(pDlialfomflgraftfcfog Verlag: Karlsbad , Haus„Graphia"— Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite Nr. 165 SONNTAG, 9. August 1936 Aus dem Inhalt; Der„deutsche Sozialismus" ohne Maske Internation aler Faschisten putsch Schießerei in Danzig Deterding und Hitler OMade mit BOiwRrfeiMeltiiiii Die Hand des Dationalsoztalismus In Spanien Bei der Eröffnung der olympischen Spiele in Berlin hat der Reichspropagandaminister Göbbels den Vertretern der Auslandspresse eine lehrreiche Ansprache gehalten, in der er ihnen beigebracht hat, daß jede Kritik verboten sei, und daß dies in Deutschland Meinungsfreiheit heiße. Nach dieser Instruktion hat er als Aufgabe der Presse während der olympischen Spiele gepriesen,»einmal vom Glück der Völker und nicht von ihren Sorgen zu berichten.« Die verlogene Phrase sagt das gleiche wie die Parole des Ley für die deutschen Arbeiter»Freut euch des Lebens—« und sie trifft die gleiche Sache. Die Berliner Olympiade ist ein einziger großer»Kraft- durch-Freude«-Rummel für die Völker der Welt. Aus allen braunen Blättern schreit es in größten Lettern, aus allen Lautsprechern dröhnt es von früh bis spät nachts: Laufen, Speerwerfen, Kugelstoßen, Schwimmen, Fechten, goldene Medaillen, erste, zweite, dritte Sieger, Weltrekord, Weltrekord, Weltrekord.., Das Glück der Völker? Das ist das Glück der Völker, dieser Tanz auf dem Vulkan, dieses Nichtsehenwollen, diese krampfige Berauschung wider besseres mahnendes Wissen? Eis ist die Sorte Glück, die die braunen Rattenfänger für die künftigen Schlachtopfer ihrer Politik präpariert haben! Diese Sorte von Glück bezahlen alle jene, die sich dazu drängen— zu welchem Volke sie auch immer gehören mögen— mit einem schimpflichen Flecken auf ihrer Moral. Sie bezahlen damit, daß sie sich über die ungeheuerliche Sklaverei des Volkes hinwegsetzen, bei dem sie festliche Spiele begehen. Sie feiern, sie berauschen sich am Rekordwahn in einem Lande, das aufrechte Menschen zu hunderttausenden einsperrt und schlechter als Hunde behandelt, das Menschen zu Krüppeln schlägt und zu Tode foltert, nur well sie die Freiheit lieben! Sie wollen nichts wissen vom Wüten der Terrorjustiz, von Konzentrationslagern, von Pogromen, von den Verbrechen der Despoten. Sie federn, während in Deutschland Mülionen blutige Tränen der Erniedrigten und Geschlagenen, Tränen des Leids, des Zornes, des Hasses und ungestillter Rache fallen. Aber es kommt ein Tag, an dem die Gedankenlosen bitter bereuen werden, der Tag, an dem sie erkennen werden, daß sie Spielbälle des Faschismus gewesen sind— im Spiele gegen ihr eigenes Recht, ihre eigene Freiheit und ihr eigenes Interesse. Das braune System triumphiert, weil die ungeheuere betrügerische Ablenkungsaktion der Berliner Olympiade gelungen ist. Es ist ein Triumph für den Augenblick, dem die Vergeltung auf dem Fuße folgt. Wenn es erst die Maske abwirft, wenn nicht mehr vom Glück der Völker, sondern vom deutschen Diktat, von brutaler, aufs neue rechtbrechender Gewalt die Rede sein wird, dann wird die Empörung der Betrogenen und Getäuschten eine moralische Kraft werden, die mit Tanks und Flugzeugen nicht aufgewogen werden kann. »Einmal vom Glück der Völker und nicht von ihren Sorgen berichten«— aber das gelingt ihnen nicht einmal in ihrer dirigierten Presse. Da schiebt sich die faschistische Brandstiftung selbst vor den Propagandarummel der Olympiade, da beten sie für den Sieg der blutigen, verbrecherischen spanischen Gegenrevolution, und in Ermangelung dieses Sieges lügen sie ihn zusammen, da beschimpfen sie die französische demokratische Regierung und decken die faschistische italienische Hilfe für die Rebellen, da treiben sie eine Greuelhetze gegen die rechtmäßige demokratische Regierung in Spanien , die der schlimmsten Bolschewistenhetze zur Zeit des russischen Bürgerkrieges gleichkommt. Die heilige Allianz des Faschismus, die, ehe sie zum Angriff übergeht, den Krieg in die Völker selbst trägt, das ist das Glück der Völker, das sie meinen. Jetzt tritt sie unverhüllt hervor. Es gibt genug Tatsachen, die ihr Wirken belegen, und die den