Nr. 147 BEILAGE

Uftidflönaorfs

5. April 1936

Mit Lassalle !

Alle politische Kleingeisterei be­steht in dem Verschweigeai und Be­mänteln dessen, was ist. Der Tod Lassalles beendete nicht nur das Leben des Schöpfers der sozialisti­ schen deutschen Arbeiterbewegung und größten deutschen Rhetors des 19. Jahr­hundert, sondern er entschied auch den Sieg Marx-Engelsscher Oekonomik über Lassallesche Staatspolitik. Als die Gebeine dieses jüdischen Preußen längst vermodert waren, wälzte Engels, um die Wiederkehr Lasselleschen Geistes zu verhindern, neue Steine auf das Grab und veröffentlichte aus dem Nachlaß von Karl Marx die »Randglossen zum Gothaer Programm «. Es war keine minder kühne Bahn, die die deutsche Arbeiterbewegung von 1890 emporstieg, aber es war nicht die Bahn Lasselles. Das politische Erdbeben der letzten Jahre hat auch Lassalles Gruft gesprengt. In einer Zeit, in der das Problem des Staa­tes zum Zentralproblem der Politik aller Völker, nicht nur des deutschen, geworden ist, wirken seine Worte herrlich wie am ersten Tag. Wilhelm Sollmann hat seinen Namen wieder aufklingen lassen und es wird in der Zukunft sicherlich keine deut­ sche sozialdemokratische Politik geben, ohne daß über ihr der Geist Ferdinand Lasselies waltet. Die Zeiten sind noch nicht lange, aber bestimmt vorüber, in denen man»mit Lassalle nicht anfangen« wollte. Für Lassalle stand der Staat im Mittel­punkt alles politischen Denkens. Unmög­lich, sich aus seiner Feder einen Satz vor­zustellen wie den von Engels in»Anti- dühring «:»Der Staat wird nicht abge­schafft, er stirbt ab!«, was heißen soll: »An die Stelle der Regierung über Perso­nen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen«, also etwas, was man für notwendig halten, wofür man sich aber keinesfalls begeistern kann. Und nun höre man die Fanfaren Lassalles vor den Ggschwoxe�ft;_____, Dem Staate achreibe ich die hohe, gewal­tige Aufgabe zu, die Keime des Menschlichen zu entwickeln, wie er dies, seitdem die Ge­schichte steht, getan hat und für ailile Ewig­keit tun wind, und als das Organ, das für äHe da ist, an seiner schützenden Hand die monsohliohe Lage aller herbeizuführen. Diese Doktrin ist keine Theorie der Zerstörung und der Barbarei, es ist. im höchsten Grade

eine Staatsdoktrin! Sie, meine Herren Rich­ter, gehören ja nicht den Manohestermännern an, jenen modernen Barbaren, welche den Staat hassen, nicht diesen oder jenen be­stimmten Staat, nicht diese oder jene Staats­form, sondern den Staat überhaupt! Und wel­che, wie sie das hin und wieder deutlich ein­gestanden, am liebsten allen Staat abschaffen, Justiz und Polizei an den Mindestf ordernden verganten und den Krieg durch AktiengoseU- schaften betreiben lassen möchten, damit nirgends im ganzen All noch ein sittlicher Punkt sei. von dem aus ihrer kapital bewaff­neten Ausbeutungssucht ein Widerstand ge­leistet werden könnte. Wie breite Unter- sclriode Sie und mich auch voneinander tren­nen dieser Auflösung alles Sittlichen ge­genüber stehen wir Hand in Hand! Das ur­alte Vestafeuer aller Zivilisa­tion, den Staat, verteidige ich mit Ih­nen gegen jene modernen Barharen! Im Jahre 1936 mag der Spötter auf das Dritte Reich hinweisen, wenn vom Staate als dem Vestafeuer aller Zivilisation ge­sprochen wird. Doch der Mißbrauch des Staates beschränkt die Wahrheit des Lassalleschen Wortes nicht. Eis besteht allerdings die Gefahr, daß auch das deutsche Volk den Haß gegen die Leiter des national­sozialistischen Staates auf den Staat über­haupt überträgt und so eine neue demo­kratische Staatsgesinnung nicht die Vor­aussetzung, sondern erst die Folge des Sturzes von Hitler sein wird. Auch die Weimarer Republik hatte keinen großen Vorschuß an demokratischer Staatsgesin­nung vom Volke als Geburtstagsgeschenk erhalten, vielleicht die verhängnisvollste Wirkung des Bismarckschen Sozialistenge­setzes, und als dann dieser Vorschuß noch verloren ging, war ihr Lebensfaden abge­schnitten. Noch vor Hitlers Regierungsan­tritt stimmten mehr als zwei Drittel aller Reichstagswähler gegen die Demokratie. Zwischen den Extremen Marx-Engels und Lassalle pendelte die deutsche sozial­demokratische Arbeiterbewegung hin und- her. In der Theorie, vor allem aber in der Agitation und dem Gefühlsappell kam sie trotz aller Parteiprogramme von dem Kommunalismus des deutsch -englischen Dioskurenpaares nie ganz los noch 1923 versuchte Kautsky eine Ehrenrettung des oben zitierten Satzes von Engels, in der Praxis wurde sie immer wieder, besonders aber seit 1918, in Lassallesche Gedanken­

