Nr. H? BEILAGE HcuecUonoöcfe 26. Januar 1936 Zur Rechtsphilosophie des Hntionolsoziüiisiuüs Die Rechtsphilosophie des nationalsozialistischen Faschismus ist in seinen drei Hauptschlagworten enthalten: totalitärer Staat, Volksgemeinschaft, Rassenprinzip. In kritizis tische Sprache übersetzt, bedeutet der totalitäre Staat das Prinzip derDespotie, die durch die Volksgemeinschaft- und Führer-Mystik zum despotischen Messianismus wird. Als»Rassismus « ist diese Art von Religiosität nur scheinbar Naturalismus, in Wahrheit gesteigerte und pseudo- wissenschaftliche getarnte Romantik. Massentaumel, Führer-Messianismus und der neue Islam der auserwählten Rasse sind indessen nur die Formen, in denen sich ein totaler Militärstaat gegen antimilitaristische Opposition schützen will, die ihm als technisches Hindernis für einen Krieg auf der Basis der Total-Mobilmachung erscheint. Die Diktatur des Ein-Parteienstaates, der Glaube an den Führer-HeUand als unfehlbare Verkörperung des Volkes, die metaphysische Gewißheit zur auserwählten Rasse zu gehören und ihre welthistorische Mission zu erfüllen,— es sind Mittel, dem neuen Militarismus die unerschütterliche Basis zu geben, die der frühere gegenüber den antimilitaristischen Revolutionen in der Weltkriegsperiode nicht besaß. Journalistisch-agitatorische Kräfte haben die Faschismen geschaffen, indem sie den militaristisch-imperialistischen Mächten die Grundlage einer breiten Massenbewegung zu geben wußten. Die repräsentativen und aggressiven Träger des ersten Weltkrieges: Miülär-Monarchien und Obrigkeitsstaaten sucht man durch totale Militär- Vplksstaaten als Typen eines kommenden Weltkrieges zu ersetzen. Die Kennzeichnung des totalitären Dritten Reiches als Despotie ist nicht nur ein Schlagwort von uns Antifaschisten. Man ist berechtigt, im präzisen Sinne des Wortes von Despotie zu sprechen, wo folgende Merkmale erfüllt sind: Mechanisierung des gesellschaftlichen Lebens durch eine starre Staats-Autorität, der Ausnahmezustand in Permanenz, Aufhören der Bindung der Befehlenden an die von ihnen selbst erlassenen Normen, Ausrottung der Grundrechte der Individuen. Im Faschismus gibt es nur gleichgeschaltetes gesellschaftliches Leben, auf die Spannungen und Wechselströme, die sich aus kräftigem Eigenleben erzeugen, hat man verzichtet. Die Differenzierungen, die jedes höher entwickelte soziale Leben kennt, in Staat und Gesellschaft, Exekutive und Legislative, Rechte und Linke, Staat und Kirche, Staat und Partei, Recht und Macht werden in einem primitiven Unitarismus niedergewalzt, der keinerlei Vielheit und gewiß nichts»organisch Gewachsenes« mehr kennt. So ist dieses Merkmal der Despotie erfüllt. Dasselbe läßt sich von den anderen zeigen. Als Carl Schmitt noch ein kritischer Denker war, konnte man sich des Gedankenblitzes freuen, mit dem er den Souverän als denjenigen definierte,»der über den Ausnahme-Zustand zu verfügen imstande ist.« Seit er sich in seinen eigenen Voluntarismus immer mehr verliebte, ist dieser Staatsphilosoph des Dritten Reiches zum Ideologen des permanenten Ausnahmezustandes geworden. Und dabei ist sozusagen der Witz verloren gegangen und das Salz dumm geworden. Die Despotie bindet sich ferner nicht einmal an ihre eigenen Normen; man kennt die ganze Launenhaftigkeit des nationalsozialistischen Gesetzeswerkes und der Verwaltungspraxis. Man weiß, wie der Nationalsozialismus die elastischen Formeln liebt— aber nicht die zugunsten der Rechts-Unterstellten, sondern jene anderen, durch die man sie unter ständiger Bedrohung und Schikane halten kann Daß bei der grundstürzenden Aenderung in der Lage der Juden kein jüdisches Minoritätenrecht geschaffen wurde, um der Willkür und der Bedrohung Spielraum zu lassen, ist hierfür ein charakteristisches Beispiel, aber nicht das einzige. Und was schließüch die Grundrechte angeht, so