Nr. 215 BEILAGE 11. Juli 195? Ein Mann gegen Europa Konrad Heldens neues Btidi Mit seinem Buch über Hitler hat Kon rad Heiden im Kampf gegen die deut sche Diktatur die erfolgreichste literarische Leistung vollbracht. Man kann gegen dieses Buch im einzelnen mancherlei Einwendungen erheben; unbestritten bleibt sein Verdienst, zur Aufklärung der Welt über das Wesen des Dritten Reichs Entscheidendes beigetragen zu haben. Mit seinem neuen Buch»Ein Mann gegen Europa «(Buropaverlag Zürich) versucht Heiden den Erfolg, den er mit dem vorigen hatte, noch besser zu verdienen: es ist reifer, freier von Ressentiments und politisch positiver. Das neue Buch behandelt in der Hauptsache Hitlers A u ß e n po 1 i ti k. Ueber dieses Thema besitzen wir schon eine ausgezeichnete sachliche Schrift von M. Beer, von der nur zu bedauern ist, daß sie schon vor längerer Zeit erschien, also die neuesten Entwicklungen nicht mehr berücksichtigen konnte. Heidens Darstellung reicht zeitlich weiter, sie ist dramatischer, mehr psychologisierend, im Ergebnis sind beide Autoren einig, daß Hitler ein Mann gegen Europa und vor allem auch ein Mann gegen Deutschland ist. Hitler hat übrigens eine an Schärfe nicht zu überbietende Selbstkritik seiner Außenpolitik, auf die Heiden mehrfach hinweist. Am 9. November 1936 sagte er im Münchner Bürgerbräukeller;»Ich habe in den letzten dreieinhalb Jahren sehr schwere Entschlüsse fassen müssen, in denen manchesmal das Schicksal der ganzen Nation auf dem Spiele stand. Man hatte oft 95 Prozent Wahrscheinlichkeit des Miß- Ii ngens und nur fünf Prozent des Gelingens«. Wo in der Welt gibt es oder gab es noch einen Staatsmann, der sich rühmte, so mit dem Schicksal seiner Nation Hasard zu spielen? Man hat oft Hitler als einen Mann geschildert, der nur reden kann, aber zum Handeln immer von anderen gedrängt werden muß. Bei Heiden erscheint Hitler ganz anders, nämlich als ein schlau rechnender Spieler, der seinen Gegner belauert, bis er im entscheidenden Augenblick zupackt. Das Bild wird außerordentlich plastisch bei der Darstellung der Umstände, unter denen die Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht und später die Besetzung des Rheinlandes erfolgte. Hitlers moralische Bedenkenlosigkeit, seine Art, mit Ehrenwörtem umzuspringen, ist schon oft geschildert worden. Bei Heiden ist diese stets mit Dokumenten und feststehenden Tatsachen belegte Darstellung so grausig, daß sie— die Extreme berühren sich— beinahe schon humoristisch wirkt. 0, diese rührend ehrenhaften Männer des englischen Unterhauses, die für Hitler fair play verlangen, während er gerade dabei ist, einen seiner größten Coups zu landen! Gemahnen sie nicht an den unsterblichen gastfreien Pastor 0. E. Hartlebens, der in der Reinheit seines Herzens ein ganzes Bor- cie" in sein Pfarrhaus einlud und dann gar "f�t verstehen wollte, warum sich die böse Welt darüber so entrüstete? Man merkt an Heidens Darstellung, ndt welcher atemraubenden Geschwindigkeit sich jetzt politische Verwandlungen vollziehen. Zu eben derselben Zeit, in der die Mehrheit der Engländer noch entschlossen war, durch ihr gutes Beispiel Hitler auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, schrieb schon der römische »M essagero«:»Nur zu oft sind Versprechungen der deutschen Regierung nicht gehalten worden. Wir werden nicht auf dem Fuß moralischer Gleichberechtigung mit Leuten verhandeln, die mit solchem Zynismus die Beachtung der Ehrengesetze unterlasse n«. Das war zu der Zeit, als der Wiener Putsch vom 25. Juli 1934 dem Bundeskanzler Dollfuß das Leben kostete. Damals fiel das Los auf die Seite der 95 Prozent Wahrscheinlichkeit, aber es waren