Nr. 138 BEILAGE

Neuer Vorwärts

2. Februar 1936

Dritte braune Kulturbilanz

worden ist.<

1936)

oder: der» innere Auftrag«

auch eine

Hermannus Rex

den Warnfinger:

. Eine besonders

.

>> Politische Dichtung kann keine be- zu seinesgleichen rechnet. Da im Dritten| ken, um die noch immer sehr gefürchteten| offiziellen Liste der Reichsschrifttumskam­fohlene Dichtung sein, aber als Auftrags- Reich selbst das geistige Vakuum organi- Gegner auf einer Art von geistiger Hoch- mer anerkannt ist oder nicht, jeder ge­dichtung ist sie dann nicht abzulehnen, wenn der Auftrag als äußerer Anlaß dazu siert werden muß, so gibt es, wie wir von ebene( was sie sich darunter vorstellen) gen jeden führt, daß die Dichtung nach einem in- Blunck erfahren, besondere zu widerlegen und zu schlagen. Die Fetzen» Warte nur, balde<< neren Auftrag geschaffen wird.<<» Verbotsabteilung der Reichsschrifttums- fliegen nur so. Da schreiben jetzt zahl- ansprechende Drohung sprach Heinz ( Helmuth Langenbucher:» Dich- kammer. reiche junge Leute die treuherzigsten Ro- Steguweit, der Schriftleiter des» West­tung der jungen Mannschaft, Hamburg Er schrieb Blunck hofft, daß das Schrifttum mane von Aufstieg und Niedergang, von deutschen Beobachters<< aus. >> Es ist selbstverständlich, daß unter allmählich dem Staat die Ver- werdender Volksgemeinschaft national- jüngst in seinem Blatte, er sähe im brau­dem Gesichtspunkt der Ewig- botspflicht abnehmen und>> von sozialistischer Observanz mit populären nen Schriftstellergefilde viele, die bewiesen, keit, unter dem wir den Nationalsozialis­sich aus<, wie er sich ausdrückt, die Prü- Gestalten, kurz von allem, was braune daß man ein vortrefflicher Formschöpfer, mus betrachten, kein Anlaß zu irgendeiner Sorge vorhanden ist, wenn die große zu- fung neuer Bücher auf sich nehmen wer- Herzen begehren sollten. Aber die Lanzen- zugleich aber in der Gesinnung ein>> her­sammenfassende Tat noch nicht getan de. Dieser Wunsch beginnt allmählich in reiter der» Bücherwarte« metzeln sie nie- vorragender Gauner und Ehrabschneider<< Erfüllung zu gehen. Ein enger Kreis von der. Die gesinnungstreuesten Dinge wer- sein könne, nämlich ein sich automatisch ( Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlösser über die neudeutsche Dichtung.) Geweihten und Beauftragten fängt an, den als» bedeutungslos< abgetan, Ober- in der Farbe seiner Umgebung anpassen­eine braune scholastische Dogmatik aus- flächlichkeit und Flachheit werden abge- des Chamäleon. Kurz, im Dritten Rei­Von allen Seiten rücken die Rechen­schaftsberichte über die kulturpolitischen Leistungen des Regimes in siegesfreudigen Geschwadern heran. Reichsschriftstums­kammer, Buchhändlerorganisationen, Kul­turgemeinden und Theaterverwaltungen wetteifern in Ziffern, die die ununter­brochenen Erfolge der deutschen Bil­dungsschlacht verdeutlichen sollen. Das Wort» Schlacht hat keineswegs nur formale Bedeutung. Auf diesen Feldern lie­gen in Hunderterreihen die vertriebenen und verfemten Dichter, Schriftsteller, bildenden Künstler, Schauspieler und Sän­ger, denen die nationalsozialistische Welt­anschauung die sinnere Sendung und den äußeren Auftrag« versagte. Die kulturelle Produktion des Dritten Reiches kann nur durch die unaufhörliche Reproduktion von > Berufgleichen« existieren. Zahlen und Ziffern, die an sich nicht gefälscht zu sein brauchen, haben hier die Aufgabe, zu Wahrheitsverschleierungen und Mystifika­kationen zu dienen.

