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Aus dem Inhalt: Die Hitlerkanonen Ein braunes Lakeienmärchen Der Retter ohne Kredit Die Kunst-Kaserne

Deutsche Eisennot weggetreten! Erzdiktator Göring Der General Göring , Diktator des Vier­jahresplanes, hat sich kühn entschlossen, der deutschen Rohstoffnot»Weggetreten« zu befehlen. Die Rohstoffwirtschaft im allgemeinen und die Bewältigung der Eisennot im besonderen sollen auf eine neue Grundlage gestellt werden. Es ist in der Tat der Eisenmangel, der dem Regime mit Recht die schwerste Sorge bereitet. Ohne diesen Grundstoff der modernen In­dustrie würde das Ende der»Staatskon­junktur« nahe herbeigekommen sein. Mit der Verwirklichung von Görings Plan wird aber, meint der»Völkische Beobachter«, die deutsche Volkswirtschaft das Eisen haben, das sie braucht.»Wir werden so viel Eisen aus dem Boden gewinnen, daß das Ausland uns nicht mehr diktieren kann. Durch die Neugründung wird der Maschi­nen- und Apparatebau und die Autoerzeu­gung, welche bisher durch Eisenmangel ge­bremst waren, einen neuen Aufschwung nehmen.« Kraft welchen Wunders soll der deutsche Eisenhunger gestillt werden? Göring hat es vor Vertretern der eisen­schaffenden und-verbrauchenden Indu­strie, des Eisenhandels und der Bauwirt- j Schaft verkündet. Es ist eine Gesellschaft| mit dem Namen Reichswerke Aktiengesell- Schaft für Erzbergbau und Eisenhütten »Hermann Göring « gegründet worden. Ihre erste Aufgabe soll die Errichtung von Werken im Bereich der Erzvorkommen im Salzgittergebiet, in Baden und in Fran­ken sein. Außerdem hat Göring eine An­ordnung erlassen, wonach Bergbauberech­tigte zum Zwecke des Aufschlusses und Abbaues von Mineralien zusammenge­schlossen werden können. Vom Reuterbüro wird mitgeteilt, die Errichtung der neuen Gesellschaft werde als faktische Nationalisierung der Eisen­produktion in Deutschland angesehen. Der Schein t i*ü g t. Allerdings scheint das Argument, mit dem der»Völkische Beobachter« der englischen Auffassung recht zu geben. Der Staat, heißt es dort, greife selber in die Eisenproduktion ein, weil die Privatindustrie die Erze im deut­ schen Boden habe liegen lassen, obwohl jeder wußte, daß das Eisen knapp war. Daß die Schwerindustrie darauf verzichtet hat, zur Bewältigung der Eisennot Ge­meinnutz vor Eigennutz gehen zu lassen, hat seine guten liberalis tischen Gründe. In einem dem Enqueteausschuß des Reichs­teges 1926 eingereichten Gutachten der Sachverständigen Dr. Buchmann, Geh. Rat Prof. Dr. Mathesius, Dr. Petersen und Dr. Reichert zur deutschen Eisenerz­versorgung heißt es: »Der gewinn bare Eisenerzvorrat Deutsch­ lands in den heutigen Reichsgrenzen hat sich im Jahre 1917 nach der Schätzung der füh­renden Geologen Beyachlag und Krusch nur auf rund 530 Millionen Tonnen belaufen. Das ist noch nicht der dritte Teil des auf 1777 Millionen Tonnen geschätzten Erzvor- rates des verlorenen lothringisch-luxembur­gischen Hinettegebiets.« Allein die Erzvorkommen des abge­trennten Reichsgebietes waren also 3% mal so groß als die des jetzigen ganzen Reichs­gebiets. Trotzdem wurde der deutsche Eisenerzbedarf 1913 nur zu 60 Prozent aus dem heimischen Boden gedeckt. Der Anteil der inländischen Erzförderung war 1927, auf den Eisengehalt berechnet, auf 11.8 Prozent gesunken, heute ist er kaum höher als 18 Prozent. Weshalb läßt die deutsche Schwerindustrie das Eäsen, das Gott im deutschen Boden wachsen ließ, in so hohem Maße ungenützt, und zwar ganz besonders in den Gebieten, die Göring als Nothelfer des deutschen Elisenmangels ins Auge faßt? Darüber unterrichtet uns ein Gutachten des Sachverständigen Wen zel, gleichfalls vom Jahre 1926, worin es

