äOod�nfcto# Verlag: Karlsbad , HausGraphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite Nr. 161 SONATA G. 12. Jult 1936 Aus dem Inhalt; Die vierzehn Jahre Der Weg des Robert Ley Ein deutscher Richter Der Parteijunker Putschdefahr In Danzis Die Verantwortung des Völkerbundes Wenn der Völkerbund moralisch im Herzen der Völker und politisch in ihrem Bewußtsein fest verankert wäre, so müßte von seinen letzten Sitzungen eine tiefe und heilsame Erschütterung ausgehen. Ein schwaches Land, das von einem mächti­gen überfallen worden ist, ist von den zu seiner Rettung Verpflichteten, ist von den stärksten Mächten der Erde preisgegeben worden. Der Satz: Gewalt geht vor Recht bat triumphiert. Der Vergewaltigte hat seine nicht zu widerlegende Anklage erhoben und die Deserteure des Rechts haben Erklärungen für die Preisgabe vorgebracht. Der Kern ihrer Erklärungen war, daß die unmit­telbare, drohende, größere Ge­fahr in Europa selber Ii ege, und daß sie Abessinien preisgegeben haben, damit nicht Hitler sich zum Herrn Euro­ pas mache. Ein nicht ganz offen zutage liegender, aber gefährlicher Konflikt hat sich ge­zeigt zwischen Frankreich und Sowjetruß­land einerseits, die den Zusammenschluß gegen den Angreifer Hitler wollen, und England andererseits, das den Angreifer Hitler zum Garanten des Friedens machen will. Ein Wort von ungeheuerem Emst Ist gefallen, das zeigt, wieweit die Dinge ge­diehen sind: das Wort, daß der Krieg letzten Endes nur durch den Krieg bekämpft werden kann. Und schließlich hat der Kaiser von Abessinien dasBild des wirklichen Krieges entrollt: Giftgasnebel, die wie große zusammenhängende Tücher über das Land getragen werden, so daß Män­ner, Frauen und Kinder unter entsetz­lichen Leiden sterben, das Vieh eingeht, Brunnen, Flüsse, Felder, Weideland, Nah­rungsmittel, alle vergiftet, den Tod wei­tertragen. Das hat der italienische Fa­schismus über Abessinien gebracht. Um das gleiche Schicksal über die europäische Bevölkerung zu bringen, rüsten die macht­wahnsinnigen Despoten in Europa , rüstet das Dritte Reich. Aus diesen Verhandlungen, aus den Reden der Staatsmänner in Genf erhebt sich das beklemmende Büd einer unge­heueren Gefahr, enthüllt sich ein uner­träglicher Zustand, der unmöglich dauern kann, ohne daß der Friede zerbricht. Aber die Völker sind blind, blind, obwohl seit drei Jahren der Hitlerwahnsinn gegen den Frieden tobt. Sie werden blind gehalten. Die großen und gefährlichen Wahrheiten, die in Genf gesprochen werden, wie die großen und gefährlichen Lügen dringen nicht bis in die Tiefe der europäischen Völker. Der Geist autoritärer Dirigierung der öffentlichen Meinung, der weiter ver­breitet ist als der Faschismus, stellt sich der klärenden und reinigenden Wirkung des großen Genfer Zusammenbruches entgegen. Aber Wort und Tat der Kriegstreiber selber verhindern jeden Einschläferungs- versuch. Es hat Hitler nicht genügt, daß die Ohnmacht der Poütik der Kriegsver­hinderung gegen mächtige Verbrecher­staaten in Genf festgestellt worden ist, daß der Schatten der deutschen Gefahr über den Genfer Verhandlungen lag. Er hat einen Faustschlag auf den Tisch des Völkerbundsrates führen lassen, bildlich und tatsächlich, der den Uebermut der Kriegsverbrecher so gut erkennen läßt, wie die Tatsache, daß sie sich fertig und bereit fühlen zu jeder Provokation auf jede Gefahr, hin. Er hat dem Völkerbund den wahren National­sozialismus demonstriert. Als hinter dem Senatspräsidenten Greiser der Gangster­führer zum Vorschein kam mit der Spra­che und den Gesten des braunen Pöbels, zerrissen die Fiktionen, mit denen die europäischen Mächte gegenüber dem Hit­lersystem bisher gearbeitet haben. Jetzt wissen sie, mit wem sie es zu tun haben. Jetzt weiß alle Welt, daß sie es wissen. Wenn sie jetzt mit ihnen handeln und verhandeln, können sie sich nicht mehr hinter den Annahme verber­gen, daß sie Staatsmann und Verbrecher nicht unterscheiden könnten. Sie wissen, daß sie mit Leuten zu tun haben, die ihnen bewußte Lügen ins Gesicht sagten und verlogene Versprechungen abgaben, so­lange sie sich noch unsicher fühlten und die ihnen heute Bombengeschwader auf den Hals wünschen, weil sie die europäi­ sche Friedenspolizei für zusammengebro­chen halten. Die Szene, die Greiser in Genf aufgeführt