kung der inneren Reaktion bedeutet ausbeutende Herrschaft im Innern. Stärkimg des deutschen Großmachteinflusses auf dem Wege über die innere Reaktion aber führt zur Ausbeutung von außen. Denn die Expansionstendenzen der dynamischen Großmächte zielen auf ausbeutende Herrschaft ab. Gleichgültig, ob diese Expansionstendenzen zu territorialen Veränderungen, zu offenen Annexionen oder staatüchen Neukonstruktionen führen oder nur zu einem Vasallenverhältnis, ist ihr Sinn immer, andere Völker gegenüber dem Herrenvolk in die Rolle von geduldeten Minderheiten zu versetzen, die dem Willen des Herrenvolks aber auch der Ausbeutung unterworfen sind. Der Machtstaat will alle ökonomischen Vorteile dieses Herrschaftsverhältnisses für sich, er will die Bedürfnisse und die Entwicklung der beherrschten Völker den Bedürfnissen des Kerrenlandes unterordnen, das heißt den Interessen, die im Herrenland von den herrschenden und die Herrschaft ausbeutenden Kräften als die immanenten Interessen der Herrschaftsnation bezeichnet werden. ' Daher der innere Zusammenhang zwischen Reaktion und Expansionspolitik. Ein System wie die Weimarer Republik , das systematisch auf den Abbau von ausbeuterischen Herrschaftsverhältnissen im Innern hinarbeiten wollte, war im Ideellen mit expansiver Großmachtpolitik unvereinbar und solange Deutschland demokratisch war mit sozialer Tendenz, solange konnte und durfte es niemals Großmacht im klassischen Sinne des Wortes sein, solange wurden aber auch die unzweifelhaften Probleme Deutschlands und seiner Wirtschaft sichtbar als das, was sie wirklich sind: als Probleme, die auf dem Wege rationaler Politik und Handelspolitik gelöst werden mußten und gelöst werden konnten— aber niemals mit Hilfe der Machtmetaphysik. Die tschechoslowakische Staatsschrift enthält einen sehr nützlichen Hinweis darauf. Für Deutschland lautet die Frage: sind die e x p a n si v e n Z i e 1 e und die G r o ß m a c h t s a m b i t i o n e n des Dritten Reiches identisch mit den Interessen des deut schen Volkes? Wer Volk und Staat als Organismen ansieht, wer sie vergottet und das Recht des Einzelnen ihnen gegenüber radikal verleugnet, für den sind Ausdehnung der Herrschaft über.weitere Räume und Völker, sind Vormachtstellung und Kolonien nationale Interessen. Für jede Auffassimg aber, die die Bestimmung des Staates in seiner auf den Menschen und seine Wohlfahrt gerichteten Politik erblickt, hat diese Machtmetaphysik nichts mit dem wahren Interesse des Volkes, dem wahren nationalen Interesse zu tun. Für eine jede solche Auffassung ist deshalb das Problem Mittel- und Südosteuropa ein technisch-rationales Problem, das von metaphysischen Herrschaftsansprü- cben entgiftet werden muß. Im Zusammenhang ist ohne weiteres klar, daß Lösungen nicht gefunden werden können zwischen der deutschen Reaktion, die unlösbar mit der Großmachtmetaphysik verbunden ist, und der eingeborenen Reaktion der mittel- und südosteuropäischen Länder, sondern nur durch die Entwicklung und Wiedergewinnung der Demokratie hier wie da. Nun maskiert das Dritte Reich heute seine Macht- und Gewaltpolitik mit angeb- Hch nationalen wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Unverkennbar hat der heutige Militärstaat Deutschland wirtschaftliche Interessen geschaffen, die für die Aufrechterhaltung seines Wesens unentrinnbare Notwendigkeiten sind. In der Richtung dieser von ihm künstlich geschaffenen Interessen-Erweiterung der Rohstoffbasis, Ausweg aus den immer größer werdenden Verlegenheiten der Versorgung der Bevölkerung— wird er immer weiter vorwärtsgetrieben. Daher der Expansionsdrang, daher die weltpolitischen Ambitionen. Sicherlich sind diese künstlich geschaffenen Interessen heute geschichtliche Wirkfaktoren. Aber ihre Erkenntnis ist nicht gleichbedeutend mit ihrer polltischen Anerkennung als nationale Interessen! Denn diese dem Militärstaat eigentümlichen Interessen sind erst aufgetaucht als Folge einer radikalen Abwendung vom Prinzip des freien Weltverkehrs und des Freihandels. Diese Abkehr war selbstverständlich nicht auf Deutschland