Nr. 110 BEILAGE 21. Juli 1935 Hie Wandlung In Jugoslawien Belgrad auf dem Wege zur Demokratie Auf den ersten Blick scheint die Wen dung in Jugoslawien den Befürwortern der »individuellen Aktion«, in diesem Fall also der Abschießung von Staatsoberhäuptern, rechtzugeben, denn alles, was sich in den letzten Wochen ereignet hat, die Auflösung der Skupschtina, die Neuwahlen, die Hochflut der Oppositionsstimmen, der Rücktritt der Regierung Jeftitsch, die Bildung des Kabinetts Stojadinowitsch, die Ankündigung einer neuen, auf dem Volkä- willen fußenden Aera und die Wiederauferstehung der alten Parteien— all das wirkt wie eine Folge des Marseiller Attentats vom 9. Oktober 1934; kein Zweifel, daß, lebte Alexander I. heute noch, seine Autorität ausgereicht hätte, die Diktatur noch eine Wegstrecke weiterzuschleppen. Dennoch unterstützt die neueste Entwicklung keineswegs die These von der Wirksamkeit des individuellen Terrors. Einmal erstrebten die Attentäter und ihre Hintermänner etwas ganz anderes, als sich jetzt anbahnt, nämlich statt Festigung des Staates auf demokratischer Grundlage seine Zerrüttung und seinen Zerfall, und zum zweiten wäre der Mordanschlag, obwohl er sein Opfer nicht verfehlte, eine ebenso brutale wie hilflose Geste geblieben, wenn nicht in Jugoslawien selber die Dinge auf einen Umschwung, um nicht zu sagen einen»Umbruch«, hingedrängt hätten. Das ist das Entscheidende! Von der täglich wachsenden Mißstimmung der Massen und der immer gefährlicheren Wirtschaftskrise ausgehöhlt, war das »autoritäre Regime« schon lange bankerott; ob es nun ein halbes Jahr früher oder später liquidiert wurde, darauf kam nicht allzuviel an. Als der König, gestützt auf die Bajo- nette, an jenem 6. Januar 1929 dieVerfas- «ung umstieß, wurde als einziger Zweck der Diktatur die Rettung der Staatseinheit plakatiert. Mit reaktionären Mitteln schien also eine revolutionäre Errungenschaft behauptet werden zu sollen, denn der Zusammenschluß der Serben, Kroaten und Slowenen in einen Nationalstaat war für Südosteuropa eine Tatsache von schlechthin umstürzlerischer Bedeutung, das wesentlichste Stück der bürgerlichen Revolution des Südslawentums; keine Partei hatte die Losung der jugoslawischen Einheit freudiger und bewußter auf ihre Fahne geschrieben als die junge Sozialdemokratie in Belgrad und Sarajewo , in Zagreb (Agram) und Ljubljana(Laibach ). Auch wuchsen in der Tat in dem Schicksalsjahr 1928 seit der Ermordung des kroatischen Bauemführers Raditsch die objektiven Schwierigkeiten derart und häuften sich die subjektiven Fehler auf allen Seiten so sehr, daß Schwarzseher für die Erhaltung der Staatseinheit keine fünf Dinar mehr zu geben bereit waren. Viele dem Diktaturprinzip an sich nicht geneigte ausländische Beobachter betrachteten darum die Belgrader Diktatur wegen ihres»guten Zwecks« mit duldsameren Augen, als sie verdiente. In Wirklichkeit erwies es sich als richtig, wenn ein Balkankenner wie Hermann Wendel schon 1930 in einer gerade heute lesenswerten eingehenden Studie dem Regime des 6. Januar»Tod durch Austrocknung als Folge eigener Unfruchtbarkeit« voraussagte;»Von Natur ist alle Diktatur unschöpferisch, weü sie mit den Wurzeln nicht im nährenden Mutterboden jeder staatlichen Neubildung, in den Volksmassen, steckt. Was sie zu leisten vermag, ist Aenderung des Mechanischen; das Organische bleibt ihrem Zugriff ewig entzogen. Die südslawische Diktatur im besonderen ist auf falschem Weg, da der Grund der Staatskrise nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Demokratie, nicht der Parlamentarismus als solcher, sondern ein falscher, ein lügnerischer Parlamentarismus war. Wenn ihr Ziel, Rettung der nationalen und staatlichen Einheit, auch vom europäischen Standpunkt zu begrüßen ist, um es zu erreichen, läuft sie in falscher Richtung.