HIllu-Kononen«sen Gibraltar

Die Krise der Nichtinterventionspolitik nähert sich ihrem Höhepunkt. Es geht nicht um den Sieg oder die Niederlage F ran cos, es geht nicht um die Gestaltung der spanischen Innenpolitik, sondern es handelt sich um die harte und unerbitt­liche Machtauseinandersetzung zwischen dem italienischen und deutschen Angriff und der englisch -französischen Verteidi­gung. Mit»fast allen Mitteln«, um ein Wort Eidens zu gebrauchen, wollen Eng­land und Frankreich den Frieden und da­mit ihren Besitzstand und ihre nationale Unabhängigkeit sichem. Indem sie es gegen die Diktaturen tun, werden sie zu­gleich Schützer der europäischen Freiheit und der menschlichen Kulturentwicklung, aber nicht wegen abstrakter Preiheitsziele, sondern weil ihre Existenz in Gefahr ge­raten ist. In der bedeutsamen Debatte des eng­lischen Unterhauses über die auswärtige Politik, die am 20. Juli stattfand, hat der Außenminister mit größerer Deutlichkeit als zuvor die Grenzen bezeichnet, über die hinaus England ein Vordringen Italiens und Deutschlands nicht gestatten könne. Nochmals hat er das Mittelmeer den wich­tigsten Lebensweg des britischen Welt­reichs genannt und damit klargemacht, daß England die Beherrschung der Ein- und Ausgänge dieses Seewegs durch andere Großmächte nicht zulassen werde. Des­halb sei Englands Interesse an der Unver­sehrtheit des spanischen äußerst real. An den Land- und Seegrenzen Spaniens , an den Handelsstraßen, die an Spanien vor­beiführen, überall da werden wichtige bri­tische Interessen berührt und England sei entschlossen, diese zu verteidigen. Und was für den westlichen, das gelte für den östlichen Teil des. Verbindungsweges des Zentrums mit dem Empire. Englands In­teresse sei es stets gewesen und bleibe es, daß sich keine Großmacht an der Ostküste des Roten Meeres festsetzen dürfe. Aber nicht minder wichtig als die Re­gierungserklärung waren Enthüllun­gen, die die Debatte brachte. D a 1 1 o n, der Außenpolitiker der Arbeiterpartei, der

einflußreiche Konservative W i n s t o n Churchill und schließlich Lloyd George brachten mit steigendem Nach­druck die freilich nicht ganz neue, aber bisher von der englischen Oeffentlichkeit wenig beachtete Tatsache zur Sprache, daß Gibraltar jetzt unter dem Feuer gewalti­ger Küstenbatterien liege, die sowohl die Festung auf schwerste bedrohen, wie die Meerenge beherrschten. Die Aufstellung dieser Batterien, sagte Churchill , sei sicherlich nicht durch den Bürgerkrieg veranlaßt worden, der in diesen Gebieten keine Rolle spiele, es handele sich um 30.5-cm-Haubitzen, die es bisher in Spa­ nien nicht gegeben habe; sie wären im­stande, die Befestigungen und Docks von Gibraltar zu zerstören und die Bucht für England unhaltbar zu machen. Churchill verlangte zu wissen, ob die Geschütze deutscher oder italienischer Herkunft seien, und welche Informationen die Regie­rung besäße. Aber der Regierungsver­treter, Lord Cranborne, verweigerte jede nähere Auskunft und begnügte sich mit der Versicherung, die Geschütze Gibraltars wären den spanischen überlegen und es bestände gegenwärtig keine Gefahr für die Festung. Das Haus war nicht beruhigt, und die Besorgnis in der englischen Oeffentlichkeit steigert sich von Tag _zu Tag, um so mehr, da eine Reu­terdepesche aus Gibraltar vom 23. Juli neue Einzelheiten bringt, nicht nur über die Aufstellung der Batterien, die gegen die Meerenge und gegen Malaga ge­richtet sind, sondern auch über die Anlage von zementierten Befestigungen und Stütz­punkten für Flugabwehrkanonen. Neben dieser Einkreisung Gibraltars und den Versuchen, den Durchgang durch die Meerenge durch Kanonenfeuer zu sperren, macht die Befestigung der Balearen offenbar rasche Fortschritte. Nach zuverlässigen Informationen der eng­lischen Presse haben 600 italienische Offi- nere und Soldaten, hauptsächlich Ange­hörige der Flugwaffc, die vollständige militärische Kontrolle von Mallorca über­nommen und bilden eine spanische Armee

