Verlag; Karlsbad, Haus„Graphia"— Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte SeiteDanztts Schicksal besiedelt?Durch die Schuld von Schacht und Hitler—Neuer Verelendungsplan für DeutschlandIVr. 113 SONNTAG, 11. August 193Sätodjcnfcta#Aus dem Inhalt:Die wahre Lage in DeutschlandJustizterror gegenSozialdemokratenBlomberg läßt grüßenEine Ohrfeige aus EnglandLSo notwendig es ist, den immer wiederkehrenden Nachrichten über persönliche Gegensätze innerhalb der Diktaturstarkes Mißtrauen entgegenzusetzen, sowichtig ist es, auf die zunehmenden objektiven Schwierigkeiten zu achten, dieihrerseits wieder zu immer sich verschärfenden Richtungskämpfen führen müssen.Von Anfang an ist hier betont worden,daß Schacht, gezwungen, der uferlosenAusgabewirtschaft der Diktatur wenigstens gewisse Dämme entgegenzusetzen, inWiderspruch geraten muß zu den Interessenten der Rüstungs- und Arbeitsbeschaffungsausgaben. Im Kampf um seine Politik schreckt Schacht bisweilen auch vorsehr drastischen Maßnahmen und Drohungen nicht zurück. Die wichtigste undfolgenreichste dieser Maßnahmen ist seinVerhalten gegenDanzig gewesen.Schacht wollte demonstrieren, wohin dieverbrecherisch leichtfertige Ausgaben-Politik der Nationalsozialisten führen muß,er wollte Hitler und den übrigen Ignoran-toß vor Augen stellen, welche Folgen ihre�Irtschafts- und Finanzpolitik zeitigenWird. Deswegen hat Schacht die DanzigerWährungskataatrophe, die an sich beider Wirtschaft der Danager Nationalsozialisten unausbleiblich gewesenwäre, mit Absicht beschleunigt Er hatdie Subventionen, die die Stadt in Formvon Zuschüssen zu den Beamtengehältern,Pensionen und Sozialrenten von Deutschland erhielt, eingestellt Er hat darüberhinaus die Exportforderungen, welche dieStadt durch ihre Ausfuhr von Getreide,Zucker usw. nach Deutschland zu erhalten hat, absichtlich unbeglichen lassen;denn es ist klar, daß bei der deutschenAusgabenwirtschaft die Bezahlung von einigen 40 bis 60 Millionen Mark eine verhältnismäßig gleichgültige Angelegenheitgewesen wäre, während der Entgang fürdie Währung Danzigs tatsächlich den Ge-Qickfang bedeutet hatAber diese Demonstration Schachts andie Adresse Hitlers hat Folgen, die sich dieBerliner Diktatoren nicht haben träumenlassen. Die Abwertung und die kopfloseArt, in der sie vollzogen wurde, hat nichtnur akutes Elend über die Bewohner derUnglücklichen Stadt gebracht, die Preisesind nicht nur 40 bis 70 Prozent in dieHöhe gegangen, während die Löhne vonden Nationalsozialisten gewaltsam auf demfrüheren Niveau festgehalten werden, sondern dazu kam noch, daß der DanzigerGulden auf dem neuen Niveau gar nichtfestzuhalten war. Die Flucht aus demGulden dauerte fort. Die Danziger Natio-Dalsozialisten, beraten von Schacht, suchten ihr durch Devisenbestimmungen nachdem Muster der Deutschen entgegenzutreten. Es ist völlig unbegreiflich, daßSchacht an die Wirksamkeit dieser Be-stimmungen geglaubt haben soll, dennBanzig ist wirtschaftüch gemeinsamesZollgebiet mit Polen. Dazu besitzt Polennoch die Herrschaft über die Eisenbahn inBanzig, hat dort seine eigene Post und istan dem Hafen- und an der Zollverwaltungodtbeteiligt. Die polnische Post kümmertesich nicht um die Devisenbestimmungenünd diese erwiesen sich als völlig undurchführbar; der Gulden sank unmerWeiter unter seine neue Parität.Die Polen, Hitlers Freunde und Bundesgenossen, halten jetzt die ihnen vonSchacht gewährte Gelegenheit für günstig, um die wirtschaftlicheEinverleibung Danzigs vorwärts zu treiben.Sie haben die Aufhebung der Devisenbestimmungen verlangt und da der Senatablehnte, haben sie eine vernichtende Maßnahme getroffen. Der polnische Finanzminister verordnete, daß vom 21. Juli abdie aus dem Ausland nach Polen eingeführten Waren nicht mehr im DanzigerGebiet verzollt werden dürfen, sondern nurin den innerhalb des polnischen