Was geht in Sowgetrußland top?
Im New Yorker»Forward« sind Unterredungen mit drei in Sowjetrußland lebenden Russen veröffentlicht, die über die ungeheuer zugespitzten Verhältnisse in der Sowjetunion viel Aufschlußreiches enthalten. Obwohl die Unterredungen etwa zwei Monate zurückliegen, lesen sie sich wie eine Antwort auf die Frage, wo die Triebkräfte der neuen Terrorwelle in Sowjetrußland zu suchen sind. Es sind drei verschiedene gesellschaftliche Typen, die hier ihren Standpunkt zu der Krise der Sowjetunion zum Ausdruck bringen. Aber eben deshalb geben ihre Aeußerungen in ihrer Gesamtheit ein Spiegelbild der Strömungen, von denen die Sowjetunion in der jetzigen Verfallsperiode der Diktatur zerrissen wird. Der»neue Nationalist« Der erste der vom Berichterstatter befragten Sowjetrussen ist ein Ingenieur, der sich selbst als»parteiloser Bolschewist« bezeichnet. In politischer Hinsicht ist er voll und ganz das Produkt der zwanzigjährigen Dikta- turperiode in der Sowjetunion . In gesellschaftlicher Hinsicht bringt er den prin- zipienlosen»Amerikanismus« der neuen herrschenden Schicht, der Techniker und Bürokraten, mit naiver und brutaler Ignoranz zum Ausdruck. Er billigt vollkommen die Erschießungen der»alten Bolschewi- sten« und stellt dem von ihnen verkör- perten»Kommunismus « den n e u r u s- sischen Nationalismus entgegen, als dessen Verkörperung ihm die Politik Stalins erscheint. Dieser»parteilose Bolschewist«, der selbst von sich sagt, daß er »sich mit Politik nicht beschäftigt«, der aber gleichzeitig dem Terror-Regime Stalins und seinen wirtschaftspolitischen Experimenten uneingeschränkt Beifall zollt, weist in vielen seiner Aeußerungen eine verblüffende Aehnlichkeit auf mit den Jüngern Hitlers und Göbbels , er ist, wenn man so sagen darf, ein Repräsentant des rotangestrichenen Faschismus, der— sicherlich gegen den Willen der kommu nistischen Diktatoren selbst— in einen Teil der amerikanisierten, entgeistigten, zu Strebern und Duckmäusern degradierten russischen Jugend, insbesondere aber in die Reihen der Techniker und Bürokraten eingedrungen ist. Aufschluß darüber gibt seine Antwort auf die Frage, ob er dem Feldzug Stalins gegen die alten Bolschewisten, gegen Trotzki und die Trotzkisten Beifall zolle. »Natürlich— erwidert er— zolle ich ihm aus vollem Herzen Beifall. Unter der Fahne des Kampfes gegen den Trotzkis- mus und gegen Trotzki geht hier ein Kampf gegen den Kommunismus selbst sowohl als Theorie wie als Weltanschauung vor sich. Deshalb sind Millionen Menschen in Rußland für Stalin . Er säubert das Land von überflüssigen, veralteten Ideen und von jenen Menschen, die ihnen anhängen. Dje Kommunisten begreifen das. Er hat sie an der Gurgel gepackt und deshalb hassen sie wahnsinnig, brennend Stalin . Sie kämpfen für veraltete Ideen und für ihre eigenen Privilegien. Es sind reaktionäre Kommunisten. Wenn sie könnten, hätten sie Stalin schon längst ermordet. Sie hätten das schon oft tun können. Aber wenn die Attentatsversuche gegen Stalin fehlschlagen, so nur deshalb, weil sie selbst Feiglinge geworden sind. Die Kommunisten fürchten, Stalin zu erschießen, weil sie genau wissen, daß wir parteilose Bolschewisten am Tage nach der Ermordung Stalins gegen die»kommunistischen Genossen« einen solchen Pogrom inszenieren würden, daß tausende mit zerschmettertem Schädel liegen bleiben würden.« »Sie sehen also im Kampfe Stalins gegen den Trotzkismus den Kampf der nationalen Idee gegen die Idee des internationalen Kommunismus?« »Natürlich. Viele sehen das nicht und begreifen nicht, was sie in der Tiefe ihrer Seele instinktiv fühlen. Deshalb verspüren wir auch während der Prozesse gegen die Trotzkisten keinerlei Mitleid mit ihnen.« »Finden Sie nicht, daß Stalin im Kampfe um seine Machterweiterung, gegen seine gestrigen Genossen, sich in einen selbstherrlichen Zaren verwandelt hat?« »Auf diese Frage kann ich nicht antworten... Ich beschäftige mich nicht mit Politik.« »Sie sagten, daß der Kommunismus stirbt und daß man sich schnellstens von ihm befreien müsse. Soll das heißen, daß man den Kapitalismus wieder herstellen,