lebt ja der Faschismus von ihrer Vernichtung. Denn jene»droits de l'homme et du citoyen« sind das Sinnbild der reinen Idee des Liberalismus, die über alle ihre durch Klassenkampf getrübten Verwirklichungen in der Geschichte hinaus mit [der Idee des Rechtsstaates selbstidentischist. Der Faschismus kann sich als wahrer Sozialismus und selbst als wahre Demo- : kratie zu tarnen suchen. Den Liberalismus i aber will er mit Stumpf und Stiel ausrot- I ten. Soziologisch genommen, sind allerdings große Kleinbürgerschichten aus »National-Liberalen« zu»National-Soziali- sten« geworden, aus Anhängern der Ideologie einer sentimentalen Volksgemeinschaft zu Fanatikern der blutrünstigen Volksgemeinschaft. Aber die unverletzlichen Rechte des Menschen und des Bürgers, die» droben hangen unveräußerlich«, und die das Volk mit revolutionärem Rechte gegen die Tyrannen vom Himmel herunterholt,— von denen will man nichts wissen. Und ebensowenig von den Rechten, die das Individuum stets gegenüber der Staatsräson besitzt, von jener unpolitischen Zone, in der der einzelne unantastbar ein Stück »Freiheit vom Staate« leben darf.»Es gibt kein Privatleben mehr«— dieses zynische Wort, das nichts mit den kollektivistischen i Ideen eines wirklichen Sozialismus zu tun hat, ist für die Despotie ebenfalls außerordentlich kennzeichnend. Die tragische Ironie der Despotien ist ihre verborgene Identität mit der Anarchie. Der vollstreckende Spruch der Weltgeschichte hat oft genug aus der U eberspann ung der Staatsautorität ihre totale Zersetzung hervorgehen lassen. Wer den Rechtsstaat aufhebt, zerstört den Staat selbst, auch wenn das im Namen des totalitären Staates geschieht. Der totalitäre Staat, der schließlich— kein Staat mehr ist, die Despotie als Anarchie, sie zeigen nur, daß sich im Begriffe des permanenten Ausnahmezustandes die geordnete Beziehung zwischen Regel und Ausnahme und damit eben das Recht als eine Ordnung aufhebt I»Auf den Höh'n des Staats ist staatlos, wem das Edle fremd«— die Antigone des antiken Dichters schleudert diesen Satz dem Tyrannen ins Gesicht in der Auseinandersetzung, in der sie die ewigen ungeschriebenen Gesetze der Ethik gegen eine brutale und entartete Staatsräson vertritt als unsterblicher Anwalt der unsterblichen Humanitätsidee. » Aber hat denn der Nationalsozialismus nicht im Gegensatze zum italienischen Faschismus das Volk statt des Staates in den Mittelpunkt seiner Ideologie gestellt? Ist für ihn der Staat nicht, wie man mit Recht sagte, nur der weltliche Arm einer mystisch verklärten Volksgemeinschaft? In der Tat handelt es sich bei ihm um die neuartige, in der antiken Welt und vielleicht in der ganzen Geschichte noch nicht dagewesene Form einer demagogisch- messianischen Despotie. Die Volksgemeinschaft ist mit der priviligierten Kaste von fanatischen Glaubenskriegem identisch. Hier ist das Volk nicht das mannigfach gegliederte Ganze von Individuen, die gemeinsame Abstammung, gemeinsame Sprache, gemeinsame Geschichte, gemeinsame Kultur verbindet Volk ist mit der nationalsozialistischen Bewegung identisch. Und so wird der Führer nicht nur zu einer mystischen Verkörperung der»volontee generale« in der politischen Sphäre, er wird zum Gottgesandten, zum Messias einer Glaubensbewegung, eines neuen Islam, der nötigenfalls mit Feuer und Schwert verbreitet werden soll. Der oberste Kriegsund Gerichtsherr ist auch der oberste Herr der Gewissen. Zu seiner weltlichen Allmacht kommt der Anspruch auf geistüche Unfehlbarkeit hinzu, mit der der oberste Kulturherr für Wissenschaft, Kunst und 1 Religion die Normen aufstellt, nach denen sie sich zu richten haben. Schließlich ist auch in der Rechtsphilosophie das Rassenprinzip die ideologische »bonne k tout faire«, das Mädchen für alles im Nationalsozialismus. Und dieser Vergleich aus dem Bereiche der Hausangestellten liegt ja