¥ SP Nr 248 SONNTAG, 20. März 1938 I ä>od>cnBlall EN AVANT! Hebdomadaire en langue allemande Redaktion und Verlag: 5, Rue Mayran, Paris -9. Telephone: Trudaine 46-52 Aus dem Inhalt: Schuschniggs Biographie KPD und Moskauer Prozess Braune Korruption Prix: Fr. 1,50 Durchbruch der Gegenrevolution üeliwarze Tage für die enropälsclie Demokratie Die Kriegsmaschine Hitlers hat sich in Bewegung gesetzt. Sie ist benutzt wor- flen, um die Unabhängigkeit eines kleinen Landes auszulöschen. Oesterreich hat aufgehört, ein seihständiger Staat zu sein. Der Anschluss ist vollzogen. Den Truppen ist der Henker auf dem Busse gefolgt, Himmler ist mit Gesta po -Spezialisten in Oesterreich , um zu '•säubern". Das unglückliche Land versinkt in die graue Oede des nationalsozialistischen Terrors, es lernt den fahren Faschismus kennen. Sechs Millionen Menschen mehr geraten un~ die Segnungen der totalen Dik- iatur. Die europäischen Westmächte sehen 8onau so zu. wie sie heim Untergang l'er deutschen Demokratie zugesehen haben. Ein unerhörter Gewaltstreich geführt worden. Ein ganzes Land lst okkupiert und annektiert worden, eiu halbes Dutzend feierlicher Ver- ,ragsklauscln ist zerrissen worden— aber das beleidigte Recht findet keine Pohlitzer. Die deutsche Gegenrevolution, die \ork8mpferin der europäischen, hat (|ae Durchbruchsschlacht geschlagen. Die Wirkungen sind gross und ver- 'augnisvoll. Nutzlos wäre es, davor (h'U Kopf in den Sand zu stecken. Die x wegung in Mitteleuropa hat begon- Jetzt geht es schon nicht mehr um ''Ploniatische Positionen, sondern um ,c'rritoriaje Eroberungen. Die ange- �'nunelte militärische Kraft des Drit- (n Deiches wird jetzt direkt einge- Die deutschen Truppen haben Beide stehen im Zusammenhang. Ohne die Deckung durch die neuen Befestigungslinien im Westen hätte Hitler den Ueberfall auf Oesterreich nicht die orste Etappe auf der Linie Berlin — �a8dad zurückgelegt. Der historische Orstoss längs der eurasischen Trans - �■i-salo ist eröffnet. Man kann in der ''Barliteratur nachlesen, welche �'ohligen Stellungen bereits gefallen ''d, die einem aus Nordwesten kom- �"den Stoss gegen den Balkan ent- �genstehen. Die deutschen Truppen steh-■ 7. c" heute hundert Kilometer von irioci helj681 Und der Adria entfernt, sie ste- ,v" an der ungarischen Nordgrenzc— j.Cl deutsche Machtbereich ist prak- beinahe bis zur ehemaligen Süd- en2e der Habsburger Monarchie ""'gedehnt. j � 0r noch nicht zwei Jahren hat ein 'chechischer Militärschriftsteller sich DPlViill. (]a JU('e" Engländern zu erklären, den ij0(''e Delfelder von Mossul auf OiuSf,."Ben der Sudeten verteidigen h"'6 umgangen, der neue deutsche �"Perialismus steht heute schon Hun- rb' Von Kilometern südlicher. * ** dem'�8" Eroberung Oesterreichs be- "id»1 e*ne eBenso entscheidende Ver- \vie r"n8 der europäischen Machtlage Sc'Uerzeit die Rheinlandbesetzung. durchführen können. Der Anschluss Oesterreichs wieder wird der Ausgangspunkt für neue Unternehmungen werden. Er verurteilt die Tschechoslovakei zur Ohnmacht. Dieses Land, das sich jetzt in einer strategisch unhaltbaren Lage befindet, wird sich binnen kurzem neuen Gewaltforderungen des Dritten Reiches gegenübersehen. Wer glaubt denn heute noch den Göringschen Versicherungen, dass man der Tschechoslovakei nichts Böses wolle! Von Oester reich aus wird der Marsch des Dritten Reiches nach Südosten fortgesetzt werden. Die braune Propaganda— so wie sie vor allem Hitler selbst führt— stellt den Gewaltstreich gegen Oester reich als Erfüllung einer nationalen Sehnsucht hin. Sie ist bemüht, den Eindruck hervorzurufen, als oh mit der Erfüllung eines romantischen Traumes nun Frieden und Ruhe in Europa eintreten werde. Hinter den Ansprüchen auf die zehn Millionen Randdeutscher aber verbirgt sich ganz etwas anderes. Es steht dahinter der neue deutsche Militarismus und der Expansionswille seiner Führer, es steht dahinter die Tradition der Alldeutschen, es steht dahinter der alte deutsche Imperialismus mit seinem Traum des Vormarschs zum Weltreich auf der Linie Berlin — Bagdad . Deshalb wird der europäische Südosten immer