Betroffenen bekannt sind: in Süd amerika , in den englischen Kolonien, in Palästina, in Holland und Belgien . Eine Reihe von Tatsachen ist veröffentlicht worden, die erkennen lassen, daß die spanische Gegenrevolution Hilfe und Unter- stützung vom braunen System erhalten hat, daß eine gegenrevolutionäre Verschwörung vorliegt. Die Verschwörung ist im Geheimen gemacht worden, aber die Bundes- und Gesinnungsgenossenschaft ist öffentlich. Das blutige Verbrechen der spanischen Gegenrevolution nennen sie nach ihrem eigenen Vorbild»nationale Erhebung«. Großzügig sehen sie darüber hinweg, daß ihr Bundesgenosse, der Rebell Franco, farbige marokkanische Truppen gegen sein Mutterland führt— der Weißgardist mit schwarzen Truppen— da ist nicht die Rede von europäischer Schande, von Vernegerung, von schwarzer Schmach. Um so mehr reden sie von angeblichen Greueltaten der spanischen Regierungsanhänger, die als Kommunisten, als Bolschewisten, als rote Untermenschen beschimpft werden, von denen Europa gerettet werden muß. Nun, auch wir deutschen Sozialdemokraten gehören zu den roten Untermenschen, vor denen Hitler die europäische Kultur durch die»nationale Erhebimg« in Deutschland retten mußte. Wird mm endlich der Sinn des nationalsozialistischen »Kreuzzuges gegen den Bolschewismus« klar? Eine demokratische parlamentarische Regierung, die sich gegen ein gegenrevolutionäres Verbrechen zur Wehr setzt — das ist Bolschewismus. Widerstand gegen die Verschwörung des internationalen Faschismus— das ist Bolschewismus. Mit einem Worte: die kämpfende Demokratie— das ist der Todfeind des Nationalsozialismus, den er als»Bolschewismus« und»Kommunismus « verschreit Die Regierung Leon Blums ist für die mindere braune Presse schon ein bedenklicher Ausfluß roten Untermen- schentums, und wenn die Engländer sich eines Tages besinnen werden, dann kann es nicht nur die Labour Party , sondern selbst ein Liberaler wie Sir John Simon noch zum Bolschewisten bringen. Wird nun endlich die europäische Demokratie begreifen, daß sie kämpfen muß, daß sie die Pflicht zu einer energischen Intervention der demokratischen Idee hat, daß sie alle aus Halbheit und Konservatismus der Idee geborenen Hemmungen abschütteln und auf die bewaffnete und verschwörerische Intervention des internationalen Faschismus mit einer mächtigen Offensive der demokratischen Idee antworten muß? Wird sie begreifen, daß es nicht dem Frieden dient, wenn ein faschistisches Verbrechen nach dem anderen bemäntelt, entschuldigt, verschwiegen wird— nur um die Verschwörer an den Konferenztisch zu bringen, sondern daß die schonungslose Aufdeckung und Brandmarkung der Umtriebe und Verbrechen notwendig ist? Es ist die Halbheit der Demokratie, auf die der internationale Faschismus spekuliert. Die Schüsse im spanischen Bürgerkrieg sind die Begleitmusik zu den Berliner Festen. Dort die Hypnose nach faschistischem Propagandarezept, die die Völker von der Wahrung ihrer Interessen ablenkt, hier die blutige Wirklichkeit. Die Sorge der Völker, das ist der Bürgerkrieg, den die faschistische Verschwörung vorbereitet, das ist der allgemeine Krieg, der alle bedroht. Feste feiern und vom Glück der Völker reden— das mag die Presse der Verschwörer und ihrer Helfershelfer. Die Pflicht aller Demokraten ist es, den Völkern ihre Sorgen in die Ohren zu schreien, bis sie erwachen! (das hat DMitt In Deutschland vor? Er läßt deutsche»Sledlungswlllige« ausbilden..• Zu einer Zeit, als die deutsche Schwerindustrie den Versprechungen Hitlers mit Hilfe der SA die deutsche Wirtschaft von dem»Terror« der Gewerkschaften zu befreien, noch' mißtraute, besaß der Führer bereits eine wichtige internationale Verbindung zu einem einflußreichen wirtschafts- und finanzpolitischen Konzern. Sein Pressechef Hanfstängel hatte ihm im Jahre 1930 mit dem Oelkönlg Sir Henry Deterding von Royal Dutch und Shell bekannt gemacht. Es kam zu wiederholten Gesprächen, bei denen sich eine weitgehende Gesinnungsübereinstimmung herausstellte. Aber das produktive Fazit der Unterhaltungen war, daß sich Hitler eine materielle Hilfsquelle eröffnete, die man