Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 117 SONNTAG, 8. Sept. 1935

Aus dem Inhalt:

Gegen die Rassenhetze Die nächste Kriegsgefahr Deutschland schimpft

Der Kongreß der Komintern

Die Weit entdeckt den Faschismus

Demokratie ist Frieden

Lang hat es gewährt, jetzt aber tritt es ein: Mussolini wird erkannt.

neuen

-

Faschismus ist Krieg

und

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und

Die Staatsmänner Europas verstehen| seine wirtschaftlichen politischen Faschismus der Krieg ist. Jetzt ent­es nur zu gut. Der Diktator muß sein Einflußsphären in Abessinien; den Negus decken sie es zu spät. zwingen. Sieggekrönt ohne Und sie entdecken mehr! Wie hat bis vor wenigen Wochen die Prestige mehren, neuen Ruhm erwerben, werden wir Sie ver­Weltpresse diesen Mann gepriesen, den neues Land dem Volk verschaffen, das Krieg pflückt er die Früchte seiner Ener- lassen die Prachtstraßen und wenden den er seines unter dem Druck seiner Herrschaft zu er- gie, kann Erneuerer Italiens , den Erwecker seinem Volke die Erfolge Blick von den herrlichen Schätzen, die die Volkes. Die Pünktlichkeit der Eisenbah- sticken droht. Denn das ist das seiner staatsmännischen Kunst weisen. Ausgrabungen erschlossen haben, und sie nen und die Vorzüglichkeit der Gesetz, nach dem er angetre- Verschaffen wir ihm den Triumph, und sehen das zermalmende Elend des italie­uns neu nischen Landvolkes. Sie erkennen plötzlich Autostraßen, die Weizenschlacht und die ten. Dem Zweck müssen die Mittel die- seine Bundesgenossenschaft ist der kriegerische Aufwand, gesichert. Sie haben mit dem Staats- die Wahrheit, daß die ganze Wirtschafts­Entwässerung der pontinischen Sümpfe, nen; deshalb sich politik des Faschismus mit seinen Korpo­die interessanten Ausgrabungen in Rom die riesigen Mobilisierungen, die drohenden mann gerechnet, und sie haben und Pompeji zeugten von der wirtschaft- Reden, die brüsken Gesten. Aber das alles verrechnet! Sie hatten den Faschisten rationen und Zwangskartellen nichts ande­lichen Einsicht und der hohen Kultur die- ist doch nur zum inneren Gebrauch. Der vergessen, der den Krieg braucht res bedeutet, als alle menschlichen nicht das und auf ihn nicht verzichten kann. Der den materiellen Produktionsfaktoren in den ses großen Geistes. Bewundernswert aber große Staatsmann wird doch vor allem, was die Tatkraft dieses Ein- Friedenswerk gefährden, Europa in größte Sieg braucht, den blutigen, in mörderi- Dienst der Kriegsvorbereitung zu zigen aus dem italienischen Volk zu Gefahr stürzen, die mühsam niedergehal- schen Schlachten errungenen Sieg, weil er len. Schaudernd und hoffend zugleich kon­tene Unruhe machen gewußt hat. Emporgerissen in der Welt der farbigen den Rausch braucht, die Siegestrun- statieren die bisherigen Bewunderer Mus­seiner Gleichmütigkeit und Friedfertigkeit, Völker in gärende Erregung verwandeln? kenheit, die das Volk aufs neue ihn zu solinis den Bankrott. Gewaltig ist die werden Füßen wirft. Sie haben sich verrechnet, Armee und reich ausgestattet mit all den von nationalem Elan befeuert, wurde es Am Verhandlungstisch zum machtvollen Instrument in der Hand wir die Lösung finden: Mussolini erhält weil sie nicht glauben wollten, daß der riesigen Hilfsmitteln des modernen Krie­des großen Staatsmannes, der ungehemmt durch Parteiintrige und parlamentarische Hemmungen sein Volk zur Sonnenhöhe internationaler Geltung heraufführte.

aus

Hat Hitler vor Polen kapituliert?