die Kolchosen vernichten, das Privateigentum an den Fabriken und Werken wieder herstellen soll?« »O nein, nichts davon! Die Fabriken und Werke sind Nationaleigentum geworden und es gibt unter uns niemanden, der sie in Privatbesitz überführen wollte. Das würde der Idee jenes neuen Nationalismus vollkommen widersprechen, der sich bei uns in all diesen Jahren entwickelt hat. Natürlich wird sich späterhin zeigen, was man in der Wirtschaft unseres Landes ändern muß, aber die Nationalisierung wird für ewige Zeiten die Grundlage unserer Wirtschaft bleiben. Einst, um das Jahr 1920 herum, war die Parole verbreitet: Es lebe die Sowjetge-
daß er nach Erteilung dieser Genehmigung den Befehl geben wird, diese Prozessionen mit Maschinengewehren zu beschießen, so werde ich das ebenfalls glauben. Wir sind in die Periode der unglaubwürdigsten Ueberraschungen eingetreten. Alles ist möglich geworden. Und meine Meinung ist die: Entweder wird Stalin von einer dunklen Macht gelenkt, die er selber nicht kennt, oder er ist einfach dem Wahnsinn verfallen___« Ein abseits stehender Beobachter Die dritte Unterredung fand mit einem abseits stehenden»Beobachter« statt, der außerhalb des Getümmels der vor sich
walt ohne Kommunisten. Im gehenden Kämpfe das Wesen Sowjetruß
Grunde genommen sind wir jetzt zu derselben Parole gelangt- Man muß alle wirtschaftlichen Grundlagen des neu aufgebauten Lebens aufrecht erhalten, aber gleichzeitig den Kommunismus beseitigen. Man muß die Idee der Partei, die Idee des Klassenkampfes vernichten, man muß diese veralteten Theorien, die zum Klassenkampf und zur Parteiherrschaft aufrufen, aus den Gehirnen der Menschen mit glühendem Elisen ausbrennen. Man muß an ihre Stelle den Gedanken der
land zu ergründen sucht. Seine Ausführungen sind um so bemerkenswerter, als er weniger von einzelnen führenden Persönlichkeiten, als von großen gesellschaftlichen Kräften spricht. Wir geben seine Ausführungen wenig gekürzt wieder: »Das charakteristische Merkmal des Lebens der Sowjetunion ist das völlige Fehlen irgendwelcher organisierten gesellschaftlichen Kräfte oder politischer Organisationen. Es existiert ein allmächtiger Kreml , der selbstherrlich alles beherrscht,
Nation, das Interesse der Nation, ohne � und außerhalb des Kremls herrscht eine Trennung in einzelne Klassen setzen. Das'gähnende Leere. Tot und jedes inneren
�anze Land strebt bewußt oder unbewußt dahin und wenn dem so ist, so hat der alte Kommunismus keinen Platz mehr...« Der zweite der befragten Sowjetrussen ist ein alter Bolschewist, der noch Der alte BoJscbcwist vor der Revolution der Partei angehörte. Auf die Frage, was eigentlich in Sowjetrußland vor sich gehe, antwortete er: »Von Stufe zu Stufe sind wir, nach Vernichtung aller Grundsätze der innerparteilichen Demokratie, bis an den Rand des Abgrundes gelangt. Wir alten Bolschewisten befinden uns jetzt in der Lage von Menschen, die von Feinden belagert sind. Je älter man ist und je mehr revolutionäre Verdienste man in der Vergangenheit aufzuweisen hat, desto anrüchiger ist man in den Augen Stalins. Immer mehr sucht Stalin sich von solchen Leu ten zu befreien. politischen und moralischen Säuberung der Partei mordet Stalin die Partei Er zerstört das Zentrum der Partei, angeblich weil es einen»Sumpf« darstellt, aus dem unfähige Verwaltungsbeamte und speichelleckerische Streber hervorgehen. Er mordet den rechten Flügel der Partei, geführt von Bucharin , Rykow und Tomski, unter dem Vorwande, daß sie»Rechte« seien. Er vernichtet den linken Flügel der Partei unter dem Vorwand, daß er mit den Trotzkisten verbunden sei, die ihrerseits wiederum angeblich mit den deutschen Faschisten liiert seien. Das Endergebnis ist, daß Stalin sowohl das Zentrum der Partei, wie ihren rechten und linken Flügel vernichtet hat___ Was bleibt denn dann von der ganzen Partei übrig? Niemand außer Stalin allein. Stalin mordet die Partei und brüllt gleichzeitig, daß sie regeneriert und verstärkt werden müsse. Wenn man tagein, tagaus seine Handlungen verfolgt und feststellt, daß er heute das bespuckt, was er gestern noch als