Nr. 202 BEILAGE

IlcütfTtonoötfe

25. April 1937

Zum ersten Mai 1937!

An die Arbeiter aller Länder!

Genossen! Mehr als jemals- steht der Erste Mai heuer Im Zeichen des Kampfes und der Opfer. Dem heldenhaften Kampf der Ar­beiter und Republikaner Spaniens gelten unsere Gedanken, unsere Sorgen, unsere Hoffnungen, gilt aller Schwung, in dem unsere Herzen schlagen. Wenn ein Volk für seine wirtschaftliche und politische Befreiung kämpft, dann ist seine Sache die Sache aller Völker; von seinen Siegen oder seinen Niederlagen wird aller Schicksal mitbestimmt. Niemals ist diese Wahrheit, die die Sozialistische Ar- beiterinternatiouale Euch unaufhörlich ins Bewußtsein gerufen hat, klarer erkennbar gewesen: aus dem brutalen Eingreifen der verbündeten Faschisten, das zum offenen Angriff geworden ist und die Rebellion der spanischen Generale in einen internationa­len Krieg verwandelt, erhellt unbestreitbar der internationale Charak­ter des Kampfes zwischen Demokratie und Faschis­mus. W'er könnte noch die politische Abge­schlossenheit seines Landes behaupten und sich sicher fühlen wollen, wenn es beim Nachbarn brennt? Die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft hat den na­tionalen Rahmen überschritten und was wir erleben, ist die Internationalisierung unseres Schicksals. Dem engen Begriff des reaktionären Nationalismus hat die Arbeiterklasse, seit­dem sie auf die Bühne der Geschichte ge­treten ist, stets den schöpferischen Ge­danken der internationalen Zusammen­arbeit der Völker in Eintracht und Frie­den gegenübergestellt. Die jüngste Ent­wicklung hat sie veranlaßt, diesen großen Gedanken auf dem politischen Gebiet ge­nauer zu bestimmen: Dem Nationalismus der zum Kriege treibt, setzt sie entgegen die Organisierung des Friedens durch einen starken und ak­tiven Völkerbund, der von den Hemmnis­sen befreit werden muß, die heute die An­wendung des internationalen Rechts ver­hindern. Der nationalen Isolierung, die den Schwächeren der W illkür des Angreifers preisgibt, stellt sie gegenüber die kollek­tive Sicherheit, die gewährleistet sein muß durch die gesammelten Kräfte aller für alle. Dem Faschismus, dem Staatsfeind Nr. 1 der gesamten Menschheit, begegnet sie durch die geeinten Kräfte der Freiheit, zusammengefaßt unter der zielklaren Füh­rung der Arbeiterklasse. Von dieser Auffassung hat sich die So­zialistische Arbeiter-Internationale seit dem Beginn des blutigen Bingens in Spa­ nien leiten lassen. Zur Anwendung dieser Grundsätze ruft sie Euch auf, bei der Aktion, die unter den gegenwärtigen Ver­hältnissen zu führen ist. Angesichts des Angriffs des italieni­schen und deutschen Faschismus in Spa­ nien müssen wir mit allen verfügbaren Mitteln uns bemühen, die Regierungen zu veranlassen zur Einhaltung des inter­nationalen Rechts; zur Sicherung des unteilbaren Friedens; zur Erfüllung der Pflichten, die ans der kollektiven Sicherheit e r f 1 i e ß e n. Grundsätze des internationalen Lebens, die kein Volk mißachten kann, ohne seine eigenen Interessen zu gefährden, die keine Macht zu verletzen wagte, wenn sie sich der allgemeinen Entschlossenheit gegen- übersähe, sie zu verteidigen. Noch könnte, davon sind wir überzeugt, die Demokratie der Welt, wenn sie sich aufraffen wollte, die Ruhestörer ohne Schwertstreich zum Zurückweichen zwin­gen. Noch kann der Friede gerettet werden. Angesichts der kläglichen Mittelchen und des ewigen Hinauszögerns der Diplo­matie wiederholen wir:

Die rechtmäßige Regierung Spaniens , die im Innern vom Verrat und von außen her vom Faschismus angefallen worden ist, hat das Recht sich zu verteidigen und sich frei die Mittel zu ihrer Verteidigung zu beschaffen. Kein Vorwand einer Kontrolle kann die freche Verletzung des Völkerrechts durch die faschistischen Mächte entschuldigen. Mit dem Frieden der Welt läßt sich nicht listen: man muß den Angriff zum Zurück­weichen bringen, wenn man nicht den Würgegriff des Faschismus gegen die Frei­heit der Völker dulden will. Arbeiter Spaniens ! Ihr, die Ihr Euer Leben für Eure Un­abhängigkeit und die nnsre opfert, Ihr, dank denen Madrid zum strahlenden Denk­mal der Freiheit geworden ist empfan­get die Bekundung unserer leidenschaft­lichen Bewunderung und unserer dank­baren Solidarität. Sie bleiben unverbrüch­lich in allen Euren schmerzlichen Prüfun­gen bis zum Siege, den Eure Standhaftig- keit erringen wird! Genossen der Inter­ nationalen Brigade ! Ihr, die Ihr an der Seite der spanischen Kämpfer durch heldenmütiges Handeln das Gebot der Solidarität des internationa­

len Sozialismus in die Tat umsetzt empfanget unseren Dank und die Ver­sicherung, daß die internationale Arbeiter­klasse, in deren Vorhut Ihr Euch einge­reiht habt, sich Eures Beispiels würdig zeigen wird! Arbeiter der faschistischen Länder! Ihr, die Ihr o, wir wissen es wohl die Ereignisse in Spanien mit gepreßter Seele, hoffend und ängstlich verfolgt; und Ihr, die Ihr von ruchlosen Diktatoren dort­hin geschickt werdet, um für die Interes­sen Eurer Henker zu sterben vergeßt nicht: in Spanien knüpft sich enger das Band, das Euch, Gefangene des Faschis­mus, mit dem Schicksal der Gesamtheit der Arbeiter verbindet. Schon haben in der Schlacht bei Guadalajara italienische Frei­heitskämpfer Uber italienische Söldner des Faschismus, hat das Italien Garibaldis und Matteottis über das Italien Mussolinis einen herrlichen Sieg erfochten. Vergesset nicht: vor Madrid können Hitler und Mus­ solini geschlagen werden. Arbeiter aller Länder! Denkt stets daran, daß in Spanien das Schicksal Eurer eigenen Freiheiten ent­schieden wird. Vom Ausgang des Kampfes

hängt die Schwächung oder der triumphie­rende Aufstieg der Weltdemokratie ab. In ihm geht es vielleicht um das Leben einer ganzen Generation, um Euer eigenes Le­ben, Ihr zukünftigen Opfer des neuen Krieges, den der Faschismus vorbereitet! Verdoppelt Eure Anstrengungen zur Unterstützung unserer spanischen Genos­sen und Eure Wachsamkeit gegenüber dem gemeinsamen Feind. Bringt den Kämpfern der Freiheit jede politische, moralische und materielle Hilfe, deren Ihr fähig seid. Si­chert überall und mit allen Mitteln die Niederlage des Faschismus! Bleibt eingedenk der Lehren der Ge­schichte, hellhörig für das Gebot der Stunde! Mehr als jemals gilt: durch die internationale Aktion wird der Sozialismus siegen! Es lebe das Spanien der Freiheit! Es lebe der internationale Sozialismus! Brüssel, im April 1987. Das Büro der Sozialistischen Arbeiter-Internationale.

Politische Emigration im fonfton Jahre Von der Illusion über die Depression zur Klärung!

Wohl werd* Ichs nicht erleben, doch an der Sehnsucht Hand als Schatten noch durchschweben mein freies Vaterland. Aus der»Wanderunge von Ludwig Uhland . Als Uhland diesen Vers dichtete, schrieb man 1818. Die Heilige Allianz hatte Zentral­ europa an die zaristische Kette gelegt und das Freiheitsverlangen des jungen Deutsch­ land durch Wortbruch und Terror erstickt. Deutschlands beste Geister gingen auf die »Wanderung«, um wenigstens in der Idee die Erfüllung ihrer Sehnsucht zu erleben, denn ringsher im eigenen Vaterlande waren»das Wappen die Schnecke und Schildhalter der Krebs.« Die Wanderer von damals waren die ersten Lanzenträger der vormärzlichen Emigration. Wenn es unter ihnen wirklich Gestalten gab, die nicht daran glaubten, eines Tages selber noch Zeugen des Freiheitssturms über Deutschland zu sein, so waren der politischen Emigration nach 1933, ganz unabhängig von der Parteizugehörigkeit des einzelnen, solche Stimmungen gänzlich fremd. Eher darf man ihr nachsagen, daß sie sich vor vier Jahren, als die bewaffnete braune Invasion sie aus dem Lande trieb, in die Illusion des »vorübergehenden Z u s t a n d e s« flüchtete. Wieviele haben die jähe Erschütterung der demokratisch-republikanischen Basis Deutsch­ lands , für die zwei Generationen der deut­ schen Arbeiterbewegung politisch und mora­lisch ihre Kraft eingesetzt hatten, nur als einen flüchtigen Einbruch in eine unzerstör­bare Feste betrachtet! Nur wenige hielten es damals für möglich, daß es dem Nationalso­zialismus gelingen könnte, durch unaufhör­liche propagandistische Beeinflussung des Massenbewußtseins und durch weitgehende organisatorische Verlagerungen des deutschen Gesellschaftskörpers ihre Macht auf längere Zeit zu behaupten. Man glaubte in weiten Kreisen der politischen Emigration fest an eine schnelle und»zwangsläufige« Rückent- wicklung. an die Revidierung eines anormalen und»unmöglichen« Zustandes, der mit der historisch gewor­denen deutschen Wirklichkeit in Widerspruch stände. Man verscheuchte Alpdrücke und Traumbilder in der halben oder ganzen Zuversicht, daß sich nach kurzen Ueber- gangserschütterungen den Institutionen der Republik und der Arbeiterbewegung, dem Gesetze der Vernunft folgend, bald wieder die alten Tore öffnen würden, für»kurzfristige« Emigranten, die immerhin gelernt hätten,

alte Fehler und Unterlassungssünden nicht zu wiederholen. Ihren Höhepunkt hatte die Aera der Hlu- sionen nach dem 30- Juni 1934, als durch den Spruch des»obersten Gerichtsherrn« der Na­ tionalsozialismus blutige Ausmusterung in den eigenen Reihen betrieb. In der Annahme, daß die Uebersteigerung des Terrors unter den Terroristen selber die Wurzeln des Sy­stems zerstören und zugleich ein Aufschrei des Volkes gegen seine vermeintlich ge­schwächten Unterdrücker diesen Prozeß för­dern müßte, sahen viele das nahe Ende der Emigration gekommen. Solche Stimmungen haben je nach der politischen Einsicht und der seelischen Kon­stitution des Einzelnen noch längere Zeit fortgedauert. Aber im allgemeinen darf man nach diesen drei Jahren nach dem 30. Juni eher von der Gefahr gegenteiliger Meinungen sprechen. Die politische Emigra­tion im engeren und höheren Sinne muß heute Tendenzen bekämpfen, die sich mit einer gewissen Stabilisierung ihres Schicksals einzurichten beginnen und die wi 1 1 e n s m ä ß i g e Spannkraft ernstlich bedrohen. Außerhalb der organisierten Gruppen gibt es Emigranten, die offen erklären,»apolitisch« geworden zu sein. Man hört nicht selten aus dem Munde emigrierter Intellektueller, daß das Hitlerregime weitgehend der»Mentali­tät« des deutschen Volkes entspreche und es sich nicht»verlohne«, für seine von so großen Massen gar nicht gewollte Befreiung zu kämpfen. Menschen auf dem Fluchtwege vor der Mitverantwortung, urteilen sie ge­ringschätzig über die politische Wirkungs- möglichkejt der Emigration gegen das Dritte Reich und ringen sich höchstens eine unver­bindliche Bewunderung der illegalen Kämp­fer ab, deren Opfer sie für»sinnlos« halten. Bei völliger Ablehnung dieser Haltung haben viele von uns die Pflicht, sich vor Selbstgerechtigkeit zu hüten. Denn nur wenige sind zu allen Stunden gänzlich frei gewesen von dem bedrückenden Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem mit überwälti­genden Mitteln der polltischen, materiellen und propagandistischen Gewalt ausgerüsteten Feinde einem Gefühl, das sich manchmal unter dem Druck privater Sorgen um das einfache Lebenkönnen noch gesteigert hat. Solcher Bekenntnisse braucht sich nie­mand zu schämen. Marx und Engels, die bei­den größten Emigranten des Sozialismus und der Arbeiterbewegimg, haben uns mit ihrem Briefwechsel, der über ein dreißig­jähriges Emigrationserlebnis reicht, das klas­

