Nr. 214 BEILAGE UjuccBöntwcts 18. Juli 1937 Spaniens langer Kampf (Von einem besonderen Korrespondenten) M. Madrid , Anfang Juli 1937. Der spanische Bürgerkrieg tritt, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, in sein zweites Jahr ein. Wie oft, verbirgt sich auch hier hinter der Quantität der lan­gen Dauer eine Qualität: aus der Meu­terei einiger Generale gegen eine demo­kratische Regierung ist dieser Bürgerkrieg emporgewachsen zu einer ersten, entschei­denden Kraftprobe, vor die der Welt­faschismus die antifaschistischen Kräfte Europas stellt. Es läßt sich, da es in der Geschichte kein Retortenexperiment gibt, nicht mit Gewißheit sagen, wie lange der Bürger­krieg als reinspanische Angelegenheit wohl gedauert hätte.(Wobei man obendrein die Frage aufwerfen muß, ob ohne die vorherige Zusage ausländischer Hilfe die Franco und Mola ihr Abenteuer überhaupt gewagt hätten.) Aber sicher würde sich nach relativ kurzer Zeit das Scheitern des Militärputsches herausgestellt haben. Denn alle geschichtliche Erfahrung lehrt, daß Militäraufstände, die zu Beginn ohne ent­scheidenden Erfolg bleiben, sehr rasch infolge von Entmutigung und Abfall zer­bröckeln, dieweil nun einmal der Berufs­soldat ohne die berühmten»51%« Erfolgs­aussichten nicht gern seine Haut zu Markte trägt! Eine solche Phase der Entmuti­gung haben auch die Meuterer durchge­macht, als die Nachrichten vom Scheitern der Revolte in Madrid , Barcelona , Valen­ cia usw. eintrafen. Aber sie überwanden sie dank der damals schon einsetzenden deutsch -italienischen Hilfe, die es ihnen ermöglichte, das in Rebellenhänden ver­bliebene Gebiet gegen die ungeübten Streit­kräfte der Regierung zu vergrößern und den Vormarsch auf Madrid anzutreten. Der internationale Charakter des spa­ nischen Bürgerkrieges ist dann von Monat zu Monat schärfer hervorgetreten. Die rechtmäßige Regierung hat an sich die Richtigkeit eines Wortes des alten Nico­laus Machiavelli erfahren müssen, der in seiner Abhandlung vom Kriege schreibt; »Männer und Waffen, Gelder und Brot sind die Grundbedingungen jeder Krieg­führung. Aber von den vieren sind die beiden ersten die wichtigsten. Denn Män­ner und Waffen finden leichter Gelder und Brot, als umgekehrt Gelder und Brot Män­ner und Waffen finden.« Es hat die spanische Regierung, obwoM sie über die entscheidenden Wirtschaftszentren und über den Goldschatz des Landes verfügte, schwere Mühe gekostet, in den Besitz von Waffen und kampfgeübten Männern zu kommen, und dieser Zeitverlust hat sich als Verlust von Gebieten und Städten ge­gen sie ausgewirkt. Man muß hier aller­dings gleich hinzufügen, daß eine Haupt­schwierigkeit für sie jene verhängnisvolle Nichteinmengungs-Politik schuf, die sich schon in ihren Anfängen praktisch als eine Pohtik der Behinderung der rechtmäßigen spanischen Regierung ausgewirkt hat. Je besser es dann der rechtmäßigen Regierung glückte, in den Besitz von»Män­nern und Waffen« zu gelangen, desto deutlicher trat der internationale Charakter des Krieges zutage. Das Heer, über das die Regierung heute verfügt, ist zweifellos den Söldner- und Marokkaner­truppen, über die Franco zu Beginn seines Abenteuers kommandierte, fünf- oder zehnfach überlegen. Wenk diese Ueber- legenheit sich bisher noch nicht auswirken konnte, so liegt das weit weniger an den von Franco inzwischen vorgenommenen Zwangsrekrutierungen als an der Hilfe, die er durch deutsche Spezial- t r u p p e n und durch geschlossene italienische Formationen emp­fangen hat. Alvarez del Vayo hat die Zahl allein der in Francos Reihen kämpfenden Italiener in Genf auf ca. 70.000 ange­geben. Unter Einschluß der Deutschen und Mauren besteht heute sicher das Franco- Heer