von 20.000 Mann aus. In Mallorca und Ibiza sind Küstenbatterien und Flugab­wehrgeschütze installiert. Noch in letzter Zeit wurden Flugzeuge, Abwehrgeschütze imd Bomben in Palma ausgeladen. Aber auch damit nicht genug. Es ist kein Zwei­fel, daß sich deutsche und italie­nische Militärs und Kriegsge- winnlerauch auf den Kanari­schen Inseln eingenistet haben. Von da aus wären italienische und deutsche Kräfte imstande, den britischen Seeweg nach Osten durch den Atlantischen Ozean zum Kap zu bedrohen, während der Weg durch die Meerenge von Gibraltar durch die Geschütze an der spanischen und nord­afrikanischen Küste gesperrt und die Ver­bindungswege Frankreichs mit seinen nordafrikanischen Besitzungen von den Balearen aus unterbunden werden könnten. So stehen die Dinge jetzt schon und die Machtumwälzung wäre mit dem Siege Francos vollendet. Denn der Sieger wäre auf die Hilfe der deutschen und italieni­schen Militärs auch später angewiesen und bliebe jedenfalls in der entscheidenden Zeit völlig in ihrer Abhängigkeit. Es ist nicht zu viel gesagt, daß mit dem Siege Francos in der Machtauseinandersetzung zwischen Italien und Deutschland mit den West­mächten der erste schwere und sehr be­deutungsvolle Kriegsabschnitt für die Dik­taturen fast unblutig gewonnen wäre. Ein erheblicher Teil dieses Weges ist mit dem Inkrafttreten der Balearen, der Kanari­schen Inseln und der nordafrikanjschen Küste bereits zurückgelegt. Die gegenwärtige Krise der Nicht­interventionspolitik besteht nun in dem Zwang für England und Frank­ reich , einen letzten Versuch zu unternehmen, diese ihre Existenz bedro­hende Entwicklung wieder rückgängig zu machen, nachdem sie es haben so weit kommen lassen. Der Kern des letzten eng­lischen Kompromißvorschlages ist und bleibt die Zurückziehung der Freiwilli­gen«, das heißt der deutschen und italieni­schen Militärs und Techniker und die Auf­gabe der von ihnen geschaffenen strategi-

