Die Diktaturen vor der Entscheidung Die Yersdiiebimg der europäischen Machtlage durch die Gegenrüstungen Wenn nicht alle Zeichen trügen, so wird dieses Jahr noch sehr bedeutsame Entscheidungen bringen. Die internationale Spannung hat einen Grad erreicht, die so oder so ein Ende nehmen muß. Die Liquidierung des Kriegs in Spanien , wozu die bewaffnete Intervention Italiens und Deutschlands den spanischen Bürgerkrieg längst umgestaltet hat, verträgt weder langen Aufschub noch ein Kompromiß. Denn hier ist die Machtfrage zwischen Italien -Deutschland emeraeits, England- Frankreich andererseits mit aller Offen heit und Brutalität gestellt. Es handelt sich nicht um Ideologie, obwohl glück licherweise die demokratische und pazifistische Idee mit dem Lebensinteresse des Empire und Frankreichs zusammenfällt, sondern um Existenzfragen. Die Festsetzung Italiens und Deutschlands in Spa nien auf den Balearen und an der marok kanischen Küste, ganz gleich in welcher Form und in welchem Grad, bedeutet die Verwandlung des mittelländischen Meeres in einen italienischen Binnensee, die Abschnürung des wichtigsten Verbindungsweges des Empire, die Unterbindung der militärisch lebenswichtigen Kommunikation Frankreichs mit seinen nordafrikanischen Kolonien, die Bedrohung der fran zösischen Pyrenäengrenze, die Verwendung der reichen Rohstofflager Spaniens und Marokkos für die italienische und deutsche Kriegsvorbereitung. Zweimal haben vor dem Krieg während der Marokkokrise England und Frankreich gegen die Festsetzung Deutschlands in Marokko ihr Veto eingelegt und mit der Kriegsdrohimg den Rückzug des deutschen Imperialismus erzwungen. Der kombinierte Angriff Italiens und Deutschlands ist heute noch ungleich gefährlicher und zielt direkt gegen die Fortexistenz des englischen Empire und gegen das Fortbestehen Frankreichs als Großmacht, ja als unabhängige Macht überhaupt. Deshalb gibt es kein Kompromiß und kein faules Geschehenlassen wie in Abessinien. Wie immer jetzt die diplomatischen Verhandlungen über die Wiederbeteiligung Deutschlands und Italiens an der Nichtintervention im einzelnen erledigt werden, das Ziel ist jetzt der Rückzug der italienischen Armee und der deutschen Flugzeug- und Tankkolonnen mit ihren Generalstabsoffizieren und Technikern zuerst aus Spanien , dann von den Balearen und Marokko . Der Rückzug ist für die beiden Angreifer nicht leicht und für Mussolini vielleicht noch schwerer als für Hitler. Aber die Alternative heißt Krieg... Das deutsch -italienische Verhältnis ist recht eng geworden. Der Marschall von Blomberg hat augenblicklich in Rom nicht nur mit Mussolini und dem Außenminister, sondern auch mit den Chefs der italienischen Armee wichtige Verhandlungen geführt. In den römischen Regierungskreisen wird zwar in Abrede gestellt, daß ein Militärbündnis unterzeichnet werden soll, aber hinzugefügt, daß die«Achse» Rom — Berlin eine»militärische Zusammenarbeit« in sich schließt, und wir müssen gestehen, daß uns der Unterschied zwischen»Militärbündnis« und»militärischer Zusammenarbeit« nicht eben sehr groß zu sein scheint. Auch sind wir die letzten, die verkennen wollen, daß der italienisch-deutsche Einfluß in Südost europa zugenommen und namentlich in Jugoslawien Erfolg zu verzeichnen hat. Aber dies reicht nicht aus, um in einem Emstfall, wenn England auf der anderen Seite steht, Italien und Deutschland die Unterstützung auch nur eines der kleineren Staaten zu sichern. Trotz aller krampfhaften Bemühungen blieben die Angreifer isoliert. Auf der anderen Seite hat sich aber eine bemerkenswerte Aenderung vollzogen. Die Illusion, durch Konzessionen Friedenssicherheit von Mussolini und Hitler erkaufen zu können, die 1933 bis 1936 den Diktaturen ihr Spiel so sehr erleichtert, ihnen die außenpolitischen Erfolge gebracht und die Verlängerung ihres Regimes gesichert haben, die sind in England und Frankreich gründlich verflogen. Die englische Aufrüstung geht rasch voran— die Engländer denken sehr emst daran, auch ihren»Fünfjahresplan« womöglich