MüniergründlgeLiteraturVon Cola zu Adolf.Auf dem deutschen Buchermarkt drängen«ich die Biographien mit weltreichenden historischen Perspektiven. Der ganze Vorrat derWeltgeschichte an mehr oder minder großenMännern wird aufgebraucht, um faszinierendeMaßstäbe für die Gestalten des Dritten Reiches zu finden. Aber dieses Schrifttum istnicht ganz ohne Heimtücke. Zu allen Zeiteneiner scharfen literarischen Zensur habendespektierliche kritische Geister es verstanden, hinter der historischen Maske politischeAktualitäten deutlich zu machen: Voltaire,Lessing und Schiller und aus neuerer Zeitnicht zu vergessen Quiddes»Caligula« mit denpeinlichen Parallelen zu Wilhelm II.Vor kurzem sind zwei Biographien überRobespierre erschienen, eine von ihnen ausder Feder des getreuen braunen Fridolins Sieburg. Selbst er war im Interesse des publizistischen und wirtschaftlichen Erfolges seines Buches des trockenen Tones ein wenigsatt und umrankte seinen französischen Re-Reklame, Reklame!So wird heute Deutschland regiert!Es Ist kein Geheimnis, daß das Regierenund Verwalten heute In Deutschland unheimlich viel teurer ist, als zu der Zeit, da dieNationalsozialisten als Oppositionspartei überdie angebliche Mißwirtschaft des WeimarerSystems schimpften. Früher arbeiteten derReichskanzler und die Minister in ihren Amts-räumen in Berlin. Die Arbelt und ihre Fühlungnahme mit den gewählten Volksvertretern hielt sie fast das ganze Jahr in derReichshauptstadt fest. Nur ein paar WochenFerien verbrachten sie irgendwo im Reiche instiller Zurückgezogenheit.Heute ist das ganz anders. Der Reichskanzler ist nur selten in Berlin. Die armseligen Puppen von Volksvertretern sieht erüberhaupt nicht. Und die Arbeit? Nun jadie Arbeit— sie hält ihn nicht ab, sich M o-n a t e lang auf seinem Sommer- und Win-teraitz in Berchtesgaden auszuruhen.Mit einem Aufwand von einigen Mil-volutionshelden mit etwas problematischen.Lorbeerreisern, die haargenau auf Adolf Hit-"lionen Reichsmark sind in dieser Hitlers Stime paßten. Soeben gibt Herbert ler-Residenz Neu-, Um- und Aufbauten aus-Vlelstedt im kürzlich arisch-gleichge- geführt worden, damit des Kanzlers großerschalteten Verlag S. Fischer-Berlin ein Buch Stab ein Unterkommen hat und die Arbelt,über den römischen Diktator Cola die der Kanzler sich außer den von Zeit zud i R 1 e n z i heraus, denselben, über den Richard Wagner seine Oper ä la Meyerbeer geschrieben hat— ein Buch, das hinter derToga der Renaissance des 14. Jahrhundertsallbekannte Gesichts- und Charakterzüge vonheute verbirgt.Vielstedt zeigt Rienzi als einen Mann, derzwischen aufgeplustertem Selbstbewußtseinund nervöser Fahrigkeit, zwischen dämonischer propagandistischer Regie mit rauschender Zurschaustellung äußerlicher Machtfülle,zwischen unterwürfigen Liebesdlenereien undErmordungen seiner nächsten Freunde dasMusterbild eines Hysterikersauf kurzlebigem Throne darstellt.Cola di Rienzi wußte Festspiele zu arrangieren, er verstand für seine Zeit unendlich vielvon Fahnen- und Uniformsymbolik; er organisierte einen»Marsch aufs Capitol« nach genau einstudierten Plänen und Attitüden, etwaso, wie heute Adolf Hitler in der»Hauptstadt der Bewegung« mit seinen Allergetreue-sten pompös zur Feldherrnhalle pilgert.Rienzi, der Gastwirtssohn, im privaten Arbeltsleben vor seiner jähen Erhöhung mitFleiß und Ausdauer keineswegs gesegnet,tändelte als jäh Arrivierter mit verschwommenen sozialen Reformen. Praktisch aberbot er dem verarmten Volke seine eigeneFesthochzelt mit der Stadt Rom nebst sechsfacher Krönung. Dann stellte er sich derüberraschten Welt durch Einberufungeiner großen Friedenskonferenzals Menschheitsbeglücker vorund ließ sich ohne Scham mitChristus vergleichen. Die Aktualitätwird noch peinlicher, wenn man bei Vielstedtliest, daß hinter Cola di Rienzi« prunkendenZeit fälligen aufgeregten