Neuer Vorwärts
Sozialdemokratisches Wochenblakk
Verlag: Karlsbad , Haus„ Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite
Nr. 217 SONNTAG, S. August 1937
Aus dem Inhalt:
Die beschlagnahmte Ernte Hitlerkirche in Sicht
Bauwut tobt in Nürnberg Pogromhetze in OS
Vollendung der Zwangswirtschaft
Das Zuchthausgesetz gegen die Bauern
Die Verwandlung des deutschen Bauern in sicherten, die die Zufuhr von Fleisch und des Vorjahres. Der Einfuhrbedarf muß März» nachdrücklich vor einer weiteren einen Staatssklaven, die notwendige Konse- Fett bald ganz entbehrlich machten. Jetzt also noch zunehmen, trotz aller Streckun- Einschränkung gewarnt, aber ausreichenquenz der nationalsozialistischen Agrar- aber kommt der Bauer ins Gefängnis oder gen des Brots und Mehlverschlechterung. des Futter hat er eben nicht zur Verfüpolitik, ist jetzt vollendet. Eine Verord- Zuchthaus, der sein Vieh mit den» wirt- Die Ausdehnung der Zwangswirtschaft gung gestellt. Die amtliche Mitteilung nung des Darré, des Reichsministers für schaftseigenen<< Mitteln aufzieht. Läßt sich schafft noch kein Gramm mehr Korn, sie kommt jetzt zu dem resignierten Schluß, Ernährung und Landwirtschaft, diktiert, ein völligerer Bankerott einer Agrarpolitik kann im besten Falle nur bewirken, daß daß>> im nächsten Jahr Verknapdaß jeder Erzeuger inländischen Brotge- vorstellen? die Einfuhr sich vom Brotgetreide mehr zu pungserscheinungen bei der Vertreides verpflichtet ist, alles Brotgetreide, Die restlose Ausdehnung der Zwangs- den Futtermitteln verschiebt. Ein Teil der sorgung von Schweinefleisch entstehen<< das er geerntet hat, abzuliefern. Nur den wirtschaft, die im nationalsozialistischen eventuellen Ersparnis, die dadurch viel- könnten. Sie werden bestimmt und in höheEigenbedarf für die Ernährung und die Frieden das Ausmaß hinter sich läßt, das leicht erzielt werden kann, wird mehr als rem Maße als je zuvor entstehen, und nicht Aussaat, die behördlich streng kontrolliert sie in den letzten Kriegsjahren angenom- wettgemacht durch die grotesken Unko- nur Fleischknappheit die Verhältnisse werden, darf er zurückbehalten. Zugleich men hatte, ist sicher keine freiwillige Maß- sten, die durch die Erfassung der Getreide- auf dem Rindermarkt sind eben noch unwird allgemein jede Verwendung von Brot- regel. Denn auch die Diktatur muß die Er- ernte, durch die zentrale Manipulierung günstiger sondern auch Fettnot. getreide zu Futterzwecken verboten. Die bitterung fürchten, die die zunehmende dieser Riesenmegen, durch die Belieferung Der Kampf um die» Nahrungsfreiheit<< Strafen, die die Konfiskation des Brotge- Verknechtung bei den Bauernmassen aus- der Millionen Betriebe mit zum Teil klein- endet also, trotz aller Opfer, die man den treides durch die Diktatur sichern sollen, lösen wird. Aber sie steht unter dem sten Futtermittelmengen, mit dem Auf- Produzenten wie den Konsumenten aufersind unerhört hoch. Der Widerstand der Zwang, den die irrsinnige Kriegswirtschaft wand an Evidenzhaltung und Bankführung legt hat, mit einer eklatanten Niederlage. Bauern soll rücksichtslos gebrochen wer- nun einmal ausübt und die aus dem agra- entstehen. Es ist wirklich Irrsinn! Einziges Resultat ist bei stärkerer Abhänden. Es kann auf Gefängnis- und Geld- rischen Gebiet jetzt ihre verhängnisvollen strafen bis 100.000 RM erkannt werden, in Konsequenzen offenbart. schweren Fällen aber auf
Zuchthaus von unbegrenzter Dauer und auf Geldstrafen in unbeschränkter Höhe.
Den Bauern wird von der Regierung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die sich aus der restlosen Getreideablieferung für die Betriebe ergeben, das ganze Getreidewirtschaftsjahr hindurch laufend in- und ausländisches Futtergetreide zugeteilt. Ausmaß und Art ihrer Viehwirtschaft wird damit völlig von
den Futterzuweisungen der Behörden abhängig. Die Einfuhrmöglichkeiten selbst sind wieder abhängig von der Devisenlage, die durch die im Vordergrund stehenden
Bedürfnisse der Kriegsvorbereitung sich immer mehr verschlechtert.
