Nr. 217 BEILAGE

8. August 1937

Deutsche Kunst Im Wandel der Zeit

Hnmamsmus und Humanität Geistige Quellen des Sozialismus

T>m Wort»Humanismus« ist m alter Munde. Man spricht von einem »neuen Humanismus«. Wer kein Faschist sein will, beeilt sich, diesem»neuen Hu­manismus« zu huldigen. Es ist keine bloße Wortklauberei, wenn hier dem Sinne des Wortes»Humanis­ mus « nachgegangen werden soll. Man braucht nur daran zu erinnern, was aus Worten wie»Sozialismus«,»Marxist«, »liberal« oder gar»liberalistiscb« ge­macht worden ist, um zu bemerken, daß wir im Zustande einer wahren Begriffs­anarchie leben. Jeder schiebt jedem Wort einen anderen Sinn zu was soll dabei anderes herauskommen als ein politischer Turmbau von Babel? Zunächst sei also festgestellt, daß Hu­manismus nicht dasselbe ist wie Huma­nität. Humanität heißt Glaube an die Menschheit, Menschenliebe. Humanismus aber heißt, wie man im Wörterbuch der Academie frangaise nachlesen kann, jene »Kultur des Geistes und der Seele, die sich aus der Vertrautheit mit der klassischen Literatur, vornehmlich der griechischen und der lateinischen, ergibt.« Als Huma­nismus bezeichnete man die Bewegung der Rückkehr zum Stadium der Antike, die sich in Europa im 15. und 16. Jahrhundert Vollzog. Ehe Antike war aber keineswegs»hu­man«. Noch Plato und Aristoteles ist der Begriff der Humanität fremd. Auch das Zeitalter der Renaissance, das eben auch das Zeitalter des Humanismus war, hat sich keinesfalls durch übertriebene Huma­nität ausgezeichnet, im deutschen Huma­nismus des 18. Jahrhunderts fließen dann die beiden Ströme zusammen. Goethe, Schiller, Herder , Kant, Fichte waren Ver­treter sowohl des Humanismus wie auch der Humanität. Ebenso ist in Frankreich der Geist Rousseaus und der französischen Revolution sowohl humanistisch wie hu­manitär. In England ist, neben vielen an­deren, P. B. Shelley , der sich m einem vollendeten griechischen Vers einen Atheisten, einen Demokraten und einen Freund der Menschlichkeit nennt, ein klassischer Repräsentant der Vereinigung beider Geistesrichtungen. Bevor das Wort vom»neuen Humanis­mus« in Schwung kam, hat man m Deutschland das Wort»humanistisch« ge­wöhnlich nur noch in bezug auf die Schule gebraucht. Man sprach vom»humanisti­schen Gymnasium« als einer Anstalt, in der Griechisch und Lateinisch gelehrt wurde aber man sprach von ihr nicht mit allzuviel Liebe und Respekt. Sicherlich meint man, wenn man vom»neuen Huma­nismus'- spricht, nicht die Rückkehr zu Homer und Ovid !

Ich muß hier einen Verdacht ausspre­chen. Ich glaube, die Leute, die das Mode­wort vom»neuen Humanismus« brauchen, tun das oft nur, weil ihnen der Mut fehlt, von»Humanität« zu reden. In dieser faschisierten, bestialisierten Zeit fürchten sie, verhöhnt zu werden, wenn sie ganz offen sagen, was sie sind; Vertreter der Humanität, der Menschlichkeit, des Glau­bens an die Menschheit. Auch der Humanitätsgedanke geht in seiner ersten Ausprägung auf das klassi­sche Altertum zurück. Er ist zuerst von der griechischen Philosophenschule der Stoiker formuliert worden. Bei ihnen er­scheint zum ersten Male der Begriff der »Philantropie «, der Menschenliebe. Für die Stoiker waren alle Menschen Bürger eines Weltreichs der Vernunft. Darum wirkten sie zur Milderung der Sklaverei, zur Sorge für Arme und Kranke. Diese ersten Philantropen waren zugleich sozusagen auch die ersten Sozialpolitiker. Dann lehrte das Christentum die Gott­kindschaft, die Gleichheit aller Menschen vor Gott . Es war für seine Zeit eine revo­lutionäre Lehre, daß der überkultivierte, dekadente Senator von Rom vor Gott nicht mehr sein sollte als der stinkende Prolet der Vorstadt oder der schmutzige Barbar des fernsten Hinterlandes. Als eine revo­lutionäre Lehre, die den Menschen ein neues Bewußtsein gab, setzte sich das Christentum durch. Von da bis zum Puritanismus, zur eng­lischen Kolonisation Nordamerikas und der Unabhängigkeitserklärung von 1776 ist ein weiter, aber geschichtlich übersehbarer Weg. Jetzt gilt die Gleichheit nicht mehr nur vor Gott , jetzt gilt sie auch im Dies­seits, vor dem Gesetz, in der Verfassung; »Wir erachten folgende Wahrheiten als seltsterwiesen: daß alle Menschen gleich geschaffen sind: daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußer­lichen Rechten ausgestattet sind; daß zu diesem Lehen Freiheit und das Stre­ben nach Glück gehören; daß behufs Siche­rung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, welche ihre ge­rechten Befugnisse aus der Einwilli­gung der Regicrfen herleiten; daß, wenn jemals irgendeine Form der Regierung diesen Zwecken nachteilig wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzu­schaffen und eine neue Regierung einzu­setzen, welche deren Grundlage auf solche Prinzipien legt und deren Gewalt in solcher Gestalt organisiert, wie sie dem Volk am ge­eignetsten und wahrscheinlichsten zur Ec- reichung seiner Sicherheit und seines Glük- kes dienen...<

