Nr. 216 BEILAGE
IkitfTtoMs
1. August 193?
GUring wütet gegen Göring Ein„Volk ohne Raum" unterhält ein Jägerparadies— Sabotage der bedrängten Bauern gegen die Passionen des Reidis|ägermeisters
Im geradezu himmelschreienden Gegensatz zu den drakonischen Zwangsmaßnahmen des braunen Regimes, die eine Versorgung des deutschen Volkes— des»Volkes ohne Raum«, das mit diesem Schlagwort systematisch auf den»notwendigen« nächsten Weltkrieg vorbereitet wird— auf»eigener Scholle« gewährleisten sollen und die in Handel und Industrie im Göringschen Vierjahresplan, in der Landwirtschaft aber in der Darrt sehen Dauer- Emährungsschlacht gipfeln, steht das, was die neuen»feinen Leute« in Hitlerdeutschland im Braunkostüm zur Bestreitung ihrer persönlichen Passionen so dringend zu benötigen scheinen: die mehr als kostspielige pflege des Jagdsportes mit einem ungeheuerlichen überbürokratischen Drum und Dran! Auf seine verschiedenen»Jagdgesetze«— für Preußen j sowohl wie für das Reich— ist der»Reichsjägermeister« Göring besonders stolz; schon der pickfeine Titel, unter gleichwertigen Brüdern von ihm geführt, war seine eigene höchstoriginelle Erfindung. Sieht man die Liste der hohen jagdlichen Würdenträger des Regimes, all der Landes-, Gau-, Kreisjägermeister mit ihren»Stäben«,»Jagdehrengerichten«»Befehlsstellen«, heraldischen»Belangen« auch nur flüchtig durch, erkennt man sofort, daß sich hier die»sieghaften« nationalsozialistischen Partei-Oberbonzen so etvjas wie eine Privatdomäne der persönlichen Liebhaberei haben schaffen wollen. Die»Reichsstatthalter«— von Epp in Bayern , Mutzschmann in Sachsen usw. _ sind auch immer»Landesjägermeister«. Kein kleiner Kreisleiter, der nicht in malerischem Amtskostüm heute auf die Hasen- oder Rehpirsch ginge, und wäre er die ganzen»vierzehn Jahre der Schande« hindurch Beruf s-Wohlfahrtserwerbsloser gewesen. Große Herren haben eben großer Herren Sitten! Das war schon zu Zeiten August- des Starken oder eines zeitgenössischen dänischen Serenissimus so, der seinen Bauern gebot, ihren Hunden jeweils ein Vorderbein abzuhacken, damit die fürstlichen Hasen mehr geschont würden. Nur— damals gab es noch keine rauhen»Vierjahrpläne«, noch keine Landbesitzer, die durch Gestapo zum Anbau- und Ablieferungszwang verhalten wurden, noch kein»Kampf-dem-Verderb«-Rum- mel, der dem geduldigen Volk jede verdorbene Brotkruste statistisch nachrechnet und Müllhaufen in Stadt und Land nach irgendwie »Verwertbarem« im Namen der neuen Hitler - schen Durchhalteparole amtlich durchstöbert. Heute ist es so: daß im Dritten Reich die »Volksgemeinschaft«— mit dem Bauer-Erzeuger angefangen,— zu einschneidenden Entbehrungen aller Art im Interesse der deutschen »Nahrungsfreiheit« angehalten wird und daß demgegenüber gleichzeitig der Luxus einer Jagd- und Wildhypertrophie amtlich und gesetzlich gepflegt wird, den sich auch ein weniger hungriges Land, wenn es einigermaßen vernünftig regiert würde. höchstwahrscheinlich nicht leisten würde. Das mehr als absurde Mißverhältnis zwischen Herrenallüren und Volksnöten ist in seiner schrillen Diskrepanz vielleicht die allerslnn- gemäßeste Aburteilung des»Führerstaates«! Mit ständig wachsender Erbitterung, wovon ein auch nur oberflächlicher Blick in die einschlägige Fachpresse Hitlerdeutschlands zur Zeit überzeugen kann, wehrt sich freilich der in der»Ernährungsschlacht« stöhnende, halb enteignete Bauer gegen den ganzen ihm und seinem berechtigten Produktionsinteresse neu aufgezwungenen»Reichs- jägermäst er«- Komplex, Da überall dank der Göringschen Jagdgesetze die Wildbestände in einer Weise zugenommen haben, daß Wildschäden in der deutschen Landwirtschaft nicht mehr, wie früher, zu den Ausnahme- Unfällen des landwirtschaftlichen Betriebes, sondern zu einer allgemeinen Kalamität auf dem platten Lande geworden sind, setzt sich der Bauer jetzt in immer stärkerem Maße durch sabotierende Selbsthilfe gegen die Ueber-Pflege der Wildbestände, gegen Karnickel- und Hasenplage, Kahlfraß durch Hufwild usw. zur Wehr. Die deutschen Jägerzeitungen hallen wieder von wilden Drohungen gegen die Landwirte, die einer förmlichen»Wildschadenshysterie« verfallen wären.»Volksgemeinschaft«--? Das Regime hält es ganz mit den»Jägern«, die ja gleich