zu mehr als einem Drittel aus Nicht- spaniern! Der spanische Bürgerkrieg ist aber nicht nur eine Auseinandersetzung zwi­schen demokratischen und faschistischen Regierungsprinzip, er trägt auch wie könnte es anders sein! wirtschaftlichen und sozialen Klassencharakter. Aber man darf sich durch dieses Wort nicht irrefüh­ren lassen. Es bedeutet nicht, daß die Parole:»Hie Kapitalismus hie Sozia­lismus«, die ihn allein beherrschende ist. Auch die französische Revolution von 1789 trug Klassencharakter, aber sie stellte dar den Kampf der bürgerlichen Klassen gegen den Feudahsmus. In Spa­ nien bestanden bis vor ganz kurzem so gewaltige Reste des Feudalismus Rie­senbesitz des Adels und des Klerus, daß hiergegen ein Bündnis des Stadt- und Landproletariats mit bürgerlichem Klein­besitz, Mittelschichten und Intelligenz möglich war, und diesem Bündnis zuliebe ist der größere Teil des Proletariats noch jetzt bereit, sich mit einer sozialistischen Teil-, richtiger gesagt: mit einer soziali­ stischen Anfangs lösung zu begnügen. Natürlich ist es für jeden Geschichts­kenner selbstverständlich, daß ein Bürger­krieg in einem Lande des zwanzigsten Jahrhunderts die vorher mehr oder weni­ger latenten Klassengegensätze zur vollen Evidenz bringen muß. Sobald Landarbeiter und Industrieproletarier mit der Waffe in der Hand gegen die Söldner der Feu­dalherren und des Großkapitals kämpfen, entsteht die Frage nach dem Eigentum am Grund und Boden, an den Fabriken und Betrieben. Aber die Lösung der Frage vollzieht sich doch eben nach Maßgabe der am Kampfe beteiligten G e s a m t- k r ä f t e. Sie hat sich in Spanien bisher in einer Weise vollzogen, die als»radikal« nur der bezeichnen kann, der vor dem Ab­sterben des Kapitalismus manchesterlicher Observanz in unserer Epoche einfach die Augen verschließt. Jedenfalls hat das Maß der in Spanien vollzogenen sozialen Aenderungen hinge­reicht, um Franco außer der offenen Hilfe der faschistischen Staaten die Sympathie der Bourgeoisien der demokratisch-kapita­listischen Länder einzutragen. Dies erklärt die unentschlossene, unklare, zweideutige Politik jener Staaten. Politisches Macht- änteresse und reines Klasseninteresse der englischen und der französischen Bour­geoisien liegen in Widerspruch miteinander. Man erinnert sich oder erinnert sich kaum noch jener famosen englischen Vermittlungsvorschläge, die darauf hin­ausliefen, die Staatsmacht oder das Staats­gebiet in natura zwischen den streitenden Parteien aufzuteilen. Vom Standpunkt der spanischen Verhältnisse aus waren diese Vorschläge das reine Irrenhaus, vom zwie­spältigen Standpunkt der englischen Bür­gerinteressen dagegen durchaus logisch: für sie schien es am besten, keiner der beiden kämpfenden Teile bliebe Sieger! Aus diesem Zwiespalt heraus haben die Westmächte lange genug dem verbrecheri­schen Spiel der faschistischen Staaten tatenlos zugesehen, sie haben sich mit dem Schein der Nichteinmengung begnügt und einfach die Augen davor geschlossen, daß ihre Vertragspartner, während der Nichteinmengungspakt sie band, ganze Armeen nach Spanien verfrachteten. Erst als die durch solche Schwäche übermütig geraachten totalitären Staaten nicht ein­mal mehr den Schein zu wahren sich ge­neigt zeigten, beginnt eine Aenderung der bisherigen Haltung sich abzuzeichnen. Das staatliche Macht- und Selbstbehauptungs­interesse schickt sich an, die Klassensym­pathien der englischen und französischen Bourgeoisie zu überwinden. Dieser Prozeß hätte sich freilich nicht vollziehen können, falls es Franco gelun­gen wäre, im ersten Kriegsjahre die spa­nische Republik über den Haufen zu ren­nen. Abessinien wäre seinerzeit vielleicht gerettet worden, wenn es