Ultimatum Pilsudskis im Sommer 1933?

stel­

Und dieser Staatsmann selbst, wie war er mit seinen höheren Zielen gewachsen! Freilich im Anfang hatte manches, was er sagte, etwas beunruhigend gewirkt. Zu Für die kritische Beurteilung der trag, der offizielle Autorität beanspruchte, laut erklang das Lob der Gewalt zu Außenpolitik der Hitlerdiktatur wie für die führte Litauer aus: >> Als Hitler zur Macht kam, war es Pil­hoch das Lied vom männlichen künftige Geschichtsschreibung ist es wich­Krieg, zu frech der Spott über den tig, die folgende Frage zu klären:» Mußte sudski klar, daß wir mit den Konsequenzen Völkerbund . Aber waren denn das nicht die Hitlerdiktatur im Mai 1933 ernsthaft des nur Rezepte für den inneren Gebrauch, mit dem Präventivkrieg nötig, um die Massen immer wieder für die konnte sie völlig risikolos an die Diktatur zu begeistern, ihnen Ersatz zu rüstung gehen?< bieten für prosaische Dinge wie Brot und Polenta, für die selbst ein so großes Genie zumal in Krisenzeiten nicht immer sorgen kann? Die anderen Staatsmänner glaubten es gern, und die Weltpresse pries unbeirrt den großen Duce, zu dem die Macdonald und Henderson fuhren, um seine Mit­wirkung für die Schlichtung der mittel- Korrespondent europäischen Probleme zu suchen, für den graphen- Agentur, sie bei Deutschland und Frankreich war- tauer, einen Vortrag vor dem Royal­ben, um sie ihm als Bundesgenossen zuzu- Institute of International Affairs in Lon­führen. Als Schiedsrichter Euro- don über die Rolle Polens zwischen pas erschien der Duce; mit England, Deutschland und Rußland . In diesem Vor­Frankreich und Deutschland im Vier­Mächte- Pakt vereint, wollte er als Aus­schlaggebender dem Völkerbund das Ge­setz diktieren und seine> hierarchische Ordnung Europa auferlegen als größter Staatsmann..

stellte er Hitler dem gleichen Ultimatum gegenüber:» Krieg oder Frieden?«< Hitler wählte den Frieden, und man muß ihm die Gerechtigkeit angedeihen lassen, daß er potentiellen Wachsens der deutschen ihn wirklich meinte. rechnen oder Kräfte rechnen mußten. Zwei Wege waren Was Polen nicht von Brüning erlangen Auf- offen, der eine war, sich der revolutionären konnte, noch von Hermann Müller , Bewegung entgegenzustellen, noch bevor sie noch von dem berüchtigten> Geist der Ver­sich wie ein Lauffeuer ausbreiten und alles söhnung« Stresemanns, das hat es ge­auf ihrem Wege verzehren konnte; der an- genwärtig von Adolf Hitler erreicht.<<

-

sein

entschlossen gewesen, aber Frankreich habe ihn im Stich gelassen.

3

Die polnische Propaganda hat zur Zeit des Aufenhalts Mr. Edens in Warschau be­hauptet, Pilsudski sei zum Präventivkrieg strecken und ihr Wohlwollen dere war, eine freundschaftliche Hand auszu- Diese Behauptung wurde in der Diskus­zu gewinnen. sion unterstrichen. Mr. V. Poliakoff führte Pilsudsky faßte zunächst den ersten Weg ins aus: Auge und sondierte die Haltung der französi­Am 23. Mai 1935 hielt der Londoner schen Verbündeten. Frankreich lehnte ab, der Polnischen Tele- da es sich nicht stark genug zum Präventiv­Stefan Li- krieg fühlte. Pilsudski forderte daher Hitler auf eige­ne Faust heraus. Wie Pilsudski einst Wol­demares in Genf mit der Frage herausge­fordert hatte:>> Krieg oder Frieden?«, so

Dr.

Gegen die Rassenhete!

Von Otto Wels .

daß > Es kann nicht geleugnet werden, Pilsudskis Ultimatum an Hitler , das der Ursprung der guten Beziehungen zwischen Polen und Deutschland war, die Drohung mit einem Gewaltakt dar­stellte.<

Der Vortrag Litauers mit einer Zusam­menfassung der Diskussion ist in den Ver­öffentlichungen des Instituts erschienen ( International Affairs, Vol. XIV, Nr. 5, Sept./Okt. 1935, S. 654 ff), denen wir die zitierten Stellen entnommen haben. Der Gesamtcharakter des Vortrags wird

