Nr. 154 BEILAGE

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Neuer Vorwärts

24. Mai 1936

Abkehr von Deutschland ?

Als vor einigen Monaten der an Arnold| interesses wie die:> Ach, die Deutschen | statt der vorschriftsmäßigen blonden hat., listische Achse ummontieren Zweig gerichtete Abschiedsbrief des ver- wollen uns ja doch nicht.< In Wirklich- Auch nicht, wenn ein Haufen Schreier lassen.

die

storbenen Kurt Tucholski veröffent- keit liegt hinter solcher Haltung man- plötzlich die Abstammung des Menschen Von selbst versteht sich: Kein Sozial­licht wurde, hat der» N. V.< sich an der gelndes sozialistisches Bewußtsein. für das allein Wesentliche erklärt; selbst demokrat verkennt die Notwendigkeit, im Debatte darüber nicht beteiligt. Mit Recht. Man ist eben noch lange kein Sozial- nicht dann, wenn dieser Haufen den Staat| Augenblick alles Erdenkliche zur Rettung Für den Sozialisten waren die Ausführun- demokrat, weil man irgendeine» Doktrin« erobert und entsprechende Gesetze macht. der von der braunen Barbarei mit Aus­gen Tucholskis, die um sein Judentum bejaht so wie hundert andere Doktrinen Wenn ich daraufhin als deutscher Jude rottung bedrohten deutschen Juden zu kreisten, nahezu unergiebig, es sei denn, auch. Man ist es allein, wenn die soziali- erkläre:» Ja, ihr habt recht, es war falsch tun. Nur steht für ihn trotzdem fest: daß sie den weiten Abstand seines Den- stische Erkenntnis unverrückbare von mir, daß ich der deutschen Arbeiter- Auch wenn heute sämtliche fünfhundert­kens von der sozialistischen Weltanschau- Achse ist, um die sich das gesamte Dec- klasse zum Siege habe verhelfen wollen; tausend deutsche Juden nach Palästina ung auch denen, die in dem Verstorbenen ken dreht, d. h., wenn man den Sieg der ich ziehe mich nach Palästina zurück, und gebracht würden und dort eine Existenz einen Geistesverwandten des Sozialismus Arbeit über das Kapital, wenn man ändert die ob in Deutschland die Herren Krupp und fänden am Zustand der Welt gesehen hatten, offenbarten. Arbeiterklasse als den Thyssen, gestützt auf die braune Diktatur, das so gut wie nichts! Der deutsche Jude, der wirklich im Herzen Sozialist ist, kann nicht sprechen wie der schlimme Ganelon in Uhlands Gedicht von Kaiser Karls Meerfahrt:

Nicht nur, daß Gedanken über die Zu­kunft des Sozialismus, über den Kampf der Arbeiterklasse in Tucholskis Ausein­andersetzung mit den deutschen Ereignis­sen keine Rolle spielen: an der einzigen Stelle, wo er von der Sozialdemokratie spricht, tut er es, um zu versichern: die Sozialdemokratie habe nicht allein wegen ihrer Schwächen versagt>> die Doktrin taugt nichts!<< Aber gleich hinterher bekennt Tucholski , er selber sei leider nicht der Mann, eine bessere Doktrin zu bauen. Mit so oberflächlichem Aburteilen gibt es keine sachliche Auseinander­setzung; es bleibt allein übrig, aus der Ausdrucksweise des Verfassers auf sein inneres Verhältnis zur Sache zu schließen.

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Trotzdem enthält der Abschiedsbrief Tucholskis ein paar Sätze, an denen man nicht vorbei kann. Der Verstorbene um­reißt seine Stellung zu Deutschland mit den Sätzen:

» Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken möge es Rußland erobern ich bin damit fertig.<

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an

Wäre das nur die Einstellung eines Toten, wir gingen daran vorbei wie vielem anderen. Aber hier trifft sich Tucholski von der Schärfe der Formu­lierung vielleicht abgesehen mit nicht wenigen andern aus Deutschland aus­gewanderten Juden, darunter auch ehe­maligen Sozialdemokraten.

