Nr. 136 BEILAGE TJcuccTtaMs 19. Januar 1936 Rasse und Mensdi Wieviel Verlogenheit und Sumpf gehört dazu, um im heutigen Mischmasch- europa Raasenf ragen aufzuwerfen(gesetzt nämlich, daß man nicht seine Herkunft in Borneo und Horneo hat)! Friedrich Nietzsche . Die Rassedogmen des Dritten Reiches basieren auf der Behauptung, daß die wesentlichen inneren und äußeren Anlagen des Menschen nicht von Erbanlagen und Milieu, sondern ausschließlich vom Blut der Ahnen, d. h. der vererbten artlichen Abstammung, bestimmt werden. Für braune Rassetheoretiker wie Günther, Clauß und Leers steht fest, daß jede Rasse nur aus dieser Rasse ableitbare und nur für sie geltende geistig-seelische Züge besitzt, woraus sich für die Günthers eine Wesens- und Werteskala der Rassen ergibt, bei der die»jüdische« als minderwertige und die»germanische« als höchstwertigste figuriert. Im letzten Jahrzehnt sind verschiedene wissenschaftliche Werke erschienen, die diesen Unsinn ad absurdum führten. Die ernste, nicht von politischen Zwecken beeinflußte Wissenschaft hat festgestellt, daß es die»ewigen Eigenschaften« des Blutes nicht gibt, daß Europa einen Völkermischmasch darstellt, in dem sich Volk und Rasse nirgends und in keinem Land mehr decken, daß bei wechselnden Lebensumständen sich auch der Rasselnhalt dauernd wandelt, daß es also weder eine Konstanz der Rassemerkmale, noch einen ewig vererbbaren Rassecharakter gibt. Für die weißen Völker gilt in jedem Falle seit langem das Ueberwiegen der allgemein menschlichen Züge über die sogenannten rassischen Artunterschiede. n. In die Reihe dieser wertvollen Forscherarbeiten gehört ein Werk von Dr. Walter Berger, das jüngst im Gsur- Verlag(Wien ) erschien:»Was ist Rasse?< Das Buch und seine Ergebnisse sind deshalb von besonderem Gewicht, weil Berger zwischen den streitenden Lagern der Rasse-Bejaher und-Verneiner steht, weil er versucht, germanische Rassedogmatiker wie Claus und Günther zu verstehen. Er leugnet den Einfluß des »Blutes« nicht, sondern sucht klarzustellen,»wie weit das Blut in den Bereich höherer, durch die Ueberlieferung festgefügter kultureller Ganzheiten hineinreicht« und wieweit es das Gepräge des heutigen Menschen bestimmt. Er schenkt sich Experimentelles und Anthropologisches und möchte vor allem den Zusammenhang von»Rasse und Seele« aus der politischen Umklammerung lösen. Auch er setzt im heutigen weißen Völkergemisch den noch sichtbaren, spürbaren Einschlag von sowohl indogermanischen wie vorderasiatischen Gruppen voraus und kommt sogar dem fachlichen Sprachgebrauch der»nordischen« Rassedogmatiker entgegen: »Trotz weitgehender Vermischung und tausendfacher Uebergänge lassen sich aus einem Dutzend Europäer die Güntherschen Haupttypen: nordisch, ostisch, dinarisch, westisch, ostbaltisch, in den wichtigsten Zügen herauslösen und-lesen.« Berger hält sich nicht bei der schwierigen Definition des Begriffs Rasse auf, er leugnet auch nicht, daß sich bestimmte Rassetypen schlecht zur gegenseitigen Vermischung eignen; er weist jedoch nach, wie schwer es ist, bei all den verschiedenen Volksteilen die»Rasse« und den Prozentsatz der vielerlei Rassenmerkmale festzustellen und wie sehr da seelisch und körperlich alle nordischen, westischen, ostischen und sonstigen Merkmale durcheinander gehen. Deshalb ist ja die ganze braune Rässeneugenik auf Sand gebaut und zur Willkür und Scharlatanerie verdammt m. Noch dunkler als mit den Merkmalen ist's mit dem Rassegefühl bestellt. Es ist nicht da, es hat auch die germani- j sehen Stämme nicht gehindert, sich zu| zerfleischen, sich im Dienste rassefremder j Herren zu bekämpfen, in ostischen Völ -! kern aufzugehen und alle Herkunft zu vergessen: »Aus all dem läßt sich nur ein Schluß ziehen: Wenn Menschen einer Rasse gegen- elnanderstehen wie Feinde gegen Feinde, Fremde gegen Fremde, andere gegen andere, »o tritt eben die gemeinsame leibliche und die in gewissem Maße auch gemeinsame seelische Art zurück hinter der Zugehörigkeit zu dem oder jenem Volke. Volk bindet kollektiv und schafft ein Gemeinschaftsgefühl, Rasse nicht; Rasse kennzeichnet biologische Varietäten Im Tierreich und auch beim Homo sapiens, soweit er als Tierspezies betrachtet wird: erst das nur histoiiach-sozlo- logisch-kulturell erfaßbare Volkstum Ist geistig bindend und gestaltet menschliche Gruppen.« Dasselbe gilt von den»ewigen« jüdischen Rassemerkmalen: auch sie verschwinden, wie unzählige Untersuchungen beweisen, in den meisten Fällen hinter den typischen Merkmalen des Volkes, dem der jüdische Mensch angehört.»Jedenfalls würden die Beobachtungen, die man an einem jüdischen Waisenkind, das von Anfang in ganz anderer Umgebung aufgezogen würde, machen könnte, wertvoller sein als alle Abhandlungen über Rasseinstinkt.