jüdi­

Neben dem Wort» Kultur« steht logisch immer zugleich das Wort» Propagan­da«. Früher, in den Tagen, als noch die » Untermenschen< herrschten, hatte dieses Wort einen etwas fatalen Nebensinn. Es bedeutete die Werbung für eine Sache, die sich nicht absolut und eindeutig durch ihre Güte empfahl. Sie erforderte darum die äußeren Mittel der Aktivisierung aus dem Gebiet der Reklamepsychologie. Unbe­zweifelbar, daß der Nationalsozialismus der sehr rationalen( und zumeist schen<) modernen Werbetechnik die be­sten Effekte zur Massenbeeinflussung ab­gelernt hat, und es war durchaus in der Ordnung, daß zu den ersten staatspoliti­schen Neuschöpfungen der braunen Dik­tatur das Propagandaministerium gehörte. Die Macht der Gewohnheit an das Wort ist so groß, daß ein großer Kreis deutscher Menschen das Ge­fühl für die Peinlichkeit und Zweideutigkeit des offiziell gekrönten Wortes verloren hat. Diese Erscheinung gehört zur To­talität der Abstumpfung und Abtötung geistiger Entscheidungen, die dem System repräsentative Kulissenerfolge ermög­lichen.

Rechenschaft der » literarischen Stoßtrupps<< Beginnen wir mit dem deutschen Buch und seinen Autoren. Vor zwei Jahren wurde das Reichsschrifttumsgesetz pro­

Er

Ministerpräsident Göring besuchte zwei höhere Schulen Berlins . erschien unerwartet in mehreren Klassen, ließ sich Hefte und Bücher zeigen und griff gelegentlich auch mit eigenen Erklärungen in den Unterricht ein.

Zeichnung von Henry Dubas.

voraus­

che sei es möglich, daß das Hochkünstlerische zugleich eine> Widerwärtigkeit« sei. Steguweit >> könnte sie mit Namen nennen«. Wie loyal von ihm, daß er es nicht tut! Bleibt ihm ein Erdenrest zu tragen peinlich? In den Sturmtagen der alten Kämpfer saß er ge­borgen in der liberalen, leicht verjudeten Redaktion des» Stadt- Anzeigers der Köl­ nischen Zeitung «. Er hatte damals noch einen gelinden Schrecken vor Sozialismus und Sozialdemokratie. Heute ist für ihn Sozialismus einfach das» Volkshafte«, wo­mit er zeitlebens auf Du und Du stand. ,, Es ist schrecklich

in diesem Haus... 66 Steguweit ist ein Beispiel dafür, daß die Propaganda längst durch den viel bru­taleren und viel unkomplizierteren Zwang abgelöst worden ist. Die Berichte der braunen Kulturverbände sind nicht geschickt genug, die Spuren des Terrors und der Peitsche zu verbergen, die zu den verkündeten Resultaten führten. Von allen Seiten werden unter vielseitigen Diktaten die Menschen» erfaßt«( besser >> ergriffen<<), um auf den verschiedenen braunen Altären ihren Obulus abzuliefern. Die Organisationen reiben sich im Leerlauf gegeneinander.

In allen Berichten erscheint die Be­hauptung wieder, daß das geistig- künst­lerische Deutschland erst gegen den 30. Januar 1933, geküßt vom braunen Prinzen, aus langem Dornröschenschlaf erwacht sei. Bei den seelischen Strapazen, denen das deutsche Volk in den vergangenen Jahren ausgeliefert wurde, kann die Speku­lation auf die Vergeßlichkeit Erfolge er­zielen, zumal es keinen Widerspruch gibt. Die Berichte über das Theater in Deutschland bieten handgreifliche Beispiele dafür. Durch die braune Presse wird verkündet, daß die deutsche Bühne, wie alle Berichte bestätigten, von einer >> Klassiker- Renaissance« ergrif­fen worden sei. Neben dem erfolgreichen Schweinestück» Krach um Jolanthe« stän­den Schillers>> Don Carlos«<, Goethes >> Götz«<, Lessings» Minna von Barnhelm<< und Shakespeare » Der Widerspenstigen Zähmung «, konkurrenzlos an der Spitze der deutschen Theateraufführungen. Posas Gedankenfreiheit, die Leiden des wackeren Tellheim durch das gamaschenknöpfig­frederizeanische Preußen haben zur natio­nalsozialistischen Weltanschauung etwas mangelhafte Beziehungen. Höchstens sein widerspenstiges Kätchen kirre be­kommt, einige symbolische Bedeutung zu­Die Herren Theaterdirektoren