Wahrheit betrachtete, so fragt man sich immer häufiger, ob nicht jene recht haben, die behaupten, daß Stalin krank sei und dem Wahnsinn anheimfalle. Zahlreiche Tatsachen zeugen davon, daß sein Größenwahn, sein Mißtrauen, sein Haß gegen alle, die ihn nicht als größtes menschliches Genie anerkennen, alle Grenzen des Möglichen überschritten haben und anormal geworden sind. Hier sind alle Anzeichen einer psychischen Krankheit vorhanden. Aehnliche Gerüchte sind zum ersten Male im Mai 1936 aufgetaucht. Berücksichtigen Sie bitte, daß Personen, die Stalin sehr nahe stehen, die Annahme und sogar die Ueberzeugung teilen, daß er psychisch krank ist. Natürlich wagt niemand, aus Angst für sein eigenes Leben, offen darüber zu sprechen. Jeden Tag produziert das kranke Gehirn Stalins neue Ueberraschungen. In seinem Handlungen ist weder Logik, noch Sinn, noch Konsequenz, noch ein klares Ziel zu erkennen. Heute das eine, morgen das andere. Niemand kann heute sagen, was morgen kommen wird. Wenn Sie mir sagen, daß Stalin morgen große religiöse Prozessionen in den Straßen Moskaus , auf dem Roten Platz gestatten wird, werde ich es glauben. Aber wenn Sie mir sagen,
Lebens bar sind die Gewerkschaften, deren gesamte Tätigkeit darin besteht, daß die dort sitzenden Beamten die Pflichtbeiträge der Arbeiter einkassieren. Absolut tot ist die Kommunistische Partei , die vor der Bevölkerung endgültig kompromittiert ist durch die letzten Prozesse, in denen die angesehensten j Kommunisten, die Mitkämpfer Lenins , als 'Faschisten und Landesverräter figurier- | ten. Die mächtige Organisation der GPU war schon längst von Fäulnis ergriffen, und die jetzige Beseitigung Jagodas, ihres früheren Chefs, und alles, was in Verbindung damit zutage gefördert wurde, wird die Zersetzung der GPU nur noch beschleunigen. Tot sind die örtlichen Sowjets; ihre Autorität schwindet in demselben Maße, wie die Autorität der Kommunistischen Unter dem Vorwand der| Partei, deren Organe sie waren, sinkt. Auf diesem Hintergrunde ist in der Sowjetunion eine neue Kraft entstanden — die Armee. Heute ist die Armee in der Sowjetunion die einzige organisierte Macht, die moralisch und politisch nicht kompromittiert ist. Unter den herrschenden internationalen Verhältnissen, angesichts des drohenden Krieges mit Ja pan und Deutschland , befestigt sie mit jedem Tage ihre Autorität. In demokratischen Ländern spielt die Armee keinerlei politische Rolle___ In Ländern dagegen, die der demokratischen Einrichtungen und Freiheiten beraubt sind, hat die Armee stets eine ungeheure Rolle gespielt... Eis ist charakteristisch, daß in Polen und Japan die ganze politische Energie in den militärischen Organisationen konzentriert ist Auch in Deutschland ist die Armee heute die einzige politisch und technisch organisierte Macht. Hitler ist der Gefangene der Armee geworden. Ihr gegenüber ist er machtlos. Derselben Lage nähert sich auch die Sowjetunion . Ich sage nicht, daß Stalin schon heute ein Gefangener der Armee ist, aber eines ist klar: Ob Stalin Diktator bleibt oder ob jemand anderes an seine Stelle tritt, in ziemlich naher Zeit wird die politische Leitung des Landes de facto in die Hände der Armee übergehen, wie das in Deutschland , in Polen , in Japan der Fall ist. Diese Entwicklung ist unvermeidlich. Aus dieser Lage gibt es nur zwei Auswege; Entweder erfolgt der energische Aufbau demokratischer Einrichtungen, die fähig sind, das Land zu verwalten, oder es kommt der Uebergang der Macht in die Hände der Armee. Die Diktatur Stalins stützte sich bisher auf die Partei und auf die GPU. Aber diese beiden Stützen sind verfault. Ihm bleibt nunmehr nichts anderes übrig, als sich entweder auf das Volk zu stützen(was er zum Teil versucht), oder auf die Armee. Die sowjetrussische Armee befaßt sich gegenwärtig nicht offen mit der Politik. Aber ob sie es will oder nicht, in kurzer Zeit wird sie unvermeidlich in de Politik hineingezogen werden, die sie zunächst hinter dem Rücken des Kreml , d. h. geheim, und dann auch offen betreiben wird. (Die jüngsten Ereignisse liefern einen verblüffenden Beweis für die Richtigkeit dieser Prophezeiung. Red. d.»N. V.«�,
