Nr. 235 SO�IVTAG, 12. Dez. 1937 Aus dem Inhalt; Geiseln in Dachau Hitler im Norden Nach der großen ivrise Die Wahrheit sagen.. Verlag: Karlsbad , HausGraphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite Morrison Ober Halifax Deuer offener Brief an das deutsche Volk Der Londoner Stadtpräsident und Labourfilhrer Herbert Morrison richtet folgenden offenen Brief an das deutsche Volk: An meine Mitmenschen in Deutsch­ land ! Mit Bedacht habe ich diese Anrede gewählt, denn das ist der Gegenstand, von dem ich zu Euch sprechen will. Deutsche und Engländer, die Völker aller Länder und Rassen, sind Men­schen. Ich bin in England geboren und bin stolz auf die guten Eigenschaf­ten meines Volkes. Ihr seid in Deutsch­ land geboren und sicherlich auf die gu­ten Eigenschaften des deutschen Vol­kes ebenso stolz. Die Völker verschiedener Staats­angehörigkeit und Rasse haben ver- schiedene Eigenarten und Sprachen. Aber Menschen sind sie alle, und in weitem Maße stehen sie vor denselben Problemen der sozialen und internatio­nalen Unsicherheit. Warum sollen wir gegeneinander kämpfen? Warum in den Krieg gegen­einander ziehen? Was hat denn der Krieg von 1914 1918 Gutes gebracht für uns, die ihn»gewonnen« haben und für Euch, die Ihr ihn verloren ha]bt7 Gutes gar nichts, aber eine Fülle von Jammer! Und jetzt jetzt rüsten die Regie­rungen zu demselben wahnsinnigen Ge­schäft____ Ihr seid zufällig in Deutschland geboren, ich zufällig in England. Aber beide sind wir Menschen und gehö­ren zur großen menschlichen Familie. Warum sollen wir danach trachten, einander zu töten? Und wenn wir es täten, zu wessen Wohl geschähe es? Was sollte Gutes dabei herauskommen, wenn Engländer und Deutsche noch einmal einander so abschlachteten wie 19141918? Ob überhaupt ein Deutscher Gele­genheit haben wird, diesen offenen Brief zu lesen, weiß ich nicht. Ich frei­lich wollte, jeder Deutsche und jeder Engländer würde ihn lesen, denn ich. glaube, was ich sage, ist der Ausdruck des gesunden Menschenverstandes, den wir heute nötiger brauchen denn je. Aber wenn Ihr Gelegenheit findet, diesen Offenen Brief zu lesen, so wer­den beide Regierungen, die Eure und die unsere, wenig davon erbaut sein. Keine von beiden wünscht, daß die Ar­beiter der ganzen Welt miteinander marschieren und einander verstehen. Denn wenn das der Fall wäre, dann wären sie weniger willig, sich von ihren Regierungen als Kanonenfutter gebrau­chen zu lassen und einander totzuschie­ßen. Unser Lord Halifax war neu­lich in Deutschland , um mit Eurem Herrn Hitler zu reden. Hat man Euch gesagt, was sie miteinander gesprochen haben? Nein! Hat man es uns, den Engländern, erzählt? Auch nicht.(Zum mindesten nicht bis zu dem Augenblick, in dem ich diesen Brief schreibe.) Und wenn man uns davon erzählt, wie viel wird man uns wohl sagen? Und woher sollen wir wissen, ob das, was man uns erzählt, auch richtig ist? Allerdings haben wir noch eher Ge­legenheit, etwas davon zu erfahren als Ihr, denn wir haben noch Redefreiheit, Pres­sefreiheit und ein freies Parlament. Ihr habt unglücklicherweise nichts mehr davon. Abgesehen von den Mit- teilungen, die Euch»unterirdisch« zu­kommen, hört Ihr nur, was Ihr nach dem Willen Eurer Regierung hören sollt. Nichtsdestoweniger bin ich nicht einmal sicher, daß selbst das englische Volk die Wahrheit über diese Unterhal­tungen erfahren wird. Und dabei ist es doch dabei um das Leben gegangen, um das Leben des deutschen Volkes, um das Leben des englischen Volkes, um das Leben der anderen Völker. Aber die Völker sollen davon nichts erfahren, nein! Denn für alle kapita­ listischen Regierungen und auch un­sere Regierung ist eine kapitalistische sind die Völker