Reden vorbehält,erledigt werden kann.Und so arbeitswütig wie der Führer sindauch seine beamteten Werkzeuge. Sie machenes sich wirklich leicht. Dafür lassen sie sichauch noch vom Volke bewundem, weil sie angeblich so viel beschäftigt sind und gar nichtzur Ruhe kommen! Da ist z. B. der Dr. Ley!In»Der Aufbau«, alleiniges amtliches Organdes Hauptamtes für Handwerk und Handelsder NSDAP und der DAF, lesen wir imAugustheft:»In diesem geballten Tempo neuzeitlicher Arbeit ist auch Dr. Ley zu Hause. DieDauergäste im Flughafenrestaurant kennen das Bild schon, umdie schmale Durchfahrt biegt lautlos seinWagen, der dicht an die mit laufendenMotoren wartende große dreimoto-rige Junkers heranfährt. Ein kurzerGruß zur salutierenden SS-Wache, und Sekunden später schon donnern die achtzehnhundert Pferdestärken Irgendeinem fernenZiel auf den nahen Luftwegen zu. Es gibtwohl keinen deutschen Flughafen mehr, den der Kapitän Gundeifliegerfür Ley nicht schon angesteuerthat... Flugzeug und Kraftwagensind die zweite Heimat desR e i c b s I e i t e r s geworden...In Leipzig waren unsere Stoßtrupp-Redner zusammengezogen. In aller Frühesprach Dr. Ley zu ihnen... Bei strömendem Regen glitschte der Mercedesüber die sächsischen Straßen... Die erste— und einzige!— Rast des Tages wird ineinem kleinen Ausschank gemacht, in demeine Kolonne Straßenarbeiter Mittag faßt.Der Reichsleiter der DAF faßtmit, Brühsuppe mit Reis...Die Reisen sind keine Vergnügungsreisen. Die Fahrer, Piloten. Begleiter könnenein Lied davon singen... Sie kennen denArbeltsanfall, der sich hinter so leicht zulesenden Zeitungsmeldungen verbirgt:»... sprach morgens um 7 Uhr bei einemBetriebsappell bei Saarbrücken, weihte amVormittag ein Kameradschaftshaus in Kölnein, nahm am Nachmittag an einer Amtsleitertagung in Berlin teil und hielt abendseine zweistündige Rede auf einer Massenkundgebung in Chemnitz.«Ja, diese neuen Bonzen im Speck, im Mercedes und im drelmotorigen Junkers— sie haben es nicht leicht.»Fassen« bei all diesenAnstrengungen mit den Proleten mittagsBrühsuppe mit Reis. Was sie nachher»speisen«, wenn sie unter sich sind— darüberschweigt der Reporter.Aber: ihre Reisen sind keine Vergnügungsreisen. Sehen Sie sich nur den Dr. Ley unddie anderen an!Reden die fliegende Angst eines Getriebenensteckte. Hungersnot in Rom hatte ihn zumAbgott Verzweifelter gemacht. Verzweifelteund Enttäuschte töteten den»Tribunen derFreiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit«bereits nach sieben Jahren einer grenzenlosenMnchtfülle und verbrannten seine Leiche...Es ist ein glänzend geschriebenes Buch,ein Roman der geschichtlichen Wirklichkeit,in dem der dokumentierte Beweis noch plastischer wirkt als die klare und flüssigeSprache des Autors. Publizistisches Vorsichtund menschlich verständliche Realpolitik geboten ihm, die Verlängerung der Parallele biszum Herzpunkt des Dritten Reiches den Lesern zu überlassen. Vielleicht werden siezahlreich sein, glücklich darüber, sich mittenim Bereich der braunen Zensur hintergründige Freuden verschaffen zu dürfen.H o wa 1 d.MarxistfeiifreiWas Adolf Hitler bisher zu säubern vergessen hatte.»Liebe Skatbrüder! Genau so, wie unsergroßer Führer Adolf Hitler vom früherenParteistaat nichts übernommen hat, sondernalten Schmutz, Unrat und alles Unehrenhaftehinweggefegt hat, genau so muß jeder ehrliche und faire Skatspieler sein Teil mit dazubeitragen, daß das Skatspiel von allem Drumund Dran, was sich nach dem Kriege angehängt hat, wie z. B. das Kontra, welches sichso sehr einbürgerte, wieder gereinigt wird.So wie wir politisch nun endlich reinen Tischgemacht haben und ein einig Volk gewordensind, so müssen wir nun auch am Skattischimmer einig sein... Skat Heil!