Zollgebietes liegenden Zollämtern. Das bedeutetaber, daß Waren, die bisher über den Hafen von Danzig nach Polen eingeführtwurden, in Danzig nicht mehr verzollt undabgefertigt werden konnten. Die Importeure müssen deshalb den Danziger Hafenmeiden und ihre Sendungen nach dem polnischen Konkurrenzhafen G d i n g e n umleiten. Seit dem 22. Juli verödet der Danziger Hafen. Die Folgen schildert die»Frankfurter Zeitung«:»Die Zolleinnahmen in Danzig sind in kurzer Frist auf ein Siebentel zusammengeschmolzen. Einige Linien laufen den DanzigerHafen Uberhaupt nicht mehr an. Die Deutschen, die im Danziger Gebiet wohnen, lebenaber in erster Linie vom Hafenumschlag undvom Hafenhandel. Wenn keine Schiffe nachHeil unseren Führer!Dat Fleesch ward immer dürer.Heil Robert Ley!Elber Penning kost een Ei.Heil Hermann Göring!Jetzt giffts bloß noch Pellkartoffelnun Hering.Heil Rudolf Heß!So schlimm is niemals west.Han wi dat vorher weeten,wi han juch fix wat scheelen!(Von der Wasserkante.)Der Beobachter der deutschen Verhältnisse, der sich bemüht, hinter den Ereignissen im Vordergrund die große Linieder Entwicklung zu erkennen, kann heutedrei Feststellungen treffen:1. Lange Zeit— wir haben wiederholtdarauf hingewiesen— war der B o 1-schewistenschreck die große negative Massengrnndlage des Systems. DieAngst vor dem Chaos, das eintreten müßte, weil nach dem Sturze Hitlers der Kommunismus an die Macht käme, veranlaßteden»Bürger« immer wieder, sich trotzallen Geschimpfes und Gemeckers dochmit dem System abzufinden. Diese Angstvor dem Chaos als der unüberwindlichenFolge eines Sturzes des Systems ist imSchwinden. Die Vorstellnngen gewinnen anBoden, daß es Kräfte gibt, die befähigtnnd berufen sind, das System abzulösen.Diese Vorstellungen sind nicht einheitlich.Ein Teil— und es ist einstweilen der größere— neigt zu der Auffassung, eineMilitärdiktatur müsse nnd werdekommen nnd die Maßnahmen gegen denStahlhelm sind die Antwort des Systemsdarauf. Zum kleineren Teil aber— unddies scheint uns ein wichtiges Symptom zusein— entwickelt sich auch die Vorstellung, daß»die Arbeiterschaft esmachen mu ß«. Diese Auffassung erwächst ans der sich immer mehr bahnbre-Danzig hereinkommen, kann auch zur Seekaum mehr etwas ausgeführt werden. Auchder Export ist also gefährdet. Die polnischeZollverordnung, die mit den Verträgen in Widerspruch steht, bewährte sich somit als das,was sie wohl sein sollte: als ein Griff anden Lebensnerv der Danager Bevölkerung.«Ein nur zu wirksamer Griff, den dasgewissenlose Experiment Schachts ermöglicht hat, und der die verelendeten Massenmit neuen Gefahren bedroht. Der in Danzig ansässige Transit-Großhandel und dasvon ihm abhängige Gewerbe stehen vordem Ruin. Die Firmen sind zur Liquidierung ihrer Betriebe und zur Uebersiedlungnach Gdingen gezwungen, was zu umfangreichen Entlassungen Danziger Arbeiterführen müßte. Die Danziger Nationalsozialisten sind in übelster Lage. Die Erbitterung der Bevölkerung gegen das korrupte und unwissende Gesindel, das imBunde mit den Berliner Stellen die Stadtin dieses Unglück gestürzt hat, ist grenzenlos. Die Danziger Regierung hoffteaber auf die polnische Freundschaft mit Hitler. Darin sieht sie sichfreilich getäuscht und greift daher zuneuen Verzweiflungsmaßnahmen. Der Danziger Gulden verliert im Ausland immerrascher seine Kaufkraft. Deswegen hatder Senat zollfreie Einfuhr für Lebensmittel, Arzneien, Kohlen und einige andereWaren verordnet Man will auf diese Weisedie eingefrorenen ausländischen Fordenm-gen, d. h. in Wirklichkeit die von Schachtgeschuldeten Summen, für den Bezug dieser Waren aus Deutschland nutzbarmachen.Das ist nun ein offener Bruchder Zollunion mit Polen, der auchvon der Danziger Regierung offen zugegeben wird. Die Polen erklären drohend,daß sie diesen Vertragsbruch nicht zulassen werden und in ihrer Hand