Für den Reichsnährstand, respektive das Reich, bedeutet die Regelung zweierlei, Das Reich verfügt jetzt über die gesamten Getreidevorräte. Der Bedarf an Weizen für die menschliche Ernährung beträgt etwa 4,5 Mill. Tonnen; 400.000 bis 600.000 Tonnen wurden verfüttert. Beim Roggen schwankte in den letzten Jahren die verfütterte Menge zwischen 2 und 2,6 Millionen Tonnen, während etwa 5 Millionen Tonnen zur Brotbereitung dienten. Wird der ganze oder der größte Teil dieser Futtermenge jetzt durch Einfuhr ausländischen Futtergetreides- Futtergerste und Mais - ersetzt, so wird die Anlegung einer
Kriegsreserve an Brotgetreide
eher möglich und das nächste Ziel der Kriegsvorbereitung auf diesem Gebiet erreicht. Zweitens sind die ausländischen Futtermittel erheblich billiger als Weizen und Roggen; ihre Einfuhr erspart deshalb Devisen. Diese Futtermittel werden zudem den Bauern zu einem viel höheren als dem Weltmarktpreise verkauft. Die Differenz bildet eine sehr bedeutende Einnahme für den Reichsnährstand respektive das Reich. Die neue Verordnung bedeutet einen völligen
Tonnen
Noch im Getreidejahr 1935/36 konnten aus den reichen Reserven der hervorgehenden guten Ernten 1,7 Millionen Roggen und Weizen eingesetzt werden. In dem eben zu Ende gehenden Getreidejahr sind nicht nur
alle Reserven völlig verbraucht, sondern die Einfuhr von Agrarprodukten mußte dauernd vermehrt werden. Zwischen Januar und Juni wurden 100.000 Tonnen Weizen und 600.000 Tonnen Weizen eingeführt, und weitere 110.000 Tonnen liegen
unter Zollverschluß. Die Einfuhr von Mais belief sich in diesem Halbjahr auf 578.000 Tonnen gegen 172.000 Tonnen im gan
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zen Jahr 1936, und der Bedarf ist in rascher weiterer Steigerung begriffen. Im Juni allein hat die Einfuhr von pflanzlichen Nahrungsmitteln um 33 Millionen RM zugenommen, davon entfallen allein 17 Millionen RM auf Brotgetreide.
Es steht fest, daß die neue Ernte schlechter sein wird, als die unzureichende
gen ist.
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Zugleich entsteht aber für die Ernäh- gigkeit vom Ausland die Aufrichtung einer rungslage eine neue Gefahr. Denn Darré immer kostspieligeren und immer unproist es gelungen, eine im Verhältnis zu dem duktiveren Zwangswirtschaft. Der Bauer, von ihm erzeugten Mangel an pflanzlichen dem die Rettung versprochen worden war, Stoffen viel zu große Viehhaltung zu hat zu seiner politischen noch seine wirterzwingen. Die Zählung der Schwei - schaftliche Unabhängigkeit völlig verloren. nebestände zum 3. Juni ergab einen Der Anbauzwang das letzte Glied- ist Gesamtbestand von 22,7 Millionen Stück und juristisch zwar noch nicht ausdrücklich 400.000( 1,8 Prozent) mehr als im Vorjahr. statuiert, praktisch ist er verwirklicht. Die Der Zuwachs entfällt in erster Linie auf ganze landwirtschaftliche Kreditgewährung den Bestand an Schlachtschweinen(+10 hängt in letzter Instanz vom ReichsnährProzent), die in den nächsten Monaten auf stand ab; die Zuweisung der Futtermittel den Markt gelangen werden. Aber an den bäuerlichen Betrieb liegt jetzt gleichfalls bei ihm. Der Bauer ist ihm also seit dem Frühjahr begann die Futternot, völlig ausgeliefert und muß die Weisungen, und die Bauern haben die Aufzucht rasch die ihm durch die Beratungsstellen des eingeschränkt. Der Ferkelbestand liegt mit Reichsnährstandes für die Führung des
5,1 Millionen um 290.000(-5,4 Prozent) Betriebes, für Art und Ausmaß seiner Erbereits unter dem Vorjahrsstand; die Zahl zeugung gegeben werden, sklavisch befolder trächtigen Sauen hat sich um 210.000 gen. Der deutsche Bauer ist jetzt in ganz auf 1,18 oder um 15 Prozent vermindert, der gleichen Lage wie der Sowjetbauer vor die der besonders wichtigen trächtigen der Kolchosisierung. Nur daß der deutsche Jungsauen um 140.000 auf 0,29 Millionen Zwang noch methodischer und unentrinnStück oder um nicht weniger als 33,4 Pro- barer ist als der russische! zent. Der Reichsnährstand hat zwar im
Ferien vom Krieg
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Dr. Richard Kern.