«Das ist aus der Altenburger Skatzeitung»Der Alte«. Und die Zeitung der SS, das»Schwarze Korps«, ärgert sich sehr über diesen Erguß bester nationalsozialistischer Gesinnung...Warum denn, lieber Herr Obersturmbannführer? Warum mit einem Male so miesepetrig? Das sind doch Eure Reichs bürger!Das sind doch Eure alten Kämpfer mit demgoldensten Parteiabzeichen und mit dem goldigsten treudeutschen Herzen. Vielleicht haben sie den»Führer« viel, viel besser verstanden als ihr, die ihr immer noch glaubt,daß auch außerhalb des Grand mit Viren dasgroße Wunder in Deutschland durch Hitlererst noch kommt...Der ganze totale Krieg!Kein Greis darf zu Hause bleiben...»Es wird amtlich darauf hingewiesen,daß Anfragen der Wehr-Ersatz-Dienststellen unbedingt und baldigst zu erledigen sind, auch von Aerzten, diedas wehrpflichtige Alter überschrittenoder ans anderen Gründen für denHeeresdienst nicht in Frage kommen.«Diese nazibehördliche Kundmachung befindet sich seit einiger Zeit unauffällig, aberperiodisch in allen reichsdeutschen ärztlichenFachorganen! Sie läßt mit ihrem einen Satzin das Kriegsgetriebe des Dritten Reichestiefere Einblicke zu, als alle diplomatischenAkte, Weißbücher und Agenteninformationenzusammengenommen. Hier bereitet sich wirklich der ganz totale Krieg vor, bei dem auchdie Achtzigjährigen, wenn sie— wie dieAerzte— auch nur ein Geringes zur Exekutiondes phantastischen europäischen Dramas beitragen können, an die Front müssen. Hitlers(oder seiner Hintermänner) totaler Kriegswille setzt sich auch über den eigenen Rasse-Zinober von Nürnberg, über das Demagogie-Repertoire seiner Streicher und Konsortenbrüsk hinweg; denn die Aerzte, die»au«anderen Gründen« für den Heeresdienst mitdem Portepee eines Militärmediziners»nichtin Frage kommen«, dürften, da es kaumkörperliche Krüppel auch im physisch anstrengenden Beruf gibt, fast immer Judensein. Man kann sie zwar nicht im Kasinozwischen Sekt und Zigarren verschleißen.wenn die Stunde ruft; aber Im Feldlazarettzwischen Ampullen und Morphiumspritzenmeist sogar viel besser, als die mit den Heldenorden auf auswattierter Brust.Aeiußerlloh ist die deutsche Organisation für den kommendenKrieg kompletter, als je In derwilhelminischen Zeit! Fragt sich nur,ob der Apparat, ersetzt, was man an großerIdee und Moral— vom neu pbraseologiscnauffrisiertem Kleptomanischem abgesehen—nun einfach nicht hat und auch nicht bekommen kann. Einmal schon, so erinnern sichnoch Millionen von Deutschen, ist das Experiment der»Erzbereiten« heftig an derMarne und an der Yser daneben gegangen...Lied der LeibgardeWir sind wie Engel des Gerichtsbewaffnet bis zum Kinn.In unseren Augen lest ihr nichts,wir stehen«tarren Angesichts,als wären wir aus Zinn.Wir sind ihm immer zugesellt,die Schatten»einer Macht.Er zittert, wenn ein Teller fällt,er zittert, wann ein Hofhund bellt—Wir halten schweigend Wacht.Es ist für uns kein gutes Spiel,wir wissen, was uns droht,wir kennen manchen Schusses Ziel,wir alle wissen viel zu viel,und das ist unser Tod.Fehlt, Bruder, dir dein Nebenmann,so frag nicht, was geschah,sonst bist du morgen selbst daran,denn wer von uns nicht schweigen kann,ist stet« dem Ende nah.Wir sind schon lang von der Partie,gewannen manche Schlacht,doch Herren werden wir wohl nie,im Gelde wälzen»ich nur die,die wir zur Macht gebracht.Wir stehen stramm und unbewegt,nur manchmal zuckt die Hand.Sie weiß, wrie man ein Wild erlegtU".d wie man einen Mann erschlägt,der uns im Wege stand.Wir lernten töten ohne Pein,kein Mord, vor dem uns graut.Wir schlagen, wann's uns einfällt, drein.Wir möchten nicht der Schützling sein,der unserm Schutz vertraut.Wir stehen starren Angesichts,als wären wir aus Zinn.In unsem Augen lest Ihr nichts,wir sind wie Engel des Gerichtsbewaffnet bis zum Kinn.Hugin.Eine Gardine wackeltDeutschland war früher das Land meinerSehnsucht. Wie gern weilte ich in Berlin, derRiesenstadt, mit dem damals freien Zug desLebens und