sind allewirtschaftlichen Machtmittel nicht nur,sondern ihnen steht auch der klare Wortlaut der internationalen Verträge zurSeite. Die Danziger Regierung kann deswegen von vornherein nicht daran denken,sich an den Völkerbund zu wenden, sondern kann nur in Warschau um neue Verhandlungen betteln.Die Polen aber scheinen bis ans Endegehen zu wollen. Für sie ist der Frennd-schaftsvertrag mit Hitler in der Tatsehr nützlich. Sie haben aus ihm dasmoralische Recht auf den Besitz despolnischen Korridors ableiten können,ohne daß Hitler widersprochen hat. SieTerror In der DefensiveDie allgemeine Situation in Deutsdblandchenden Erkenntnis, daß es in den»vierzehn Jahren« doch ganz anders gewesenist, als Hitler und seine Anhänger es darzustellen pflegen.2. Die zweite Feststellung, die heutegetroffen werden kann, ist; das Ans«.hen Hitlers wankt. Die Popularitätdes»Führers« war schon seit einiger ZeitSchwankungen unterworfen. Der Saarsiegund die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht hatten sein Ansehen wieder starkgefestigt und Bedewendungen, wie»derFührer will das nicht«—»wenn der Führer das wüßte, würde er es nicht dulden«waren allgemein. Seit einiger Zeit aberüberwiegen die"Meldungen, daß man inallen Volksschichten auch an der Persondes»Führers« zu zweifeln beginnt. AuchMitglieder der NSDAP, zumal»alte Kämpfer« beteiligen sich gelegentlich an dieserKritik an Hitler. Aber diese Kritik ist invielen Fällen noch keine grandsätzlicheKritik am Ftthrerprinzip, sondern mansucht nach einem anderen»Führer«, derfür die einen Schacht, für die anderenBlomberg heißt.3. Die dritte Feststellung— und sieist für die richtige Einschätzung der aktuellen Ereignisse die wichtigste— betrifft die Steilnngder NSDAP, ihrAnsehen in der Bevölkerung und ihre innere Verfassung. Wir haben vor einigenMonaten darauf aufmerksam gemacht, daßdie NSDAP einem Prozeß der Aushöhlungnnterliegt, weil sie an alle möglichen öffentlichen und halböffentlichen Institutionen Leute abgegeben hat nnd weiter abgibt nnd nichts anderes mehr ist als eineInteressengemeinschaft von Posteninhabernund Postenjägern. Diese Beobachtung wirderneut durch eine Reihe von Berichtenbestätigt, die feststellen, daß sich die Partei keines Ansehens mehr erfreut, und daßsie als geschlossene Organisation, geschweige denn als geistige Triebkraft undzielbewußte politische Stoßtrupp« kaumnoch in Erscheinung tritt.Diese drei Feststellungen— schwindender Bolschewistenschreck, wankendesVertrauen zu Hitler und dauernd zurückgehende Achtung vor der Partei— sindwichtige Gesichtspunkte für die Beurteilung der Aussichten, die die neue Terror-welle hat. Es ist eine Defensivaktionder NSDAP! Mag Göbbels noch sofreche Reden halten, die auf den Ton gestimmt sind:»Wir dulden keinen Einflußneben uns«— er wird damit vor demkundigen Beobachter die wahre Lage nichtverschleiern!Emigrantenfallender GestapoNachdem den Menschenräubem der Gestapo durch die Empörung, die ihre Entführungen im Auslande hervorgerufen haben,diese Art der Emigrantenbekämpfung zurZelt etwas unbequem geworden ist, greifensie nun zu einer neuen, nicht weniger niederträchtigeren Methode. Eine Anzahl Emigranten haben in den letzten Wochen vonBekannten aus ihrem Heimatsort Mitteilungen erhalten, daß nahe Angehörige,wie Eltern oder Geschwister, erkranktoder verstorben sind und daß zur Regelung verschiedener Angelegenheiten ihreRückkehr unbedingt nötig sei. Heuchlerischwurde solchen Briefen ein Satz beigefügt,daß sie nichts zu befürchten hätten, da selbstGestapo in solchen Fällen„menschlich" seiund ein Auge zudrücken würde.Vereinzelt sind Emigranten auf derartigeSchreiben, deren Inhalt mit keinem Wort derWahrheit entsprach, hereingefallen und mußten ihre Liebe zur Familie und ihre Vertrauensseligkeit mit furchtbaren Prügeln undden Raub der Freiheit bezahlen.