Nadi der außenpolitisdieii Krise Die allgemeine Verstrickung bleibt Die Konferenz des Ministerpräsi­denten und Außenminister Frankreichs mit ihren engüschen Kollegen hat eine der törichsten Episoden in den vielen Unverständlichkeiten der englischen Außenpolitik zu einem vorläufigen Ab­schluß gebracht, nachdem einige Tage lang eine Art Krise das englische Kabi­nett zu bedrohen schien. Es handelte sich um einen neuen Vorstoß der so­genannten deutschfreundlichen Lord­gruppe, an deren Spitze Lord London- derry, ein wegen seiner geringen Lei­stungen ausgebooteter konservativer Luftfahrtminister, und Lord L o- t h i a n stehen. Diese hatten mit G ö r i n g einen Plan über eine deutsch­englische Verständigimg besprochen; nachdem sie dafür die Unterstützung des Lord A s t or, des Besitzers der einflußreichen»Times« und ihres Chefredakteurs D a w s o n gewonnen hatten, versicherten sie sich schließlich der Hilfe einiger Minister, vor allem der mit so großem Recht abgetakelten Vorgänger Edens, des jetzigen Außen­ministers, Sir John Simon und des Kricgsm nisters Samuel Hoare , sowie des Hygiene-Ministers S i r Kingsley Wood. Diese gewannen die Zustimmung Chamberlains zur Reise Lord Halifax trotz des Wider­spruchs Edens, der mit seiner Demis­sion drohte. Schließlich wurde verein­bart, daß Lord Halifax nach Berlin gehen solle, um den famosen Plan aus dem Munde des»Führers« entgegenzu­nehmen, aber ohne Ermächtigung, Ver­einbarungen zu treffen oder das Kabi­nett durch bestimmte Zusicherungen zu binden. So kam die Erkundungsfahrt zustande, trotz des Mißerfolges der sei­nerzeitigen Reise Simon-Eden, trotz der Nichtbeantwortung des englischen Fragebogens und trotz der Ablehnung Neuraths, nach London zu kommen. Ueber den Verlauf der B e- j sprechungen des Lord Halifax ' mit Hitler, Göring und Schacht läßt sich heute aus dem Schlußbericht über die englisch -französische Stellungnahme ein Bild wenigstens in allgemeinen Um- j rissen gewinnen. Im Mittelpunkt stan-| den die Kolonialforderungen und Zen- tral-Europa. Der Standpunkt Hitlers war allerdings schon vor der Erkun­dung bekannt: Rückgabe der früheren deutschen Kolonien, Erfüllung der Henlein -Forderungen, also womöglich politische Autonomie Sudetendeutsch­lands und Volksabstimmung in Oester­ reich . Daneben gab es noch Erörterun­gen über den Abschluß eines Luftpak­tes und die Situation im Femen Osten. Schacht hat dabei die Kolonialforde­rungen noch erweitert. Er weiß, daß der Rückgabe Südwestafrikas und Deutsch -Ostafrikas fast unüberwind­liche Hindernisse gegenüberstehen, ein­mal, weü diese Rückgabe eine strategi­sche Bedrohung sowohl für die Seever- bindungen als für den afrikanischen Besitz Englands und Frankreichs wä­ren, dann, weil sich die Südafrikanische Union , wie eben wieder eine Rede Gene­ral Smuts gezeigt hatte, aufs heftigste einer solchen Rückgabe widersetzt. Schacht hat deshalb seine alte Idee, die er schon in Paris bei den Verhandlun­gen über den Young-Plan zur Diskus­sion bringen wollte, von der Schaffung von sogenannten Chartered-Compag- nien mit deutscher Mehrheitsbeteili­gung entwickelt, die nach dem berühm­ten und berüchtigten Muster der ein­stigen Ostindischen Compagnie neben dem Handelsmonopol auch weitgehen­de Verwaltungs- und Regierungsbefug­nisse erhalten sollten. Das Ausbeu­tungsgebiet dieser neuen Gesellschaf­ten sollte die portugiesischen Kolonien mit Belgisch-Kongo umfassen. Die Veröffentlichung dieses Planes hat, wie man sich denken kann, in den beiden Ländern nicht geringe Unruhe geweckt, und in Portugal zumal mag man sich fragen, ob dies die Belohnung für die treuen Sekundantendienste sein soll, die man in Spanien Hitler und Musso­ lini erweist. Daß es sich in der