Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus„ Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite,

Nr. 229 SONNTAG, 31. Okt. 1937

Aus dem Inhalt:

Der Kampf ums Asylrecht

Nahe bevorstehender Ernstfall

Hitler in Polen

Vertagte Gemeindewahlen

Das Spiel um den Frieden

Deutsch - italienische Verschleppungstaktik im Nichtinterventionsausschuß

ferkeit zu Ende.

Die Nationalsozialisten

Vor fünf Jahren

Am 6. November vollenden sich

Die letzten freien Reichstagswahlen

ge­

Im Zusammenhang mit der Fort- 1 dauer der Krise der Nicht- Interven­tionspolitik erheischen die militärischen Ereignisse in Spanien selbst erhöhte Aufmerksamkeit. Die Armee des Gene­ ral Franco hat Gijon erobert und der fünf Spieler die letzten, gefährlichsten Tricks erlegen sind und ohne ein Gefühl äußeren verzweifelte Widerstand der mit Muni­tion und Material schlecht ausgerüste- Jahre, seit das deutsche Volk zum letzten- versuchte und mit ihnen gewann. Es be- Zwanges für Hitler gestimmt haben. Aber ten asturischen Bergarbeitern in den mal frei zum Reichstag gewählt hat. Da- ginnt die Uebertölpelung Hindenburgs und wenn es eine solche Welle wirklich denen man ein geben haben sollte, so ist sie inzwischen Bergen von Oviedo ist trotz ihrer Tap- mals erhielten die Nationalsozialisten 11.7 der Deutschnationalen, von 35.4 Millionen Stimmen, die Sozial - loyales Bündnis versprach, worauf man, längst wieder zurückgeebbt. Viele urteils­demokraten 7.2, die Kommunisten 6, Zen- nachdem sie in die Falle gegangen waren, fähige Beobachter in Deutschland selbst trum mit Bayrischer Volkspartei 5.3, die den Reichstag anzündete, um auf diese versichern, daß Hitler bei freien Wahlen verfügen jetzt über Astu- Deutschnationalen 3 Millionen Stimmen. Weise von allen übernommenen Verpflich- nicht einmal mehr die Stimmen vom No­rien. Es ist das wichtigste Der Rest verteilte sich auf die Volkspartei, tungen loszukommen. Jetzt konnten die vember 1932 erhalten würde, sondern viel Rohstoffgebiet Spaniens . die Staatspartei und kleinere Splitter- SA und SS auf die widerspenstigen Wäh- weniger. Hier liegen die größten Steinkohlen- gruppen. ler losgelassen werden, jetzt hörte jede Völlig absurd ist die Vorstellung, daß gruben und bedeutende Lagerstätten Beeinflussung der Wähler in gegnerischem die 12.2 Millionen, die den Nazis vor fünf von Eisenerz, Kupfer, Zink und Schwe­Sinne auf, jetzt war dem Wahlschwindel Jahren durch Abgabe eines>> marxisti­fel. Noch wichtiger sind die unmittel­Tür und Tor geöffnet und jetzt beginnt schen<< Stimmzettels ihren Haß und ihre baren militärischen Folgen des natio­nalistischen Sieges. Mit Gijon haben erst der in jeder Beziehung schwindelhafte Verachtung bekundet haben, seitdem be­Aufstieg der nationalsozialistischen Stim- geisterte Anhänger Hitlers geworden die Republikaner ihren letzten Stütz­men von nicht ganz 33 Prozent auf an- wären. Ebensowenig läßt sich denken, daß punkt an der atlantischen Küste ver­nähernd 100 Prozent. die 5.3 Millionen, die damals zum politischen loren. Die Seestreitkräfte Francos kön­Am 6. November 1932 hat man zum Katholizismus standen, aus echter Ueber­nen jetzt ihre Tätigkeit auf die Mittel- finanzen am Rande des Bankerotts. Ihre meerküste konzentrieren und mit mehr Gegner zählten mehr als doppelt soviel letztenmal an den Wahlziffern ablesen kön- zeugung das Kreuz mit dem Hakenkreuz nen, wie die Wähler wirklich dachten. vertauscht haben. Aussicht als bisher die Blockade Alles was sich seitdem in der Seele des Das deutsche Volk ist in den fünf Jah­des republikanischen Spa- nen stärker. deutschen Volkes abgespielt hat, liegt im ren seit seiner letzten freien Willens­niens durchzuführen versuchen. Zu­Das war die Zeit, in der Hitler nach Dunkel. Möglich, daß ein Teil der 23.7 bekundung nicht nazistisch geworden. Es

