Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 120 SONNTAG, 29. Sept. 1935

Aus dem Inhalt:

Der Schwindel um Memel

Volk ohne Wohnraum Caligula baut

Vom Wirtschafts- zum Pogrom­führer

ani

Hunger im Dritten Reich

Berlin

Die Folgen des Rüstungswahnsinns

In der letzten Zeit macht sich die Fett­knappheit in Berlin außerordentlich bemerkbar. Seit drei Wochen gibt es prak­tisch kein Schmalz mehr, und ob man Rückenfett bekommt, ist ebenfalls Glück­sache. Auch die Butter ist knapp. Klein­

A

auf deutscher Seite

Der Schwindel

um Memel

den Märkten. Die Frauen rotteten sich| Schen Zollbehörden schreiten natürlich gegen sich zusammen und machten aus ihrer Mei- diesen Schmuggel nicht ein. Es hat auch den nung kein Hehl. Man konnte Rufe hören wie Anschein, als ob man etwa den,»> Früher habt ihr auf die Polen ge- nichts dagegen unternehme. Man läßt an­schimpft, wenn sie jetzt nicht schmuggeln scheinend auch hier die Dinge geschehen, weil würden, hätten wir nichts zu fressen.<< Die auf diese Weise die Bevölkerung wenigstens Nationalistische Betrugspolitik ruiniert die Polizei griff nicht ein. Sie redete den demon- teilweise versorgt und die Stimmung nicht strierenden Frauen gut zu. Es handle sich noch schlechter wird als es der Fall wäre, Am 29. September wird im Memelland nur um eine vorübergehende Erscheinung, es wenn sich die Lebensmittelnot in ihrer gan- ein neuer Landtag gewählt. Das Land ist zen Schwere auswirkte. Die Schmuggler neh- in Unruhe. Wird es reine, freie, unbeein­men keine Reichsmark, sondern nur Zloty flußte Wahlen geben? oder Dollar in Zahlung. 11103

werde bald wieder besser usw.

An der oberschlesisch- polnischen Grenze, der sogenannten»> Grünen Grenze<< hat das Schmugglergeschäft Formen ange­

*

Nation.

Die Lage der 70.000 Deutschen in die­sem dem litauischen Staat angehängten

händlern wird nur noch ein Bruchteil ihres normalen Bedarfs geliefert. Am empfindlich­sten macht sich der Mangel an Fleisch bemerkbar. Die Schlächter werden jetzt prak­tisch alles los, was sie überhaupt an Fleisch auftreiben können. Die Hausfrauen klagen darüber, daß das Fleisch nicht genug ausge­16 wird gemeldet, daß Betriebsstörungen aus hängt ist. Die Schlächter müssen bei ihren Quelle wird behauptet, daß wöchentlich bis 20 Tonnen Butter und vorsichtig ge- Materialmangel entstehen. Vor allem mangelt Einkäufen auf dem Viehhof neben dem Frisch­fleisch eine entsprechende Menge Büchsen- Schätzt 2000 bis 2500 Schweine nach Deutsch - es an Schmieröl. Das zur Verfügung stehende fleisch( Fleisch im eigenen Saft) abneh- land gebracht werden. Der nächste polnische Quantum ist oft auf weniger als ein Drittel Schlachthof befindet sich in Königshütte. der früheren Zuteilung reduziert. Die Arbei­men. Mit diesem Büchsenfleisch hat man recht Dort wurden bis vor einiger Zeit wöchentlich ter sind dadurch nicht in der Lage, die Ma­ungünstige Erfahrungen gemacht. Aber es ist für die Arbeiter viel zu teuer. Jede Büch- bis zu 3200 Schweine geschlachtet. Die polni- schinen richtig zu schmieren.

nommen wie noch nie. Aus zuverlässiger Aus oberschlesischen Industriegebieten Autonomiegebiet ist nicht leicht. Glück­

se hat zwei Pfund, und wenn sie einmal auf­gemacht ist, dann müssen die zwei Pfund auf­gegessen werden. Das kann sich ein Arbeiter einfach nicht leisten. Die Fleischpreise sind außerordentlich hoch. Neuerdings hat man wieder Schlächterläden geschlossen, weil sie die Höchstpreise überschritten haben. Auf der Freibank, wo das minderwertige Fleisch ver­kauft wird, sind die Preise für das Pfund von 30 auf 45 Pfg. gestiegen. Das ist für die Aerm­sten der Armen eine außerordentliche Mehr­belastung. Natürlich sind auch die Geflügel­preise entsprechend gestiegen. Im Zusammen­hang mit der Fleischknappheit gehen in der Bevölkerung Gerüchte umher, das Militär kaufe alles Fleisch auf, um es schon jetzt für den Kriegsfall zu Konserven verarbeiten zu lassen. Oft sind keine Zitronen zu haben. Man macht sich lustig über die Ratschläge, Zitronen durch Rhabarber zu ersetzen. Die Kartoffeln sind neuerdings etwas im Preise gestiegen.

nade

Rückzug der katholischen Kitche

model

licherweise schützt sie ein internationales Statut, dessen Einhaltung durch einige zivilisierte Großmächte garantiert ist. Der Weg zum Völkerbund steht ihnen offen. So rechtlos wie die Deutschen in Deutschland sind die Deutschen in Litauen nicht.