den Riesenmöglichkeiten! Heutefahre ich immer mit Beklemmungen hinüberund kommte stets trauriger zurück.Kürzlich habe ich meine Freundin besucht und fand Verschärfungen, die nur derspürt, der solche Besuche in gewissen Abständen wiederholt. Vor allem fiel mir in meinemBekanntenkreise die wachsende Schimpfwutauf, die sich ab und zu gefährlich Luft macht.Es gibt Leute, die Abstinenten geworden sind,weil ihnen der Alkohol zu gefährlich wird,sobald er ihnen die Zunge löst. Menschen, dienach dem fünften Glase anfangen:»Michkönnen alle... Mich kann Göring, mich kannGöbbols, mich kann...< Und es folgen allebraunen Bonzen von unten nach oben. Diedeutschen Gerichte dürfen in solchen FällenBetrunkenheit schon nicht mehr als mildernden Umstand gelten lassen.Im engeren Bekanntenkreise bedarf eskeines Alkohols. Es haben sich geradezu Klubsgebildet, die der Parole huldigen:»Meckeredich gesund!« So schien mirs an einem Abendin der Wohnung eines Bekannten. Zehn umeinen Tisch: ein Lehrer, zwei Intellektuelle,ein Maler, Kaufleute, Nach dem Tee wurdedas Gespräch lebhafter. Der Lehrer berichtetevon der Not, die er mit Hitlerpimpfen hat.»Warum hast du den Aufsatz nicht geschrieben?«—»Dienst! Feldübung!« Und derJunge mustert den Lehrer spöttisch von untenher. Der Maler erzählt von der Stümperei aufder Akademie. Talentlose Gesinnungsathleten,die früher nie ein Stipendium erlangt hätten,fordern von ihren Lehrern mehr heldischenGeist, mehr heroische Motive. Einer derKaufleute hat bestellte, dringend verlangteAuslandsware wieder zurückgehen lassenmüssen, well die Devisen verweigert wurden.Ein anderer kam mit seinet Bestellung durch,der hat entsprechende»Verbindungen«.Und dann brach das Gewitter loa. Ein allgemeines Durcheinander— Schimpfen.»Bestechliches Gesindel!— Saustall! Eine Narrenanstalt!— Wenn Göbbels schlecht gefrühstückt hat, zittert die ganze Presse!« EinOrkan von Flüchen und Schimpfereden brausteüber den Tisch hinweg.Da verstummten einige, die mit dem Gesicht zum Fenster gewandt saßen und sahenstarr zur Gardine. Aller Augen folgten derBlickrichtung, als zöge plötzlich edne unsichtbare Gewalt alle Köpfe herum— und jetztsahen wir es noch einmal: die Gardine hattesich bewegt... Ein Rollen von unten nachoben. Dann hing sie wieder still und geheimnisvoll gefaltet.Alle waren bleich und starr. Ich sehe denLehrer noch vor mir: sein gefurchtes Gesicht schien versteinert. Lauschte da jemandhinter der Gardine? Wie edne Rakete schoßin mir das Gefühl hoch: Wenn jetzt da hinterdem bißchen Zeug jemand steckt, kann imnächsten Moment ein Mord passieren... Ichweiß nicht, wie lange es dauerte— mir erschien die Lähmung eine Minute lang— ehemeine Freundin aufstand und zum Fensterging.Oben war ein Flügel offen, ein Luftstoßhatte das bunte Tuch bewegt. Wir atmetenauf, aber keineswegs befreit. Mühselig flak-kerte die Unterhaltung weiter. Ein Schattenwar ins Zimmer gefallen, der blutige Schattendes Dritten Reiches.•Das mit dem Baumeister spielte nacheiner Abendunterhaltung in einem Restaurant. Sechs Bekannte am Tisch. Die Unterhaltung schleppte sich vom Wetter zum Sport,vom Sport zur Mode, aber da selbst Wettergespräche mitunter als getarnte Anspielungen gelten, streifte die Unterhaltung oft anden Grenzen entlang. Keiner kam recht InFahrt. Der Baumelster machte eine vorsichtige politische Anspielung, als« Abendblätterausgeboten wurden, aber alle sahen gewissermaßen an der Pointe vorbei, meine Freundinwarf schnell etwas anderes dazwischen, einertraute dem anderen nicht ganz— kurz, dietypische Situation, wenn Jeder nicht jedenanderen genau kennt.Der Baumeister fuhr uns in seinem Autonach Hause; meine Freundin und ich saßenhinten. Da brach es wiedermal los, einSchimpf orkan ohnegleichen.»Lumpen!Schwindler! Irrsinnige!— Hier kann ich michja mal aussprechen, meine Damen! Daheim