imstande gewe­sen wäre, sich ein Jahr statt eines halben zu behaupten. Die Unfähigkeit des unzi- vilisierten Landes, sich auf moderne Krieg­führung umzustellen, ist sein Verderb ge­wesen. Die spanische Republik aber hat bewie­sen, daß sie kein Abessinien ist. Man muß das intelligente, anstellige, lerneifrige spa­nische Volk nur ein wenig kennen, dessen Unwissenheit allein das Ergebnis feuda­listischer Lot t er- und Mißwirtschaft ist, um das Unpassende des ganzen Vergleichs zu empfinden. Nicht ausländische Hilfe hat die spanische Republik so sehr über das Kriegsjahr gerettet, als die vorzüg­liche Fähigkeit des spanischen Volkes, sich mit geringer Anleitung und Unter­weisung selber zurechtzufin­den. Die internationalen Brigaden schon rein zahlenmäßig mit der italo-deutschen Hilfe an Franco nicht zu vergleichen, ha­ben dem spanischen Volke nicht die Last und Verantwortung des eigenen Kampfes abgenommen, sondern ihm das Beispiel einer modernen Kampftruppe geliefert, das heute schon von Dutzenden spanischer Brigaden übernommen worden ist. Doch worauf es in unserer Betrachtung ankommt; für die spanische Republik ist es tatsächlich im nationalen wie im inter­nationalen Maßstab ein großer Er­folg, das erste Kriegsjahr im wesent­lichen intakt durchgestanden zu haben. Man hüte sich, diese Tatsache als Erfolg zu unterschätzen, man hüte sich, die Situation nach einzelnen Rück­schlägen zu beurteüen, die unausbleiblich waren, solange man im wesentlichen in der Defensive kämpfte. Das wesentliche Kenn­zeichen der Situation ist nach Ablauf des ersten Kriegsjahres folgendes; die spa­nische Regierung kann jetzt jederzeit aus eigener Kraft über die Meuterer sie­gen; diese dagegen sind absolut abhängig von einer ausländischen Waffen­hilfe, die von Monat zu Monat wachsen müßte, um zum Erfolg zu führen. Ent­schließen sich die Westmächte, wozu sie polltisch und militärisch imstande sind, mit der ausländischen Einmischung Schluß zu machen, so ist Franco schnellstens ver­loren, es sei denn der um die Achse Rom- Berlin kreisende Faschismus riskiert den Weltkrieg in einer Lage, die totsicher zum Zusammenbruch sämtlicher faschistischer Systeme führt. Aber dann wird Franco erst recht das Schicksal seiner Bundes­genossen teilen. Ludwig Büdmers Wiederkehr Rusts»Kraft und Stoff« Die neue biologlsdi-zoologisdie Weltanschauung »Nur die oberflächlich gekostete Philosophie führt von Gott hinweg, die ganz und völlig erschöpfte aber führt zu ihm zurück.« Reichaminister R u s t nach Baco von Nerulam. In voller Schamlosigkeit, begleitet von langen Berichten in der deutschen Presse, haben sie die 200-Jährfeier der Universität Göttingen zele­briert, die bereits in Spott und Gelächter der Hochschulen aller Erdteile 2m versin­ken schien. Die abgeschiedenen Geister der Göttinger Sieben, gewöhnt an so viele feige Preisgabe des Gelehrtenstolzes im Dritten Reiche, werden es dem Rektor Naumann nicht besonders anmerken, daß er seine Führer als den schöpferischen Wegbahner einer deutschen Wissen­schaftslehre bekränzte. Denn der Reichs- rainister Rust hat im Verlauf der Göttin­ ger Veranstaltungen eine rethorische Pro­klamation vom hakenkreuzgeschmückten Katheder in die Welt erlassen, von der die deutsche Philosophie fortan etwas Aehnliches sagen darf wie Goethe als Augenzeuge der Kanonade von Valmy: eine neue Epoche der Geistigkeit habe be­gonnen, und sie sei dabei gewesen... Es ist notwendig, über die Forschungs­reise Rusts in wissenschaftliches Neuland knapp zu berichten. Man verdanke, so sagte er, die Gründung der Göttinger Uni­versität dem Kampfesmut von Männern, die gegen dekretierte Dogmen die Voll­macht des forschenden Geistes bean­spruchten und die