hat aufs tiefste ent­würdigend für das ganze deutsche Volk war der Triumph der Gemeinheit des Ver­brechertums über den Zusammenbruch der Polizei. Diesem Verbrechertum, diesem charakterlosen und kulturlosen Gesindel ist das deutsche Volk ausgeliefert, und jetzt hält es die Stunde für gekommen, um seinen bisherigen Gewalttaten neue hinzuzufügen. Der Mann, der auf Hitlers Befehl in Genf die Maske abwarf und den Rüpel spielte, wird auf den gleichen Befehl hin die Mehrheit der Danziger Bevölkerung knechten und martern, mit der gleichen Roheit, die er in Genf gezeigt hat. Dieser Faustschlag auf den Tisch des Völker­bundsrats ist eine gefährliche und unmittelbare Drohung gegen dieMinderheitderDanzigerBe- völkerung. Das Hitlersystem bereitet einen neuen Gewaltstreich gegen einen Teil des deutschen Volkes vor. Die großen Kulturstaaten haben der Erdrosselung der Freiheit des deutschen Volkes, der Vernichtung der deutschen Kultur untätig zugesehen. Sie haben zu der Häufung von Verbrechen und Gewalt Wirklichkeit und Chimäre Hitlers Friedensliebe soll erprobt werden Die Völkerbundaversammlung ist nun vor­über. Sie hat das getan, was sie angesichts des Verhaltens der englischen Politik allein tun konnte, sie hat den Verzicht auf die Sanktionen registriert. Die Maßpahmen für eine Reform des Völkerbunds­statuts sind auf eine Herbstversammlung verschoben worden. Für diese Reform liegt ein Plan der französischen Regierung vor. Danach soll eine sehr zeitraubende, in Wirklichkeit angesichts der sehr verschiedenen Interessen der einzelnen Staaten völlig unrealisierbare Gesamtrevision des Statuts vermieden werden. Der Artikel 11 soll in der Weise abgeändert werden, daß das Prinzip der Einstimmigkeit beseitigt wird, das dem eventuellen Angreifer erlaubte, sich bis zu dem Moment allen wirksamen Maßnahmen zu widersetzen, in dem er selbst den Zeitpunkt für den offenen Paktbruch ge­kommen erachtet hatte. Zugleich sollen die allgemeinen Sicherheitsbestimmungen des Völkerbundspaktes dadurch größere Realität erlangen, daß Regionalpakte geschlossen wer­den, deren Teilnehmer sich für konkrete An­griffsfälle zu gegenseitigem militärischen Bei­stand verpflichten, während die übrigen Völ­kerbundsmitglieder mindestens zu wirtschaft­lichen Sanktionen gegen den Angreifer ver­pflichtet bleiben. Wie weit die englische Politik, auf die es seit der Befestigung des Rheinlandes viel mehr ankommt als auf die französische, sich auf diese Regionalpakte einlassen wird, steht aber auch nach der Rede Edens in Genf durchaus nicht fest. Trotzdem kommt alles darauf an; denn nur der Beitritt Englands als Garanten von Regionalpakten in Mittel- und Osteuropa würde dem Frieden wirklich zu einem unteilbaren machen und damit wirklich sichern. Davon ist aber die jetzige englische Politik noch weit entfernt. In Wirklichkeit ist deshalb das Zustande­kommen einer mehr oder weniger eingreifen­den Reform des Genfer Statuts von keiner ausschlaggebenden Bedeutung. Denn der Schwerpunkt der Politik hat sich seit dem Erstarken der kriegerischen Dikta­turen eben längst von Genf und der Völker­bundspolitik zu den Regionalpakten verschoben. Von ihnen, ihrer Ausdehnung und Wirksamkeit allein wird es abhängen, ob die Diktaturen zu neuen Angriffen schreiten. Wirksamkeit aber heißt militärische Ueber- legenhelt und nichts anderes. Deshalb sind auch diese Regionalpakte trotz aller pazifi­stischen und sozialistischen Verhüllungs-Ideo- logien nichts anderes als Militäralllanzen zur Verteidigung gegen die Kriegspolitik der Dik­taturen. Daß wir so weit gekommen sind, verdanken wir jener Politik der Illusionen nicht zuletzt der pazifistischen und sozialisti­ schen die es nicht rechtzeitig verstanden hat, dem militärischen Erstarken der aggres­siven Mächte Einhalt zu tun. Auf dem Völkerbundstag hat L 6 o n Blum eine ungewöhnlich schöne Rede gehal­ten, in der er nicht nur die bedrohliche Lage, in die Europa geraten ist, sehr klar ausein­andergesetzt, sondern in der er noch einmal die letzten Ziele sozialistischer Friedenspoli­tik entwickelt hat. Wenn man, sagte Blum, die kollektive Sicherheit in einem waffen­starrenden Europa organisieren will, so stellt das jedes Volk vor eine nur allzu grausame Alternative. Die internationalen Verträge werden zerrissen, wenn