wie immer, wenn politische Hasardeure verlieren, andere, die mit ihrem Blut zu bezahlen hatten. Damals, genau vor drei Jahren, standen Mussolinis Soldaten am Brenner, und es fehlte nicht viel, daß die Kanonen, die jetzt in Spanien so harmonisch zusammenwirken, gegeneinander losgegangen wären. Erfreulich ist, daß Helden sich über die WeimarerRepublik zu einem objektiveren Urteil durchringt. Das kommt am klarsten an jener Stelle seines Buches zum Ausdruck, an der er vom deutschen Volke sagt: »Durch den Kriegsauagang in eine Schmach und Not versenkt, die kein Volk auf die Dauer dulden konnte, mußte es mit der Notwendigkeit der Natur alle Kräfte an seine Befreiung setzen; dies hat die Weima rer Republik mit den Mitteln eines redchen Volksgeistes und den Waffen des Friedens vierzehn Jahre lange geduldig und erfolgreich Schritt um Schritt getan... Die Befreiung Deutschlands war um Deutschland und Europas willen notwendig. Sie geschah unter Stresemann und Brüning, nicht unter Hitler .« Wozu nur hinzuzufügen wäre, daß das gesamte Gedankenkgut der deutschen Außenpolitik in der Republik von der Sozialdemokratie stammte, und daß ohne die Vor- und Mitarbeit führender Sozialdemokraten die Erfolge Stresemanns und Brünings nicht denkbar sind. Sehr richtig sagt Heiden, daß das Interesse der Deutschen an der Demokratie erlahmen mußte, wenn alle nationalen Entschlüsse von übermächtigen Weltkoalitionen zunichte gemacht wurden:»Die nationale Ohnmacht des Reiches zerstörte das Interesse des deutschen Volkes an seiner frischgewonnenen bürgerlichen Freiheit.« Die Sozialdemokratie hat dem deutsehen Volke durch Erringung der Freiheit auch nach außen die innere Freiheit wertvoller zu machen versucht. Sie war gleichzeitig darauf bedacht, die Arbeiter durch gioße soziale Errungenschaften fester an die Republik zu binden. Wenn dieser große Versuch einstweilen auch gescheitert ist, so wird er gewiß noch in der Zukunft seine Früchte tragen. Heiden schildert die Bewegung, die, wie er prophezeit, eines Tages über Hit ler hinweggehen wird: »Sie wird nicht mit Fronten, Märschen und gellenden Signalen daherkommen. Gewiß, sie wird kämpfen, und wo es sein muß, das Höchste einsetzen; aber ihre Bedeutung liegt nicht in dem, was sie überwindet, sondern in dem, was sie erschafft. Sie wird nicht den törichten Versuch einer Nachahmung des Gegners machen... Sie wird größere Formen und stärkere Gesten finden als das Marschieren in Viererreihen und das Schlagen mit Knüppeln. Denn sie will nicht herrschen, sondern befreien; sie fordert aus Nächstenliebe die Menschenrech- t e; sie verlangt cfie Einheit Buropas, um den Menschen dieses Erdteils eine erhöhende gern ednaame Aufgabe und der Jugend eine hoch über der Gegenwart liegende Zukunft zu geben«. Es ist neulich schon bei anderer Gelegenheit hier gezeigt worden, wie groß die Neigung geworden ist, kl aasenkämpf erische Ziele durch unmittelbar ethische zu ersetzen. Das ist kein Wunder. Denn wie sich aus der Kerkernacht der Despotie notwendig der Schrei nach Freiheit erhebt, so muß die grauenhafte Verschmutzung des deutschen Regierungswesens die Sehnsucht nach einer neuen Ehrenhaftigkeit und Sauberkeit wecken. Man soll dabei nur nicht übersehen, daß nach den allgemeinen Gesetzen der Menschennatur der Kampf um Freiheit und Sauberkeit fast ausschließlich von denen geführt werden wird, die die Unterdrückten des heutigen Systems sind, und daß unter diesen Unterdrückten die Arbeiter die große Masse bilden. Was heute wieder— und gegen diese Bezeichnung ist nicht das Geringste einzuwenden— ein Kampf um Freiheit und öffentliche Sauberkeit, um Nächstenliebe und Menschenrechte genannt