Nr. 145 BEILAGE

22. März 1956

Das Spiel mit dem Feuer

Hitlers jüngstes Pronunzlamiento

Von Karl Kautsfcy.

Das braune System hat am 27. Februar 1933 aus dem Reichstagsbrand die Kraft gezogen, das deutsche Volk zu verwirren und zu lähmen, um es widerstandslos zu unterjochen. Am 7. März 1935 hat es neuerdings den Versuch einer Brandstif­tung gemacht, um seine schwindende Kraft zu beleben. Diesmal droht es die ganze Welt in Brand zu setzen. Doch kann schon jetzt, wo diese Zeilen geschrieben werden (9. März) gesagt werden, daß das kaum gelingen wird. Vom Standpunkt rein innerpolitischer Demagogie gesehen, war Hitlers Vorgehen ganz geschickt eingerichtet Er ging daran, die letzten Reste der Ausnahmestellung zu beseitigen, in die der Versailier Friedens-, vertrag das deutsche Reich versetzt hatte. Er tat einen Schritt, der anscheinend kühn vollbrachte, wovor die demokratische deut­sche Republik zurückgeschreckt war; er entriß den Gegnern des deutschen Volkes über Nacht die diesem von ihnen so lange vorenthaltene militärische Gleichberechti­gung mit den übrigen Völkern der Erde. Die Lehren von Versailles Man kann nicht daran zweifeln, daß eine der größten Schwächen des Versailier Friedens sein Versuch war, die Weststaa­ten vor der Kriegsmacht Deutschlands dauernd dadurch zu schützen, daß man diese Macht aufs äußerste reduzierte, Schon am 9. September 1870 wies in der Zweiten Adresse des Generalrats der Internationale Karl Marx darauf hin, daß es unsinnig sei, eine Nation vor dem An­griff durch seinen Nachbarn dadurch

sichern zu wollen, daß man diesem»mate­rielle Garantieni: aufzwang. Napoleon L habe das Preußen gegenüber im Frieden von Tilsit 1807 versucht und sei damit ge­scheitert. Marx wies darauf hin, weil im September 1870 schon die deuschen Mili­tärs forderten, Elsaß-Lothringen sei an Deutschland abzutreten, nicht aus national- demokratischen Gründen, weil die Elsässer von Frankreich weg wollten, sondern aus militärischen, weü der Besitz des Elsaß und Lothringens den deutschen Herren die Möglichkeit gab, bei Ausbruch eines Krie­ges mit Frankreich sofort auf Paris los­zumarschieren. Damit werde den Franzosen für immer jede Lust genommen, jemals wieder mit Deutschland anzubinden. Daß diese Erwartimg ganz irrig sei, daß viel­mehr die Annexion Elsaß -Lothringens einen neuen deutsch -französischen Krieg heraufbeschwören müsse, darauf wies Marx hin. Darum warnte er vor Annexions­politik. Die Franzosen empfanden in der Tat seitdem stets die Anwesenheit deut­ scher Armeen im Elsaß und vor allem im halbfranzösischen Lothringen als eine Dro­hung, als einen quälenden Splitter im Fleisch. Um sich gegen die Bedrohung zu wapp­nen, bauten sie längs der Grenze cme Reihe so wirksamer Sperrforts, daß jeder deutsche Angriff von Elsaß-Lothringen aus unmöglich wurde. Daher der Schlieffen- sche Plan, der nichts anders war als eine Bankrotterklärung der Politik, die zur An­nexion Elsaß -Lothringens und damit zu steter Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland geführt hatte. Als aber 1918 im neuen Kriege die

Franzosen siegten, beginnen sie den glei­chen Fehler, den die deutschen Militaristen 1871 begangen hatten: sie wollten»mate­rielle Garantien« gegen einen neuen An­griff des»Erbfeindes« schaffen, diesen un­fähig machen, Frankreich mit Krieg zu überziehen. Aehnlich wie Napoleon L 1807 verfügten auch 1919 die Sieger eine weit­gehende Reduzierung der Armee des nie­dergeworfenen Gegners. Daneben aller­dings nicht die Annexion einer widerstre­benden Bevölkerung, sondern nur die Be­setzung des Rheinlandes und des Saar­gebiets für einige Jahre und die Entmili- tarisierung der an Frankreich grenzenden deutschen Gebiete. Diese Bestimmungen stellt die deutsche Nation gewissermaßen unter Vormund­schaft. Auf die Dauer ließen sie sich nicht aufrechterhalten, teilweise waren sie von vornherein nur als vorübergehend gedacht, Es gab seit Friedensschluß keine deutsche Regierung, die nicht auf die Beseitigung der Ausnahmestellung hinarbeitete, in die Deutschland gebracht war. Zum Teil sollte diese Stellung dadurch beseitigt werden, daß die Deutschland beengenden Bestim­mungen aufgehoben wurden, zum Teil da­durch, daß diese Bestimmungen aus ein­seitig deutschen zu internationalen, alle Staaten bindenden Verpflichtungen'Ab­rüstung) gemacht wurden. Daran dachte jedoch vor Hitler keine der Nachkriegsregierungen Deutschlands , dessen Gleichberechtigung auf dem Wege gewaltsamer Zerreißung der Friedensver­träge erreichen zu wollen. Für den Schwä­cheren ist gewaltsame Auflehnung stets ein sinnloses Vorgehen, namentlich dann,

wenn andere Wege gangbar sind, die Be­seitigung des drückenden Zustandes zu erreichen. Einen solchen Weg büdete die Ueberwindung der Anschauungen, die zu den einengenden Bestimmungen des Frie­denvertrags geführt hatten. Nicht um das deutsche Volk zu demü­tigen, waren sie von den Siegern geschaf­fen worden, sondern weil diese es fürchte­ten, ihm mißtrauten. Man fürchtete die ungeheure Kraft, die Deutschland in den vier Jahren zähen Ringens gegen eine Uebermacht an den Tag gelegt hatte: Man fürchtete diese Kraft deshalb, weil man annahm, der Deutsche sei von unersätt­licher Gier nach Landbesitz und Macht be­seelt, er sei treulos und keiner seiner Ver­sprechungen sei zu trauen. Diese Auffas­sung fand ihre Spitze darin, daß Deutsch­ land die Bevölkerung Elsaß-Lothringen « im Friedensvertrag von 1871 brutal ver­gewaltigt, weiter darin, daß sich die deut­ schen Regierungen allen Versuchen wider­setzten, eine internationale Schieds­gerichtsbarkelt einzuführen. Dazu gesell­ten sich die kriegerischen Hunnenreden des Kaisers Wilhelm II. , sowie der Auf­bau einer gewaltigen Flotte, die durch keinerlei Sicherungsbedürfnis des deut­ schen Volkes gerechtfertigt war und in England allgemein als Angriffsdrohung aufgefaßt wurde. Diese Entwicklung fand im August 1914 ihren Gipfel in den Kriegs­erklärungen an Frankreich und Rußland , die mit lügenhaften Vorwänden begründet wurden und in der Zerreißung des von Deutschland unterzeichneten belgischen Neutralitätspaktes einzig um eines ephemeren strategischen Vorteils willen.

Auf dem Wege zur neuen Dolchstoßlegende

Hitler In München :»Und Gottes Stimme ist in diesem Falle Volkes Stimme.«

Ludendorft:».Die waren schuld

nitler:D I e werden schuld sein!"