in drei Jahren zu beenden— und die Franzosen bemühen sich, nicht dahinter zurückzubleiben. Das militärische Kräfteverhältnis erfährt allmählich eine Verschiebung zu gunsten der Westmächte. Nirgends ist schematisches Denken gefährlicher als auf dem Gebiet der Außenpolitik; war es vor dem Krieg richtig, im Wettrüsten der großen europäischen Machtstaaten mit ihren expansionistischen Tendenzen eine Kriegsursache zu sehen, so ist in der Gegenwart gerade das»Wettrüsten«, das heißt aber die ohnedies reichlich verspätete Gegenwehr der großen, den Frieden schützenden Demokratien die einzige Friedensgarantie, und dies in demselben Grade, in dem ihre ungleich stärkere ökonomische Situation ihnen gestatten wird, die Distanz gegenüber den Diktaturen zu vergrößern. Zu dieser militärischen kommt die Aenderung der politischen Konstellation. Das engüsch-franzö- sische Verhältnis ist durch das deutsch - italienische Vorgehen so eng geworden, daß es praktisch einem Bündnis gleichkommt. Dieses enge Einvernehmen der beiden großen Demokratien mit ihrer gemeinsamen gegen die Barbarei der Diktaturen gerichteten ideellen Grundlage übt ihrerseits auf die Vereinigten Staaten eine wachsende Anziehungskraft aus. Wieder erscheinen Engländer und Franzosen — und wahrlich nie mit größerem Recht— den Amerikanern als Vorkämpfer der Kultur und Freiheit gegen das Hunnentum des Nationalsozialismus und des mit ihm sich immer enger verbündenden Faschismus. Und diese Gefühle, denen Roosevelt wiederholt unmißverständlich Ausdruck geliehen hat, haben- ihre erste praktische Wirkung gezeigt bei der Neugestaltung des amerikanischen Neutralitätsgesetzes. Die offizielle Politik der Vereinig ten Staaten geht bekanntlich dahin, sich künftig aus jeder europäischen kriegerischen Verwicklung fernzuhalten, auf jeden Fall ihre Neutralität zu bewahren. Sie haben deshalb den alten, von ihnen lange zähe verfochtenen Grundsatz der »Freiheit der Meere « aufgegeben, demzufolge die amerikanischen Schiffe unbehindert die Meere befahren und mit kriegführenden Staaten Handel treiben konnten. Die im März in Kraft getretene Pit- man-Bill verbietet Anleihen, Geld- oder Warenkredite an die Kriegführenden und die Ausfuhr von Kriegsmaterialien. Sie untersagt den amerikanischen Bürgern, auf Schiffen kriegführender Staaten zu reisen, ebenso wie die Bewaffnung amerikanischer Dampfer. Das Gesetz tritt automatisch in Kraft, sobald der Präsident feststellt, daß ein Krieg zwischen zwei oder mehreren Staaten ausgebrochen ist. Das Gesetz verhindert aber nicht den Verkauf amerikanischer Waren an Kriegführende gegen Barzahlung(cash) und bei Ver- frachtung(carry) auf deren eigenen Schiffen. Dieser Grundsatz»cash and carry« ist aber in der Praxis eine wesentliche Hilfe für die Mächte, die die Seewege beherrschen, also für England. Zugleich beseitigt er die Schwierigkeiten und gefährlichen Konfliktsmöglichkeiten, die sich noch 1915 und 1916 zwischen England und den Vereinigten Staaten aus der An- Opel verdient Der»Nationais ozilUistinche Wirtschaftsdienst« schrieb vor einiger Zeit; »Die Schulden der industriellen und gewerblichen Unternehmungen befinden sich in ständigem Rückgang, die stillen Reserven, die unbelasteten Eigenanlagen dagegen in ständiger Ausdehnung; die Fähigkeit, sich selbst zu finanzleren oder in andere Kapitalanlagen zu gehen, wird immer größer. Es ist deshalb heute schon sehr die Frage, ob die Geldkapitalbildung der Wirtschaft nicht das erforderliche Maß bereits überschritten hat.