wird, ist im Grunde nichts anderes, als der alte Kampf des arbeitenden Volkes gegen seine politische und soziale Unterdrückung. Und das neue Europäertum steht im engsten Verwandtschaftsverhältnis zur Sozialistischen Arbeiterintemationale und ihren Bestrebungen nach einem friedlich geeinten Europa . Die kommende deutsche Freiheitsbewegung ist denkbar nur als eine Bewegung der im Dritten Reich unterdrückten arbeitenden Massen, und ihre Spitze bilden kann nur eine in ihren Grundsätzen und Zielen unveränderte, in ihren Methoden, ihrem Personalstand und ihrem Temperament verjüngte deutsche Sozialdemokratie! F. St. Mutionlre Ronsordnuni- ein Polizeitrick? Nach allgemeiner Auffassung, die eigentlich nie bestritten wird, gilt der Kommunismus als»revolutionärer« denn der Sozialismus. Meist läßt man folgende Stufenleiter gelten: bürgerlicher Radikalismus, Sozialismus, Kommunismus. Gelegentlich wird über den Superlativ des Kommunismus noch der Anarchismus gestellt, als das Revolutionärste und»Linkseste«: dabei vergißt man, daß der Anarchismus anderer Abstammung ist, ein Schößling des Liberalismus und mehr eine Sehnsucht darstellt als eine politische Möglichkeit. Warum wäre aber der Kommunismus revolutionärer als der Sozialismus? Wir wollen den Begriff des Revolutionären ganz schlicht und flach aus der Tagespolitik übernehmen, soweit er dort ehrlich gebraucht wird— nicht betrügerisch, wie von den spanischen Meuterern. Revolutionär ist, was darauf abzielt, die heutige Klassenherrschaft durch eine Gesellschaft zu ersetzen, die keine Herrschaft des Menschen über den Menschen duldet. Für den Sozialisten, wie für den Kommunisten ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel die praktische Voraussetzung für die Verwirklichung einer solchen Gesellschaft, aber man kann natürlich ein Revolutionär sein, ohne diese Voraussetzung gelten zu lassen. Immer ist aber ein politisches Verhalten in dem Maße revolutionär, als es einmal die Klassenherrschaft erschüttert und dann die Träger der neuen Gesellschaft heranbildet. Die verschiedene Ansicht darüber, ob das eine oder das andere wichtiger sei, bedingte die Teilung in Reformisten und Radikale innerhalb der sozialistischen Bewegung. Die Spaltung des Proletariats in eine sozialistische und eine kommunistische Partei ist zweifellos durch historische und philosophische Wurzeln mit jener Teilung verbunden, in dem Sinne, daß der Kommunismus den Umsturz des Bestehenden als die vornehmste Aufgabe ansieht, während der Sozialismus in der bloßen gewaltsamen Beseitigung des Alten keine Gewä.hr dafür sieht, daß nicht Machtgier der einen und Knechtsinn der andern auf den Trümmern des Zerstörten neue Herrschaftsverhältnisse aufrichten. Aber für beide Richtungen war Raum in der sozialistischen Partei. Was tatsächlich zur Spaltung geführt hat, war die durch die russische Revolution konkret gewordene Frage: Demokratie oder Diktatur. Für die einander entgegengesetzten Antworten war kein Raum in einer Partei. Die größte Toleranz konnte kein Aktionsgebiet finden, auf dem sich gleichzeitig für Diktatur und Demokratie hätte arbeiten lassen. Diese Spaltung war also logisch und wäre aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne das Betreiben der Sowjetregierung, bloß durch die Tatsache ihrer Existenz, zustande gekommen. Seit der Spaltung ist der Faschismus über Italien , Deutschland , Oesterreich hergefallen und wütet in Spanien . Hat die kommunistische Partei in irgend einem dieser Länder stärkeren und wirksameren Widerstand geleistet als die sozialistische? Nein. In den beiden Staaten, wo die kommunistische Bewegung sehr schwach war, in Oesterreich und in Spanien , war und ist der Widerstand am stärksten. Warum wäre also der Kommunismus revolutionärer als der Sozialismus? Besteht man auf einer Antwort, so kommt dem Befragten, dem nie Zweifel an dem revolutionären Rang des Wortes aufgestiegen waren, wie eine Erleuchtung die Gegenfrage:»Warum würden sonst die Kommunisten soviel mehr verfolgt als die Sozialisten?