am

>> Gleichheit alles dessen, was Menschen-| drückten gewesen. So stand sie in ihrer besten gekennzeichnet durch die Behaup­Mussolini und das hieß für Millio- antlitz trägt«, forderte der große deutsche Jugendzeit gegen Bismarck auf Seiten der tungen Litauers, daß die Weimarer nen der Faschismus stand im Zenith Patriot Johann Gottlieb Fichte in seinen bedrängten Katholiken. Sie ist den Auf- Republik als Erbin der preußischen seines Ansehens. Es tat ihm auch nicht Reden an die deutsche Nation . Und wahr- fassungen aus jener Zeit, in der sie selbst Staatsraison eine stete Drohung gegen Po­Abbruch, als der Freund, den er selbst so lich, kein Mensch hat ein eigenes Verdienst verfolgt und geächtet war, auch treu ge- len gewesen sei, während Hitler die lange gehegt hatte, den er in den ersten daran, einem bestimmten Volk, einer be- blieben in jenen Perioden ihrer Geschichte, preußische Hegemonie und den preußi­Zeiten seines schwierigen Aufstiegs so stimmten Rasse oder Klasse anzugehören. in denen sie an der Macht im Staate Anteil schen Militarismus kräftig unterstützt hatte, als Hitler ihn Niemals kann der Zufall der Geburt über hatte. Sie darf deshalb auch jetzt, da sie stört habe und deshalb eine Garantie des verriet. Als alle zauderten, rettete da nicht den Wert eines Menschen entscheiden. selbst wieder den Verfolgten gehört, Friedens sei. der Aufmarsch am Brenner den Frieden Erst seine eigene Leistung zeigt seinen ihre Stimme erheben gegen die Schmach, Europas ? Hatte der Starke sich nicht als Wert für die menschliche Gesellschaft. mit der die Usurpatoren den deutschen

land und Frankreich vereint soll Mussolini

zusammen der Garant der neuen> kollek­tiven Sicherung des Friedens werden, er, der Faschist.

zu

Namen besudeln.

Wir Sozialdemokraten kennen das

in Deutschland

zer­

Gegenüber seinen bestimmten Behaup­tungen aber erhebt sich die Frage: Ist es richtig, daß Hitler vor einem Ultimatum Pilsudskis kapiu­liert hat?

Reichswehr und System

In Amsterdam kamen 14 Deser­der Reichswehr an, die sich

Friedensfürst erwiesen? Nicht mehr im In dieser Wahrheit ist die unversöhn­Viererpakt mit Deutschland , wie Englands liche Ablehnung des Antisemitismus be­verunglückte Friedensmacher es ge­wünscht hatten, aber in Stresa mit Eng - gründet. Heute wälzt sich eine Schlamm- deutsche Volk. Es hat mit dem eklen flut antisemitischer Hetze durch die deut- Treiben der Judenhetzer nichts zu tun. den Donaupakt zur Ordnung Mitteleuropas findens, der Achtung des Menschen vor schen Lande. Alle Dämme sittlichen Emp- Diese Hetze ist nur darum möglich, weil alle anständigen Teile des Volkes unter in Angriff nehmen, mit den Westmächten dem Menschen werden niedergerissen. Eine stärkstem Druck gehalten werden. Nicht teure Seuche der Niedertracht, beispiellos in nur Juden, auch Sozialdemokraten und nach Möglichkeiten erkundigten, weiter nach ihrer verlogenen Gemeinheit, geht von den Kommunisten, Katholiken und Protestan- England zu kommen. Darunter waren zwei und mehrere Unteroffi­heutigen Gewalthabern Deutschlands aus ten, füllen die Konzentrationslager, Ge- Offiziere Sie erklärten, daß sie in Berlin in Groß ist Mussolini und seiner Macht und droht alles zu vergiften. Zu ihrer Ab- fängnisse und Zuchthäuser. Dennoch ist ziere. bewußt. Aber nicht den Frieden Europas wehr ist die ganze Kulturwelt verpflichtet, der Geist des Widerstandes nicht tot, er der Kaserne gegen Hitler aufgeputscht hät­besinnt er, sondern mehr Macht will lebt und wächst. Ihn mit allen Kräften zu ten und erst einige Tage eingesperrt ge­wenn sie nicht zum Mitschuldigen werden Dann wurden sie vom Regi­er erringen, den Nationalismus neu ent- will an dem Verbrechen, das in Deutsch - fördern, betrachten wir deutschen Sozial- wesen seien. fachen, der ihm seine Herrschaft ver- land nicht nur an den Juden, sondern am demokraten als unsere heilige Aufgabe. An mentskommandeur in Freiheit gesetzt, soll­längern und das Fundament festigen soll, die ganze gesittete Welt aber ergeht unser ten aber auf Antrag der Regierung ins Ge­Ruf: Helft denen, die Recht und Mensch- fängnis gebracht werden. Die Gelegenheit, das unter den Folgen seiner Miẞwirtschaft ganzen Volke verübt wird. ist lichkeit in Deutschland wieder herstellen zu entfliehen, hätten sie ungestört gemein­sam benutzt.

zu wanken anfängt. Das abessini- Die deutsche Sozialdemokratie sche Abenteuer beginnt. stets ein Anwalt der Verfolgten und Be- wollen!