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Neben anderen guten Dingen wie die der trennen. In Frankreich wirken starke,| Sinn nur dann haben, wenn sie ehrlich geBeseitigung jeder willkürlichen Macht und besonders militärische Kräfte darauf hin, halten werden. Wie wenig diese Absicht besteht, die kollektive Sicherung des Friedens Italien , koste es, was es wolle, von Deutsch - zeigt das verlogene Spiel der Diktaturstaaten stand auf dem Programm Wilsons auch die land loszulösen, da im Kriegsfall eine Ver- um die Anerkennung Francos als Abschaffung der Geheim diploma- bindung mit dem östlichen Bundesgenossen kriegführende Macht. Sie möchten diese Antie. Jetzt liest man, daß zwischen London nur über Oberitalien möglich ist. In Rom erkennung durchsetzen, ohne daß Franco zueinerseits, Rom und Berlin andererseits ein sieht man wiederum als große Aussicht die vor wie der englische Plan es will seine Briefwechsel geführt wird, der vielleicht Möglichkeit einer Anerkennung der ostafri-> Freiwilligen« entlassen müßte. Das würde über Krieg und Frieden entscheiden wird, kanischen Eroberung durch England und er- dazu führen, daß Deutschland und Italien die von dem aber zunächst niemand erfährt, was wägt, welcher Preis für einen solchen außen- Bundesgenossen einer anerkannten kriegfühdarin steht. Auch das englische Parlament politischen Triumph noch niedrig genug renden Partei würden. Franco hätte die volle nicht, das für drei Monate in Ferien gegan- wäre. In Berlin schließlich hat man die Hoff- Unterstützung jener Mächte, während die Renung auf die Erfüllung des großen Hitler- gierung von Valencia ohne Bundesgenossen In der Diskussion über den wahrschein- programms Vernichtung Frankreichs un- auf ihre eigenen Hilfsmittel angewiesen wäre. lichen Inhalt dieser Korrespondenz wird der ter Duldung Englands nicht aufgegeben. Doch scheint es nicht die Absicht der konserUmsturz der bisherigen Agrarpolitik. Viererpakt zwischen England, Frank- Es ist schwer zu sagen, ob der Plan, den vativen englischen Regierung zu sein, das Um die Einfuhr ausländischen Getreides reich, Deutschland und Italien wieder leb- Viererpakt wieder zum Leben zu erwecken, Spiel so zu spielen. Wenn sie Franco die Anund ausländischer Futtermittel zu ersparen haft erörtert. Dieser Viererpakt hat bekannt- mehr der Erhaltung des Friedens oder mehr erkennung in Aussicht stellt, so tut sie es und damit eine Belastung der Devisen- lich schon eine Weile bestanden, möglicher- der diplomatischen Kriegsvorbe- in der Absicht, bilanz zu vermeiden, hielt der Reichsnähr- weise besteht er sogar heute noch, es hat reitung dient. Es ist überhaupt schwer zu Italien loszulösen. Sie will nicht, wie die A. r- daß Franco geschlagen stand die Bauern zu möglichst starker Ver- nur keiner an ihn mehr gedacht. Schicksal sagen, ob die diplomatische Arbeit wirklich beiterpartei, noch die Erhaltung des Friedens zum Ziel wird, sie will nur britische Interessen im fütterung namentlich des Roggens an. Die der Pakte in dieser Zeit! Nun fängt man wieder an, an ihn zu den- hat oder nur die Hinausschiebung des Kriegs- alten diplomatischen Sinn des Wortes wahViehwirtschaft sollte auf dem>> hofeigenen<< Futter beruhen. Die aufeinanderfolgenden ken und über ihn zu schreiben. Abgelehnt ausbruchs und die Verbesserung der Sieges- ren, und sie ist bereit, zu diesem Zweck mit beiden Parteien zu paktieren, Es ist eine BeErzeugungsschlachten, die bekanntlich je- wird er nirgends. Man verlegt sich vielmehr aussichten. Denn daß Abreden mit Mussolini und Hit- ruhigung zu wissen, daß die öffentliche Meides Jahr glänzende Siege brachten, sicher- auf das Abwarten und hegt dabei die stille ten die>> Nahrungsfreiheit«<, Unter den An- Hoffnung, daß sich in der lauen Atmosphäre ler nicht zu einer dauernden Sicherung des nung Englands, beeinflußt durch die Aktiviordnungen Darrés mußten ja aus dem dieser altneuen Kombination andere Pakte, Friedens, sondern höchstens zu einer Auf- tät der Arbeiterpartei, der Regierung nicht deutschen Boden so reichliche Ernten sprie- die einem weniger gefallen, wieder auflösen schiebung des Krieges führen können, muß gestatten wird, auf diesem gefährlichen Gejedem klar geworden sein, der die letzten biet über eine bestimmte Linie hinauszugehen. Ben, daß sie Deutschland nicht nur von der könnten. Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß Einfuhr pflanzlicher Nahrungsmittel beEngland möchte gerne Franco von Deutsch-[ vier Jahre mit offenen Augen miterlebt hat. Abreden über Spanien können einen von keiner ausschlaggebenden Macht freiten, sondern auch eine Viehhaltung land und Italien und diese beiden voneinan
oder