unabhängige moderne Wissenschaft begründeten. Mit hurtiger Zunge vermag ein brauner Minister solch einen Satz zu sprechen, ohne daß er sich verschluckt. Aber später, vor allem im neunzehnten Jahrhundert, in dem der Libe­ralismus und sein noch viel schlimmerer kleinerer Bruder, der Marxismus , die Wur­zeln freier deutscher Wissenschaft benagt hätten da sei dieses»feingeschliffene Instrument« in falsche Hände geraten, weil man nämlich keine feste Welt­anschauung besessen habe. Jetzt aber... jetzt habe man, dank Hitler und Rosenberg und ihm, Rust selber, die ewig haltbare Brücke zwischen Erkennen und Glauben gefunden! Jetzt sei endlich die »neue Lage« da; dadurch nämlich, daß die Wissenschaft den Gedanken der Rasse und der Vererbung zu er­fassen und durchzuarbeiten begonnen habe! Wer aber spendete den Schlüssel zu diesem bisher uneröffneten Weltanschau­ungstor? Rust ließ seine Hörer nicht lange hangen und bangen. Das habe die Bio­logie getan. Sie habe den Mut gehabt und die Redlichkeit des Gedankens. Sie habe»die ewigen Gesetze des natürlichen Daseins dem Dogmenglauben gegenüber­gestellt und damit die Wissenschaft vom Elise befreit.« Das also war das»Neue«. Man braucht nicht lange zu suchen, um zu den Quellen vorzustoßen. Fast genau so, nur etwas weniger schwülstig, steht es in»Kraft und Stoff«, dem 1855 geschriebenen, viel gelesenen, gepriesenen und verläster­ten Standardwerk Ludwig Büch­ ners . Eis war das erste populäre Be­kenntnis zu einem atomistischen Materia­lismus und trat mit dem Anspruch einer Weltanschauung auf: Deutung der Welt, aller körperhaften und aller seelischen Funktionen aus den polaren Beziehungen des Urstoffes der Materie. Zeitgenosse Darwins, der in den gleichen Jahren seine Zuchtwahltheorien zum ersten Male for­mulierte und Vorläufer Häckels, der spä­ter die»Welträtsel« vollends entlarvte, war Büchner mit Moleschott und Karl Vogt ein Hauptvertreter des philosophi­schen Materialismus im neunzehnten Jahr­hundert, der von niemandem schärfer ab­gelehnt wurde als von Marx und Engels. Marx schreibt von Büchners»Machwerk« und spottet über die Annahme, daß man allen Wundern des Lebens auf den Sprung komme, wenn man die Urform sozusagen chemisch fabrizierbar mache. Achtzig Jahre später kehrt die braune Wissen­schaftstheorie, wie Rust sich ausdrückte, zum Biologismus als dem fruchtbaren und tragenden Prinzip vom Menschen, verwirk­licht im ewigen Gesetz von der Rasse und der Vererbung,« wieder zurück. Ein tra­gikomischer Kreislauf, denn der Nationa- lismus wollte doch gerade den deutschen Geist vom Materialismus zum mindesten für die nächsten tausend Jahre erlösen. Um nicht ungerecht zu sein: etwas Neues ist daran. Die deutsche Philosophie in der Weimarer Aera und lange vorher, war vielseitig um den Nachweis bemüht, daß die Vogt, Büchner, Darwin und Häckel zu den geistigen Nährvätern des Liberalismus gehörten. Vom natürlichen Zuchtwahlgedanken zum wirt­schaftlichen Kampf aller gegen alle mit dem Recht der privaten Ellenbogenfreihedt zur Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist nur ein kurzer Schritt. Jetzt aber hat, nach Rust , der Nationalsozialis­mus auch dieses hohe Erbe mitübernom­men: »Die Biologie ist älter als der Na­tionalsozialismus. Aber sie wußte selbst nicht, welchen Schatz sie gefunden hatte. Der ursprüngliche Impuls der modernen Wissenschaft reichte nicht aus, um die Lehre von der Ver­erbung zu einer wirklich neuen Lehre vom Menschen zu entwickeln. Hier zeigt sich der fruchtbare Zusammen­hang zwischen Wissenschaft und National­ sozialismus .« Fortan weiß das die Biologie, und vermut­lich wird Ludwig Büchner dem Schicksal so vieler anderer nicht entgehen: zu einem