« Die germanischen Blutdogmatiker haben dem»nordischen Typ« besondere schöpferische Fähigkeiten angedichtet. Wo sie in den Genies südeuropäischer Völker auftauchen, wird die große Nummer einfach zum Repräsentanten nordischen Blutes erhoben. Objektive Untersuchungen haben ergeben, daß viele schöpferische Menschen ausgesprochene Mischtypen darstellen, mit einem stärkeren oder schwächeren nordischen Einschlag.»Jedenfalls scheint auch das Neu- und Einzigartige bedeutender Menschen(nicht nur der Völker) durch das Zusammenkommen mehrerer Arten begünstigt zu sein.« Man kann für möglich halten— Beweise gibt es nicht— daß im einzelnen gewisse Uraniagen weiterwirken und die Art, wie sich diese Uraniagen zu dem von der Umwelt bedingten seelischen Inhalt verhalten, kann rassenmäßig gefärbt sein, aber dieser Inhalt nimmt im Individuum einen so breiten Raum ein, daß er für alle volklichen Mischtypen das Bindend-Gemeinsame wird. IV. Die braunen Rassephilosophen setzen im einzelnen eine zeitlose»Rassenseele« voraus und glauben an ein»unabänderliches Schicksal der Art«, wobei sie sich in geradezu naiver Weise widersprechen. Berger weist das an mehreren Beispielen nach. Für die Günther und Konsorten ist die»nordische Rasse« die kriegerische Rasse schlechthin, die sich auf den Schlachtfeldern aller Zeiten aufgerieben habe. Um die Gefahr ihrer Vernichtung zu bannen, propagiert er einen sozusagen nordischen Pazifismus, Schutzmaßregeln für die nordische Rasse. Damit schmeißt er seinen Glauben an, das Rasseschicksal und die»unabänderliche Art« über den Haufen. Gegen das Blut bietet der Norde plötzlich den verpönten Geist auf; »Dieser innere Riß geht durch das ganze Gebäude der kultur-phUosophlschen Rassenlehre; denn zur schicksalhaften Tragik der Nordrasse gehört— immer von Günthers Gedankengang aus— in erster Linie die seit jeher währende Vermischung mit anderen Rassen, in die das nordische Blut verrinnt... Er bedauert dies warnend, indem er zeigt, wie die Dinge jedesmal gegangen sind und geendet haben und wie betrüblich dieses Ende ist. Wichtig ist aber bloß die Erkenntnis, daß der vom Leben diktierte Gang der Dinge jedesmal ein solcher sein mußte; angesichts dieser Zwangsläufigkeit kann nur ein sozialbiologisch notwendiger Vorgang vorliegen.« Diese sozialbiologischen Gesetze der Erhaltung der menschlichen Art fegen alle Rassedogmatik über den Haufeh. Die Natur hat, wie jeder Tierzüchter bezeugen kann, den Lebewesen keinen Trieb zur Reinerhaltung der Art gegeben. Es wäre interessant, statistisch festzustellen, wieviel Ehen in nordisch durchmischten Gegenden zwischen Hellen und Dunklen geschlossen werden: »Denn auch in jedem Einzelmenschen steckt, wie in ganzen Völkern, eine lockende, aus dem Eros hervordrängende Sucht, ins Andersgeartete einzutauchen und sich neu aus ihm emporzuheben, ein dunkler Hang zum Uebergang und, wenn es sein muß, zum Untergang. Tatsache ist, daß bei günstigen Verbindungen verschiedenartiger El lern (z. B. bei nordisch- westischen oder nordisch-dinarischen Eben) Menschen entstehen können, die die Vorzüge beider Typen ererben, sie durch die Neuartigkeit ihres Wesens und geistige Schöpferkraft weit überragen.« Die Natur und der»Rasseninstinkt« kümmern sich also nicht um die rassischen Gesichtspunkte der braunen Züchter. Die biologische Entwicklung strebt im Gegenteil immer wieder neue Mischformen an. Dazu wird in unserer Zeit das Menschheitsbild sehr rasch verändert durch Großstadt- und technisch- industrielles System, geschaffen von einem in allen Brdteilen gewachsenen systematisch-rationalen Denken. Es ist lächerlich,(jeswegen irgendeine Rasse zu bemühen. An diesem Punkte versucht Berger, die ideellen Beweggründe des »neu erwachten Rassekultes« psychologisch zu begreifen: »Denn— neben allem anderen— liegt ihm der Hang zugrunde, gegen die Verflachung und Entartung de« Menschen zur Schablone und zum Automaten, zur»M aschinen- r a s s e«, den artfrohen und natumahen Menschen und im Kampf gegen das volksmordende technisch-industrielle System an Stelle des rationellen Kolleküvums das Kollektivum des Blutes zu setzen.,. und nimmt alle Konsequenzen dieser plötzlichen Verengung, Zurückschraubung mit Gefahr der Verwilderung mit in den Kauf. Sind aber moderne Wirtschaft und Germanenblut vereinbar?« Mit dieser leichten Ironie schließen Bergers Untersuchungen, deren Wert vor allem darin besteht, daß hier ein Mittler im Rassenstreit gestehen muß, wie armselig, widerspruchsvoll und unwissenschaftlich die Denkweise der Blubophilo- sophen bleibt. Schade, daß dies Buch zu fachwissenschaftlich abgefaßt ist, als daß es eine Aufklärungsschrift für Laien sein könnte. Und wenn es dort abbricht, wo eine Antwort nicht minder dringend von Nöten ist, so wohl deshalb, weil der christlich gebundene Autors seinen Lesern nicht Der Staat bin Idi Die Stadt Saarlonis— genannt nach Ludwig XIV. — ist umbenannt worden. Die Schilder»Hitlerstadt« waren schon vorbereitet. Da entschloß man sieb, es bei»Saarlautem« bewenden zu lassen.
Ausgabe
4 (19.1.1936) 136
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