beschränkt, und unzweifelhaft liegt hier eine europäische Gesamtschuld vor. Mit dieser Abkehr drangen in das technisch-rationale Problem, wie es in Europa mit der Völkerbundsordnung gestellt war, wieder die vergiftenden nationalistischen Machttendenzen ein, und damit wurde den Völkern wieder das wahre Wesen ihrer außenpolitischen Interessen vernebelt." Damit war wieder die Bahn frei für das Vordringen eines irrationalen Nationalismus, wie er heute wieder das deutsche Volk weitgehend gefangen hält. Der Zustand in Deutschland wird verschlimmert durch das völlige Damieder- liegen der ökonomischen Wissenschaft, die fast restlos zur Magd des Militärstaates geworden zu sein scheint. Deshalb ist dem deutschen Volke heute zum großen Teile verborgen, daß seine überwältigende Lebens-, Versorgung s-, Entwicklung s- und Kulturinteressen esvom Militärstaat, von der M a c h t m e t a p h y s i k der Großmacht und ihren Expansionstendenzen wegführen müßten. Die demokratische Alternative der deut schen Politik heißt deshalb: Absage an den Großmachtwahn, Absage an die damit verbundenen weltpolitischen Ambitionen, Absage an die auf Herrschaft und Ausbeutung zielenden Expansionstendenzen. Auch ein so großes Volk wie das deut sche Volk muß nicht notwendig Weltmacht sein, um wirtschaftlich und kulturell blühen und gedeihen und sich zu einem hervorragenden Rang unter den Völkern entwickeln zu können. Damit ist die demokratische Alternative der deutschen Außenpolitik im Einklang mit den Ideen, die der Gleichgewichtsordnung Europas auf der Basis des Völkerbundes zugrunde lagen. Eis ist selbstverständlich, daß nach so umwälzenden Ereignissen eine deutsche demokratische Außenpolitik der Zukunft sich nicht auf eine einfache Restauration des Zustandes von vor 1933 beschränken könnte, aber ebenso selbstverständlich ist es auch, daß sie von jenen großen Prinzipien ausgehen würde, die in der tschechoslowakischen Staatsschrift bezeichnet sind, und daß sie versuchen würde, diese Prinzipien unverfälschter und radikaler zur Geltung zu bringen, als es vor 1933 in Deutschland und in allen europäischen Ländern geschehen ist. In diesem Sinne gibt es keine gegensätzlichen Interessen zwischen einem demokratischen Deutschland und der Tschechoslowakei , wie überhaupt zwischen einem demokratischen Deutsch land und allen Staaten, die nicht der Machtmetaphysik huldigen. IV. Das Zentral" problem Leider ist die Sachlage heute so, daß die Machtmetaphysik der dynamischen Staaten die verwandten Tendenzen in den nichtdynamischen Staaten stärkt und neu erweckt. Der Empirismus der Westmächte ist nichts anderes als ein ununterbrochenes Ausweichen vor der prinzipiellen Hauptfrage, die in der tschechoslowakischen Staatsschrift aufgeworfen worden ist. Dieser Elmpirismus fällt den großen Westmächten leichter als den kleinen Staaten. Die Kleinen werden immer wieder auf die Prinzipienfrage hingedrängt. Die Großen werden so oder so existieren. Bei den Kleinen geht es um die Existenz. Aber die Gefahr des Empirismus liegt nicht nur darin, daß die Ordnung Europas völlig umgeworfen werden könnte. Sie liegt darin, daß auf diesem Wege Europa wieder völlig in den Bann der Machtmetaphysik von Großmächten geraten könnte, die den Weg zu rationalen Lösungen brennender Probleme ver- schüeßt und die sich jedem demokratischen und wahrhaft sozialem Fortschritt in den Weg stellt. Denn so viel ist klar: solange Wirtschaftsprobleme nicht rational erkannt und gelöst werden, sondern unter der Perspektive nationalen Machtwahns, solange wird aus ihnen immer wieder politische Feindschaft erwachsen. Solange der Machtwahn die Wiederherstellung der internationalen Marktwirtschaft verhindert, solange werden die Völker von einer wirtschaftlichen Krise in die anderen fallen, die ihren Ursprung nicht im Wesen des Wirtschaftssystems, sondern in der Politik hat. Solange wird aber auch jeder Versuch, zu einer krisenfreien Wirtschaftsverfassung zu kommen, zum Beispiel durch den Uebergang zu national dirigierten Wirtschaften, nur wieder zu einer Stärkung der