Diese unbestreitbare Tatsache verträgt sich schlecht mit dem Schwindel von der Wiederherstellung der deutschen Ehre und

Wir wollen für die Deutschen überall, also auch in Litauen , Freiheit und glei­ches Recht. Aber wir erheben den schärf­sten Protest dagegen, daß sich die Kerker­meister des deutschen Volkes als Hüter Seit einem Monat liegt nun der Hirten- lands jede weitere Verhandlung mit der Re- der Freiheit der Deutschen in Litauen auf­brief der deutschen Bischöfe vor. Seine grund- gierung ab. Das sei ein an Hochverrat gren- spielen. Die Kundgebungen, die heute im sätzlich scharfe Ablehnung der Hitler - Rosen- zendes Verhalten und rechtfertige die Auf- braunen Deutschland für die Deutschen in bergschen Weltanschauungstheorien ist un- lösung der sich staatsfeindlich betätigenden Litauen veranstaltet werden, sind nichts bestritten. Ob er jedoch die Position der Kir- Vereine. als eine schamlose Komödie. che im Kulturkampfe verbessern wird, steht Man erwartet, daß die Unterdrückung der Es ist wahr, die Lage der Deutschen noch dahin. Einstweilen haben die Gläubigen, katholischen Arbeitervereine für ganz in Litauen ist nicht beneidenswert. Sie in denen vielfach eine an Wut grenzende Er- Deutschland unmittelbar bevorsteht. Bei zahl- ist es nirgends in der Welt. Unter der bitterung gegen alles Nationalsozialistische reichen Präsides haben Haussuchungen statt- Weimarer Republik war das Auslands­herrscht, noch das Gefühl eines weiteren gefunden. Viele Mitglieder wurden polizeilich deutschtum besser geschützt, und es stand Rückzuges der Kirche. In ganz Deutschland vernommen. Es scheint, daß nicht nur die geachteter da als jetzt unter der Herr­Ordinariate haben die bischöflichen dem Tage der katholischen Arbeitervereine, son- schaft des Dritten Reiches . katholischen Klerus die strikte Anweisung dern die aller katholischen Standesvereine gegeben, in Predigten und Verkündungen jede gezählt sind. Schärfe gegen den Staat zu vermeiden und Tagesfragen ganz aus dem Spiele zu lassen. Die Priester sollen sich wirklich nur mit der Seelsorge befassen. Alle Differenzen zwischen Sehr stark macht sich die Preissteigerung Kirche und Staat würden ausschließlich von für alle notwendigen Bedarfsartikel bemerk- den dazu bestimmten kirchlichen Stellen be­über- handelt. Diese vorsichtigen Anweisungen sol­bar. Die billigste Margarine ist haupt nicht zu haben, sie ist immer ausver- len auf neue Richtlinien aus Rom zurückzu­kauft. Die Händler sind angewiesen, ihren führen sein, Monatsbedarf bei der zuständigen Versor- die Verhandlungsfäden nicht abgerissen sind. gungsstelle zu melden. Dann wird mitgeteilt, Millionen deutscher Katholiken leben daß die Fettkarten nur mit 75 Prozent immer in dem Gefühl der Unsicherheit und der zustehenden Mengen für Arbeitslose ge- sind einer starken Belastungsprobe ausge­liefert werden dürfen. Die Zuweisungen sind setzt. So sicher es ist, daß die überzeugten dann so gering, daß die Händler selbst diese und regelmäßig praktizierenden Katholiken, verkürzten Rationen nicht einhalten können. sich treuer um ihre Kirche scharen, so gewiß Besonders bei der Margarine macht sich schon ist auch, daß viele Taufscheinkatholiken und laue Kirchenbesucher die katholischen Organi­ein starker Schleichhandel be­Vor der Machtergreifung kleiner Ange­merkbar. Butter kostet im westlichen sationen in großen Scharen verlassen, um sich jetzt: Schlesien das Kilo 3,2 Mark, das Ei 13 Pfen- bei den Machthabern nicht verdächtig zu ma- stellter chen. Diese Entwicklung wird unter anderm Fabelhaftes Besitztum mit großem Park nige. Die Margarineproduktion ist um 40 Prozent herabgesetzt, von den verbleibenden durch den starken Rückgang der Auflagen in Harlaching bei München . 60 Prozent sind 40 Prozent rationiert, um das aller Kirchenblätter und katholischen Tages­monatliche Quantum von einem Pfund Mar- zeitungen dargetan. garine und einem Pfund Speck für die Ar­

Schlesien

und sie lassen vermuten, daß

noch

Der nächste Schlag des Staates gilt den

Die Bischöfe glauben, daß die Kraft ihrer Kirche im Kulturkampf dann am stärksten und unbesiegbar bleiben werde, wenn sie alles preisgebe, was die nationalsozialistische Re­einem Schein gierung mit von Recht als > politischen Katholizismus« bezeichnen könn­te. Erst von den religiösen Urquellen des

dem Geschwätz von der wiederauferstan­denen Macht. Wie auf allen anderen Ge­bieten so hat das Dritte Reich gerade auch auf dem der Nationalpolitik nichts ande­res geliefert als Seifenblasen.