klamiert, das die bereits von der Reichs- zubilden. Vor ihren Richterstuhl werden lehnt, wobei das weltanschauliche und ge­schrifttumskammer verkündeten Aus- gänzlich ahnungslose literarische Liebe- sinnungsmäßige als allgemeine Vorschrift könnte man der Peitsche Petrucios, der stoẞungen und Verbote legalisierte. Hans gänger der Gewalthaber und der braunen geistiger Produktion bereits Friedrich Blunck sagt in seinem soeben Weltanschauung geladen. Ungefähr zur gesetzt wird. Vor zwei Jahren schrieb erschienenen Rechenschaftsbericht, daß gleichen Zeit, als das Reichskulturkammer­ein junger billigen. wir in diesen zwei Jahren dahin kamen, wo gesetz verkündet wurde, erschien die erste Nationalsozialist aus der vordersten Front, machen durch die Aufführung von Klassi­wir heute stehen, daß wir die Fundamente Nummer der Monatsschrift>> Die- daß echte braune Kämpfer nicht viel mit- kern aus der Not eine Tugend, denn kein Medium kann den kassenfüllenden Drama­zu reden brauchten. Sie des Baues, den wir richten, fertig haben, cherwarte«, die der von Alfred Rosen- einander tiker der neuen Weltanschauung herbei­schon nach den ist unser Stolz.< Der stolze Friese berg geführten Reichsstelle zur Förderung» röchen< einander zitieren. deutschen Schrifttums untersteht. ersten Worten. Blutgeruch und Juchten­Blunck hat in den Weimarer Tagen keines- des ein stiefelduft? Das gewiß auch. Aber an Im Studio des Deutschen Theaters in wegs art- und blutmäßig seine Tage ver- Hier ist, wie er sich selber nennt, an am dieser Witterung füreinander, der Berlin läßt Heinz Hilpert die neuen bracht. Führende Hamburger Sozialdemo-» literarischer Stoẞtrupp< kraten haben zahlreiche Förderungs- Werke. Hier werden schonungs- schnellen Verständigung der durch Ge- theatralischen Gaben aufführen, mit dem dem blüt, durch Glauben und durch Rasse mit- Mute der Verzweiflung, um unter den gesuche Bluncks in den Akten. Er unter- los alle Schriftsteller Flammentode über- einander verbundenen, ist nicht zu zwei- jüngeren Dramatikern das ersehnte Genie kellerte seine Ansprüche stets mit dem braunen Der literarische Stoßtrupp möchte zu entdecken. Jüngst spielte man hier das Gelöbnis freiheitlich- sozialistischer Gesin- liefert, die in eine ganz be- feln. geistige Schlacht- diesen braunen sechsten Sinn nach der Drama von Heinrich Bietsch:>> Das nung, in deren Namen er Denksprüche und stimmte Händedrücke verteilte. Heute streift er ordnung und in eine an Logen- sublimen Seite hin entwickeln. Aber es Kreuz am Brunnen«. Es handelt sich seine Freunde reihenweise aus den Listen symbolik erinnernde Geheim- fragt sich, ob die Leute um Dr. Gerner- um den Kampf eines Kriegs- Heimkehrers mit der wollüstigen Beckmesser- Freude, zeichensolidarität nicht Waldmann, den Hauptschriftleiter der gegen> roten Mob« und» roten Umsturz<<, die die Vergeltungsstunde für die Erfolge hinein passen. Es sollen nur» wirk- Bücherwarte, selber ganz ungefährdet blei- aber sonst muß es fürchterlich gewesen und ben werden. Der Wille, seriös zu sein, kann sein. Nach dem Attest der» Deutschen All­der andern gekommen sieht. Blunck ent- liche Spitzenleistungen anerkannt geschäftlichen Interessen gemeinen Zeitung<< erreichte der Autor deckt nun überall» prachtvolle Arbeit«. Es gefördert werden, es soll nicht mehr der leicht mit den einer wider­freut ihn, daß in allen deutschen Volks- Maßstab der Weltanschauung, sondern der der herrschenden Verlegergruppe zusam- nur das» quälende Abbild >> Wissenschaft<< angelegt werden, zu menstoßen, und daß ist unbedingt tödlich. natürlichen Unwirklichkeit, die sich oft zu und Leihbibliotheken jenes Schrifttum aus-» Züchtungszwek- Dauernd erhebt, gleich, ob man in der nervenpeinigender Unerträglichkeit gemerzt wurde, das der braune Klan nicht biologisch- literarischen