« Zwar wußten immer wieder mehr oder minder gutgläubige Zeitungskorrespondenten zu berichten, wie stramm das Volk hinter dem Regime stehe; noch nach dem Tode des Königs wurden die Tränen, die bei seiner höchst feierlichen und eindrucksvollen Bestattung flössen, in diesem Sinn gedeutet Dabei war es einem Fremden, der meist nicht einmal die Landessprache beherrschte, so unmöglich, in die Geistesverfassung des geknebelten Volkes einzudringen, wie es heute im»Dritten Reich « der Fall ist. Erst jetzt bei den Mai-Wahlen offenbarte sich diese Stim- slawischen Volkes mit Gewalt unter einen (Geßler-)Hut zu bringen, schmählich gescheitert. Die Weste ist falsch zugeknöpft worden; man muß sie ganz aufknöpfen, um sie richtig zuzuknöpfen. Die Aufgabe des Aufknöpfens hat vorläufig der neue Ministerpräsident Stojadinowitsch übernommen, dessen Regierung ein typisches Im Kamen der ZiTillsatlon! Nur nidii umsehen! mung. Trotz einem Wahlgesetz, das jedem Lug und Trug die Tür offen läßt, trotz einem Wahlterror, der vor dem schlimmsten Mittel zugunsten der Regierungskandidaten nicht zurückschreckte, und trotz öffentlicher Wahl rückten die Anhänger der Opposition in so geschlossenen Massen an, daß der dreiköpfigen Regentschaft angst und bange wurde. Flugs verabschiedete sie den Ministerpräsidenten Jeftitsch, der als»junger Mann« des Königs Alexander in der Außenpolitik einige Erfolge buchen durfte und sich in der Innenpolitik mit Konzentrationslagern und Knüppelgarden zu behaupten gedachte, und sofort zeigte sich auch, auf wie schwachen Füßen Diktatoren und Diktaturen stehen. Vom Volk ganz zu schweigen, das nicht einmal ein Achselzucken für den Entmachteten hatte, desertierten selbst die Abgeordneten, die auf die Liste Jeftitsch gewählt waren und eben noch ihren Herrn und Meister unterwürfig umschmeichelt hatten:»Welch ein Staatsmann ist er!« in hellen Haufen; als im Parlament Unterschriften für den Gewalthaber von gestern gesammelt wurden, fanden sich trotz eifrigster Bemühungen nicht drei Dutzend Namen zusammen! Wenn die Pietät es auch noch verbietet, es offen auszusprechen, so ist doch der sich über fünf lange Jahre erstreckende Versuch des Königs, die Stämme des jugo- Uebergangskabinett ist; von ihr erwartet man nur die Vorbereitung zu Neuwahlen, die allgemein, geheim und frei sein müssen, und zu diesem Ende die Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Freiheiten auf dem Felde des Presse-, Vereins- und Versammlungswesens. Erst mit einem Parlament, das die politische Meinung des Landes einigermaßen wiederspiegelt, kann die Lösung des unaufschiebbaren Verfas- sungsproblems mit Aussicht auf Erfolg angepackt werden. Schwierig genug wird es sein. Die kroatische Frage, die im Grunde gar keine kroatische Frage ist, meldet sich in voller Lautstärke zu Wort, und es wird sich bald zeigen, ob man in Zagreb (Agram) seit dem Tode Raditschs, dessen Ideologie und Taktik nicht immer den Prinzipien moderner Demokratie entsprach, viel zugelernt hat Mit der Kroati schen Bauernpartei treten die anderen politischen Gruppen, die man tot und begraben wähnte, einzeln oder in neuer Koalitionsbindung auf den Plan, die Radikalen, die beiden demokratischen Parteien, die serbischen Landwirte, die slowenischen Christlichsozialen und die bosnischen Moslems. Auch der Arbeiterklasse kann es nicht verwehrt werden, sich hinter der Sozialdemokratie, die ihr altes Banner entrollt, in Reih und Glied zu formieren, denn soviel begreifen die Verantwortlichen wohl, daß nichts verhängnisvoller wäre als