nahe, da die berühmten Nürn berger Gesetze ihre zehntausendjährige Bedeutung von der Eliminierung der Hausangestellten unter dem kanonischen Alter aus jüdischen Haushalten herleiten. In diesem ganzen Bereiche hat sich der Na tionalsozialismus in der eigentümlichsten Weise in seinen agitatorischen Schlagworten selbst gefangen und ein Staatsgebilde auf der Grundlage eines pseudo- wissenschaftlichen Aberglaubens errichtet. Der Antisemitismus war stets ein wunderbar bequemes Agitationsmittel, aber die Idee eines antisemitischen Staates wäre etwa den Lagarde und Treitschke selbst als ein allzu schmal fundiertes Gebilde erschienen, In Wirklichkeit enthält diese Idee eine Absurdität, ganz ähnlich, wie wenn man den Staat auf den Glauben an Hexen gründen wollte. An dieser Stelle ist ja das Dritte Reich auch der Groteske am nächsten, nur daß sie für Tausende zur Tragödie geworden ist. * Resümierend also läßt sich feststellen, daß der totalitäre Staat die militärische Despotie im Sinne der totalen Mobilmachung, daß die Volksgemeinschaft eine Pseudo Religion der Partei und des Parteiführers, daß das Rassenprinzip einen Kultus der Pseudo-Wissenschaft bedeuten. Diese nationalsozialistische Philosophie aber wird dem positiven Juristen des Drit ten Reiches als Rechtsgrundlage und als ihre Rechtsquelle vorgeschrieben. Die positiv-rechtlichen Konsequenzen dieser Philosophie zeigen sich denn auch auf der gan- 1 zen Linie. Im Völkerrecht: Negation der zwischenstaatlichen Organisation und der kollektiven Friedenssicherung trotz aller»bilateralen« Friedensmanöver. Im Verfassungsrecht: die Aufhebung ' der Verfassung durch ein ganz roh gezimmertes Ermächtigungsgesetz und die j Nürnberger»Freiheits«-Gesetze. Im Ver- Iwaltungsrecht: die Seuche der»ad- , ministrativen Verschickimg«, der Schutzhaft, die Justiz und Verwaltung nicht mehr ! gegeneinander abgrenzt, im Straf- recht: die Strafgesetze mit rückwirken- | der Kraft, die Verfolgung der Gesinnung und der intellektuellen Komplizität. Im Strafprozeß: schließlich die Einführung des Führerprinzips und die praktische Beseitigung der Rolle der Verteidigung, und im Strafvollzug; der Triumph des Rache-Prinzips gegen die Humanisie- rungs-Tendenzen, die man.als falsche Sentimentalität beschimpft. Und nur in der Sphäre des Privatrechts erkennt man, wie wenig hier revolutioniert worden ist, wie selbst die Bewegung der»Dämonen« und jenes Reich des»Antichrist« vor den wirtschaftlichen Herzogtümern und den Mächten des Finanzkapitals halt gemacht hat. Bei dieser Tatsache stößt die Rechtsphilosophie auf die soziologischen und ökonomischen Hintergründe ihrer Arbeit. Aber die Einsicht in diese kann den Kampf ums Recht nur fördern und stärken. Der Kampf ums Recht bleibt stets der Kampf um die Grundlagen der Zivilisation und um die Gesundheit der i Welt. B. N. tStftitddi Hkhiit erer ww*wwwlW**wWwr m"WWW Sein We� von Freud zu lllller Im Januar 1932 standen im Kölner Schwurgerichtssaal zwei bäuerliche Menschen unter Mordanklage. Es war eine Szenerle voller tragischer Akzente, sensationell selbst für abgebrühte Juristen, Geschworene und Reporter. Auf der Sünderbank saß ein alterndes Mädchen, verschlagen und erstaunlich wortgewandt; neben ihrer großen knochigen Gestalt nahm sich der männliche Mitschuldige, klein, verlegen und angstzitternd, sehr unbedeutend aus. Unbegreiflich, daß sie sich einmal mit ihm einlassen konnte! Als das Kind da war, weigerte sie sich trotz seiner flehentlichen Bitten und gegen alle dörfischen Gewohnheiten, ihn zu heiraten. Er war ihr»als Mann« nicht tüchtig genug, um das elterliche Anwesen zu bewirtschaften. Aber das Kind mußte fort, es mahnte sie an Erlebnisse, deren sie sich schämte, und schließlich stiftete sie ihn an, es zu töten. In nächtlicher Stunde wurde der kleine Leichnam verscharrt. Noch vor Gericht gab dieses unbegreiflich