Die Nationalsozialisten hatten also bei diesen letzten Reichstagswahlen, bei denen die anderen Parteien noch einigermaßen frei agitieren konnten, kaum ein Drittel der> Volksgenossen« auf ihrer Seite, sie hatten seit dem Juli zwei Millionen Stim­men verloren und waren mit ihren Partei­

Stimmen als sie, die beiden» marxisti­schen Parteien zusammen um 1.5 Millio­

gleich werden erhebliche Kräfte der dem Zeugnis Göbbels Selbstmordgedanken Millionen, die vor fünf Jahren noch der läßt sich nur, weil es sich nicht zu helfen Nordarmee frei, die zur Verstärkung hegte. Es war aber auch die Zeit, in der nationalsozialistischen Wahldemagogie weiß, von einer Partei terrorisieren, die es des Angriffs auf Madrid und die NSDAP gleich einem verzweifelten Widerstand leisteten, ihr später doch noch innerlich ablehnt. Barcelona verwendet werden kön­

nen. Wenn auch die spanische Volks­

armee eine erhebliche Verbesserung nen, ohne den Ausschuß zu sprengen| zustellen. Auf Grund ihrer Berichte| langt, daß diese Anerkennung zugleich ihrer Organisation und Kampfkraft und ohne das Ende der sogenannten sollte dann die rasche Entfernung der mit dem ersten Beginn der Zurückzie­erfahren hat und das Herannahen des Nichtintervention, die sie ja für sich Ausländer durchgeführt werden. Dabei hung ausgesprochen werden sollte, wäh­Winters der Verteidigung zugute selbst nie befolgt haben, konstatieren hatten England und Deutschland den rend Rußland den Vorschlag erst dann kommt, so darf man sich doch nicht zu lassen. Denn das müßte ja England eigentlich selbstverständlichen Vor-» erwägen« wollte, wenn der Rückzug verhehlen, daß die Eroberung Astu- und Frankreich zu Gegenmaßnahmen schlag gemacht, daß diese Zurückzie- aller Freiwilligen vollständig erfolgt riens durch Franco eine erhebliche zwingen. Diese Taktik hat bisher den hung im Verhältnis zur Stärke der bei- wäre. Rußland hat diesen Standpunkt Stärkung seiner Position bedeutet. eigentümlichen Verlauf der Londoner derseitigen Kontingente erfolgen solle, im wesentlichen in der Freitagsitzung

In Rom rechnet man jedenfalls mit Verhandlungen bestimmt. Einem während Italien zuerst die Zurückzie- aufrechterhalten, worauf Italien und mehr oder weniger begründetem Opti- Schritt nach vorwärts in der Richtung hung einer jeweils gleichen Anzahl ver- Deutschland die willkommene Gelegen­mismus auf neue militärische Erfolge der Verständigung folgten bisher zwei langte. Da die Zahl der Deutschen und heit ergriffen, zu erklären, daß die Be­und weitere Fortschritte Francos. Das Schritte nach rückwärts. Schien nach Italiener auf seiten Francos jedenfalls schlüsse des Ausschusses nur in voller würde allerdings allmählich die ganzen der ersten Sitzung der Zusammenbruch das Mehrfache der Kämpfer der Inter - Einstimmigkeit erfolgen könnten. Die Fragen der Nichtintervention ein- der Verhandlungen fast unmittelbar nationalen Brigaden beträgt, hätte dies Sitzung endete also ganz negativ. Der