« Die große Werbekraft des Kommunismus, viel größer als die des angeblichen Sowjetparadieses, liegt in der authentischen Hölle, die die Regierungen fast aller Länder seinen Anhängern bereiten. Das Proletariat, soweit es politisch noch im Halbdämmer lebt, und das verbitterte und enttäuschte Kleinbürgertum sagen sich:»Die herrschende Klasse hat mehr Angst vor den Kommunisten als den Sozialisten, also müssen die Kommunisten für sie gefährlicher sein«. Nun dürfte unsere Bourgeoisie nicht so macchiavelli- stisch klug und weitblickend sein, eine Angst vorzutäuschen, bloß, um das Proletariat irrezuführen. Die Bolschewisten- angst der ersten Jahre war echt, goldecht, das Zittern und Beben des Bürgertums war keine Schauspielerei. Heute und vielleicht schon seit einem Jahrzehnt ist die Angst nicht mehr echt, sondern eine politische Finte, ein Trick, um die bürgerlichen Schichten zu einigen und von der Notwendigkeit der Gewalt zu überzeugen und um gleichzeitig den sozialistischen Parteien das Wasser abzugraben. Die Reaktion verlieh dem Kommunismus das Ehrenkreuz revolutionärer Gefährlichkeit. Es wäre frivol und gemein, wollte man ableugnen, daß es ein schweres, erdrük- kend schweres Kreuz war und ist. Kein anständiger Mensch wird den kommunisti schen Opfern, die auf dem Schafott, im Zuchthaus, in den Konzentrationslagern und auf den italienischen Inseln für ihre Idee gelitten haben und gestorben sind, Bewunderung und Sympathie verweigern. Aber die Zahl der Opfer gibt nicht den Maßstab für die revolutionäre Wirksamkeit der Partei. Einmal nicht, weil sie vielfach erhöht wird durch die erstaunliche Durchlässigkeit der kommunistischen Organisationen für Spitzel, dann nicht, weil überall die Polizei und in den faschistischen Ländern auch die Gerichte jeden Widerstand gegen die herrschende Gesetzlosigkeit als Kommunismus rubrizieren und so die Zahl fälschen. Diese letzte Tatsache beweist, daß die Reaktion Interesse hat, die Gefährlichkeit des Kommunismus zu proklamieren und zu übertreiben, eine Taktik, die gegenüber wirklich gefürchteten Gegnern nicht üblich ist. Betrachten wir aber nicht die Opfer, sondern die revolutionäre Wirksamkeit, fragen wir uns, in welchem Lande die kommunistische Partei die bürgerlichen Regierungen erschüttert hat, so ist festzustellen, daß die Länder mit den stärksten und lautesten kommunistischen Parteien, Italien und Deutschland , am gründlichsten dem Faschismus verfallen sind. In beiden Ländern hat der Kommunismus die Vorteile der Gewalt gepredigt, ohne selbst Gewalt zu üben, bis das verängstigte Bürgertum seine Verteidigung der faschistischen Gewalt übertrug. Wäre der Kommunismus nicht dagewesen, so hätte man ihn erfinden müssen; soweit er nicht ausreichte, hat man die Ergänzung erfunden. Er ist dem Faschismus unentbehrlich, so unentbehrlich, daß er ihn in Spanien importieren mußte, wo er vor der italienisch-deutschen Invasion ein Schattendasein führte. Nim kann man sagen: schließlich kann der Kommunismus nichts dafür, wenn ihn die Reaktion als Bourgeoisschreck verwendet. Das ist nur bedingt richtig. Freilich kann er nichts dafür, daß er noch keine Tradition hat, wie die Sozialdemokra- tie, die eine allzu phantastische Legenden-
Ausgabe
5 (11.7.1937) 213
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