Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 108

SONNTAG, 7. Juli 1935

Aus dem Inhalt:

Aus Göbbels Geheimküche Hitler und Sowjetrußland Enttäuschtes Saargebiet

Liebesgabe an ein Gespenst

Enthüllung über Danzig

Das Reich hat Danzig ruiniert!- Geheimdokumente der Danziger nazis

Hitler

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Das nationalsozialistische Regime in ter Forster. Die verfassungsmäßigen In- Rettung der Schuldigen! Das Reichs, Danzig vor der Katastrophe zu be­Danzig ist in voller Verwirrung. Die Wirt- stitutionen waren nur eine Kulisse vor dem ist ihnen gründlich miẞlungen. Sie haben wahren. Dieser Pessimismus hat seine Be­schaft der Freien Stadt ist in einer Befehl aus Berlin . eine Wahlniederlage erlitten, die der gan- stätigung erfahren. und schrecklichen Katastrophe. Die Freiheit Danzig hat effektiv zum Reich gehört zen Welt zeigte, daß ihr System Schacht haben Danzig ruiniert aber und Unabhängigkeit der Stadt ist auf das und ist vom Reich ruiniert worden! nicht mehr die Mehrheit der nicht allein Danzig , sondern auch das schwerste bedroht. Die Opposition wächst Die braunen Methoden aus dem Reich Bevölkerung hinter sich hat. Reich. Der Unterschied ist nur der, daß wie eine Sturmflut. Sie hat den dreisten sind stur auf Danzig übertragen worden. Nach der Wahlniederlage gab es kein Ver- im Reich das Feuer der Katastrophe noch Versuch der Schuldigen, die Opposition in Was der Schacht in Deutschland im gro- bergen der Katastrophe mehr: nun muß- unter der Oberfläche schwelt, während es die Verantwortung für die Bankrottmaß- Ben betreibt, ist in Danzig im kleinen ge- ten sie die Wahrheit offenbaren, die Wäh- in den kleinern Verhältnissen von Danzig nahmen hineinzuziehen, mit größter Schär- treulich kopiert worden. Die Forster, rung abwerten, die Inflation mit all ihren schon offen ausgebrochen ist. fe. abgewiesen, sie hat mit dem Antrag ge- W nuck und Greiser haben zu der Schrecken entfesseln. Die Wnuck und Danzig zeigt wie in einem Hohlspiegel antwortet, den Volkstag aufzulösen und Richtung der Danziger Nazis gehört, die Genossen erfuhren nun, daß Hitler und das verkleinerte aber scharfe Bild der Zu­Neuwahlen auszuschreiben. Um diesem An- die Berliner Befehle sinnlos durchgeführt Schacht sie rücksichtslos absacken ließen. kunft der Naziwirtschaft im Reich. Wenn trag zu entgehen, ist der Volkstag schleu- haben. Als der offene Bankrott unver- Aus dem Programmbrief von Rausch- alles zerstört ist, wenn das Unglück des nigst um Monate vertagt worden. Das in- meidlich war, wollten sie sich durch eine ning, der im Mittelpunkt des von uns ver- Volks auf die Spitze getrieben ist, dann nerlich unsicher und morsch gewordene Terrorwahl vor den Folgen sichern. öffentlichten Briefwechsels steht, sprach drücken sich die Diktatoren und überlas­System wagt nicht mehr, den alten Ter- Das war wie man jetzt klar erkennt schon im Herbst des vergangenen Jahres sen das Volk seinem Geschick und der ror wieder aufzunehmen. Die Danziger der Sinn der letzten Volkstags - ein tiefer Pessimismus über die mühevollen Aufgabe, wieder aufzubauen, Volksstimme, unser Parteiorgan, er- wahl in Danzig . Es ging nicht mehr um Stabilität der wirtschaftlichen Zustände was die braunen Verbrecher zerstört scheint am 1. Juli wieder. Seit dem Verbot Vorstoß und Eroberung, es ging um die im Reich, über die Möglichkeiten des haben! des Blattes, unmittelbar nach der Wahl, hat sich in Danzig ein großer Ruck voll­zogen. Was damals auf die braune Wahl­niederlage gegründete Hoffnung war, ist heute in greifbare Nähe gerückt: gerückt: der Sturz des Nazisystems in Dan­ zig !