zeitig eben seine Parteigroßkopfeten sind. In welchem Maße das geschieht, zeigt die Auslegung beispielsweisem des Paragraphen 41 des (Göringschen)»Reichsjagdgesetzes«, der bestimmt, daß»Eigentümer oder Nutznießer eines Grundstücks bei der Verhütung von Wildschäden kein Wild gefährden oder verletzen dürfen«. Auf Grund dessen hat nämlich jetzt die»Reichsjägermeisterei« mit Gesetzeswirkung die Verwendung von Stacheldraht zu Einzäunungszwecken in der Landwirt- schaft prinzipiell verboten!!! Grund? Die Hasen des Herrn Mutzschmann oder des Ritters von Epp könnten sich an dem Stacheldraht das Fell ein wenig zerzausen. Allergnädigst hat dann, aber erst auf den Protest weiter Kreise des»Nährstandes« Herr Göring doch zugestanden, wenn der Stacheldraht ausschließlich einer bloßen Viehkoppel diene, er dennoch statthaft sei... Den Stacheldraht um die KZ's verbieten sie natürlich nicht. Folgende Verfügung einer deutschen »Jagdbehörde« aus der letzten Zeit zeigt deutlich an, mit welchen Partei- und Regime- terrormethoden die rebellischen Bauern gehalten werden sollen, den Allüren der neuen braunen»Jagdherren«, auch wenn sich diese breit machen auf der mühsamen Arbeit des Landwirtes und zu Lasten der an sich schon mehr als miserablen Volksernährung gehen, nachzugeben: »Ich verweise auf die Anordnung des Reichsjägermeisters, nach der che Jagdberechtigten am Schluß des Jagdjahres die Höhe der im abgelaufenen Jagdjahr bezahlten Wildstandsvergütungen dem Kreisjägermeister zu melden haben. Da es besonders wichtig ist, die Höhe der durch die Bauern geforderten Vergütungen zum Vergleich
heranzuziehen, bitte ich die Schadenersatz- forderungen, die sehr oft viel zu hoch sind, mit aufzuzeichnen.« Gau-Jägermeister Sachsen . Wehe also dem Bauer, der auf dieser denunziatorischen Liste mit seiner Forderung erscheint! Er hat den»Reichs jägermeister«, der aber ja auch gleichzeitig der mächtigste Polizeibüttel im Reich ist, zu seinem Erzfeind gemacht. Wie das für ihn ausgehen wird. bedarf keines Kommentars! Hin und wieder liest man von umfangreichen und schwierigen»Verhandlungen«, die zwischen den neuen»Jagdbehörden« und den Vertretern des»Reichsnährstandes « wegen der geradezu unerträglichen Wildschädenskalamität in bezug auf die Schadenfrage (die freilich nicht den Substanzverlust in der Volksemäh rung wieder gut machen kann) gepflogen werden. So war es kürzlich zum Beispiel in Bayern . Im großen und ganzen ist dabei, wie aus den später veröffentlichten »Vereinbarungen« hervorgeht, herausgekommen, daß die Bauern vom klaren Rechtsweg im Schadensfalle, der eine nackte Existenzfrage für sie in manchen Gegenden geworden ist, in jedem Falle abgedrängt worden sind und daß die»Jagdbehörden«, die gleichzeitig auch die Nim rode sind, die Richter in eigner Sache spielen dürfen. Was Herr von Epp in höchster Landesinstanz den geschädigten Landwirten gnädigst bewilligt, das haben sie nach diesen»Vereinbarungen« gehorsamst zu nehmen und sich damit zu bescheiden. Die gleichgeschaltete Justiz tut ein übriges, um der neuen Herrenmoral»im Wal d auf grüner Heide« den letzten Triumph zu sichern. Z u c h t h a u s u r t e i 1 e auch wegen geringfügigen Wildfrevels sind heute die Regel in Deutschland ! Bauern, die nur in der Selbsthilfe(gar nicht