schließlich der Zurückziehung der Frei- bevorzustehen, da sich Italien und eine einseitige und unter den jetzigen völlige Zusammenbruch konnte nur da­willigen gegenstandslos machen. Denn Deutschland weigerten, auf die wesent- Umständen vielleicht entscheidende durch vermieden werden, daß der eng­ein Sieg Francos schüfe ja das von lichen Punkte des englisch - französi- Begünstigung Francos bedeutet. In der lische Außenminister, der den Vorsitz Italien und Deutschland gewünschte schen Vorschlags einzugehen, der eine zweiten Sitzung schien Italien diese führte, den Vorschlag machte, den Re­fait accompli, die vollendete Tatsache rasche und wirksame Entfernung der Forderung auch fallen gelassen zu gierungen direkt einen Resolutionsent­der Beherrschung Spaniens durch den» Freiwilligen<<, also des italienisch- haben. wurf zu unterbreiten, der im wesentli­von Deutschland und Italien Abhängi- deutschen Militärs und der Techniker Aber die Hoffnungen der englischen chen die englisch - französischen Vor­gen. Die entscheidende Machtfrage herbeiführen wollte, so trat in einer Regierung auf einen raschen Fort- schläge aufrecht erhält: vollständige wäre zugunsten der Diktaturen gelöst, zweiten Sitzung ein neuer Szenenwech- schritt infolge des» Entgegenkommens«< Zurückziehung der Ausländer, begin­und den Westmächten bliebe dann die sel ein: Italien erklärte plötzlich die Italiens wurde schwer enttäuscht. In nend mit dem symbolischen Zurückbe­Sorge, wie sie sich gegen ihre Nieder- englisch- französischen Vorschläge an- der Sitzung ergaben sich neue, für die rufen einer kleinen Zahl, Ernennung der lage unter weit ungünstigeren Umstän- zunehmen, und die Vorbehalte, die es englische Regierung offenbar uner- Kontrollkommissionen, Festsetzung der den als den gegenwärtigen noch zur machte, schienen nicht so schwerwie- wartete Schwierigkeiten. Bedingungen für die Zuerkennung der Wehr setzen wollen. Ja, noch mehr: gend, um ein endgültiges Kompromiß Italien , Deutschland und Portugal wei- Rechte von kriegführenden Parteien, selbst wenn die Fortschritte Francos zu verhindern. gerten sich, die Resultate über die Zahl Erneuerung der Verpflichtung der Re­keine rasche Entscheidung bringen, Der Optimismus, der danach in Lon- der Ausländer, zu denen die neutralen gierungen, keine Waffen oder Kämpfer was noch immer erwartet werden darf, don proklamiert wurde, war nicht von Kommissionen gelangen würden, als nach Spanien zu senden, und Wieder­so bedeutet schon die Fortdauer des langer Dauer. Schon hatte die englische endgültige Basis für die weiteren Ent- herstellung und Verstärkung der Kon­jetzigen Zustandes der militärischen Regierung geglaubt, in der dritten Sit- scheidungen anzuerkennen. Damit trolle der See- und Landgrenzen Spa­und technischen Hilfeleistung für die Freitag, den 22. Oktober, würde aber die Entsendung der Kom- niens. Der Vorschlag wurde angenom­

zung,

Franco durch Deutschland und Italien stattfand, zu definitiven Resultaten zu missionen selbst sinnlos; die Grundlage men. Am Dienstag, dem 26. Oktober, eine fortschreitende Schwächung der kommen. Der Ausschuß sollte erstens für die Durchführung der Zurückzie- haben die neuen Verhandlungen be­spanischen Regierung, und der Zeit- in dieser Sitzung die Zahl eines kleinen hung der Truppen würde fehlen, der gonnen. Italien ist abermals mit einem punkt ist abzusehen, wo auch Gegen- Kontingentes ausländischer Kämpfer englisch - französische Plan wäre zum Vermittlungsvorschlag« hervorgekom­maßnahmen, wie die Oeffnung der aus beiden Lagern festsetzen, die zu- Scheitern gebracht. Eine zweite Schwie- men, der keine Aussicht auf Annahme Grenzen oder ungehinderter Zuzug von nächst abtransportiert werden sollen, rigkeit kam von Sowjetrußland. Nach hat, wohl aber zu neuen Verschleppun­Freiwilligen nicht mehr ausreichen, um um mit der Entfernung der» Freiwil- dem englisch - französischen Plan sollte gen zweckdienlich ist. So wie Musso­der spanischen Regierung wirksam zu ligen« einen» symbolischen Anfang zu den beiden spanischen Parteien nach lini in der Frage Abessinien vor Kriegs­Hilfe zu kommen und das gestörte machen, so wie das Datum für den Ab- einer» substantiellen« Entfernung der beginn um Zeitgewinn gekämpft hat, Gleichgewicht wieder herzustellen. transport bestimmen. Zweitens sollte» Freiwilligen«< die Rechte von Krieg- so auch jetzt wieder. Jede Woche, die Aus solchen Erwägungen erklärt die Zusammensetzung der beiden Kom- führenden in bestimmtem Ausmaß zu- er gewinnt, erhöht Francos Aussichten. Wir haben diese» Prozeduren« dar­sich die Taktik Italiens und missionen beschlossen werden, die un- erkannt werden. Es war dieser Vor­Deutschlands im Nichtin- verzüglich nach Spanien entsandt wer- schlag, der bereits im Juli das Schei- gestellt, weil es schließlich bei diesem terventionsaussch u ẞ. Ihr den sollen, um die Zahl der ausländi- tern der Verhandlungen bewirkt hatte. Spiel um ein Spiel um Krieg und Frie­Hauptziel muß sein Zeit zu gewin- schen Kämpfer auf beiden Seiten fest- Italien und Deutschland hatten ver- den geht. Bis jetzt ist dadurch das Ziel