die Mächte, die sie geschlossen haben, nicht gegebenen Falles bis ans Ende gehen, d. h. nicht bereit sind, Krieg zu führen, um den Frieden zu retten. Der Pakt legt diese Alternative allen Mächten ohne Unterschied auf. Unsere Pläne gehen dahin, das Risiko auf jene Mäch­te zu beschränken, die geographisch oder po­litisch einem Angriff am meisten ausgesetzt sind. Aber mehr oder weniger allgemein, das Risiko bleibt bestehen. Blum fügt hinzu, daß je klarer man die Situation erkennt, je weni­ger man zögert, die Gefahr auf sich zu neh­men, desto geringer würde die Kriegseventua­lität. Aber eine solche kollektive Sicherheit würde erst dann gewährleistet sein, wenn sie sich mit der allgemeinen Abrüstung verbände. Denn erst die Abrüstung würde die Garantie dafür geben, daß die Schiedssprüche des Völ­kerbundes befolgt oder die beschlossenen nichtmilitärischen Sanktionen wirkungsvoll gemacht würden. Blum fragt sich selbst, ob in diesem Augenblick von Abrüstung zu spre­chen, nicht eine Chimäre sei. Aber ohne ihre Verwirklichung bliebe der Friede immer be­droht. Deshalb müßte der gute Glaube aller Mächte auf die Probe gestellt werden. Von allen Seiten kämen die Versicherungen der Friedensbereitschaft. Sie müßten erprobt werden.»Ich will nicht glauben, daß ange­sichts eines gemeinsamen Willens, wenn eine gemeinsame Anstrengung noch einmal ver­sucht wird, eine einzige Macht allein antwor­ten könnte: Ich weigere mich, teilzunehmen. Durch meine Weigerung zwinge ich alle an­deren Nationen der Welt bewaffnet zu blei­ben, jeden Tag die Rüstungen zu verstärken und sie so schließlich gegen ihren Willen auf den Weg zu zwingen, der in den Abgrund des Krieges führt.« Wir wollen nicht polemisieren, wollen nicht erat untersuchen, ob der Krieg Mussolinis gegen Abessinien unter Bruch der Spezial- verträge mit diesem Staat, unter Bruch des Kellogg - und Völkerbundspaktes, unter Bruch des Vertrages, der die Anwendung von Gift- gasen verbietet, unter Androhung eines euro­ päischen Krieges nicht eine genügende Ant­wort auf die von Blum gewünschte Probe bietet. Wir wollen nicht untersuchen, ob die Verwandlung Deutschlands in ein waffen­starrendes Kriegslager, ob Hitlers Ablehnung, sich in irgend ein System wirksamer kollek­tiver Sicherheit einzufügen, keine genügend deutliche Antwort auf die Verwirklichungs­möglichkeit der»Chimäre« ist. Uns bleibt nichts übrig als die Konstatierung, daß eine neue Erprobung der Friedens­liebe Hitlers und Mussolinis in Aussicht steht, die auch trefflich der Un- entschlossenheit der englischen Politik ent­gegenkommt. Die nächste Phase wird eine Erprobung des deutschen Friedenswillens im engeren Kreise der Locarnomächte sein. Eng­land, Frankreich und Belgien wollen dem­nächst in Brüssel zusammenkommen, um zu sehen, was von Locarno noch zu retten ist. Sie hoffen sehr, daß Mussolini gewillt sein wird, an dieser Zusammenkunft teilzunehmen. So leicht wird es freilich der Sieger über England und den Völkerbund den Einladen­den nicht machen. Er wird wohl noch einige Forderungen anmelden. Er fühlt sich durch' die Anwesenheit einer starken englischen Flotte im Mittelmeer und durch die militäri­schen Abmachungen Englands mit den klei­nen Mittelmeermächten, aber auch durch die Wiederbefestigung der Dardanellen und durch' die russische Forderung der freien Durch­fahrt der russischen Flotte in das Mittelmeer beengt und geniert. Soll er als neu zu Ehren kommender Garant kollektiver Sicherheit im Westen auftreten, dann dürfte er wohl einige Bedingungen stellen, die für England als Mittelmeermacht weitere sehr wesentllclie Opfer bedeuten könnten. Die Neuerprobung des Friedenswillens könnte so schon in ihrem Vorstadium zu einer neuen Stärkung des An­greifers führen. Die Berührung der Chimäre mit der Wirklichkeit könnte also sehr rasch zur Ernüchterung führen. Weigert aber Ita­ lien seine Teilnahme, so hat Hitler eine glän­zende Ausrede, um bei der fortbestehenden Verwirrung und Unsicherheit das Eingehen fester Verpflichtungen abzulehnen. Er kann das um so eher, als bis zum Zusammentreten der Konferenz die Wacht am Rhein in den neuen Festungen außerordentüch gestärkt sein wird. Die Politik der Erprobung der Wirklichkeit endet nicht erst, sondern beginnt schon als Chimäre. Dr. Richard Kern.