Nr. 150 BEILAGE Ilcucc'Oantiücfs 26. April 1936 Bmm JhetieiMkdet- m HuHiubomtf Hauer und Revcntlow geben das Rennen auf Dinier rückt vor Es unterliegt keinem Zweifel, daß die sogenannte»Deutsche Glaubens­ bewegung «, die sich jetzt, nach kaum zweijähriger, rumorerfüllter Tätigkeit im Dritten Reich in voller SelL�lauflösung befindet, den reinen Ausdruck des natio­nalsozialistischen Geistes auf religiösem Gebiete darstellte. Wie stark Hitler selbst, seine Janitscharen und sein Programm sich auch für»positives Christentum« er­klärten aus schnöden Gründen erfolg­reicher, mindestens einleuchtender Dem­agogie: sicher ist, daß die weltpoliti­sche Erneuerung des Geistes der ehe­maligen Alldeutschen in der religiösen Sphäre gradlinig und historisch konse­quent auf den modernen Wotanskult wies. Der war ja schon früher, im»Wilhelmi­ nismus «, mit dem politischen Evangelium der Bernhard! und Claß engstens verbun­den und versippt; der manifestierte sich im alten Deutschland schon immer in völkisch-antisemitischen Spezialtumer- klubs und Jugendverschwörungen; der wob bereits allerlei letzte Romantik um die achtmalhunderttausend Stehkrägen des deutschnationalen Handlungsgehilfen­verbandes, der tanzte schon damals all­jährlich zur Walpurgisnacht um den bren­nenden Holzstoß und hielt feierliche Druidenreden unterm Gehrock. Es war ganz folgerichtig, daß das, was bis dahin ein Vorrecht verschrobener Walhäll- Ze'.oten war,!m Dritten Reich zur Massen­bewegung aufquoll und aufkochte. Sowohl der Tubinger Kulturhistoriker Hauer, wie der als alldeutscher Publizist bekannte GrafReventlow die eigentlichen Begründer der»Deutschen Glaubensbewe­ gung « stehen ganz sicherlich in ihrer menschlichen und geistig-politischen Zu­verlässigkeit(wenn der Ausdruck hier am Platze ist) hoch über dem»Führer« und seinen Lebenserinnerungen an Obdach­losenasyl und Postkartenvertrieb. Und beide haben sie jetzt die»Deutsche Glau­ bensbewegung « mit Krach und Gestank verlassen, wiewohl diese typische»Be­kenntniskirche« des Dritten Reiches sich des bestmöglichen Patronats durch alle Nazi-Gewalten erfreute und obwohl sie sich auf geistigem Gebiet geradezu mit den diversen Gau -, Kreis-, Front- und Kammerleitungen identifizieren durfte. Der Niederbruch, der innerhalb der Direk­tive der Bewegung erfolgt ist, ist also vollständig! Er mußte kommen, weil dem Ganzen nicht eine vernünftige Idee, son­dern höchstens eine sehr unvernünftige Und verrückte Mode zugrunde lag. Aber charakterisiert das nicht überhaupt das ganze System? Indem wir die Frage auf­werfen, ist eben auch alles über die Wich­tigkeit des Vorganges unter politischem Gesichtspunkt ausgesagt! Wo freilich etwas schnöd verfault, wachsen an gleicher Stelle gleich Pilze und giftige Boviste... Auch das ist«so ungeheuer bezeichnend für den jammer­vollen Niederbruch, den die Hitler-Men­talität gerade an entscheidend-geistiger und kulturell-sittlicher Stelle erleidet, daß schon seit Woche und Monat langsam, aber sicher sich an Stelle der absterben­den Wotans-Heiden der berüchtigte Dr. Arthur Dinter , der hochnotpeinliche Blut-Sünden-Dinter, mit seiner»Deut­schen Volkskirche« vordrängeln konnte. Emsig von seiner Burg in Thürin­ gen , die ihm die Sünden-Schwarte ein­gebracht hat, vor allem den Klingelbeutel handhabend Herr Dinter hält das mit Recht für die vornehmste»kirchliche« Funktion, trompetet er mächtig durchs ganze Land. Die hohen Nazi Parteifunk­tionäre und davon kann man sich in jeder Nummer seiner Zeitschrift, wenn man will, mit Namen überzeugen die ältesten»Kämpfer« mit dem goldigsten Parteiabzeichen strömen geradezu in Mas­sen weg von Hauer und Reventlow in Dinters»Deutsche Volkskirche« hinein, die ausschließlich unter seinem Ober­hirtenamt steht Vom ekstatischen Ge­lehrten und vom verbohrt-originalen gräflichen Publizisten zum religiösen Max Klante , zum geschäftstüchtigen, welt­anschaulichen