nur Kanonenfutter in Kriegen, die weder Kriege für den Frieden, noch Volkskriege für die Frei­heit sind. Ich muß jedoch aussprechen, daß Eure Nazi-Regierung an dem ver­worrenen und gefährlichen Welt­zustand von heute zwar nicht die alleinige, aber eine außerordent­lich schwere Verantwortung trägt. Bitte, glaubt mir, daß mich keine nationalen Vorurteile oder antideut­sche Stimmungen leiten. Solche Stim­mungen hatte ich nicht einmal wäh­rend des Weltkrieges. Ich war ein Geg­ner des Vertrages von Versailles . Ich liebe mein Land und wünsche sein Wohlergehen, wie Ihr es mit dem Euren tut. Aber ich kann nicht glauben, daß das Wohl meines Landes auf dem Un­glück anderer Länder sicher aufgebaut werden kann. Und ich vergesse nie­mals, daß ich ebenso zur Mensch­heitsfamilie gehöre wie zur bri­tischen Volksfamilie. Nein, ich fühle keinen Haß gegen das deutsche oder irgendein anderes Volk. Mehrmals, vor dem Beginn der nazistischen Tyrannei, besuchte ich Euer großes Land, und ich war Gut- freund der Deutschen , mit denen ich verkehrte, so wie hoffentlich auch Ihr Gutfreund der Engländer seid, mit denen Ihr verkehrt. Ich bin allerdings das muß ich gestehen der Meinung, daß Dir allzuwillig und ohne Widerstand Befehle annehmt von jenen, die Eure Staatsmacht an sich gerissen und Euch Eure Freiheit gestohlen haben. Das halte ich für einen Fehler. Aber ich vergesse nicht, daß auch wir Feh­ler haben. Alle Völker haben sie. Warum bin ich nun der Meinung, daß Eure Regierung an dem gegen­wärtigen verworrenen Weltzustand eine besonders schwere Verantwortung trägt? Zunächst deshalb, weil sie Ita­ lien und Japan stützt, die beiden anderen Hauptmächte des faschistisch­militaristischen Unglücks. Italien ist, militärisch gesehen, im Vergleich zu Deutschland ein Zwerg, und Japan kann nur dadurch zu einer Weltgefahr werden, daß eine Nation wie die Eure mit ihm zusammenwirkt. Eure Re­gierung ist mitverantwort­lich für die Verheerungen, die Italien und Japan jetzt anrichten, denn sie hat das soge­nannte Antikomintern-Bündnis der drei Mächte ins Werk gesetzt. Eure Regierung ist eine Regierung der Gewalt. Mit Gewalt hat sie vor und nach ihrer Machtergreifung ihre Gegner ausgerottet. Mit Ge­walt hat sie die Kritik in ihren eigenen Reihen unterdrückt. Mit Gewalt hat sie die Freiheit des deutschen Volkes vernichtet. Mord, Folterung und Raub haben die Nazis angewendet gegen diejenigen Deutschen , die anderer Meinung waren als sie. Die Nazis predigen Militarismus und kriegerische Tugend. Ihre Minister pa­radieren in militärischen Uniformen. Deutsche Friedensfreunde werden als Feinde Deutschlands behandelt. Die Nazi bedrohen die Nationen, die ihnen nicht geben wollen, was sie verlangen, mit Krieg. Sie flößen den Kindern den Geist des Krieges und des Militarismus ein, denn für sie sind Eure Kinder wei­ter nichts als künftiges Kanonenfutter. Nun wohl, die Folge davon ist, daß die anderen Völker Deutschland miß­trauen und daß sie die gelegentlichen Friedensbeteuerungen Eurer Regierung nicht ernst nehmen. Der rasselnde Mi­litarismus der deutschen Regierung macht Frankreich , Sowjet­rußland, die Tschechoslowa­ kei , Oesterreich, Skandina­ vien , England und sogar die Ver­ einigten Staaten gegen die deut­ schen Absichten mißtrauisch. Eure Regienmg hat jeden Freund der Freiheit in der ganzen Welt sich zum Feinde gemacht. Kein einziges Volk in der Welt ist ein aufrichtiger Freund Eurer Regierung ich schließe dabei die Opfer der katholisch-faschistischen Tyrannei in Oesterreich nicht aus. Ein großer Krieg wäre so gut wie gewiß für die Nazimacht verhäng­nisvoll, er wäre aber auch nicht weniger ver­hängnisvoll für das deutsche Volk selbst. Es