häufig und immer anbohren konnte. Heute gehört Deterding zum engsten Beraterkreise des Regimes in allen einschlägigen Fragen. Es versteht sich, daß eine Hand die andere wäscht Die Benzine und die Oele des Shellkonzems genießen vielseitige rentable Privilegien, die mit Recht den Neid und die Eifersucht der Konkurrenz herausfordern. Die Position des Shellkonzerns an der»Autofront« des Dritten Reiches ist nahezu uneinnehmbar. Was aber bedeutet es, daß man dem englischen Oelmagnaten fortlaufend große Güterkäufe im Dritten Reiche gestattet? Die braune Presse berichtet darüber: »Zu den Meldungen über Güterkäufe des englischen Oelmagnaten in Mecklenburg erfahren wir folgende Einzelheiten; Sir Henri Deterding hat schon vor langer Zeit in Schwerin die Friedrich- Heinrich-Landstiftung gegründet, die Siedlungswillige praktisch und charakterlich ausbilden soll. Sie wird von einem Kuratorium verwaltet, das aus dem Reichsstatthalter von Mecklenburg , Hildebrandt(Schwerin ), Sir Henri Deterding (Dobbin ) und W. Rudeloff (Hamburg ) besteht und unter der Aufsicht des Staatsministers als Oberster Aufsichtsbehörde arbeitet. Ihr Stifter bedachte sie mit 300.000 Mark Betriebskapital. Außerdem erwarb sich Sir Henri Deter ding auf seinen Namen das Landgut Dobbin bei Krakow im Kreise P a r c h i m in Mecklenburg . Auch hier sollen Siedlungswillige in größerem Maßstäbe ausgebildet werden und der Gutsherr hat gesagt, daß die Herrschaft in keiner Weise belastet wird. Sie soll nach seinem Tode an die Friedrich-Helnrich-Landstif- tung fallen. Diese Stiftung erwarb auch den ehemaligen Besitz des verstorbenen Prinzgemahls Heinrich der Niederlande in Mecklenburg .« Das sieht auf den ersten Augenblick wie reine Menschenfreundlichkeit aus. Ein ausländischer Magnat legt, voller Gläubigkeit an das nationalsozialistische Deutschland , Geld in Landkäufen an, nicht»im privaten Nutzen daraus zu ziehen oder darauf das Leben eines Feudalherren zu führen, sondern um »Siedlungswillige« auf seine Kosten ausbilden zu lassen. Um die Käufe ganz einwandfrei erscheinen zu lassen, wird ein Kuratorium mit hohen Würdenträgern des Dritten Rei ches eingesetzt, die mit den Geldern des edel- herzigen Stifters wirtschaften können. An solche Männer soll das Volk voller Hingabe glauben! Was aber ist Wahrheit? Aus seinen ungeheuren Gewinnen hat ein internationaler Sozialreaktionär eine für seine Verhältniase bescheidene Summe abgezweigt, um sich den politischen Vermittlern seines Privatmonopols dankbar zu erweisen. Auf Deterdings Gütern, mit Deterdings Stiftungen, sollen dem Regime getreue Shell-Sklaven erzogen werden, besonders»charakterlich«, wie es in der parteioffiziellen Verlautbarung heißt- Zugleich schiebt der Oelkönig seine Vormachtstellung in Petroleum, Benzin und Gel einen weiteren Sektor vor, durch nationalsozialistische Protektion stärker als zuvor gegen das Eindringen der Konkurrenz geschützt. Alle Tarnung durch Philantrophie vermag dieses korruptive Zusammenspiel nicht zu verbergen. Eines Tages wird sich erweisen, auf wieviel Oelfässern Deterdings Hitler in die Macht geschwommen ist, und wieviel ihr Besitzer daran auf Kosten des deutschen Volkes verdient hat. Terror|usiiz gegen Sozialdemokraten Der dritte Prozeß gegen Sozialdemokraten in Duisburg hat begonnen. Am Montag dem 27. 7. 1936 wurde die Verhandlung gegen die dritte Gruppe von Sozialdemokraten vor dem II. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm, das im Duisburger Landgerichtsgebäude tagt, eröffnet. In der ersten Gruppe waren es 56, in der zweiten 80 und jetzt sind es 51 Angeklagte, die vor dem Richter stehen. Die 51 Männer und Frauen stammen aus den Orten Duisburg , Hamborn und Lintfort . Die beiden bereits abgeurteilten Gruppen und die jetzt vor Gericht Stehenden sind ein Teil der 800 Angeklagten Sozialdemokraten ans dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet, die im Sommer 1935 unter der Beschuldigung, sich Im Sinne der Sozialdemokratischen Partei betätigt zu haben, verhaftet wurden.
Ausgabe
4 (9.8.1936) 165
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