Urin-Doktor- kann der Abstieg schon schlimmer kommen? Der Dinter kann in Anspruch nehmen und tut dies auch in aller Form, nunmehr noch allein religiös den Nationalsozialismus in seinem»wahren« Gehalt zu repräsentie­ren und zu manifestieren. Er ist zwar nicht für Wotan, mit dem wirklich keine Ablaßgeschäfte zu machen sind, aber er gibt einfach Christus als ehemaligen preußischen Feldwebel aus; schon ist die »Deutsche Volkskirche« fertig! Seine »Kirche« besagt es selbst feierlich genug in ihrem amtlichen Untertitel, den sie sich zugelegt hat, daß sie dazu da ist, die »wahre Lehre Jesu von jüdischen und judenchristlichen Fälschungen zu 0 reini­gen«... Dinter hat den Dreh heraus, daß der nationalsozialistische Revolutions- Gegebenheiten im Mutterland der Refor­mation alle deutschen Reaktionäre in jeder Situation durchaus Bescheid wußten: der Wrangel von 1849 ebenso wie der Heide­brand von der Lasa von 1900, der Graf Westarp von 1919 und der Hitler von 1930. Die»Deutschen Christen « sind un­mittelbare Partei-Kaders die SA-Briga­den für Weltanschauung und die SS - Sturmtruppe für religiösen»Aufbruch«! Die»Gleichschaltung«, die sie allent­halben, organisatorisch darauf wohl trai­niert, in den Jahren 1933 und 1934 vor­nahmen, fast allenthalben unter Voran­tritt der jüngsten, noch nicht arrivierten Die neue Bergpredigt spießer sein Kdnfirmationsbild ruhig zu Hause an der Wand hängen lassen kann und dabei dennoch auf seine bestialischen antisemitischen Kosten kommt. Aber es ist ja nur ein verschiedenes Phänomen aus einer Ursache: Das Deutsch­ land , das politisch auf den Hitler hinunter kam, muß schließlich religiös eben auch beim Dinter landen____ Der ideologische Zusammenbruch des Nationalsozialismus auf der religiösen Ebene hat aber auch schon auf die un­mittelbaren Bindungen und Ballungen der regierenden Partei selbst übergegriffen; er trifft den Nationalsozialismus also an seiner empfindlichsten Stelle, seiner Omni- potenz durch Organisation. Die Bewegung der»Deutschen Christen «, ge­gründet bereits einige Jahre vor der soge­nannten»Machtergreifung«, war von vorneherein als das offiziell berufene Parteinstrument zur Eroberung der Kir­chenmacht gedacht. Freilich so klug war selbst Hitler , ohne Illusionen im Hinblick auf die katholische Kirche , aber unmittelbar ausgerichtet auf die geplante imbedingte und totale»Gleichschaltung« des kirchlichen Protestantismus, um des­sen Unentbehrlichkeit für jede Sorte von konterrevolutionärer Gesinnung und Pla­nung an Hand der besonderen historischen Kirchen- und Pfarrangestellten, war indes Wesens Kern genau derselbe Beutezug, wie ihn die Nazis an so vielen anderen Stellen, wo es nur was zu holen gab, an­legten: es war der Sturm auf Kasse und Pfründe, die von oben gebilligte und be­fohlene Freibeuterei der Hoffnungslosen und Karriere-Desperados auf die gute »Position«, der Zugriff der Habenichtse nach den»Besitzenden«. Schließlich ging es um die Aufrichtung der berühmten Einheits- und»Reichs-Kirche«, die, wäre sie am Ende mehr als eine nur auf dem Papier erfolgte Gründung geworden, als ein durch Ueberbürokratie vollends erdrücktes und hilflos gewordenes Opfer sich am wenigsten der Massenversorgung »alter Kämpfer« auf Kosten der bisheri­gen Hierarchie hätte entziehen können. Und in der mit allem Bombast und Pomp durch Hitler selbst inszenierten Inveeti- tion des früheren ostpreußischen Militär- pfarrers Ludwig Müller , Intimus des »Führers«, als»R e i c h s bi s c h of«, dem sogar zunächst nicht ein»Ministeri­um«, sondern ein»Chef des Stabe� beim Reichsbischof« sinnigerweise beigegeben wurde, zeigte sich eigentlich der Piraten- Elan der»Deutschen Christen « vor kaum anderthalb Jahren auf seinem Höhepunkt. Von da ab setzt eigentlich der systemati­sche, wenn auch gewiß nicht politisch­wirksame Widerstand der Bekenntnis­gläubigen allenthalben im Reich