machtpolitischen Tendenzen führen. Für den Sozialisten ist es vollends klar: solange die geschichtliche Entwicklung unter dem beherrschenden Gesetz der Machtmetaphysik steht, solange fehlen die Voraussetzungen für sozialistische Verwirklichungen. Deshalb ist es eine zentrale Frage für den allgemeinen Fortschritt der Zivilisation in Europa überhaupt, ob im Herzen Europas Deutschland als Machtstaat existiert, oder als Staat, der nach demokratisch-rationalen Prinzipien geführt wird. Die deutsche Demokratie besitzt heute fast keine andere Einwirkungsmöglichkeit als auf dem Wege über die systematische politische Kritik. Sie muß daher jeden Akt begrüßen, der die demokratischen Prinzipien jener geistigen Verwirrung auf dem Gebiete der Außenpolitik entgegenstellt, die in Europa immer weiter um sich greift. Aussprechen, was ist— das ist noch immer das beste Mittel zur Einleitung von Klärung und Gesundung gewesen, Ans Neros Reich Der Duce läßt seine Minister apportieren Aus Rom kommt die Meldung, naß der Duce nach den italienischen Manövern an Siziliens Küste sein versammeltes Kabinett plötzlich zum Wettschwimmen antreten ließ.»Die Minister gelangten alle ans Ziel, wenn auch manchem das Schwimmen etwas sauer wur- d e«, vermerkt die Nachrichtenagentur. In der deutschen Presse wurde diese Siegesnachricht mit anerkenndenden Kommentaren versehen, und die Nürn berger Pressekulis, die unlängst auf Streichers Befehl vor geladenem Publikum akrobatische Kunststücke vollführen mußten, fühlten sich in bester Gesellschaft. Der zivilisierte Teü Buropas staunte. Es gab und gibt Minister— in Frankreich , in England, in den nordischen Staaten—, die begeisterte Schwimmer oder Angler oder Tennis- oder Golfspieler sind. Aber sie pflegen bei solchen sportlichen Gelegenheiten nicht in ihrer Eigenschaft als Minister aufzutreten. Damit würden sie sich lächerlich machen, denn von Ministern erwartet man anderes geartete Leistungen. Von d e- mokratisch gewählten Ministern wenigstens, die totalitären werden ja mehr nach dem Bizeps bemessen, ihnen bekäme eine unerwartete Fachprüfung weit schlechter als ein Wettschwimmen oder Wettboxen oder Preisschießen. Dennoch— und obgleich die»getreuesten Mannen« der Despoten gelegentlich nicht ohne Genuß untern Tisch kriechen und bellen— war die Posse von Mussolini recht ungeschickt inszeniert. Nicht jeder bleibt ein König selbst in Badehosen— und nicht jeder Affe verzeiht seinem Wärter jede Neckerei. Wollte der Duce ausprobieren, ob seine Minister bereit sind, für ihn ins Wasser zu springen? Er sollte die Probe nicht allzu oft machen. Sonst klappt am Ende die Aufführung nicht. Deutsche Richter >Noch nie war ein Richter freier und urbabhängiger als der Richter im nationalsozialistischen Deutschland .« Minister Frank auf der Tagung des Readharechtsamtes dar NSDAP in München . Die deutschen Richter sind frei. Sind frei. Der Zwang des Gesetzes ist längst überwunden. Sie richten— kein Rechtsgrundsatz hemmt sie dabei, sie selbst sind Gesetzbuch und Recht und Partei. Sie richten— und sind nur an eines gebunden: ans Hakenkreuz, das sie am Rockaufschlag tragen. Die nächsthohe Rotznase müssen sie fragen, ob, was sie gesprochen, auch rechtens sei. Sonst sind sie frei. Weil der deutsche Richter die Zugluft flieht, wird Recht bei geschlossenen Türen gesprochen. Und wenn dann der Henker das Urteil vollzieht— wer wagt noch zu fragen, warum es geschieht? Wem wird es noch kund, was das Opfer verbrochen? Im Namen des Volkes— gequält und gerichtet. Der Richter Ist keinem zur Auskunft verpflichtet Nor eben— dem Sturmführer— und der Partei. Sonst ist er frei. Der deutsche Richter ist frei wie«in Hund, den, wenn er nicht zubeißt sein Brotherr verprügelt. Oft liegt ihm der Nachgeschmaok bitter im Mund. Den Schwachen ein Schreck, mit den Starken im Bund— und selbst von den Starken benützt und gezügelt. Beim Volksgerichtahof, zum Beweis seiner Freiheit, sitzt neben ihm, richtend, die beilige Dreiheit: SS— Militär- und Gehelmpolizei. Sonst ist er frei. H u g i n. Die Radie des Yersdimähten Aus München wird uns