ein Versuch, die halb aufgezogenen Schleusen wieder zu schließen. Nein, Jugoslawien ist nach Spanien das zweite der von einer Diktatur heimgesuch- tn europäischen Länder, das sich ganz offensichtlich auf dem Weg zur Demokratie befindet. Welche Folgen sich daraus auch für die innere Entwicklung des Staates ergeben mögen, seine auswärtige Politik bleibt davon unberührt, hicht weil er will, sondern weil er muß. Sein staatsrechtliches Dasein verdankt Jugoslawien , das aus den früheren Königreichen Serbien und Montenegro , aus den südslawisch besiedelten Teilen des ehemaligen Habsburgerreiches besteht, den Friedensverträgen von 1919. Jeden Vorstoß gegen den territorialen Teil dieser Verträge muß Jugoslawien als gegen seine eigene Existenz gerichtet ansehen, denn wenn es mit dem Abbau und Abbröckeln einmal anfängt, streckt bald die magyarische Revisionspolitik ebenso die Faust nach der Wojwodina wie der germanische Imperialismus die seine nach Kärnten . Die Stellung eines Jugoslawien, das nicht gerade Selbstmordgelüste verspürt, wird deshalb immer an der Seite des unbedingtesten Bürgen der Grenzen von 1919 sein, also an der Frankreichs.»Die Außenpoli tik «, sagte darum Stojadinowitsch in seiner Regierungserklärung, ähnlich wie jeder künftige jugoslawische Ministerpräsident sprechen wird,»ist festgelegt durch die Friedensverträge, durch die Bündnis- und Freundschaftsverträge, durch die Existenz der Kleinen Entente , durch das traditionelle Band tiefer Freundschaft zu Frankreich , endlich ist sie festgelegt durch unsere Grundsätze und durch unsere nationale Geschichte. Die Basis dieser Politik ist so fest und tief, sie entspricht so genau den Lebensinteressen des Landes, daß wir sie für unsere künftige Tätigkeit als unabänderlich betrachten.« Da Jugoslawien zur Demokratie zurückfindet, hält es doppelt fest zu Frankreich — die eine wie die andere Tatsache muß einen prominenten braunen Hochzeitsreisenden, der durch die schier wilhelminische Fülle seiner Uniformen die Jugoslawen geblendet zu haben glaubte, baß verdrießen.»Emmi«, wird er knurren,»nach Dalmatien gehen wir nicht mehr. Es sind doch Schlawiner!« P. O. Smatratsch. Brauner Ordens-Kniggc In der nationalsozialistischen Presse, die keine anderen Sorgen hat, zirkuliert zurzeit eine Art Ordensknigge. Was trägt der»Volksgenosse« zum Frack— so er einen hat? »Ordensschnalle mit Originalorden 1. Klasse. Auszeichnungen im Original.(Bei offiziösen Anlässen.) Ordenskette mit verkleinerten Orden, 1. Klasse. Auszeichnungen im Original.(Bei nichtoffiziellen Anlässen.)« Und was zum Gehrock? »Ordensknopf mit schmalen Ordensbändern und kleinen Orden. Große Ordensschnalle, 1. Klasse. Auszeichnungen im Original.« Der braune Volksgenosse(über 1000 Mark Monatseinkommen natürlich) besitzt selbstverständlich einen Smoking! Diesem Smoking gebühren: »Ordenskette mit verkleinertem Orden oder Ordensknopf mit schmalen Ordensbändern und kleinen Orden 1. Klasse.« Vortrefflich? Und nun kommt der Cutaway: Schleifendckoration mit kleinen Orden im Knopfloch. 1. Klasse. Uebergehen wir den»kleinen« und den »großen Dienstanzug« und verraten wir mir, daß er»große Ordensdekoration« verlangt. Aber erwähnenswert ist noch der»Straße n a n z u g«. Er ist auf Diskretion eingestellt. Und' verlangt nur»Bandzusammenstellung mit kleinsten Orden oder Schwerter- chen in den vielseitigsten Arten...« Woher aber die viele Garderobe kommt? Ja, Volksgenosse, die resultiert aus jenem schönen Spruch, der da lautet:»Gemeinnutz geht vor Eigennutz!« Und seine solide Grundlage ist der Lohnabbau für cfie von unten! Pierre.
Ausgabe
3 (21.7.1935) 110
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