gänge hineingezwungen. Auch hier hatte eben der gewaltsame Tod des Vorkämpfers def einen Anschauung nur zu einer Ver­schiebung der Klärung geführt. Und wenn wir die Emigrantenliteratur der letzten Jahre durchsehen, können wir feststellen, daß auch jetzt noch die Aufgabe vor uns und noch nicht hinter uns liegt. Wir müssen unser Verhält­nis zum Staate neu durchden­ken. Alle politische Aktivität erwächst aus Wunschbildern. Ohne Vorstellung vom kommenden Staat können wir niemanden für den opferreichen Kampf um seine Ge­staltung begeistern. Das bedeutet für die Sozialdemokratie Abgrenzung gegenüber allen diktatorischen Spielarten, bedeutet aber auch Klärung des Begriffes, der Mög­lichkeiten und Notwendigkeiten der Demo­kratie. Bedeutet aber vor allem Staatsge­sinnung im Geiste Lassatles. Im Verhältnis zum Staat sind Marx und Engels liberalistischen Anschauungen unterlegen, jenes Liberalismus, dessen größte und erfolgreichste Bekämpfer sie in der Oekonomie gewesen sind. Lassalle kämpfte auf der ganzen Front gegen den Liberalismus, bis zur Blindheit gegen dessen historische Leistungen in der Ent­fesselung der Persönlichkeit, ohne die ein Lassalle überhaupt nicht denkbar ist. Doch so groß seine Feindschaft gegen liberale Anarchie war, sein Staatskult verschloß sich doch nicht der Einsicht in die Gefahr der Staatsallmacht. Auch er suchte einen Ausgleich zwischen Staat und Persönlich­keit ewiges Problem aller Staatspolitik! und bezog nur deshalb die stärkere Stellung gegen die damals emporsteigenden Liberalen, weil er in ihnen die größere Ge­fahr für diesen ihm notwendig erscheinen­den Ausgleich sah. Eine Auffassung, die wir heute wahrscheinlich zu bestreiten ge­neigt sein würden. In einem Brief an Her- wegh skizziert Lassalle recht deutlich die Alternative, die er sieht: Zwei entgegengesetzte Anschauungen kämpfen jetzt miteinander: erstens der büro­kratische, administrativ»zentralisierte« Staat und zweitens die aus dem entgegengesetzten Extrem des Individualismus hervorgegangene Auflösung des Staatsbegriffes in den Atomis­mus der Individuen, das Ideal der Liberalen. In praxi wären beide gleich falsch. In philo­sophischer Beziehung ist die zweite Auf­fassung noch falscher und ideenleerer als die

erste. Zudem ist sie der gefährlichere Irrtum. Denn der erste Irrtum besteht nur noch in der rohen Wirklichkeit, hält sich nur noch durch die Bajonette. Aus den Gemütern dos Volkes dagegen ist er verschwunden. Gerade in den Gemütern und Köpfen herrscht aber noch zum Teil sehr mächtig der zweite Irrtum. Er wird gerade am Tage des Sieges über die äußere Gewalt seine ganze Gefährlichkeit erst herauskehren. Ihm gilt es daher von langer Hand in den Gemütern und Köpfen entgegenzuarbeiten. Mit dem Tode Lassalles ist die Staats­freudigkeit in der deutschen Arbeiterbewe­gung nicht erstorben. Wilhelm Liebknecht gab staatsfreudig seinem 1869 ge­gründeten Blatt den Titel»Der Volks­staat« und fand damit die Gegnerschaft von Marx und Engels. Der»Antidühring « nennt zwar keine Namen, wettert aber gegen Liebknecht und Lassalle. Aus Raum­gründen muß ich mich auf ein kurzes Zitat beschränken. Eis heißt da: Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt die Besitzergreifung der Produk­tionsmittel im Namen der Gesellschaft ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein... Hieran ist die Phrase vom»freien Volksstaat« zu mes­sen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agi­tatorischen Berechtigung, wie nach ihrer endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglich­keit. Das ist eine Doktrin, mit der auch der Bolschewismus nichts anfangen kann. Der Sowjetstaat ist der»bürokratisch, admini­strativzentralisierte" Staat« in Rein­kultur, dessen Aufgaben mit der Zeit nicht abgestorben, sondern ins Gigantische ge­wachsen sind. Die Allmacht des Sowjet­staates ist innenpolitisch grenzenlos und wenn der Stab, auf den er sich stützt, der Terror ist, folgt er der Linie Rousseau , Robespierre , Lenin . An diesem politischen Wege gibt es keine Etappe Marx-Engels . Die Vorstellungen vom Staat, die Marx 1871 im Zusammenhang mit der Pariser Kommune geäußert hat, können als Richt­linien für Gemeindevertreter brauchbar sein. Die Leitung eines Staates von 150 Millionen Menschen erfordert andere, und

Endlldi hat er 100 Prozenl Ja gesa�l nun können wir ihn fressen!