etwa aus Wilderermotiven heraus) Karnickel »ströppen«, wo sich diese dank der Göring - gesetze zur wahren Landplage entwickelt haben— und das wird heute aus fast allen Gegenden Deutschlands berichtet— finden vor den braunen Tribunalen, aufgehetzt von der obersten braunen Ordnungsbestie, wahrlich keine Gnade! Folgendermaßen charakterisiert aus seinem Interessenten-Gesichtskreis heraus ein dieser Tage in der jagdamtlichen Zeitschrift »Wild und Hund«(Nr. 11 d. J.) erschienener Artikel, die mehr als groteske Situation: »Wer viel im Lande herumkommt und herumhört, dem will es vor allem in letzter Zeit manchmal scheinen, als sei die in objektive vernünftige Bahnen gelenkte Einstellung zu unserem Wild strichweise wieder unsachlicher und vielleicht sogar feindseliger geworden. Das ist um so gefährlicher und bedenklicher, als dabei meist immer der neue Vierjahresplan und die Ernährungsschlacht herhalten müssen... Die blinden und verblendeten Fanatiker mit ihrer Wildschadenspsychose vergessen, daß an der Spitze des Vierjahresplans gerade unser Reichsjägermeister steht.« In dieser beweglichen Klage ist schlechterdings alles enthalten, was in der Tat diese Hitlerromanze Göring kontra Göring an Schnödheit der Volksverachtung und Wider- sinnigkeiten des Diktaturstaates in sich schließt. Unter Ludwig dem Vierzehnten durften zeitweise die französischen Bauern ihre Aecker nicht jauchen, damit die Rebhühner für die Baronsküchen nicht danach rochen oder gar schmeckten. Aber waren das nicht immer noch relativ gute Zeiten für Bauern, die noch keinen Vierjahresplan zu »erfüllen« hatten und auch nie eine richtige hitlerdeutsche»Ernährungsachlacht« mit Preisverordnungen und Ablieferungsstellen durchgemacht hatten? H. E.
„Leistungen" des Dritten Reiches - im Urteil des Auslandes Ein Sdiwede sdiildert Not und Kneditsdiaft der deutschen Landarbeiter
In der schwedischen Monatsschrift»T j- d e n«, Jahrgang 1937, Heft 6, veröffentlicht Olof Landquiat eine umfangreiche und sorgfältige Untersuchung über die gegenwärtige Lage der deutschen Landarbeiter, betitelt»Tysklands lamtarbetare under natio- nalsocialismen«(Die deutschen Landarbeiter unter dem Nationalsozialismus ). Der Verfasser hat seine Sbudden in Deutschland selbst betrieben. Er ist im Dritten Reich umhergereist, hat mit vielen Menschen gesprochen, und die Lohn-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse der Landarbeiter studiert. Ihm, als einem wirklichen Kenner landwirtschaftlicher und sozialpolitischer Dinge, konnten— trotz sicher eifrigen Bemühens— die Herren von der Arbeitsfront keine potemkinschen Dörfer vortäuschen. Seine Untersuchung führte zu Ergebnissen, schlechthin niederschmetternd für die nazistische»Volksbeglückung«. Interview mit einem»Führer«. Wie die diktatorisch edngeseitzten»Vertreter« der deutschen Landarbeiter aussehen, das schildert Landquist wie folgt: »An Stelle des alten Landarbeiterverbandes gibt es jetzt die»Reichsbetriebsgemeinschaft Nr. 14, Landwirtschaft«, die den gesamten Besitz des Deutschen Landarbeiter- verbandes übernommen hat. Wenn sie— wie vorgibt— auch dessen Aufgaben übernommen hat, danm erfüllt sie sie jedenfalls höchst miserabel. Die Art und Welse, wie diese Organisation—■ oder besser gesagt: diese Behörde— geleitet wird, ist einfach ein Skandal. Ich habe ihr Zentralbüro in Berlin besucht, ausgerüstet mit ministeriellen Legitimationen, und ich habe dort den obersten Leiter der Organisation interviewt. Das ist ein Mensch, der nicht mal die elementarsten Kenntnisse besitzt, auf dem Gebiet, dem seine»FührertäUgkeit« gilt. Er wußte nicht einmal die Zahl der arbeitslosen Landarbeiter zu nennen, ebensowenig die der gegenwärtig beschäftigten ausländischen Saisonarbeiter! Als ich ihn nach der Höhe der Kontingente fragte, konnte er mir diese schließlich nach langem und energischem Herumtelefonieren mitteilen. Es