stärker zu einem ausschliesslich militärisch-strategischem Problem. Heute steht zwischen dem Reich und dem Balkan nicht mehr die hahshurgische Doppelmonarchie, die zwar mit dem Reich verbündet, aber doch sperrend war. Heute ist der Weg zum Balkan unmittelbar frei— denn Ungarn ist kein Hindernis mehr. Eine wichtige Ausgangsstellung ist für den neudeutschen Imperialismus gewonnen. Es ist das innere Gesetz dieses Imperialismus, dass mit seinen Erfolgen seine Ziele wachsen. Diese Eroberung Oesterreichs , angesichts einer in Entsetzen und Furcht erstarrten Welt ist nach der Rheinlandbesetzung der zweite grosse Erfolg Hit lers . Es ist an der Zeit, sich völlig darüber klar zu werden, was geschehen ist: das Dritte Reich hat seine Hegemonie über Mittel- und Südost-Europa errichtet. Das ist eine Lage von furchtbarem Ernste für die europäische Demokratie. Diese Militärmacht wird nun über Europa lagern, solange sie nicht durch revolutionäre Ereignisse oder durch eine Niederlage im Kriege zerbrochen werden wird. Solange sie dauert, wird sie die einheitlichste und grösste Zusammenfassung aggressiver militärischer Macht in Europa darstellen, und darum der erste und wichtigste Faktor sein, der auf die europäische Po litik einwirkt. * * ♦ Das selbständige Oesterreich war eine Schlüsselstellung für die Nach kriegsordnung in Mittel- und Südost- Europa , es war der Schlusstein des europäischen Bogens. So problematisch vieles in dieser Nachkriegsordnung war, so gross die Widersprüche, die sie in sich barg, so entfernt auch die neuen Länder von einer gemeinsamen europäisch-demokratischen Politik waren, so bildeten sie dennoch zu kunftsträchtige und entwicklungsfähige Ansätze für die Herstellung einer einheitlichen demokratischen Ordnung in Europa . Nachdem einmal im Jahre 1933 in Deutschland die Kräfte der Gegenre- .volulion gesiegt hatten, standen die demokratischen Mächte in Europa vor der Frage: entweder Oesterreichs Unabhängigkeit zu verteidigen, um die Ansätze zu einer demokratischen Ordnung Europas in Mittel- und Süd osteuropa nicht zu verlieren, oder ganz Mitteleuropa und den Südosten in die Hand der Gegenrevolution fallen zu lassen, entweder den Anschluss, den sie der Weimarer Republik verweigert, verboten, unter Drohung mit Waffengewalt verwehrt halten, nun erst recht dem Dritten Reich zu untersagen, oder schimpflich vor der brutalen Macht zu kapitulieren. Es ist eines der trübsten Kapitel der Nachkriegszeit, wenn man die Haltung Frankreichs und Englands gegenüber dem Zollunionsplan von 1931 vergleicht mit der Haltung der gleichen Mächte gegenüber der brutalen Annek- tion Oesterreichs durch Hitler . Aber die demokratischen Westmächte haben diese wichtige Schlüsselposition schon sehr früh verloren, und damit die Möglichkeit eines Zusammenschlusses Oesterreichs mit den Resten der kleinen Entente, die die einzig reale Alternative zum Anschluss an das Deutsche Reich dargestellt hat. Noch 1933 gab es Reste der Demokratie in Oesterreich , lebendige legale Parteien, wie die österreichische Sozialdemokratie. Sie hatte nach dem Machtantritt Hitlers in Deutschland ihre Programmforderung des Anschlusses an Deutschland revidiert und die Selbständigkeit Oesterreichs als eines Gliedes der europäischen Demokratie an ihre Stelle gesetzt. Aber gerade in den kritischen Tagen zu Beginn des Jahres 1934 vernachlässigte die französische Politik das österreichische Problem und Mussolini benutzte die Gelegenheit, die österreichische Reaktion zur Vernichtung der Reste der Demokratie vorwärtszutreiben. Im Februaraufstand des Schutzbundes vollendete sich das Geschick der österreichischen Demokratie. Oesterreich fiel als Vasal in die Hand Mussolinis. Nach der Ermordung von Dollfuss durch die Nazis und der italienischen Mobilisierung am Brenner begingen die Westmächte die unglückliche Torheit, Mlus�olini hinfort die Regelung der österreichischen Frage selbständig zu übertragen. Er hat dies Mandat benutzt, um Oesterreich zu ei- „Hat jemand etwas einzuwenden?"
Ausgabe
6 (20.3.1938) 248
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