Nr. 169 BEILAGE

6. September 1936

Uerschörfter Kulturkampf nach der Olympiade

Das System Im Kampfe gegen das Christentum

Es ist deutsche Art, den oft allzu schnöden Dingen dieser Welt ihre trans- szendentale Seite abzugewinnen, ja, sie sogar als das Ausschlaggebende anzu­sprechen und danach zu handeln. Kein anderes Volk der Welt kennt aus seiner Vergangenheit den Religionskrieg, wie das deutsche. Gar nicht anders, wie im heutigen Spanien , befindet sich auch das Dritte Reich mitten in einem sehr hitzigen Bürgerkrieg. Eine lächerliche Behauptung der Göbbels-Propaganda, Deutschland sei zufolge seines Regierungssystems »das ruhigste Land des Kontinents«... Es ist nur eben die deutsche Art, die einen Bürgerkrieg min­destens für's erste nicht um Forts und Gebirgspässe, son­dern um»Ideen«, nicht um stra­tegische Operationslinien und militärische Versorgun<Tszen- tren, sondern um irgend einen »Sinn des Lebens «, um die Fun­damente bloß moralischer Exi­stenz, um metaphysische Be­lange j e d w e d e n Betrachts führt. Freilich, dann hängt es nicht immer allein von den Deutschen ab, wann und wie weit am Ende doch aus dem Kampf um das Gebet ein Kampf um Ge­wehre wird... Das Dritte Reich wird zwar nicht in seinem äußeren Aspekt und an seiner der Umwelt zugekehrten Fassade, aber um so tiefer im Innern, so lange es schon be­steht, von einer Auseinandersetzung be­herrscht, die mit der Formel:»Hie Christ, hie Antichrist!« zwar nicht vollständig und genau, aber doch im groben Umriß das Bild dieses latenten und chronischen Bürgerkrieges hinwirft. Je länger dieser Krieg währt, um so klarer erhebt sich auch sein wahres Gesicht aus der Wirrnis verhüllender Einzelheiten. Und um so mehr wird auch sichtbar, daß er eben ausgetragen werden muß und daß die Illusion, ihm durch Kompromisse und Arrange­ments, Formeln und Kniffe ein Ende machen zu können, zur Unfruchtbarkeit verur­teilt ist. Als das Dritte Reich mit «Aingm Sturm auf Parteien und Gewerk­schaften, auf Marxisten und auf Juden begann, gewöhnte man sich im Hinblick auf das Maß der gezeigten Greuel daran, bei den gleichzeitig einsetzenden kultur­kämpferischen und kirchenpolitischen Zwangs- und Enteignungsmaßnahmen ein wenig despektierlich als von einem»N e- benkriegsschauplatz« zu reden. Aber, wer es auf die Dauer so sehen will, sieht nicht die Wirklichkeit der Dinge; er übersieht zum mindesten, wie schon über­haupt der deutsche Bürgerkrieg zu spie­len gewohnt ist: Er möchte gern Paust auch auf der Barrikade sein... Nichts charakterisiert den Grad der Verstrickung, in dem sich die Kämpfer zur Stunde befinden, deutlicher, als die Tatsache, daß im Hinblick auf den wieder fällig werdenden Nürnberger Parteitag der Nazis ernsthaft die Version sich ver­breiten konnte drinnen und im Aus­land Hitler werde auf ihm endlich die Gründung und Proklamation der»Deutschen Nationalkir­che« vollziehen. Ganz gleich, ob diese Version sich bestätigt oder nicht wir selbst glauben nicht daran, weil das System unendlich mehr aktuellere Sorgen hat daß sie überhaupt aufkommen konnte, ist das Entscheidende! Sowohl in wie noch mehr außerhalb dieser»National­kirche« wäre dann für etwas anderes in weltanschaulich-sittlicher Beziehung, als die Vergötzung naturwissenschaftlich-ma­terialistischer Werte, wäre für den christ­lichen Gedanken in Deutschland kein auch noch so bescheidener legaler Raum mehr vorhanden. Selbst die katholische Kirche , vom Protestantismus ganz zu schweigen, würde dann auf die Stufe einer x-beliebi­gen Sekte, ausgeschlossen auch von der geringsten öffentlichen Mitarbeit, schika­niert und geknebelt von allen Behörden, hinuntergedrückt. Ganz ohne Zweifel: mit solchen Plänen kokettiert der»positive