geschrieben; Wenn diese Zeilen an die Leser kommen, wird die Besucherzahl der Ausstellung»Ent artete Kunst « die Million überschritten haben. Die kommandierte Presse sucht diesen Rekordbesuch als Massendemonstration gegen die»Verfallskunst« hinzustellen. Eine Million Menschen sind in die Hof garten- Arkaden gezogen, um sich zu entrüsten. Es ist ja bekannt, daß die Menschen die weitesten Wege machen und gern Fahrgeld zahlen, um sich zu entrüsten. Wenn sie zu Hunderttausenden In die Natur strömen, wenn sie sich im Hofbräu zusammenballen, wenn sie zum hundertfünfzigsten Male eine Operettenaufführung stürmen, wenn sie die Kinos bevölkern, so immer nur, um sich zu entrüsten. Jawohl, es gibt Leute, die in dieser Ausstellung ihre Empörung äußern, aber das sind sehr oft Ausländer, die es als Schande empfinden, Meister Europas derart beschimpft und geächtet zu sehen, zumal hier auch Ausländer hängen, die wohl aus Dummheit und Vergehen in diese Galerie gelangt sind, wie Klee. Kokoschka , Marc Chagall . Und es gibt auch Rudel und Gruppen, die ihre Entrüstung äußern. Sie beten ganze Artikel des»Völkischen Beobachters« herunter, und wenn man einige Male in die Ausstellung geht, so sieht man dieselben Gruppen mehrfach; sie sind sozusagen zum Saaldienst abkommandiert. Es soll nicht geleugnet werden, daß bei manchen die Entrüstung echt sein mag, was ja bei der Zu- rückgebliebenheit dieser SA-Physiognomien und der Pressehetze, die seit Wochen gegen die»Entartetem« losgelassen wird, kein Wunder wäre. Keiner der Angegriffenen darf sich wehren, zumal manche gestorben sind oder im Kriege gefallen, wie Franz Marc . Diese Beschimpfung Wehrloser, das ist das für den Betrachter Schamloseste. Denn es hängt das beste Deutschland In diesen Sälen. Manche Werke sind hinreißend, und Leute, die hinkamen, um Greuel zu sehen, sind betroffen von der Schönheit der Werke Noldes, Peinigers, Liebermanns, Franz Marcs, Chorinths. Man hat Expressionisten und Impressionisten bunt durcheinandergehängt, man hat Gruppen mit lächerlichen Texten versehen, um abstoßende Wirkungen zu erzielen. Man spekuliert dabei auf die Dummheit und Zurückgebliebenheit der Nazianhänger, die ja nicht wissen, daß manche ihnen unverständliche expressionistische Bilder die Greuel des Krieges oder die Lebensgier der Inflationszelt, die Hilflosigkeit der Kreatur oder den Irrsinn unserer Zeit in Visionen wiedergeben. Experiment« oder Ueberspanntheiten, wie sie allen Kunstarten anhängen können, bat man als typische Vertreter»liberalistisch-marxisti scher Un- kunst« und expressionistischer»Vernarrung« firmiert. Es ist eine schändliche Irreführung zu politischen Zwecken. In diesen zwei Münchner Ausstellungen hat der schlimmste Dilettantismus gesiegt. Was im»Haus der deutschen Kunst « hängt, bleibt hinter der Malerei von 1900 zurück, bei manchen hat man die Namen gar nicht mit angegeben, so belanglos sind sie. Blätter, wie die»Frankfurter Zeltung«, schrieben: »Es ist im wesentlichen die Art des ausgebenden 19. Jahrhunderts, es ist eine Wiederaufnahme der Malweisen, die in den Tagen unserer Väter als revolutionäre Methoden Aufseben erregt haben.«— In Deutschiana weiß jeder Zeitungsleser, daß dies die Sprache bitterer Ironie ist. In Münch ner Künstlerkreisen ist man entsetzt über das Massaker, das mit der Eröffnung der Ausstellung in der deutschen Kunstwelt angerichtet wurde und dessen Folgen noch nicht abzusehen sind. Anläßlich einer Besichtigung neuer Baumodelle in Bayreuth erklärte Hit ler kürzlich den versammelten Baumeistern die Forderungen, denen ein Baumeister beim Neubau eines Theaters oder eines Hotels gerecht werden muß«, wie es in der Presse hieß. Dabei weiß hier jeder Kundige, daß Hitler von Architektur nicht mehr versteht als ein Maurerpolier. Aber die Rache gehört nun einmal zu den edlen Vorstellungen der Naziwelt. Er rächt sich ja nur. Früher hat ihn kein Baumeister anerkennen wollen, jetzt rächt er sich. Indem er
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5 (29.8.1937) 220
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