Es ist nicht uninteressant, daß Arnold Zweig in seiner Erwiderung auf Tucholski den zionistischen Standpunkt mit fast den gleichen Ausdrücken, wie Tucholski sie ge­braucht, so formuliert:» Mit diesen da ( den Deutschen ) wollen wir nichts mehr zu tun haben.<

Befreiung der

Schönheit der Arbeit

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Da sprach der schlimme Ganelon, Er sprach's nur halb verstohlen: > Wär ich auf gute Art davon,

Könnt Euch der Teufel holen!<

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Dieser beschränkte Egoismus wäre ebenso dumm wie gemein. Dumm, weil ja eine europäische Katastrophe schon der Weltkrieg von 1914/18 hat es gezeigt keineswegs vor den Toren Palästinas und vor den dort angesiedelten Juden Halt machen würden. Ja, im Augenblick er­leben die Juden in Palästina bereits, wie furchtbar die Welthändel auf dies Land, das sie immer mit den Arabern werden teilen müssen, überschlagen. Selbst vom rein zionistischen Standpunkt betrachtet, läßt sich ein bequemes» Außer Palästina bekümmert uns nichts< nicht aufrecht­erhalten. Es ist eben keine Bekämpfung

der Pest, daß man vor ihr ausreißt, die Pest kommt einem, wie das Beispiel Palä­stina zeigt, überallhin nach. Die Pest be­kämpfen, heißt vielmehr: der Krankheit als solcher zu Leibe gehen, nicht bloß an einem Symptom herumdoktern. Wenn ich aber dazu entschlossen bin, dann frage ich den Teufel, welcher Rasse und Haarfarbe die jeweils von der Pest Befallenen sind, sondern gehe der Seuche zu Leibe, wo ich sie antreffe.

So- und nicht anders denkt der Sozia­list. In Zentraleuropa hat sich ein fürch­terlicher Brandherd gebildet. Daß man die zunächst vom Feuer Erfaßten zu retten sucht, verdient alle Sympathie. Aber un­endlich wichtiger ist es, den Brand zu löschen, bevor er die ganze Welt in Flam­men setzt. Darauf kommt es an: Europa , die Menschheit zu retten vor der Kriegs­gefahr, vor dem Untergang in wirtschaft­licher und geistiger Krise, den kapitalisti­ schen Wahnwitz der Gegenwart zu über­winden durch den Sozialismus. Die Brand­stifter und ihre Hintermänner werden natürlich alles aufbieten, das Rettungs­werk der Sozialisten zu verdächtigen: lasse ich mir aber von ihnen vorschreiben, daß ich zur Rettung nicht berufen sei, während mein eigenes Gewissen laut» Ja< sagt, so habe ich jenen schon den Sieg in die Hand gegeben.

Bei gewissen zionistisch orientierten Juden, die vor Hitler in der Sozialdemo­kratie als höhere Beamte, als Wissen­schaftler usw. teilweise recht bedeutende Stellungen einnahmen, erweitert sich nach meinen Beobachtungen. dieser Grundsatz dahin, daß sie auch mit der deutschen Sozialdemokratie nichts mehr zu tun haben wollen. Ihr Verhalten läßt, soweit ich es wenigstens in Einzelfällen beobachten konnte, keinen anderen Schluß zu Nicht daß sie ostentativ von der Par­archimedischen tei abrückten. Aber sie verhalten sich Punkt erkannt die Arbeiter ausquetschen und das Volk >> hin gegen sie, wie gegen alles Deutsche , völlig hat, von dem sich die Welt in den Krieg treiben, das soll mich wenig zu Deutschland , hin zum deutschen Prole­kümmern«<, indifferent. Sie suchen nicht den An- wesentlich vorwärtsbringen läßt. wenn ich so spreche, dann tariat!« kann allein die Parole des emi­schluß an die früheren Genossen, sondern Ist man sich über diese Grundtatsache habe ich vor Hitler innerlich kapi- grierten jüdischen Sozialdemokraten lau­ziehen sich in jüdische Kreise zurück und klar, dann kann das sozialistische Weltbild tuliert. Dann kreist mein Denken nicht ten. Sieht er sich durch sein Judentum widmen sich allein dem Aufbau Palästinas nicht plötzlich ein anderes werden, weil mehr um die Achse der sozialistischen daran verhindert, so folgt er nicht Marx, man selber von einer jüdischen Mutter zur Erkenntnis, sondern dann habe ich mein sondern es folgt Hitler .

usw.