Hauptsache um diese beiden Punkte Kolonien und Zentraleuropa handelte, geht aus der Kampagne hervor, die die »Times« zur Unterstützimg dieses Lon- dondeny-Göring-Planes ihrerseits ge­führt hat. Sie ist mit großem Nach­druck für ein Entgegenkommen der tschechischen Regierung an die Hen- lein-Irredenta eingetreten und für ein völliges Desinteressement nicht nur Englands, sondern auch Frankreichs in der österreichischen Frage, sich allerdings in der England unmittelbar berührenden Kolonialfragen große Zu­rückhaltung befleißigend. Man sagt dem Besitzer und Herausgeber des großen Blattes nach, daß sie stark un­ter dem Einfluß der»Christian Scien­ ce « stehen. Aber diese Art christ­lichen Einflusses vermag offenbar nicht zu verhindern, daß die»Times« das Schicksal des österreichischen Vol­kes der Auseinandersetzung zwischen den Freunden Hitler und Mussolini überlassen möchte, in der allerdings vergeblichen Hoffnung, die Aufmerk­samkeit der Wölfe von der fetten eng­lischen Beute auf den mageren Kno­chen abzulenken... Will man aber der Wahrheit die Ehre und sich auch über die Gefähr­lichkeit Rechenschaft geben, die ge­wisse Strömungen der englischen öf­fentlichen Meinung immerhin darstel­len, so muß man hinzufügen, daß diese nicht nur auf den Kreis einiger halb- cder ganz konservativer Lords be­schränkt sind. In einer außenpoliti­schen Aussprache im Oberhaus am 19. November verteidigte z. B. der Labour Lord Noel Buxton sowohl die Hitler- sche Kolonialforderung als die An­sprüche Henleins mit nicht geringerem Eifer, und wenn auch solchen Reden keine große Bedeutung beizulegen ist, so ist doch auch von einem Protest der Arbeiterpartei nichts bekannt gewor­den. Es ist nun klar, daß ein Weiter­schreiten auf solchen Wegen und Chamberlains Zustimmung zur Reise Halifax war immerhin ein erster Schritt eine Kapitulation vor Hitler bedeutet und vor allem Frankreich in eine unmögliche Situa­tion gebracht hätte. Seine ohnedies seit der Rheinbesetzung geschwächte Stel­lung in Mittel- und Südosteuropa wäre völlig haltlos, die kleineren Staaten auf Gedeih und Verderb Hitler in die Arme getrieben worden. Zugleich wäre Deutschlands Machtstellung so ge­wachsen, daß sie zu einer verstärkten Gefahr für England selbst hätte wer­den müssen, im selben Augenblick, in dem Deutschland als Bundesgenosse Italiens , Portugals und Japans Eng­lands Lebensinteressen bedroht. Das Experiment mußte scheitern und dies bestätigt im wesentlichen der Bericht, die über das englisch -französische Gespräch, das un­mittelbar nach der Halifax -Rückkehr arrangiert wurde, veröffentlicht wor­den ist. Der Anspruch Hitlers auf freie Hand in Mitteleuropa wird in der Form der Feststellung zurückgewiesen, daß »beide Regierungen ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung friedlicher Bedingungen« in Mittel- und Osteuropa haben. Indem dabei auf die eben statt­findende Reise des französischen Außenministers nach Warschau , Bukarest , Belgrad und Prag Bezug genommen wird, kann Delbos bei diesen Verhandlungen, die einer Be­festigung der französischen Beziehun­gen mit den unsicher gewordenen Bal­kanstaaten und Polen dienen sollen, bis zu einem gewissen Grade auch als Wortführer Englands auftreten. Hit­ lers alte Idee einer Lockerung des Zu­sammengehens zwischen England und Frankreich hat so einen neuen Mißer­folg zu verzeichnen, und an Stelle einer Abschwächung ist eher eine Verstär­kung der englischen Interessen an Mit­tel- und Südosteuropa zu verzeichnen. In der Kolonialfrage»kam man überein, daß diese nicht losgelöst von den anderen Fragen behandelt werden könne und außerdem eine Reihe von anderen Mächten berühre; daraus wurde gefolgert, daß sie ein viel ein­gehenderes Studium erfordere, als das bis jetzt möglich war.