Kürzer, prägnanter proklamiert die französische Erklärung der Menschen­rechte von 1789: »Per Mensch wird frei und gleich an Rechten geboren und bleibt es... Das Ziel aller politischen Gesellschaften ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußer­lichen Rechte des Menschen. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und das Recht des Widerstandes gegen willkürliche Bedrückung.« Diese historischen Ereignisse voll­ziehen sich gleichzeitig mit dem Aufstieg der deutschen Literatur und Philosophie. Kant, Verkünder der Lehre, daß alle Dinge ihren Wert haben, aber der Mensch allein Würde, ist auch über die Schreckensherr­schaft hinaus ein treuer Anhänger der französischen Revolution. Wir stehen hier an den Quellen des modernen Sozialismus. Der mo1 deme Sozialismus, zumal der marxistische Sozialismus, ist das echte Kind der fran­ zösischen Revolution und der klassischen Philosophie. Er hat seine geistigen Wurzeln im H u m a ni t ä t s g e d a n- ken. Dessen sollen wir uns bewußt sein: wir können den Humanitätsgedanken nicht verleugnen, ohne uns von den geistigen Wurzeln unseres Daseins loszulösen. Durch ihn erhält der Klassenkampfgedanken erst seinen fortreißenden Schwung: nicht dar­um geht es, eine satte Schar von den Fut­tertrögen wegzujagen und eine hungrige daranzusetzen nein, es geht um ein Höheres, um die Beseitigung der Klassen­unterschiede selbst, um die»Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt«, um eine Wiedergeburt der Menschheit. Indem der sogenannte Nationalsozialis­mus den Humanitätsgedanken verneint und die Vergottung der Rasse an seine Stelle setzt, geht er bis hinter das Christentum und hinter die Stoiker zurück. Eis genügt ihm nicht, in der Praxis inhuman zu sein was die Anhänger des Humanitäts­gedankens ja nur zu oft auch gewesen sind, er besteht darauf, aus der Bestia­lität eine Theorie zu machen. Er fordert damit alle geistigen Mächte, die in der einen oder anderen Form den Humanitäts­gedanken vertreten, das Christentum so­wohl wie den Liberalismus und den marxi­ stischen Sozialismus zum Kampf auf Leben und Tod heraus. Wenn wir nicht vor der nationalsozia­listischen Theorie der Bestialität kapitu­lieren wollen, müssen wir uns mutig und offen zur Humanität bekennen. Sich zur Humanität bekennen heißt nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß viele Menschen Schurken oder Dummköpfe sind, es heißt auch nicht weichlich und

schwächlich sein. Wer helfen will, muß auch hart sein können, und wer heilen will, muß manchmal auch brennen und schnei­den. Um die Würde der Menschheit wieder herzustellen, genügt es nicht, die Theo­rie der Bestialität zu vernichten, sondern es ist notwendig, die Bestien selber un­schädlich zu machen. Diese Härte aber, zu der wir uns notgedrungen bekennen, kann ihre Rechtfertigung nur finden in unserer Ueberzeugung, durch Ueberwindung der Bestialität und der Bestien die Gedanken der edelsten Geister aller Zeiten zu ver­wirklichen und die Menschheit auf eine höhere Stufe zu heben. In diesem Sinne bekennen wir uns nicht zum»neuen Humanismus«, sondern zur alten Humanität F. SL

Die Entarteten »Sie hatten vier Jahre Zeit«. Hitler hat befohlen, daß Ordnung in die deutsche Kunst gebracht werde und schon klettert der Wirrwarr auf Bäume. Wie sol­len Blätter wieder ins Gleichgewicht kom­men, die bisher das schlimmste Banausentum abgewehrt haben? Greifen wir zur»Deutsche Zukunft«, eines jener Wochenblätter, die sich bisher noch um literarisches Niveau bemüh­ten, so gut es ging. Man hat anläßlich der französischen Ausstellung in Berlin dem französischen Expressionismus seine Referenz gemacht(wie DAZ, Völk. Beobachter etc.) und soll nun sogar den zahmen, in aller Welt gültigen Impressionismus verleugnen, soll die Münchener DUettanten- Ausstellung glorifizie­ren? So gut dressiert ist diese Presse, daß sie auch solche Selbstohrfeigerei fertig bringt. In ihrer Nummer vom 1. August liefert die »D. Z.« eine Wertung der Münchener Aus­stellung und belobigt(wie die anderen Gleich­geschalteten) alle Nichtskönner, die sie noch vor Hitlers Rede nicht ohne Frageeeichen kommentiert hätte. Greifen wir eine Stelle heraus: »Auf der anderen Seite sind die inten­siven Kompositionen Adolf Zieglers... Dokumente jenes plastisch klaren Stilwü- lens, den man mit dem nicht ganz ausrei­chenden, aber doch einigermaßen zutreffen­den Begriff»Neuklassizismus« be­zeichnet. Es ist nicht zu verkennen, daß die künstlerische Gesinnung der Zeit von hier aus wichtige Impulse empfing und weiterhin empfängt.« Das mieseste alter Bilder, die wir bitter reproduziert sahen, stammt von diesem Ziegler:»Terpsichore«. Eine nackte Schän­dung der Göttin der Tanzkunst, eine jener kitschigen halbpornographischen Ansichtskar­ten, die das Schmutz- und Schundgesetz seli­gen Angedenkens treffen wollte. Dieser Adolf Ziegler ist mit Recht Präsident der