ein; von da ab aber auch die Schwächung und Zer- splitterung der»Deutsch-Christlichen« Nazi-Parteiformation, die heute in einen unentwirrbaren Knäuel gegeneinander in­trigierender Einzelgruppen zerfällt, und zwar wohl noch durch die Gestapo oder durch den Ukas irgendeines Kreis- oder Gauleiters, nicht aber mehr von sich aus an den Kreis der wirklich Gläubigen her­ankommt Auch die»Idee« der»Deut­ schen Christen «, wenn eine solche schon die Raubritterei auf kirchlichem Gebiet aus propagandistischen Gründen benötigte, war genau wie bei Dinter eine Teu- tonisierung des Evangeliums, gemildert, wenn auch keineswegs besser gemacht dadurch, daß der Dinter nur eben ein ge­rissener Radau-Demagoge, die Lokal­führer der»Deutschen Christen « aber meist geschulte Theologen der jüngeren Garnitur waren. Wie weit der Grad die­ser Verzerrung des christlichen Gedanken- und Moralgutes für den Militarismus preußischer Färbimg gehen sollte, das war bei ihnen von vorneherein der innere Streit, der schon mit dem Austritt ihres Berliner Gruppenvcsitzenden begann, als sie in der Reichshauptstadt ihr erstes großes Massenmeeting vor knapp zwei Jahren ansetzten. Das Kurioseste an der Sache nach mindestens halb geglück­tem Einbruchsdiebstahl aber war bis­lang der»Reibi« selbst! Er war eigentlich anderthalb Jahre lang bei lebendigem Leibe mausetot! Das Dritte Reich hatte in seiner Person auf kirchlichem Gebiet einen allerhöchsten Würdenträger, der, kaum bestätigt, bald als auf einem mehr­monatigen Erholungsurlaub im Ausland befindlich, bald zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit als lang­fristiger Insasse eines Sanatoriums aus­gegeben wurde. Hier braucht nicht unter­sucht zu werden, wie weit daran die innere Hohlheit seiner»Aufgabe« mehr die Schuld getragen haben mag, als die kadet- tenhafte Unfähigkeit, die Herrn Müller selbst bei all seinen anfänglich-bescheide­nen Regungen in der Oeffentlichkeit aus­gezeichnet hat; in dieser Beziehung paßte er eben durchaus mit den Heß und L e y zum persönlichen Freundeskreis des großen Duce der Deutschen . Erst jetzt, nach anderthalb Jahren, scheint der »Reibi« doch seine Rolle als Prunk-Leiche des Regimes als nicht mehr erträglich empfunden zu haben. Endlich gibt's näm­lich von ihm ein deutliches Lebenszeichen: nämlich eine von ihm persönlich besorgte Ausgabe der Berg­predigt zum Hausgebrauch fürs Dritte Reich! Die wurde jetzt für ewige Zei­ten ein Dokument dieses Deutschlands ! dem Buchhandel anvertraut. Kost­probe gefällig? Nun, Müllers»Berg­predigt« unterscheidet sich von der jenes Nazareners, der es leider nicht zum Reichsbischof brachte und keinen»Chef des Stabes«, sondern höchstens ein paar noch nicht einmal immer sehr zuverläs­sige Jünger um sich hatte, daß sie direkt und ohne Skrupel neben Hitlers »Mein Kampf « in den Bücherschrank gestellt werden kann. Herr Müller hat es nämlich entdeckt: hier oder auch da irrte Christus! Und er ist nun mit wahrhaft genialischer Denk- und Sprachbegabung darangegangen, den eigenen Religions­stifter zu korrigieren überall da, wo nämlich die richtige, besser die ältere Bergpredigt des Marxismus, das Pazifis­mus und wie die Laster dieser Welt nun einmal alle für das Dritte Reich heißen mögen, sich vom Standpunkt des SA - Führers Piefke befleißigt. Herr Müller macht aus den»Sanftmütigen«, die da »das Erdreich besitzen werden« denn im Dritten Reich ist Sanftmut ja wohl eine Angelegenheit der Untermenschen! solche, die»gute Kameradschaft üben«; so geht das in der Tat einem richtigen SS-Mann weit besser intus. Bei Christus werden diejenigen schon»selig, die Leid tragen«. Auch hier erteilt Herr Müller seinem Heiland ein wenig Nachhilfeunter­richt und schiebt flugs hinter das»Leid« den sicherlich von Göbbels direkt ent­liehenen Zusatz»mit Männlichkeit« ein; jetzt kann man den Vers beinahe beim Gepäckmarsch singen! Ja, und dann das