« Zum Schluß wird dann freilich ohne den Völker­bund ausdrücklich zu nennen, seine Er­wähnung fehlte schon in der letzten engüschen Thronrede gesagt,»daß die beiden Regierungen an den Auf­fassungen festhalten, zu denen sie sich bei früheren Gelegenheiten in Bezug auf die Methode der internationalen Zusammenarbeit bekannt haben.« Im Unterhaus fügte dann Chamberlain noch ausdrücklich hinzu, das Ziel sei eine allgemeine Regelung. Damit ist Hitlers Streben nach einer einseitigen Verständigung mit England abgewiesen und klargemacht, daß Zugeständnisse in der Kolonialfrage nur im Rahmen einer allgemeinen Verständi­gung, das heißt aber nach einem Aufgeben der aggressiven Politik Deutschlands und Italiens erfolgen können. Damit ist nun im wesentlichen alles beim Alten, die Krise der englischen Außenpolitik zwar über­wunden, wie es auch kaum anders sein konnte, aber sonst kaum etwas geän­dert. Und das kann auch heute von gewöhnüchen diplomatischen Schritten nicht mehr erreicht werden. In Deutschland nimmt, die Diktatur von allem nur das eine zur Kenntnis, daß sich die Westmächte nun emstüch mit ihrem Kolonialanspruch befassen müssen. Kurz nach der Besprechung mit Halifax hatte Hitler in einer Rede in Augsburg am 21. Nov. erklärt: Wir müssen immer wieder und immer nach- drückücher unsere Kolonialforderung erheben, bis die Welt sie nicht mehr verweigern kann... Heute wollen die anderen Länder noch nichts davon wissen. In einem Jahr werden sie sich daran gewöhnt haben; in drei Jahren werden sie sich davon Rechenschaft geben, daß etwas geschehen muß und in sechs Jahren werden sie sich von der Notwendigkeit überzeugt haben, daß praktische Maßnahmen unausbleiblich sind... Ist jetzt nicht der erste Teil der Prophezeiung Hitlers eingetroffen? Freilich die»allgemeine Regelung«! Aber, sagt die»Frankfurter Zeitimg«, die Kolonien dürfen nicht zum Gegen­stand eines pfui! poütischen Aus­tauschgeschäftes werden, man darf in ihnen keine Konzession sehen, auf Grund deren in irgend einem anderen Bereich der Poütik von Deutschland etwas einzuhandeln wäre. Die Kolo­nialfrage ist eine Angelegenheit für sich. Es soll die rechte Ordnung wie­der hergestellt werden und die deut­sche Politik wird nicht begreifen, war­um man für eine notwendig gewor­dene Ordnung auch noch etwas drein- geben sollte... auf einen so fragwür­digen Begriff wie den der»Gesamt­regelung« darf man sich gar nicht ein­lassen... Da aber das»Etwas«, das von Deutschland verlangt, eben die Frie­denssicherung ist, die die deutsche Dik­tatur ebenso verweigert wie die italie­nische und die japanische, so bleibt nur die Konstatierung, daß auch der neue Versuch Chamberlains schon in seinem Beginn erledigt ist. Die Dinge sind schon zu weit gediehen und die nächste Entwicklung wird viel weniger durch die Schritte der Diplomatie als durch dJe Entscheidungen der Waffen in Spa­ nien und China bestimmt werden. Dr. Richard Kern. Kanonen statt Sdiulbildung Verödete Lehrerseminare Überflüssige Sdiulklasscn. »Es muß sofort eine umfassende Werbung einsehen« Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme brach unter den Jung­lehrern große Not aus. Eis begann ein systematischer Schulabbau. Wer in der Lehrerschaft einer Gesinnung verdäch­tig war, flog ohnehin aufs Pflaster, und dar­über hinaus sorgte eine»Zahlungs­sperre« für die Abwanderung zahlreicher junger Lehramtskandidaten in andere Berufe. Allerorten wurden Umschulungskurse abge­halten, um den aus der Bahn Gerissenen we­nigstens das nötigste handwerkliche Rüst­zeug auf den neuen Weg mitzugeben. Was dann geschah, wurde in keiner reichsdeut- schen Zeitung mehr notiert, aber die kriti­schen Beobachter, vor allem die