sische Dokument aller Höhen und Tiefen der Emigration geschenkt. Von Illusionen über das Tempo der europäischen Entwicklung in ihrem revolutionären Temperament keines­wegs frei, bezeugen sie aus dem Kreise ihrer Freunde und Mitkämpfer alle Stimmungen und Depressionen, die das Flüchtlingsdasein nur ausnahmsweise verschonen, mit An­schluß politischer Irrungen und kleinlichem Streit. Welche Progression der politi­schen Verwicklungen, welche Verstrickung menschlicher Schicksale seit den Jahrzehnten dieses Briefwechsels durch die Unterwerfung Deutschlands unter eine Despotie! Bismarck , der stärkste Widersacher der politischen Kämpfer Marx und Engels, steht im Ver­gleich zum Dritten Reich nahezu auf der Seite der Humanität gegen die Entrechtung, Entwürdigung und Entmenschlichung des deutschen Menschen. » Die Illusionen sind vorbei, der Glaube an eine innere StabUisierung des Regimes mit seinen bedrückenden Konsequenzen ist ge­schwunden die große Mehrheit der politi­schen Emigration hat die Klarheit ge­wonnen, die sie zur erfolgreichen Arbeit be­nötigt. Die Idee der Einigung der politischen Parteien und aller geistigen Richtungen gewinnt als Ausgangspunkt einer erfolgreichen Erschüt. terung der braunen Gewalt in starkem Maße die Köpfe und die Herzen. Man möchte um der Einheit und Einigung willen zur Stärkung des gemeinsamen Kampfes am liebsten alle Grenzen zwischen den bekenntnis- und tra­ditionsmäßig voneinander getrennten Grup­pen verwischen. Niemand wird angesichts der Größe der Aufgabe an die formale Erhaltung von orga­nisatorischen Bindungen denken, die immer nur als Mittel zum Zweck der Erhaltung wert sind. Es geht aber um etwas viel Wichtige­res: um den Standort einer Gesin­nung. Die deutsche Sozialdemokratie darf ohne Selbstbespiegelung bekennen, daß sie, wenn von den politischen und geistigen Zie­len der Einigung die Rede ist und diese Ziele nach programmatischen Formulierungen verlangen, am wenigsten preiszugeben oder hinzuzulernen hat. Denn der politische und der geistige Kampf gegen das Dritte Reich und gegen den Faschismus ganz allgemein wird im Namen jener politischen und der ethischen Forderungen geführt, die von der deutschen Sozialdemokratie untrennbar sind. Es geht, wesentlicher und aktivistischer als je zuvor, um Menschenrecht und Gerechtig­keit, um politische und soziale Gleichberech-