Letzten Endes wird die Haltung des Kreml bestimmt werden von den Forderungen der Armee. Man kann schon heute Dutzende der wichtigsten Gesetze und Dekrete nennen, die voll und ganz von militärischen Erwägungen diktiert sind, und die darauf hinzielen, die Armee zu stärken und ihre Leistimgsfähigkeit zu erhöhen. Die zunehmende pohtische Bedeutung der Armee findet ihren Ausdruck in der Tatsache, daß als zweite führende Persönlichkeit im Lande neben Stalin , der Chef der sowjetrussischen Armee Woroschi- low hervortritt. In letzter Zeit sind vor ihm sowohl M o I o t o w, der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare, wie auch Kaganowitsch in den Hintergrund getreten, der noch vor kurzem als rechte Hand Stalins angesehen wurde. An und für sich stellt Woroschilow nichts Bedeutendes dar. Es ist eine sehr schwächliche Figur, mit der bisher niemand emstüch gerechnet hat. Aber der Umstand, daß sich hinter seinem Rücken eine neue gewaltige politische Kraft, nämlich die Armee, formiert, verleiht ihm eine außerordentlich große Bedeutung. Wenn Stalin das auch nicht verstandesmäßig begreift, so spürt er das. Mit seinem ungewöhnlich starken, fast tierischen Instinkt fürchtet er Woroschilow. Man kann sogar sagen, daß der einzelne Mensch, den er fürchtet, Woroschilow ist Das zeigte sich schon vor zwei Jahren, als es sich darum handelte, den Marschallsrang einzuführen. Ursprünglich sollte bloß Woroschilow diesen höchsten Rang erhalten, aber Stalin spürte sofort, daß dadurch die Stellung Woroschilows besonders erhöht werden würde, und er bestand deshalb unter verschiedenen Vorwänden darauf, daß der Marschallsrang auch Jegorow, Tucha- tschewski(!) und Blücher verliehen wurde, was keineswegs nach dem Geschmack Woroschilows war. Heute kann man noch schwer voraussagen, welchen politischen und sozialen Stempel die neue Macht, die Armee, dem Lande aufprägen wird. Es ist Grund zu der Annahme vorhanden, daß sie der Sow jetunion in noch stärkerem Maße einen n a t i o n a 1- r u s s i s c h e n Charakter verleihen wird, aber welche Aende- rungen sie in andere Gebiete, insbesondere in das Wirtschaftsleben hineintragen wird, ist noch unklar. In der Armee sind diese Fragen noch nicht aufgerollt worden, die Aufmerksamkeit der Armee wird heute von Fragen des nationalen Prestiges und der militärischen Technik in Anspruch genommen. Eines jedoch unterliegt keinem Zweifel: Die persönliche Diktatur Stalins in der Sowjetunion macht heute eine Krise durch. Davon zeugen die letzten Prozesse, die Intrigen, die Verschwörungen, die Zersetzung der Kommunistischen Partei, die Fäulnis der GPU. Irgend eine Palastrevolution im Kreml könnte unter diesen Umständen zu einer furchtbaren Anarchie, zu einem blutigen.Chaos im Lande führen. Aber was auch im Kreml vor sich gehen sollte, die neu organisierte Kraft, die Armee, wird weder Anarchie, noch Chaos und Unruhen zulassen.«
Gen England wollen sie reiten In der»Deutschen Allgemeinen Zeitung« wurde vor einiger Zeit der Vorschlag gemacht, England möge»eine größere Anzahl Mitglieder der drei Parteien des Unterhauses« nach Deutschland schicken. Sie sollten alles sehen, was sie zu sehen wünschten und sollten sich endlich einmal ein richtiges Bild vom Dritten Reich machen. Die»Times« reagierten sauer auf diese Einladung. Sie warnten vor solch einer Belehrungareise und sprachen von P o t e m- klnschen Dörfern. Nun läßt die DAZ in ihrer Nummer 266 den Verfasser des Propagandaartikels also antworten: »Vielleicht aber kann man doch nach dem Prinzip des steten Tropfens allmählich, selbst gegen die Absicht der heute maßgebenden dortigen Kreise, eine richtigere Kenntnis in diesem Lande über Deutsch land erreichen, das Ziel lohnt wirklich tlio schwere Arbeit.« Wenn in England der Aufruf erginge, nach Deutschland hinein Propaganda zu treiben und die Staatsbürger»gegen die Absicht der heute maßgebenden Kreise« über irgendwelche Vorgänge in der Welt(z. B. über Wesen, Wert und Absichten der westlichen Demokratien) zu unterrichten— das Geschrei möchten wir höreni