« Daß dieser Feststellung die Zustimmung nicht zu versagen ist, zeigt z. B. die Jahresbilanz der Autofirma Adam Opel A. G. für 1936. Allerdings ist die Dividende sehr»bescheiden«. Sie ist mit 6 Prozent und einem Betrag von 3,6 Millionen nicht höher als die von 1935. Allerdings ist 1935 seit vielen Jahren zum ersten Male überhaupt ein Bilanzgewinn gezeigt worden. Noch das Jahr 1933, also das erste Hitlerjahr, ergab einen Verlust von mehr als 11 Millionen. also von fast 20 Prozent des 60 Millionen Mark betragenden Aktienkapitals. Die Dividende ist aber nur ein kleiner Teil des von der Firma selbst ausgewiesenen Jahresgewinnes, weil dessen weitaus größerer Teil zur Reservenbildung, also zur Vermehrung des Eigenkapitals verwendet wird. Dieser bilanzmäßige Jahresgewinn beläuft sich auf 19.9 Millionen, also ein Drittel des Aktienkapitals. Die Firma Opel ist aber in bezug auf den zur Schau gestellten Gewinn sehr zurückhaltend, denn bei einer Zunahme der produzierten Waren um 18 Prozent war der bilanzmäßige Jahresgewinn nur von 19.8 auf 19.9 Millionen gestiegen, demnach um nur etwas mehr als% Prozent. Es gibt aber einen einigermaßen zuverlässigen Gradmesser für die wirkliche Gewinnsteigerung, das sind die Besitzsteuem, denn man kann wohl nicht annehmen, daß ein Unternehmen, selbst im Dritten Reich , mehr Steuern entrichtet, als es unbedingt muß. Die Ausgaben für Steuern betrugen 1933 900.000 Mark, 1935 das Zehnfache, 9.3 Millionen, und 1936 11.7 Millionen. Das Ist im letzten Jahr eine Steigerung um 26 Prozent, nicht um% Prozent. Die Firma hat also die Zunahme ihres Jahresgewinns selbst um das Zehnfache höher eingeschätzt, als sie in ihrer Bilanz ausgewiesen hat. Die Abschreibungen, die Opel sich aus seinen riesigen Ueberschüssen leisten kann, sind Ueberabschreibungen, also eifentljcll Reserven, die Reserven keine echten Reserven, sondern versteckte Gewinne. Reserven und Abschreibungen zusammen sind von 29 Millionen 1933 auf 60 1935 und 83 Millionen im Jahre 1936 gestiegen, also auf einen Betrag, der das Aktienkapital um 23 Millionen, also um mehr als ein Viertel übersteigt. Das Eigenkapital von 1936 beträgt demnach nicht 60, sondern 140 Millionen gegen 89 Millionen 1933. Diese riesigen Abschreibungen zeigen, daß der weitaus größte Teil der umfangreichen Neuanlagen aus laufenden Ueberschüssen bestritten werden konnte. Trotzdem kannten ungeheure Barmittel aufgeschatzt werden. Allein die baren oder in bar umwandelbaren Vermögensteile, Vorräte, Forderungen. Wechsel, Bankguthaben, beliefen sich auf 87 Millionen bei einer Verschuldung von 28 Millionen, wovon 8 Millionen langfristige Anleihen sind. Allein die Bankguthaben haben die ansehnliche Höhe von 33 Millionen, mehr als die Hälfte des Aktienkapitals ist also in bar angelegt und kann, wie der»Nationalsozialistische Wirtschaf ta- dienst« das ausdrückt,»in andere Kapitalanlagen gehen«, well der Ueberschuß die für die Betriebszwecke erforderlichen Mittel ungeheuer übersteigt. Wie steht es mit der Belegschaft? Zwar hat die Firma einen Betrag von 3.7 Millionen, also ebensoviel, wie die Dividende ausmacht, für eine Wohlfahrts- und Jubiläumsrücklage bestimmt, womit das diesjährige 75jährige Bestehen der Firma gefeiert werden soll. Aber abgesehen davon, daß Opel diese Rücklagen wie jede andere nach ihrem Belieben verwenden kann, ist damit nur ein sehr geringfügiger Teil dessen gestiftet, was an der Gefolgschaft verdient worden ist. Die Zahl der»Gefolgschaftsmitglieder« war 1934 13.000, 1936 20.360, das ist also eine Zunahme um fast 60 Prozent. Zur gleichen Zeit war die Summe der Löhne und Gehälter gestiegen von 39.8 auf 54.7 Millionen, also um nur 37 Prozent. Eine Division der Belegschaftsziffer in die Lohn- und Gehaltssumme ergibt, daß das Durchsclmittseinkommen des Belegschaftsmitgliedes betragen hatte 1934 3068, 1935 2715, 1936 2689 Mark. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in den angegebenen Summen auch die Gehälter der leitenden Angestellten, wahrscheinlich auch der Direktoren enthalten sind. Seit 1934 hatte der ausgewiesene Jahresgewinn, ganz zu schweigen von dem wirklichen, von 13.4 auf 19.9 Millionen zugenommen, also um fast 50 Prozent. Zur gleichen Zeit war das Durchschnittseinkommen der Gefolgschaft nicht nur nicht gestiegen, sondern gesunken. Die Zerschlagung der Gewerkschaften macht sich also für die Firma Opel , die eine Zweigstelle der amerikanischen General Motors ist, gut bezahlt, denn sie gibt ihr die Möglichkeit, die Aufrüstungsgewinne