harte Mädchen ihren Mitschuldigen verächtlich und wegwerfend preis. Stundenlang verhandelte das Schwurgericht über die Motive des Mordee, Da wurde der Untersuchungsrichter vernommen, der die beiden Angeklagten nach ihrer Verhaftung vielen Verhören unterzogen und ihre ersten Geständnisse entgegengenommen hatte, und um dieses Richters willen lohnt es sich, welter zu berichten. Es war ein noch ziemlich junger und schlanker Herr mit einer Gelehrtenbrille, ganz außerhalb des gewohnten Typs deutscher Juristen. Er begnügte sich nicht mit der Erstattung eines sachlichen Referats über die protokollierten Aussagen. Vielmehr machte er den Schwurgerichtssaal zum Schauplatz eines wissenschaftlichen Kollegs. Er trug psychoanalytische Betrachtungen Uber Mörder und Mörderin vor, gestützt auf die Argumentationen Freuds . Er beherrschte alle individualpsychologischen Analysen mit dem dazu gehörenden, oft etwas verschlungenen Wortschatz mit letzter Vollkommenheit. Es wimmelte von»Verdrängungen«, von»sexualbetonten Kindheitserlebnissen«— kurz, dieser Richter zerlegte die seelische Struktur der beiden Angeklagten mit einem solch feinnervigem Einfühlungsvermögen, daß es Ihm gelang, sie im Lichte unglücklicher erotischer Verstrickungen zu zeigen. Wenn sie auch wegen des Mordes an ihrem Kinde harte Strafe verdienten, so sei ihnen tiefes menschliches Mitgefühl unter Würdigung aller mildernder Umstände nicht zu versagen. Der ganze Saal stand unter dem Eindruck dieser Aussage. Zwar lagen auf dem Tisch unbarmherzige blutige Beweisstücke. Aber der Herr Untersuchungsrichter hatte die Köpfe zweier Menschen gerettet. Selbst die Zuchthausstrafe fiel verhältnismäßig milde aus. Bei der Urteilsverkündung erschien auf dem blassen Asketenkopf ein Lächeln des Triumph«. Hatte er nicht der modernen Justizpflege eine Gasse gebahnt? Als sich der Saal leerte, sagte jemand:»Ein deutscher Richter, wie es wenige gibt. Er macht sich die Mühe, Menschenschicksale zu ergründen, und er hat ein Herz.« • Aber nun ist ein meilenweiter Schritt zu zu machen. Es ist November 193 5. Der totale Staat hat die Einrichtung von Sondergerichten befohlen. Der»Mensch« ist nun abgeschafft. Es gibt nur noch treue Bürger des Dritten Reichs oder verbrecherische Schädlinge, Objekte erlesener brauner Richter mit der eidlichen Verpflichtung zu Bluturteilen. Das Kölner Sondergericht tagt genau einen Korridor unter dem Schwurge- ricbtssaal. Auf der Anklagebank sitzt ein jüdischer Journalist, der seit langen Jahren eine große Berliner demokratische Zeitung im deutschen Westen vertreten hatte. Man sieht viele braune und schwarze Uniformen im Gerichtssaal, denn es soll sich ein öffentliches Strafgericht über einen früheren politischen Gegner vollziehen. Der Journalist hat das Gesetz zur Reinerhaltung des deutschen Blutes, verkündet zu Nürnberg im September 1935, dadurch verletzt, daß er seine arische Freundin nicht sofort aus seiner Wohnung entfernt hatte. Anfang Oktober war die Ge stapo gekommen. Zwar fand sie zu nächtlicher Stunde das junge Mädchen keineswegs in seinem Zimmer. Aber die Umstände, und die Beamten hatten den Haftbefehl schon vorher in der Tasche, denn die Stunde der Rache war da. Die Herren vom Sondergericht hatten die polltische Vergangenheit des Angeklagten in den Akten und beherrschten die Situation. Ausführlich wurden die»Umstände« erörtert. Der Angeklagte erklärte, daß er mit dem Mädchen in einer»Gewissenehe« gelebt habe. Die Richter belächelten die Vokabel: Gewissen. Höhnisch nahmen sie die Aussage entgegen, daß es ihm nicht gelungen sei, in der Elle eine geeignete Unterkunft für die Freundin zu finden. Die hübsche junge Dame, die zugunsten des 48jährigen aussagte, brachte sichtbar Empfindungen des Sexualneida zum Ueberkochen. Messerscharf fiel die Anklage-
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