Eltern, flü­sterten es einander zu: in den Schulen machte sich eine grauenhafte TJngelstig- k e i t breit. Der HJ - Dienst verhinderte jeden planmäßigen Unterricht. Von den 1933 im Amt befindlichen Lehrkräften waren bei der großen Auskehr meist die unfähigsten behalten worden, alte Kämpfer und Junge Liebediener. Selbst diese gutwilligen Krea­turen mußten sich von ihren HJ - Schülern und von deren der Schulbank kaum entwachse­nen»Führe m< unerhörte Flegelelen gefallen lassen. Nach jahrelanger Pause begann die deut­sche Presse vor einigen Monaten wieder näher auf die Lehrerfrage einzugehen, und mm wurde auch dem gläubigsten Zeitungs­leser mit einem Male bewußt, was in der Zwischenzeit alles verschwiegen worden war. Wo noch vor vier Jahren als Erbe der Re­ publik ein überreicher, gut geschulter Lehremachwuchs auf eine Aufgabe wartete, da gähnt jetzt eine empfindliche Lücke. Während sich die Armee vor Of­fiziersanwärtern nicht retten kann, während die>F ü h r e r s c h u 1 e n« der Par­tei von jungen Landsknechten nur so über­rannt werden, während für jeden sport­lichen Beruf hundert Anwärter für einen zu haben sind, fehlt es den Höberen Lehranstalten an Schülern und den Volksschulen an Lehrern. Die anfangs zagen Hinweise in den Zei­tungen sind inzwischen zum Notschrei gewor­den. Alle Schulklassen sind überfüllt, die auch durch den Parteidienst Uberanstreng­ten Lehrer lassen den Karren bergab fahren und finden sich damit ab, daß die ihnen an­vertrauten Kinder im Durchschnitt zwei Jahre hinter dem Pensum zurück sind. Es fehlen allein in Preußen 3000 Erzieher, in Sachsen entspricht der Nachwuchs dem Bedarf nur noch zu 50 Pro­zent. In den nächsten fünf Jahren werden 3 5.0 00 Volks- und Mittelschul­lehrer in den Ruhe a't and versetzt werden und niemand weiß, wer sie ersetzen soll. Die Hochschulen für Lehrerausbildung sind kaum zur Hälfte gefüllt. In den höheren Schulen reicht die Zahl der Studienräte im Augenblick gerade noch aus. Aber auch hier droht eine Kata­strophe: 7000 Studienräte erreichen nächstens die Altersgrenze. Kaum für ein Drittel der freiwerdenden Stellen steht Nachwuchs bereit Die Generation, die jetzt berufareif wird, ist schon im neuen Ungeist erzogen. Diese jungen Leute haben ihre eigenen, elend be­soldeten Lehrer in all den Jahren so oft ab­gekanzelt, denunziert, gedemütigt, daß sie keine Neigung haben, an die Stelle der Ver­achteten zu treten. Jetzt liest man in der deutschen Presse:»Das Ansehen des E r z i e b e r s t a n d e s muß gehoben werden, denn der Jugend kann nicht vor­geschlagen werden, einen Beruf zu wählen, dem das Ansehen und die Verbindung mit seinem Wirkungskreis fehlt.«(»Preußische Zeitung « vom 5. Dezember.) Allerorten werden Aufrufe erlassen wie der des ostpreußischen Gauleiters und Ober­präsidenten Koch: »In der Hitlerjugend und in den Schulen hat sofort eine umfassende Werbung für den E r z 1 e he r be r uf einzusetzen; die Gliederungen der Be­wegung haben diese Aktion zu unterstüt­zen. Bis sollen erleichterte Bedingungen für die Ausbildung zum Erzieher geschaffen werden.« Ja, die»Zurück-aufs-Landt-Rufer denken sogar daran, recht viele»fähige Bauern­söhne« vom Acker aufs Katheder zu ver­pflanzen, offenbar jn der Hoffnung, daß die Lehrerverhöhnung auf den Dörfern noch nicht weit genug gediehen ist, um die Jungen Burschen von der Erzieherlaufbahn abzu­schrecken. So haben sich die nationalsozialistischen Volksführer als negative Zauberlehrlinge glänzend bewährt. Sie sind die Geister, die sie nicht riefen, gründlich loageworden, ein ganzes Land dreht wissenschaftlich zu ver­dursten. Die Generale sehen bänderingend zu und haben Angst, daß der preußische Schul­meister einen kommenden Krieg warllerea wird.