Charakteristisch

aus allein

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ist z. B. die Erfah- Welt gebracht wurde und schwarze Haare Denken von Hitler auf eine nationa­rung mit einem jüdischen Genossen, der früher an wichtiger Stelle ganz hervor­ragende sozialpolitische Arbeit leistete. Er hat sich nicht nur von seinem bisherigen Tätigkeitsgebiet völlig ab- und den zioni­ stischen Problemen zugewandt, er be­trachtet es heute sogar als einen Feh­ler, daß er früher von so wackliger

Basis ause in der deutschen Sozialpolitik

sich betätigt habe.

Nicht Abkehr von Deutschland ,

Julius Civilis .

Die braunen Ordensburgen

I

Die Erziehung der künftigen Herrengarnitur für das Dritte Reich der» Beständigkeita

Mythus, das als Quelle

Immer wieder erlebt der Zeitgenosse des, allem: alles> Weltanschauliche steht mit vol- Rosenberg ist der geistige Vater der er­Ich habe mich mit zionistischen Genos- Dritten Reiches Ueberraschungen eines Ex- lem Kulissenzauber bereits in Rosenbergs sten drei Ordensburgen des Na­zur Erkenntnis tionalsozialismus, je eine in Pom­sen früher häufig über die Frage gestrit- tremismus, vor dem, wenn man ihn mit dem ten, ob zionistische und sozialistische Verstande der Verständigen mißt, das Was­Grundhaltung miteinander vereinbar seien. ser anscheinend von Tal zu Berg fließt. Sie behaupteten es. Sie selber aber bestä- vergeht kein Tag ohne frische Lorbeerreiser lutionäre Epoche hinter sich haben und als wurden. Aeußerlich handelt es sich um mo­tigen durch ihr tatsächliches Verhalten auf Gräbern oder vor Kultstätten, ohne häm- Konservatoren ihrer Macht überall Pfeiler derme, sehr weitläufige, sehr kostspielige, von seit Hitlers Machtergreifung meine damals mernden Paradeschritt mit heiligen Schwüren einsetzen, unentbehrlicher ist als je. Das Buch Türmen überkrönte Bauten: systematisch ge­zu Unrecht hinter Hitlers » Mein gliederte Heerlager, Mannschaftsräume, Vor­geäußerten Bedenken. Wie nun der Ein- im Straßenstaub, ohne einen jungen Panzer steht fluß des Zionismus seit 1933 unter den aus technisch höchst entwickelten Stahlrip- Kampf<, der Prestige- Bibel des National- tragshallen, Bibliotheken und um den letzten Freiheitsatem durch sozialismus zurück. Erst durch Rosenberg , tempeln, für Weihestunden. deutschen Juden an sich stark zugenom- pen, dem zwischen Jede dieser Burgen soll drei oder vier men hat, so findet auch dies spezielle Ver- organisierte Gewalt zu ersticken. Aber dieses den ostischen Teutonen, mit halten unter früher nichtzionistisch orien- Erstaunen ist im wesentlichen unbegründet. Juchtenstiefelduft und Gehirnnebel einge- Jahre hindurch ein Kollektiv einiger hundert man die junger Männer über 23 Jahre aufnehmen, tierten jüdischen Genossen Nachahmung. Alles, was sie heute tun, darüber haben sie klemmten< Baltenkomplex, lernt Man hört aus ihrem Mund oft genug Ent- längst geredet und geschrieben, nur haben wir Poltergeister der braunen Walpurgis in ihrem gesund, fehlerfrei, erbgesund, mit ordnungs­Vor reichhaltigen Sortiment kennen. mäßiger Ahnentafel«, wobei schon Brillen­schuldigungen wegen mangelnden Partei- es früher nicht ganz ernst genommen.

nationalsozialistischer Aktivität grade heute, mern, in der Eifel und im Allgäu, die vor kur­Es wo die braunen Diktatoren die pseudo- revo- zem dem Führer zu treuer Hand übergeben

Säulen- Kult­