ist nicht schwer, aus alledem Schlußfolgerungen zu ziehen und sich vorzustellen, welcher Art die»Leistungen« eines solchen Mannes für die Mitglieder wohl sein mögen.« Alles versprochen— nichts gehalten! Landquist gibt in seinem Bericht eine umfassende Darstellung der Lage der Landarbeiter in der Weimarer »Systemzeit«. Ihr stellt er die Versprechungen gegenüber, die Hitler vor der Machtergreifung dem Land- proletariat gemacht hat: durch Hebung der Löhne sollte der Landarbeiter aus dem Proletarierdasein erlöst, er sollte dem Bauern gleichgestellt, in die»Volksgemeinschaft« eingefügt, an der Ernte beteiligt werden. Aufstiegs-Chancen sollten ihm gegeben, das Wohnelend sollte beseitigt werden usw. usw. Was ist davon verwirklicht worden? Nichts! Weniger als nichts! Denn der Lebensstandard des Landarbeiters ist nicht nur nicht verbessert, sondern gegenüber 1933 erheblich gesenkt worden und die Rechte und sozialpolitischen Errungenschaften, die die Republik dieser ärmsten Volksschicht gegeben hatte, hat man zum größten Teil radikal beseitigt. Teilweise ist der Landarbeiter heute bis ins Stadium der Leibeigenschaft zurückgesunken. Denn ohne besondere Erlaubnis hat er nicht das Recht, seinen Beruf zu wechseln! Das ist ihm bei Strafe verboten, laut»Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes«. Entrechtet und verhöhnt... »Als einen großen Fortschritt«— wir zitieren hier wieder wörtlich den erwähnten Aufsatz in»Tiden«—»als einen großen Fortschritt bezeichnet es Reichskommissar R e i n k e, daß die Landarbeiter in ien Reichsnährstand aufgenommen wurden, in Wirklichkeit bedeutet diese Maßnahme für den Landarbeiter nichts anderes, als daß er einen weiteren Mitgliedsbeitrag zu bezahlen hat. Für das Vergnügen, sich Mitglied derselben Organisation nennen zu dürfen, der auch sein Arbeitgeber angehört, kann er sich weder satt essen noch besser kleiden. Die Nationalsozialisten erklären das jedoch für einen ungeheuren Aufstieg und als Gleichstellung des Landarbeiters mit dem Bauern i
und Gutsbesitzer... Wer die tatsächlichen Verhältnisse in der deutschen Landwirtschaft kennt, der weiß, daß solche Redensarten nur als offener Hohn aufzufassen sind.« Hungerlöhne und Sicdlungsbau! Wie steht es mit den Löhnen der Landarbeiter? Sie waren schon früher alles andere als ausreichend. Sie sind seit 1933 im wesentlichen dieselben geblieben— wenig- steps auf dem Papier. In der Wirklichkeit jedoch... Landquist verweist auf die im vorigen Jahresbericht der Reichskredit- Gesellschaft enthaltenen statistischen Angaben. Danach betrugen die in der Landwirtschaft im Jahre 1935 tatsächlich gezahlten Löhne insgesamt 10 Millionen Reichsmark weniger als 1933, während gleichzeitig die Zahl der beschäftigten Landarbeiter um 113.185 gestiegen war, ganz abgesehen von den unzähligen aus der Stadt in die»Landhilfe« abkommandierten Jugendlichen. Und dazu kommt noch die erhebliche Entwertung der Löhne durch Preissteigerung. Die angeführte Statistik geht nur bis zum Jahre 1935, aber selbst die Nationalsozialisten werden nicht die Behauptung wagen, daß sich die landwirtschaftlichen Löhne in den letzten 1% Jahren irgendwie gebessert hätten. Und wie ist es mit der Siedlungstätigkeit, mit der so viel beschriebenen»Seßhaft- machung« deutscher Landarbeiter auf deut scher Scholle«? »Die Schaffung neuer Sicdlerheimstätten und Kleimwirtöohaften geschieht auch nicht annähernd im gleichen Umfang wie in der Zeit vor Hitler . Die Ziffern des»Statistischen Jahrbuches« sprechen hier eine beredte Sprache: Neueingerichtete Landwirtschaften: Anzahl Areal in ha 1930/32 25.569 281.382 1933/35 13.750 202.827 Von»Kraft durch Freude « wird man nicht satt! Wir haben hier nur eine knappe Andeutung der Resultate gegeben, die Olof Land-