ganz für sich zu behalten und die Belegschaft nur durch Mehrarbeit daran teilnehmen zu lassen. G, A. F. Wendung des Blockaderechts ergeben hatten. Mit Recht meinte die»Frankfurter Zeitung «, daß das Gesetz in seiner Anwendung zu einer Begünstigung der zahlungskräftigen, eine große Handelsflotte besitzenden Mächte, also in erster Linie Englands, geworden sei. Man hat, konstatierte die»Frankfurter Zeitung « bedauernd, gegen das Gesetz den Vorwurf erhoben, es laufe in der Praxis auf eine eng lisch -amerikanische Allianz hinaus, und jedenfalls läge es ganz im Sinne jenes oft wiederholten Bekenntnisses führender amerikanischer und englischer Politiker, dessen Grundformel die Erhaltung des Weltfriedens von der Zusammenarbeit der großen westlichen Demokratien erwarten möchte. Der Verlauf des letzten Krieges hat aber gezeigt, wie mächtig die ameri kanischen Volksströmungen werden können, wenn England und Frankreich durch den deutschen Angriff wirklich in Gefahr kommen können, und die Untaten von Guernica und Almeria haben diese Strömungen außerordentlich verstärkt. Während Deutschland und Italien ihre krampfhaften Bemühungen um die Kleinstaaten Mittel- und Südosteuropas fortsetzen, hat so England nicht nur die enge Zusammenarbeit mit Frankreich hergestellt, sondern auch den politischen Rückhalt an den Vereinigten Staaten gewonnen. Es ist jetzt aber im Begriff, die Frage zu beantworten, wie es die neu verstärkten politischen Beziehungen wirtschaftlich unterbauen kann; die Lösungsmöglichkeit ist eine der großen Probleme, die auf der in London stattfindenden Empire-Konferenz zur Beratung stehen. Unter solchen Verhältnissen wird Krieg im Westen für die Diktatoren doch zu einem allzuemsten Abenteuer und dies um so mehr, da ihre Situation dann im Osten rasch gefährlich werden muß. So werden sie wohl versuchen, den Rückzug aus Spanien sich möglichst teuer abkaufen zu lassen, den letzten Moment zu neuen Erpressungen auszunützen, wenn sie schon den Raubmord nicht wagen können. Kein Zweifel, daß England an sich bereit wäre, den Zurückweichenden goldene Brücken zu bauen. Die Idee, den Diktatoren wirtschaftlich zu helfen, um sie politisch zu zähmen, ist noch immer nicht ganz tot. Aber eine solche Wirtschaftshilfe setzt voraus nicht nur den Rückzug aus Spa nien , sondern die völlige Liquidierung ihrer Angriffspolitik. Und das widerspricht dem Wesen der Diktatur. Dr. Richard Kern. Der Beweis Zweifelt etwa jemand daran, daß das deut sche Volk einig, zufrieden und begeistert hinter seinem großen Führer Adolf Hitler steht? Niemand wird das wagen nach dem überwältigenden»Treuebeweis«, den der Führer erst kürzlich wieder einmal— ganz ohne Wahl, Volksabstimmung oder dergl.— erhalten hat. In einer Naziversammlung in Stettin erklärte jedenfalls Herr Gauamtsleiter Ventzki das folgende: »Die Verbundenheit unseres Volkes mit der Führung hat sich gerade kürzlich wieder ganz deutlich gezeigt an der Anteilnahme, die das gesamte Volk an dem Unglück des Luftschiffes»Hindenburg« genommen hat. Diese Anteilnahme ist der beste Treuebeweis«(Stettiner General-Anzeiger Nr. 139) Ein Luftschiff explodiert,— übrigens: durch wessen Schuld?— eine Masse Menschen kommen ums Leben, die Nachricht von der Katastrophe weckt überall Erschütterungen und... Und diese allgemeine Anteilnahme ist selbstverständlich der neueste und beste Beweis für die Popularität des Führers. Oder etwa nicht? Sprengt die Predigt I Unter der deutlichen Ueberschrif t:»Auch in der Kirche protestieren«— berichtete die Nazipresse: »Gauleiter Wagner gab bekannt, daß es künftighin nicht geduldet werden könne, daß Beamte stillschweigend und ohne Protest Schmähungen des Nationalsozialismus in»Gottesdiensten« hinnehmen.« Das ist eine Aufforderung, künftig jeden Gottesdienst zu sprengen, der nicht nach dem Geschmack des Hakenkreuzes ist und einen Gewissensdruck auf alle Beamten auszuüben, die noch der Kirche angehören.
Ausgabe
5 (13.6.1937) 209
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten