Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad  , Haus ,, Graphia"

Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 145 SONNTAG, 22. März 1936

Aus dem Inhalt:

Das Spiel mit dem Feuer Holland  - ein zweites Belgien  

Der Betrug der Nichtangriffspakte Trommelfeuer im Aether  

Das braune Täuschungsmanöver

Was sind Hitlers   angebliche Friedensvorschläge wert?

,, Wo freiwillig geschlossene Verträge unter nichtigen Vorwänden gebrochen wer­den, gibt es kein Recht, keine Ordnung und keinen Frieden. Neue Paktvorschläge, die von dem Vertragsbrecher ausgehen, müssen dem schärfsten Mißtrauen begegnen.<

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In der Erklärung der Sozialdemokrati-| Mächte wird durch den Eintritt der An-| strievolk von 65 Millionen hat wohl den Schließlich rechnet Hitler   damit, daß Eng­schen Partei Deutschlands   über den Bruch greifer in den Völkerbund nicht verhindert, gleichen Anspruch auf Kolonien wie Eng- land sich für die Garantieübernahme be­des Locarno  - Vertrages heißt es: der Eintritt der Angreifer legt vielmehr land oder Frankreich  , von so kleinen Pin- danken wird. Die Häufung der Friedensangebote ist den Gegensatz in das Innere des Völker- schern wie Holland  , Portugal   oder Belgien  bundes und führt zu seiner Lähmung. Wel- gar nicht zu reden? Jedenfalls, wann die nur demagogisches Täuschungs­che Bindung der Vertrag selbst auf eine koloniale Gleichberechtigung erreicht ist, mittel für die allzuvielen, die außenpo­Und litisch Blinden. Und demselben Zweck die­zum Angriff entschlossene Macht ausübt, bestimmt Hitler   einzig und allein. hat ja eben das Beispiel Mussolinis so klar ebenso bestimmt er, ob die Frist, in der die nen die anderen von Hitler   vorgeschlage­bewiesen, daß das selbst englischen Frie- Forderungen erfüllt sein müssen,» ange- nen» Vereinbarungen«. Deutschland   bietet densgesundbetern nicht entgangen sein messen ist oder nicht. Sonst ist Deutsch  - Frankreich   und Belgien  , allenfalls auch kann. Und es kann ihnen auch nicht ent- land wieder um die Gleichberechtigung be- Holland an, die Rheinzone wieder zu ent­Aus- militarisieren, wenn diese Länder ebenso gangen sein, daß der Völkerbund seine trogen und die Ehre verlangt den sehr tritt aus dem Völkerbund. Jedenfalls wird tiefe Zonen ihrerseits entmilitarisieren. Maßnahmen gegen den Angreifer erst spie- mit Deutschlands   Eintritt in den Völker- Frankreich   hat einen für einen deutschen  im Gegensatz zum Fall Japan  len lassen konnte, als die englische   bund das ganze imperialistische Angriff recht unbequemen Festungsgürtel Flotte im Mittelmeer   erschien und Mus- Programm verbunden und dessen Er- an seinen Grenzen angelegt, um sich gegen solini mit der kriegerischen Macht Eng- füllung als unmittelbare Forderung der das vielleicht heute schon militärisch stär­lands und der gegen ihn gesammelten Koa- Gleichberechtigung in angemessener Zeit kere Deutschland   zu schützen. Es soll ihn lition rechnen mußte. Aber selbst die stok- proklamiert eine feine Vermehrung der jetzt selbst schleifen, seine wichtigsten In­dustrieprovinzen und Paris   dem deutschen  kende und vorsichtige Gegenaktion durch kollektiven Sicherheit! den Völkerbund hätte nie stattfinden kön- Aber nicht minderen Explosionsstoff Angriff unmittelbar aussetzen. Wäre Hit­harmlose lers Plan nicht so verflucht gescheit, man nen, wenn Deutschlands   Stimme im Rat es birgt die andere scheinbar so für richtig gehalten hätte, Italien   nicht als Forderung der» Trennung des Völkerbund  - wäre versucht, ihn herzlich dumm zu nen­Angreifer zu kennzeichnen. statuts von seiner Versailler Grundlage<. nen. Er ist für Frankreich  , solange die Denn nach der Wiederaufrüstung und der militaristische Diktatur in Deutschland  Hitlers   Eintritt in den Völkerbund   Beseitigung der entmilitarisierten Zone herrscht, unannehmbar. Aber gerade kann also nur die Folge haben, jede Ak- bleiben vom Versailler Vertrag im wesent- deshalb ist er gemacht. Deutsch­tion der wirklich den Frieden Schützen- lichen drei Bestimmungen: die Kolo- land will gar nicht die Annahme. den Mächte zu verhindern. Hitlers   Bei- nialmandate, deren Beseitigung zu­tritt würde dem Völkerbund, dessen Friedensfunktion heute schon nur noch

Der Satz bringt klar zum Ausdruck, daß Verhandlungen mit der Hitlerdiktatur sinnlos sind, daß die Kriegsdrohung die Gefahr einer Unterjochung Europas   nicht durch die Anfertigung neuer» Fetzen Pa­ pier   beschworen werden kann, sondern nur durch den Sturz Hitlers   und bis dahin durch eine Uebermacht, stark genug, das Recht zu schützen und den krie­gerischen Rechtsbrecher in seine Schran­ken zurückzuscheuchen. Diese Auffassung wird, so viel wir sehen, geteilt von der Belgischen   Arbeiterpartei, während von den übrigen Arbeiterparteien der Locarno­länder die Labour- Party und noch mehr ihr Organ, der» Daily Herald, bis jetzt für Verhandlungen mit Hitler um jeden Preis eintritt, und die französische   Partei eine Zwi­schenstellung zu finden trachtet.

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bereiten.

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gunsten Deutschlands   Hitler   fordert, das Verbot des Anschlusses Oesterreichs  

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die

Es will seine Grenzen So befesti­gen, daß Frankreich   nicht oder nur mit unerhörten Opfern eingreifen kann, wenn Hitler   den Moment für geeignet hält, im Osten

Oesterreich  , Tsche­ choslowakei  , Rußland- loszu schlagen. Frankreich   soll von Europa  isoliert werden, die Möglichkeit jeder Mitwirkung in Zentral- und Osteuropa  verlieren, aufhören eine gesamteuropäi­sche Rolle zu spielen! Freiheit im Osten das ist der Preis, weshalb Hitler   un­ter Umständen im Westen zunächst Frieden halten will, wenn man ihm die­Sen mit Kolonien abkauft.

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Die Labour- Party hat von allen Par­teien den weitaus stärksten Einfluß; denn ausgeübt werden kann, wenn sie zugleich und die Festlegung der territorialen von der Haltung der englischen   Regierung die Koalition der militärischen Ueber- Grenzen, wie sie nach Kriegsende be­und der englischen öffentlichen Meinung, macht gegen den Angreifer darstellt, stimmt worden sind. Mit der Loslösung von der die von der großen Arbeiterpartei keine neue Stärkung bringen, sondern vom Versailler Vertrag fordert also Hitler  vertretene Auffassung ein sehr wesent­seiner ohnehin recht geringen Fähigkeit zugleich die unumschränkte, in ihrer Aus­licher Teil ist, hängt die Frage ab, ob die der Friedenssicherung das sichere Ende dehnung nur von ihm zu begrenzende Re­Entwicklung mit einem neuen großen visionsmöglichkeit, die Neuord­außenpolitischen Erfolg Hitlers   endet, der zugleich neue Steigerung der Kriegsgefahr Aber die Bereitwilligkeit Hitlers  , in den nung Europas   nach seinen Plänen bedeutet, oder mit seinem Rückzug und Völkerbund zu gehen, oder zumindest die, Freiheit gegenüber Oesterreich damit der Festigung des Friedens. Bis im Völkerbund zu bleiben, ist ja Osten. Darin können ihn auch die Nicht­jetzt hat die Labour- Party im schrof- an ganz bestimmte Bedingungen ge- angriffspakte nicht im geringsten fen Gegensatz zu ihrer Haltung im abessi- bunden. Die Regierung, erklärte Hitler   im hindern. Sie im selben Augenblick vorzu­nischen Konflikt die Chancen Hitlers Reichstag, ist bereit, wieder in den Völ- schlagen, in dem Deutschland   in den Völ­vergrößert. kerbund einzutreten, sie spricht dabei die kerbund eintreten will, ist komisch, denn Auf der Labour- Party hat offenbar das Erwartung aus, daß im Laufe einer an- der Pakt, wenn er gehalten würde, schließt England zunächst Zeit auf dem Wege ja ohnehin jeden Angriff aus vom Kel- Völkerbund eine Zeit lang wieder eine Angebot Hitlers  , neue Vereinbarungen über gemessenen > die Aufrichtung eines Systems der euro  - freundschaftlicher Verhandlungen die Fra- logg- Pakt gar nicht zu reden- und schließt Gastrolle geben will, das ist der Sinn päischen Friedenssicherung zu treffen und ge der kolonialen Gleichberech- die vorgeschlagene englische   Garantie und seiner Gleichberechtigungspolitik! Es ist besonders die Bereitschaft, wieder in den tigung, sowie die Frage der Tren- zudem die aller anderen Völkerbundsmit- die Gleichberechtigung zwischen Tiger und ohnehin ein. Außerdem wird Schaf. In der Zoologie kennen sogar die Völkerbund einzutreten, entscheidenden nung des Völkerbundstatuts glieder ohnehin Eindruck gemacht. Der Glaube an den Völ- von seiner Versailler Grund- Deutschland nach der allein maßgebenden Schafe die Tigernatur, in der Politik gibt kerbund ist in England ein so tief gewur- 1 age geklärt wird. Was ist koloniale Rechtsauffassung Hitlers   nie der Angrei- es welche, die sich darüber täuschen. zelter geworden, er hat so sehr religiöse Gleichberechtigung? Ein allererstes Indu- fer, sondern stets der Angegriffene sein.

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Das ist der Zweck, für den Hitler, um zu beruhigen, in den

Wahl? Nein, Betrug!

Der Mißbrauch des deutschen Volkes

Dr. Richard Kern.

Glaubensgewalt über die den Frieden er­sehnenden Massen gewonnen, daß Hitler  seinen nächsten Zweck, die englische öffent­liche Meinung zu spalten und eine sofortige energische Reaktion der englischen   Regie­rung zu verhindern oder zu mindestens sehr zu erschweren, zunächst erreichen konnte. Die Frage muß also erörtert wer­Am 29. März soll der Gewaltstreich Hit-| übernommen, Ich trage die Verantwortung,| Gauklers, der mit einer erpreßten, den, worin denn dieses Angebot in Wirk­lichkeit besteht, ob die Vereinbarungen, lers durch eine sogenannte Reichstagswahl Ich allein bin verantwortlich, die Hitler vorschlägt, wirklich eine ver- unterstrichen werden. Diese Wahl ist mehrte Friedenssicherung bedeuten, selbst einziger schamloser Betrug. unter der unstatthaften Voraussetzung, Vergewaltigung und ein Mißbrauch des deut­daß Hitler Verträge zu halten in Zukunft schen Volkes. Es ist keine Wahl, weil jede Opposition verboten ist, jede Meinungsäuße­gewillt wäre.

Sie ist eine

zusam­

Ich stelle mengeschobenen Diktaturwahl, der mit den ein mich dem Gottesurteil, Stimmzetteln eines geknechteten, belogenen, Ich bitte den Allmächtigen, mich zu töten, im Unklaren gelassenen Volkes sich eine aus der Verantwor wenn Not und Elend für das deutsche   Volk Hintertüre aus meiner Politik entstehen.<< tung öffnen will.

» Diese Wahl ist keine Wahl, sondern ein Krieg, den wir mit dem Stimmzettel für uns entscheiden.<<

So sprach er in Karlsruhe  . Aber nur

Wenn einst die Politik Hitlers zusammen­ Hitler  

ist bereit, in den Völkerbund   rung gegen die offizielle Liste unterdrückt gemach! Wenn die Stunde kommen wird, wo brechen wird wie die Politik des Hasardeura einzutreten. Aber das bedeutet ja gerade wird. Diese sogenannte Wahl ist nichts als die Hasardpolitik zusammenbricht, wird er Ludendorff  , dann wird er sagen: nicht ich das Ende des Völkerbundes! ein Schachzug im Spiel der Kriegsvorberei- sich nicht an seine Karlsruher   Rede, sondern trage die Schuld, sondern das deut­Für alle wichtigen Beschlüsse des Rats ist tung. Der Gauleiter Sauckel   hat darüber ge- an die Münchner   halten. Dort sprach er: sche Volk! Das deutsche   Volk hat es so > Wenn man nun sich irgendwo versam­Einstimmigkeit notwendig. Glaubt die La- I sagt: melt und über uns zu Gericht sitzen will: gewollt! Dann wird er vor der Verantwor bour- Party wirklich, daß, wenn Deutsch­über jedem irdischen Richter steht der all- tung davonlaufen wie Wilhelm II.   und land Mitglied des Rats gewesen, die Be­mächtige Gott  . Das ist der ewige Richter, Ludendorff, dann wird er das Volk be­zeichnung Italiens   als Angreifer erfolgt er allein hat das Recht zu entscheiden, was schimpfen für die Folgen seine eigenen wahn­Recht und Unrecht ist, und Gottes Stimme wäre? Und selbst wenn Hitler dafür zu ist in diesem Falle Volkes Stimme, und Sie, witzigen Politik. Dann werden die Verantwort haben gewesen wäre, welchen Preis hätte meine Volksgenossen, sind daher allein lichen wieder vom Dolchstoẞ reden, und er für seine Zustimmung gefordert? Und Verantwortung für seine Hasar­das deutsche meine Richter, Sie ganz allein.< dem Volke, das die Zeche bezahlen muß, oben­umgekehrt, welche Verstärkung fände die deurpolitik auf Das ist nicht die Stimme des Staats- drein noch die Schuld zuschieben. Dann wer­Volk abwälzen! Seine letzten Reden oder Polens  , wenn Stellung Italiens  von Selbstverherrlichungen: ich, mannes, der sich der freien Entscheidung des den sie nicht mehr Gott   den Allmächtigen dann werden sie den Deutschland   erst wieder im Rat säße. Die strotzen Trennung in aggressive und pazifistische ich, ich, ich! Ich habe die Verantwortung Volkes unterwirft, sondern die Geste eines bitten, sie zu töten,

Das sagt genug!

Mit dieser Wahl will Hitler   die