Christ« Hitler , spielt förmlich der von ihm entfesselte weltanschauliche Blubo - Nihilismus! Im katholischen Sektor ins­besondere bereitet man sich ferner nicht nur auf neue praktische Annul­lierungen des Konkordates und die völlige Herausnahme der Volkserzie­hung im Schulmäßigen von jedweder bis­herigen kirchlichen Einflußnahme vor, nachdem auf der nationalsozialistischen Lehrertagung in Bayreuth Mitte Juli der Selbstmord des deutschen und des preu­ßischen Lehrervereins zugunsten der Schemm-Pädagogen verkündet werden konnte und doch das ganze in eine wüste

An diesem Stand der Dinge bietet sich das einigermaßen überraschende und ver­blüffende Schauspiel, daß die prote­stantische Gläubigkeit eigent­lich erbitterter und unver­söhnlich er kämpft, als die ka­tholische Welt. So lange als es noch um die freilich völlig imaginäre und illu­sionäre Vereinbarkeit von Nationalsozialis­ mus und christlichen Gedankengut und nur um den Grad der Gleichschaltung der Kirchenapparaturen ging, galt der Katho­lizismus schon als international ausge­richtete geistige und moralische Macht als der Hauptträger des Widerstandes von

Fasdiistisdie Ideologie

Der Retter der europäischen Kultur

Das landfremde marxistische Element

Terroransage gegen den noch verbliebenen Rest der katholischen Lehrerorganisa­tionen und die»mittelmeerländische« (lies: humanistisch-christliche statt»nor­dische«) bisherige Erziehungsgrundlage geendet hatte, sondern man sieht im Geiste Angehörige des hohen und niederen Klerus wegen der bereits annoncierten dritten Serie von antikirch­lichen T e n d e n z p ro z e s s e n nach den Devisen- und den Sittlichkeits­delikten jetzt auch Hochverratsverbrechen! in die Zwinger der Gestapo und der Justiz wandern. Die solchergestalt herrschende Hoch­spannung im Kulturkämpferischen wurde zwar durch die Olympiade zunächst auf Zeit abgedämpft, die nicht nur einige Stürmer-Briefkästen an den Knotenpunk­ten des Fremdenverkehrs schmachfriedens- mäßig verschwinden ließ, sondern auch sogar offenkundig-anationalsozialistische Abzeichen so die der protestantischen Jungmänner-Bewegung(Ymca) allent­halben in den Knopflöchern wieder sicht­bar werden ließ, sintemalen sich ja Leicht­athleten durchaus nicht nur aus Schirach- Früchtchen und SA-Heroen rekrutieren. Daß während der Olympiade dennoch eine Predigt der Bekenntniskirche in Berlin , bei der auch engüsche Anglikaner er­schienen waren, polizeilich inhibiert wur­de, war eben nur ein Regiefehler der»Ab­teilung zur besonderen Verwendung«. Die Olympiade ist nun vorbei; das Spiel Nürnberg inklusive kann beginnen...

der christlichen Bastion her, während der Protestantismus , in seiner Entstehungs­geschichte bereits alle Keime zu jedweder Art von nationalistischer Inflation in sich tragend, eher als eine naiv-unpolitische Stütze, denn als ein Hemmnis des Regimes wirkte. Das hat sich im heutigen ernste­ren Stadium des Kampfes verschoben, und zwar aus mancherlei Gründen: Nicht nur bei den aktuellen gleichzeitigen Ereignis­sen in Spanien , auch anderswo in der Welt hat sich die Kurie für das autoritäre R e g i e r u n g s p r i n z i p gegen die Demokratie(»Bolsche­wismus« sagt hier der»Osservatore Ro­ mano « genau so wie die»Wiener Reichs­post«) engagiert. Wenn aber Hitler in Deutschland stürzt was anders könnte an seine Stelle treten, als wieder eine Demokratie, die freilich gerade aus der Hitlerei gelernt hätte, wie man es anders macht, als in den»vierzehn Jahren«? Aber die katholische Kirche kann auch wegen ihrer ungleich größeren organisato­rischen Festigkeit mit dem Kredit ihrer Gläubigen ganz anders operieren, wie die einzelnen Nachfolger Luthers oder Me- lanchthons. Gerade in kritischen Stunden kann die alte Kirche, die auch einen Borghia siegreich überstanden hat, darum immer noch lavieren und ausweichen, wenn's ihr die Taktik so vorschreibt, während der Protestantismus , auf den Kredit des einzelnen Seelsorgers und der einzelnen Gemeinde angewiesen, sich stel­len muß, um nicht verloren zu sein.

