliche Empörung unter die Friedensliebe der Diktatoren! Sache stand. Auf dem schweren Kranken­von höherer Stelle Zuschüsse gegeben wur- der Geschäftswelt. neuen Störungsversuche gehen den. Die Arbeiter erhielten kleine Unterstüt- Die Zwangsinnungen gehen rücksichtslos lager war ihm die ungebrochene Hoffnung nicht nur im Westen vor sich. Das Projekt So auf den Sozialismus die beste Erleichte- des Donau paktes ist auf die lange zungsbeiträge bis zu 10 Mark und Lebensmit- mit der Einkassierung der Beiträge vor. tel. Nach drei Tagen wurde die erhielt z. B. ein Gewerbetreibender von sei- rung der Qualen. Bank geschoben, und trotz der Ankündi­

Die