Die Vorgeschichte der Danziger Keise

Aber im Wanken vernichtet und zer­stört das System noch, was nur irgend zer­stört werden kann! Das sogenannte Spar­programm kann verfassungsmäßig nicht durchgeführt werden, die Wunde der Wäh- Volkstagsfraktion rung bleibt offen, die Verarmung der Be­völkerung geht rapid vorwärts und

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nun werden drückende polnische Repres­sionsmaßnahmen wirksam, die den gesam­ten Wirtschaftsverkehr der Freien Stadt mit Polen erdrosseln müssen. Die Kata­strophe wird immer verzweifelter, und nun geschieht, was kommen mußte:

die braunen Ratten verlassen das sinken­de Schiff! Die Hauptverantwortlichen flüchten!

Der Präsident des Volkstages, von Wnuck, legt seine Aemter nieder, er geht mit einer Reihe von Freunden nach Polen ! Er verläßt den Senat und die na­tionalsozialistische Partei. Dieser Wnuck ist einer der stursten Vertreter der Hitler­politik, nächst dem Gauleiter Forster, der mächtigste Mann der Nazis in Danzig . Er war der Spezialist der Nationalsoziali­sten für die Wiederherstellung des Bud­getgleichgewichts, für das sogenannte Sparprogramm. Er kapituliert, weil nicht mehr ein noch aus weiß! Das ist das Ende der Naziherrlichkeit: wenn das Land ruiniert ist, flüchten die braunen Verbre­cher ein lehrreiches Beispiel!

er

Briefwechsel über den Rücktritt von Rauschning

ren muß.

Der Befehl zum Rücktritt der nötigen Stetigkeit und Ordnung entbeh-| der Wahl zurückstelle. Ich erwidere, was Danzig , den 31. Oktober 1934. folgt: Ihre Vermutung, daß ich mich aus Die Fraktion ist bei aller Würdigung Ihrer gesundheitlichen Gründen der bisherigen Tätigkeit, sehr geehrter Herr Par- Amtsführung enthalte, ist irrig. Ich bin. teigenosse, der, Ansicht, daß die durch Ihre gesundheitlich in der Lage gewesen, die mir: Krankheit bedingte Führerlosigkeit des Staa- obliegenden Geschäfte in vollem Umfange: tes nicht länger tragbar ist, und bittet Sie, wahrzunehmen. die erforderlichen Entschlüsse zu fassen.

der NSDAP . Herrn Staatspräsidenten Dr. Rauschning,

Hier.

Heil Hitler! Gez. v. Wnuck.

Rauschning kritisiert

Sehr geehrter Herr Parteigenosse! Die durch Ihre Krankheit und Ihre lange Abwesenheit bedingte Führer­losigkeit des Danziger Senats erfüllt die nationalsozialistische Volkstagsfraktion mit Der Präsident des Senats schwerster Sorge. der Freien Stadt Danzig .

Danzig , den 19. November 1934.

Der Gauleiter befiehlt. Vielmehr ist meine Enthaltung von der Amtsführung

durch einen entsprechenden Wunsch des Gauleiters von Danzig , Pg. Forster, veran­laßt, welchen der Herr Gauleiter mit der Aus allen Kreisen der Parteigenossen- An den Präsidenten des Volkstages, Erklärung verband, ich habe nicht mehr schaft und der Bevölkerung werden an die Herrn Senator v. Wnuck, hier. sein Vertrauen und müsse mich ab sofort Fraktion täglich Klagen und Beschwerden Sehr geehrter Parteigenosse v. Wnuck! jeder Amtshandlung enthalten. herangetragen, daß nicht nur Entscheidun­Ich bestätige den Eingang Ihres Schrei- Ich bin dem Wunsche des Gauleiters aus gen, die den Einsatz Ihrer Person erfordern, bens vom 31. Oktober, das mir am 8. Novem- Gründen der Parteidisziplin nachgekommen, verzögert werden, sondern daß infolge Ihrer ber übermittelt wurde und dessen Beantwor- vorbehaltlich einer schriftlichen Bestätigung Abwesenheit die Führung der Staatsgeschäfte tung ich aus bestimmten Gründen bis nach dieses Wunsches und seiner Begründung,

Enttäuschtes Saargebiet

Das System hat schon abgewirtschaftet!

Die Herren der» Deutschen Front« haben sich so gründlich verspekuliert, daß der als Dank für seine Wallfahrten mit treudeut­schen Saarländern zum>> Führer« nach Berlin prompt nach der Abstimmung ab­gesetzte Oberbürgermeister Dr. Neikes von Saarbrücken wütend abgelehnt hat, auch nur noch einen Pfennig für den national­Sozialistischen Schwindel zu geben.