Auf jeden Fall hat die Bischofs­konferenz von Fulda unmittel­bar nach der Olympiade zusammenberufen trotz der ungeheuren Verschärfung der Kampfsituation keinen Beschluß gefaßt, der von seiten des Katholizismus irgend etwas zur weiteren Zuspitzung oder gar zur Explosion beitragen könnte; immer noch fühlt sich die Hierarchie stark ge­nug, auch die schlimmsten Dinge vorläu­fig an sich herankomen zu lassen. Anders die protestanische Glaubenswelt! Nun­mehr ist innerhalb ganz kurzer Frist der dritte feierliche Protest- und Anklageschritt der soge­nannten»Bekenntniskirche«, die sich auch »Bruderrat der Bekenntnissynode« oder auch»Vorläufige Leitung der deutschen evangelischen Kirche « nennt, ergangen. Dieses Mal sogar in einer Form, daß erkenntlich wird, es soll eine unmittelbare Entscheidung im Kampf erzwungen und der bis- herige latente Guerillakrieg zwischen brauner Behörde und bekenntnistreuem Pfarrer durch Aufrollung der ganzen Machtfrage so oder so be­endet werden. War es schon mehr als auffällig, daß bei dem vorangegange­nen Protest einer persönlichen, uner­ledigt gebliebenen Eingabe an Hitler selbst vor wenigen Wochen unter Nichtach­tung der bisherigen opportunistisch-ängst­lichen Methode vom rein theologisch-kirch­lichen Streit abgegangen und offen und mutig grundsätzliche Fragen der christ­lichen Moral unter ausdrücklichem Hin­weis auf Konzentrationslager und Gestapo - Methoden vorgerückt wurden, so geht die jetzige dritte Offensivaktion noch weiter: Sie attackiert mit ausdrücklicher Namens­nennung die Nationalsozialistische Partei als die wichtigste Quelle des Bankrotts de« Christentums im Dritten Reich , sie attak- kiert also den nationalsozialistischen Staat im Grundsätzlichen selbst, der ja eben auf seiner Identität mit der Partei beruhen will; und die gewählte besondere Form nicht mehr die schriftliche Eingabe, son­dern die offene Verlesung von allen be­kenntnistreuen Kanzeln des Reiches tut mit unverkennbarer Absicht ein Uebriges, um sich nicht nur einem Detachement, sondern dem ganzen Feind dem Hitlerstaat als solchem, sei­ner Staatsräson, seiner Metho­de, seinem moralischen Presti­ge zu stellen. Das ist endlich die heroische Haltung, die der untadelige Karl Barth bisher immer vergebens im Namen des Mannes der Bergpredigt von den Koch und Niemöller gefordert hatte... Wie stehen die Chancen für beide Par­teien, wenn es, wie die Absicht der pro­testantischen Gläubigkeit ist, zur offenen Feldschlacht zwischen System und Glau­ben, zwischen Hitler und Luther kommt? Nicht übersehen darf man vor allem, au* welcher chaotischen Wirrnis heraus sich erst diese heutige Haltung der Bekenntnis­kirche herausarbeiten mußte; die ver­heerende Desorganisation im kirchlichen Komplex, in dem theologische Begriffs­stutzigkeiten von Pfründeninteressen, poli­tische Kindemaivitäten von pfäffischen Biedermannsgesten sich geradezu ablösen ließen, hängt auch noch weiter als lähmen­des Zentnergewicht dieser Aktion an, die doch eigentlich befreien und erlösen sollte. Freilich, beim unmittelbaren Gegner, im »positiv-christlichen« Ressort der Hitlerei, ist es nicht viel besser. Da sind die »D eutschen Christen« derart auf­gespalten, das zum Beispiel eine ihrer größten Landesorganisationen, die von Thüringen , sich längst einen ganz eignen HeUand, den»nordischen« Heiland, zuge­legt hat und damit die Vereinsmaxime ganz auf eigene Faust ungestraft bestreitet Da ist die»Leitung der deutschen R ei c h s k i r c h e«, in der die Bischofs­interessen noch kunterbunter durcheinan­der gehen, wie die verschiedenen Landes­bischofsbekenntnisse. Da ist ein von Hit­lers Kerrl eingesetzter»R e i c h s k i r- chenausschuß« zur»Befriedung des deutschen Kirchenlebens«, in dem Wurm gegen Zöllner, Intendant gegen Minis terial-