ist unwahr, daß die ande­ren Völker Deutschland einkreisen wollen. Eure Regierung ist es, die Deutsch­ land einkreist. Die Nazi sind eine Gefahr nicht nur für den Frieden der Welt, sondern auch für Euch selbst und Euer eigenes Heim. Das bedenkt, und dann überlegt, ob nicht die Eroberung der politischen Freiheit durch Euch selbst ein gewal­tiger Beitrag wäre für den Frieden der Welt und zu Eurem eigenen Wohl. Man hat gesagt, daß Eure Regie­rung und unsere über einen Vier­mächte-Westpakt gesprochen hätten auf der Grundlage, daß Eure Regie­rung in Oesterreich , der Tschechoslo­ wakei und Sowjetrußland freie Hand bekommt. Beide Regierungen Eure nazistische und unsere konservative wären zu einem so zynischen Handel wohl fähig. Aber weder Frankreich noch Sowjetrußland könnten sich da­mit abfinden, noch könnte es irgend ein Freund der Freiheit, des Friedens und der Demokratie, denn jede Ausdehnung der faschistisch-müitaristischen Macht­sphäre ist ein Unheil für die Welt. Darum unterstützt das englische Ar­beitervolk die legale spanische Regie­rung und verurteilt sie die Franco-Re- bellen, die von Deutschland und Italien mit Waffen und Mannschaften unter­stützt werden. Oesterreich steht schon unter einer grausamen Diktatur, von der es sich hoffentlich selbst be­freien wird, aber eine Nazidiktatur über Oesterreich wäre noch schlimmer und würde die Kriegsgefahr noch ver­größern. Zum Schluß: glaubt nicht, daß wir, die Sozialisten und Demokra­ten der anderen Länder, dem großen deutschen Volk irgendein Unrecht zufügen wollen. Nein, das wol­len wir nicht! Aber wie können wir von unserer Regierung Zugeständnisse an Deutschland verlangen, wenn diese Zugeständnisse nur zu verstärkten Dro­hungen und vermehrten Kriegsvorbe- reitungen führen? Zugeständnisse an ein freies, fried­liches deutsches Volk ja! Zuge­ständnisse an eine militaristische Nazityrannei nein! Wenn wir sehen, wie Mill'onen Deut­sche von den Nazi grausam unter­drückt werden, wie können wir uns dann dafür einsetzen, daß wehrlose Kolonialvölker unter die Naziherr- schaft gestellt werden? Das können wir wirklich nicht! Ihr seht, Euer Frieden und Eure Freiheit sind mit der unseren und der aller Völker der ganzen Welt unlöshch verbunden. Laßt nicht zu, daß wir gegeneinander mobilisiert werden, blut­gierigen Regierungen und einem hab­gierigem Kapitalismus zu Gefallen. Laßt uns lieber zusammenstehen für Frieden und Freiheit und die ökonomische Befreiung der ganzen Menschheit. Ich verbleibe in Freundschaft Euer Herbert Morrison . Jüdische Geiseln in Dachau Erpresserbrief der Lagerleitung an den»Neuen Vorwärts« Mit dem Poststempel »Dachau , 1. XII. 37« erhielten wir folgenden Brief: »An die Bed.»Neuer Vorwärts«, Karlsbad , Tschechoslowakei . Konzentrationslager Dachau , SO. XL 37. Der»Neue Vorwärts«, Karlsbad , Nr. 229 vom 31. X. 37, die»Deutsche Volkszeitung«, Paris , Nr. 46, 2. Jahr­gang vom 14. XI. 37, weiter die»Deut­sche Volkszeitung«, Prag , Nr. 47 vom 31. X. 37 und die»Stimme«, Jüdische Zeitung, Wien , Nr. 693 vom 10. XL 37 haben erneut Greuellügen über die Kon­zentrationslager verbreitet. Diese unver­schämten Lügen werden von den Emigranten-Juden verbreitet. Die Juden in Dachau stehen wieder in Verdacht, Lügennachrichten hierzn aus dem Lager geschmuggelt zu haben. Bis zur Feststellung der Täter wer­den wir Juden in Isolationshaft genom­men. Wir teilen Euch mit, daß wir für die Dauer der Isolation streng abge­schlossen sind, alle Bequemlichkeiten verlleren und Post weder senden noch empfangen dürfen. Es liegt an Euch, die Emigranten- Juden in Prag zu beeinflussen, solche blödsinnigen Lügen über die Konzen­trationslager künftig zu unterlassen, da