In Danzig schäumt ein Meer von Ver­fung den Termin für die Vertrauensrats­achtung und Empörung um die wortbrü- wahlen im Saargebiet aufgehoben. Sehr chige und korrupte Naziregierung. Der Volks­genau weiß er, daß diese Wahlen an der tag wurde eilig auf Monate vertagt, damit Saar noch viel verheerender ausfallen müß­Dieser Wnuck ist der Mann, der den ein Oppositionsantrag, das Parlament aufzu­ten als im Reiche, und auf dem kleinen Das ist nicht etwa ein Emigrantenmär­früheren nationalsozialistischen Senats- lösen und Neuwahlen auszuschreiben, nicht Saargebiete läßt sich das Ergebnis nicht chen, sondern die Naziführer bestätigen es präsidenten Rauschning gestürzt hat. mehr verhandelt zu werden brauchte. Daß so leicht verbergen und verfälschen wie ihrem abtrünnigen Neikes in der heftig die Nazis jetzt nur noch mit einer hoff­Wir sind in der Lage, heute einen Brief­im weiten Deutschen Reiche. gleichgeschalteten» Saarbrücker Zeitung . wechsel zu veröffentlichen, der diesem nungslosen Minderheit in den Volkstag zu­Nun hat der abgedankte Ober immerhin noch Der verängstigte Rückgliederungskommis- eine Pension von über 1000 Mark monatlich, Sturze vorausging. In diesen Dokumen- rückkehren würden, bezweifelt niemand. So ten, die zwischen Wnuck und Rausch- sehr haben sie innerhalb zwei Monaten Dan- sar hat für seine Scheu vor einer Abstim- aber das ist ihm bei der Naziteuerung SO mung in den Betrieben einen lächerlichen ning gewechselt wurden, enthüllt sich zig herunter- und sich abgewirtschaftet. wenig, daß er Angst um seine Ernährung be­Im Saargebiet erreichte die haken- Grund an die Presse gegeben: Das Ver- kommt. Man stelle sich vor, wie die Stim­die Vorgeschichte der Danziger Krise. Schon im Herbst 1934 war das Nazi- kreuzlerische» Deutsche Front« am 13. Ja- sammlungsverbot des Reichspropagandamini- mung erst bei den Bergkumpels und Hütten­system in Danzig bankrott, war die Dan- nuar noch 90 Prozent der Stimmen. Seit dem sters für den Monat Juli. Aber sind denn bei arbeitern ist, die bei höchstens gleichgeblie­1. März sind die von einer unermeßlichen der im Saargebiet vor einigen Monaten benem Lohn jetzt um durchschnittlich 25 v. H. Reichspropaganda getäuschten und auf dem noch vorhanden gewesenen neunzigprozenti- teuere Preise haben. Da müssen wir dem kalt gen Volksgemeinschaft Versammlungen über- Pg. Bürckel schon recht geben: es wäre eine Schachbrett Und wenn man die rest- im höchsten Sinne staatsfeindliche Haltung, geopferten Saarländer nun im vollen Genusse haupt notwendig? aller Regierungskünste des» Dritten Reichs «. lichen paar Prozent in den Betrieben holen diesen erbitterten Leuten jetzt die Möglich­Wie würde jetzt wohl nach so kurzer Bewäh- wollte, war doch leicht in dem Eckchen Saarge- keit einer Abstimmung zu geben, und wäre Aber dieser Briefwechsel enthüllt noch mung im Saargebiet ausfallen? dem gen zu machen! Nein, der Fall Saargebiet liegt Was liest man an Pfählen und Zäunen des kommissar für die Rückgliederung Staatsrat eindeutig. Dort hat man die Nase voll, und Saargebietes? und Gauleiter Bürckel gibt darauf selbst die Stimmung ist wieder mal neunzigprozen­tig. Diesmal allerdings nach der anderen

ziger Währung nicht mehr zu retten. Schon damals krachte es im Gefüge der Sy­stempartei, und Rauschning, nicht minder schuldig als seine Gegner, sah schon da­mals das Unheil kommen.

der europäischen Politik

mehr! Er zeigt die absolute Abhängigkeit rungsfrist des Nazisystems eine Volksabstim- biet eine Ausnahme für Betriebsversammlun- sie noch so terrorisiert und kontrolliert.

die

der Danziger Regierungspolitik von reichsdeutschen Führerbefehl! Nicht die Danziger Nationalsozialisten trafen Entscheidungen, sondern der Reichs­statthalter in Danzig , der Gaulei-|

die Antwort.

Der Reichs­

Er hat nämlich zur allgemeinen Verblüf- Seite.

Deutsch ist die Saar Nur, daß es vorher besser war.

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H. W.