heißt, es müsse festgestellt werden,»daß die als Hoffnung und Zukunft einer grö­ßeren inländischen Eisenerzversorgung in Frage kommenden großen Lagerstätten im Vorland des Harzes, in der Oberpfalz , im bayrischen und württembergischen Jura Erze enthalten, die jedenfalls im Rohzu­stände, technisch minderwertig und wirt­schaftlich konkurrenzunfähig sind«. Die schwedischen Erze enthalten 60 bis 70 Prozent Elisen, die von Salzgitter (Harz ) etwa 30 Prozent. Um sie trotzdem ver­wendbar zu machen, müssen kostspie­lige Auf bereitungsverf ahren angewendet, d. h. die Erze von ungeeigne­ten Bestandteilen gereinigt werden. Abge­sehen davon, daß kapitalverzehrende Inve­stitionen erst gemacht werden müßten, die in ausländischen Erzrevieren bereits ge­macht worden sind. Selbst angenommen, daß das bisher Unmögliche möglich wer­den, die deutschen Erzvorräte zur Deckung des deutschen Eisenbedarfs an sich aus­reichen sollten, so würde die deutsche Eisenindustrie, allein oder vornehmlich auf die heimische Erzbasis gestellt, auf dem Weltmarkt ausgeschaltet werden. Die deut­sche Erzförderung ist niemals rentabel gewesen und nicht erst im Dritten Reich wesentlich mit Hilfe von Staatszuschüssen aufrechterhalfen worden. Zwar nicht für General Göring , dessen höchstes Ziel die Wehrfreiheit ist, aber für Krupp und Thyssen ist der Gesichtspunkt der

Rentabilität entscheidend. Sie scheuen die riesenhaften Kapitelaufwendungen für eine riesenhafte Fehlanlage, obwohl sie mehr Geld an der Aufrüstung verdienen, als sie mit Profit anlegen können. Von solchem Risiko soll die Schwerindustrie verschont bleiben. Daher will Göring sie von ihren Erzsorgen befreien, aber gleichzeitig auch von den damit verbundenen Kosten. Hat das Reich Milliarden für die Ersatzstoff­erzeugung aufgewendet, warum soll es nicht die wahrscheinlich noch weit höheren Kosten der deutschen Erzfreiheit be­zahlen? Es wird denn auch ausdrücklich betont, daß der privaten Industrie die Be­teiligung an der neuen Gesellschaft, in der das Reich die»F'ührung« haben soll, frei­gestellt wird. Damit schon ist gesagt, daß die Finanzierung wesentlich vom Reich besorgt wird. Weit entfernt eine Nationa­lisierung zu sein, ist Görings Plan vielmehr eine riesenhafte Subvention für die Schwerindustrie. Aber Göring will ja nicht nur Erz fördern, sondern, schon wegen der Fracht- erspamis nach der Ruhr, neue Elisenwerke an Ort und Stelle errichten. Ist das nicht eine Konkurrenz für die Ruhr? Solange nicht, wie die Aufrüstungskonjunktur dauert, die- der Schwerindustrie ohnehin hundertprozentige Beschäftigimg sichert. Die Herren Thyssen und Krupp fürchten aber, daß zunehmende Verschärfung des

Eisenmangels das Ende der Aufrüstungs­konjunktur bedeuten und zugleich, daß die auf so zweifelhafter Erzbasis ruhenden neuen Eisenhütten als noch katastropha­lere Fehlanlagen sich erweisen könnten als die Umstellung auf das heimische Erz selbst. Görings Plan soll ihnen die Sorge um die Erhaltung der Aufrüstungskon­junktur, aber gleichzeitig auch die Auf­bringung ihrer Kosten abnehmen. Es han­delt sich also auch hier weniger um die Nationalisierung der Eisenproduktion als um di e E r h a 1 1 u n g d e r p r i v a t e n Rentabilität auf Reichs­kosten. Abgesehen davon, daß die neue Gesellschaft nicht ohne Absicht als Aktien­gesellschaft aufgezogen sein dürfte. Wenn erst das Reich die notwendigen Investitio­nen bezahlt hat, kann die Reichsbeteili­gung an Görings Freunde von der Schwer­industrie verramscht werden. Man weiß, daß das Dritte Reich in dieser Hinsicht nicht gerade überbedenklich ist. Bei alledem ist es mehr als zweifelhaft, ob Görings Erzfreiheit nicht ebenso ein Wunschtraum bleibt wie Darres Nähr­freiheit. Gar nicht zweifelhaft ist aber, daß Görings Plan einer Kriegserklä­rung gleichkommt, denn er zeigt deutlich, daß das Dritte Reich sich lieber wirtschaftlich von der übrigen Welt löst, als daß es auf seine waffenstarrende Kriegsdrohung verzichtet.

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