Katholizismus aus könne die volle Verteidi- Wenn es wahr ist, wie jetzt landauf, gung und später die Rückeroberung der ver- landab mit schauerlichem Pathos verkün­lorenen Organisationen erfolgen. lorenen Organisationen erfolgen. Die Laien det wird, daß zwei Millionen Litauer den sind vielfach anderer Ansicht, aber Rom und 65 Millionen Deutschen auf der Nase her­wo bleibt da die von Hitler die Bischöfe haben allein die einzuschlagende umtanzen Taktik zu bestimmen. aufgerichtete deutsche Macht und Herr­lichkeit?

Hannes Wink.

Braune Großverdiener Rudolf Heẞ :

-

Himmler :

1932 völlig vermögenslos

-

hat jetzt in

--

baut

-

als

Das Dritte Reich kann den Auslands­Es will ihnen deutschen nicht helfen. auch gar nicht helfen. Die Republik von Weimar war ständig Mitglied des Völker­und konnte bundsrat solches die Rechte der Auslandsdeutschen wirksam aus verteidigen. Das Dritte Reich ist dem Völkerbund hinausgelau­fen und hat die Auslandsdeutschen zu ihrem eigenen, schwersten Schäden für irr­sinnige außenpolitische, Pläne mobilisiert. Eines der Opfer dieser von Berlin aus betriebenen verbrecherischen Politik weitem nicht das einzige sind die Me­meldeutschen. Ihre Lage wäre heute bei weitem besser, wenn nicht so viele von

-

bei

hat sich ein prachtvolles Besitztum in ihnen den Melodien der braunen Ratten­

Tegernsee zugelegt.

beitslosen zur Verfügung zu haben. Kartof- katholischen Arbeitervereinen. Tegernsee das Gut eines Kammersängers für 84.000 Mark gekauft. feln kosten der Zentner 4,50 Mark. Die Die Gestapo hat die Auflösung dieser Vereine das für den Regierungsbezirk Münster Gauleiter Nippold- München : Fleischpreise sind gewaltig gestiegen, Nicht fertig gewordener Student halbe Kilogramm Schweinefleisch kostet 1,60 verfügt, wo sie besonders zahlreich waren. Mark. Geringere Sorten sind nicht zu haben. Den längst gesuchten Anlaß zur Auflösung jetzt in Starnberg ein prächtiges Haus. Für sie sind Mindestpreise festgesetzt, die und zum Vermögensdiebstahl gab die Harm- Schatzmeister Schwarz losigkeit einiger schon bejahrter geistlicher Schlächter verkaufen die Ware aber nicht zu fänger ihr Ohr geliehen hätten. Sie ha­Mindestpreisen, sondern unter der Hand zu Herren, die sich in der Führung der Vereine ben sich dazu verleiten lassen, SA- und viel höheren Preisen. In Händlerkreisen rech- befinden, Der Diözesanpräses Dr. Konermann hat dem Bezirkssekretär der katholischen Gestapomethoden zu importieren und ihre net man damit, daß im Winter Lebens­Arbeitervereine von Bocholt Jakobs, inneren Streitigkeiten mit Fememorden mittel nur noch auf Karten wie im früheren Landtagsabgeordneten des Zen ->> Es gibt immer noch Menschen, die nicht auszutragen. Wenn sie dadurch in Kon­Kriege abgegeben werden. trums, einen Brief geschrieben, der unter an- merken, wie begnadet Deutschland ist, seit flikt mit der Staatsgewalt geraten sind, derem mitteilt, daß die Verbandsleitung in ihm sein Führer erwuchs... Das sind Krea- so tragen die gewissenlosen Hetzer in Ber­In Oberschlesien tritt der Mangel an Köln Massénaustritte aus der Deutschen Ar- turen, die sich darüber erbosen, wenn die lin daran die Hauptschuld. Und wenn Fleisch, Fett und Gemüse besonders stark her- beitsfront, und zwar Vorstöße ganzer Be- Kartoffeln oder das Gemüse ein paar Pfen- jetzt diese den Schaden beklagen, den sie zu- nige teurer, wurden, die aber kühl bleiben, selbst angerichtet haben und sich als die vor. Die Unruhe ist in der Bevölkerung des- triebe erwäge. Mindestens solle damit Helfer derer aufspielen, deren Mißgeschick. wegen groß. In Beuthen , Gleiwitz und nächst gedroht werden. Auch lehne der Füh- wenn sie den Führer erblicken.<< Rokitnitz kam es zu Krawallen auf rer der katholischen Arbeitervereine Deutsch­bow( Aus der NS- Rheinfront.) sie selber herbeigeführt haben, muß jedem

Oberschlesien

einem

Die Unverbesserlichen!