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etliche Dosen Pathos und sittliche Entrüstung, um sich über die blamable Nolle, die er nebst seiner Partei m der Deckungsfrage gespielt, Hinwegzuschauspielern. DaS gelaug ihm freilich nicht. Bebel, Singer, Richter. Siemens gingen unbarmherzig mit ihm und dem Centrum ins Gericht und zu den wuchtigen Hieben gesellte sich beißender Spott über die Steuerfabrikationswut und Steuer- bewilligungswut des Centrums, bis denn zu dem Flotten koller auch der Steuer koller hinzugetreten ist. Die Centrumsführer von heute wurden mit W i n d t- h o rst verglichen. der es als den größten Fehler bezeichnete, die Regierung auf neue Steuern auf- merksam zu machen. Eine Regel, die auch Herr Lieber später empfohlen hat. Herr Lieber, der bekanntlich eine lange und schwere Krankheit durchgemacht und die Flottenverhandlungen nicht geleitet hat, merkte sich die Rcminiscenz, und als gegen Schluß der Sitzung über einen agrarischen Antrag namentlich abgestimmt ward, stimmte er, entgegen den meisten seiner Fraktionsgenossen, mit Nein. Jedenfalls sind die gestrigen Debatten sehr ungünstig für das Centrum verlaufen, und ein ungefälschter Bericht über die Debatten würde manchem CentruniSwähler die Augen öffnen. Die Kulturfeindlichkeit des Centrums offenbarte sich be- sonders augenfällig bei dem erbitterten Widerstand, den es dem freisinnigen Antrag. Obligationen städtischer Anleihen von der erhöhten Stempelsteuer auszunehmen, entgegensetzte. Daß dies Anleihen für Schulen, Hospitäler und. sonstige gemeinnützige und humanitäre Zwecke sind, schien den Wider- stand des Centrums nur anzufeuern. Erwähnt sei noch, daß im Lauf der Debatte bei zwei verschiedenen Gelegenheiten von bürgerlichen Rednern das Mene Tekel der nahenden Krise gezeigt ward. Zwei namentliche Abstinimnngen fanden statt; die eine über die Besteuerung der Kuxe, die mit 180 gegen 103 Stimmen beschlossen, und die andre über den schon erwähnten Antrag (desbayrisch fühlenden Heim") auf Erhöhung der Stempel- steuern, der mit 153 gegen 121 Stimmen abgelehnt ward. Die Agrarier hatten sich etwas zu weit vorgewagt. Das Stempelsteuer-Gesetz wurde nicht erledigt, obgleich die Sitzung sich bis nach Vt? Uhr ausdehnte. Sie wird in der heutigen(Sonnabend) Sitzung zu Ende geführt werden, für die außer kleineren Vorlagen auch die zweite Lesung des Reichs'Seuchengesetzes auf die Tagesordnung gesetzt ist. Auf unsere Interpellation, für die ursprünglich die heutige Sitzung bestimmt war, werden wir aber nicht verzichten. Und so ist es denn kaum möglich, daß die Session, wie in Aussicht genommen war, am Dienstag geschloffen werden kann. Abgeordnetenhans. Das Abgeordnetenhaus begann am Freitag die zweite Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend Maßnahmen zur Verhütung von Hochwassergefahren in der Provinz Schlesien . Die einzelnen Paragraphen wurden im wesentlichen nach den Beschlüssen der Kommission angenommen, und die Ruhe und Eintönigkeit der Debatte ließ vermuten, daß die Konservativen ihren Widerstand gegen die Vorlage aufgegeben haben. Aber sie stimmten nur zum ; Schein den Gesetzesbestimmungen zu, um zum Schluß desto stärker gegen das ganze Gesetz opponieren zu können. Unter Führung der Abgg. v. Arnim und v. N e u m a n n beantragten sie, daß der planmäßige Ausbau der schlesischen Flußläufe nicht vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes, betreffend Maßnahmen zur Verhütung von Ueberschwemmungen im Laufe der unteren Oder, in Angriff genomnien werden darf. Andre Konservative gingen noch weiter und verlangten als Vorbedingung noch die Regu- lierung der Spree , Havel und Elbe , und der CcntrumSagrarier Graf S t r a ch w i tz fügte den» Wlinschzettel noch die Lausitzer Neiße hinzu. Alle diese Anträge bedeuten eine Verschleppung der im Interesse der Landeskultur notwendigen Vorlage. Schon vor zwei Jahren habe» die Konservativen eine ähnliche Vorlage zu Falle gebracht, und eS ist nicht ausgeschlossen, daß ihnen auch jetzt wieder ihr kulturfeind- licheS Manöver gelingt. Die Beratung der Anträge führte zu heftigen Zusammenstößen zwischen den Konservativen und den Minister» v. Thielen und Frhrn. v. H a m m e r st e i n; namentlich der letztere wandte eine ungewöhnlich scharfe, aber durchaus berechtigte Sprache gegen die Arnim und Genossen an. Sonnabend soll die Auseinandersetzung ihren Fortgang nehmen. Panik an der Börse. Seit zwei Tagen ist an der Berliner Börse ein jäher Rückgang der Kurse eingetreten, der deutlich beweist, daß das Vertrauen auch der zuversichtlichsten Optimisten in die Fortdauer der Gunst unsrer wirtschaftlichen Konjunktur er- schüttert ist. Schon seit Anfang des JahreS war'die Situation schwül und wiederholt brachen die Symptome des beginnenden Niedergangs hervor. Aber immer wieder trat eine Erholung ein, die Kapitalistenkreise ließen sich von der industriefrommen Presse bei auffteigenden Befürchtungen einlullen und folgten den großen, a la Hausse gestimmten Spekulanten an den deutschen Börsen wie die Schafe dem Leithammel. Es ist noch lebhaft erinnerlich, mit welchem Eifer die deutsche Börsenpresse die ungünstigen Nachrichten vom amerikanischen Eisenmarkt abzuleugnen suchte. Autoritäten. aber gleichzeitig auch Interessenten des deutschen Eisen- gewerbes wie Baare, Thyssen und andre mußten herangeholt werden, um die deutschen Kapitalisten zu beruhigen. Die Aussichten des heimischen Eisengewerbes seien brillant: bis 1901 hinein lägen Aufträge in Hülle und Fülle vor. Die amerikanische Gefahr sei ein Schreckgespenst. Kaum war eine gewisse Beruhigung eingetreten, so kamen neue Alarm- Nachrichten, deren Ableugnung bald nicht mehr möglich war. Es kam an den Tag, daß die behauptete Roheisennot in Deutschland bis zu einem hohen Grade nur fiktiv sei, es wurden plötzlich ganz erhebliche Posten deutschen Roheisens zu auffallend billigen Preisen an den Markt gebracht. die Preise für Altmaterial fielen ganz erschreckend und in einzelnen Zweigen der Eisenindustrie wurden sogar Betriebseinschränkungen in Aussicht gestellt. Auf der Glas- gower Eisenbörse fielen die Warrants, Oestreich meldete eine direkte Ungunst im Eisengewerbe kurz die bisher hint- angehaltenen oder vertuschten Nachrichten über die wirkliche Lage aus dem für das gesamte Wirtschaftsleben wichttgen Eisenmarkt brachen mit aller Macht und von allen Seiten in die Oeffentlichkeit durch und ließen sich nicht mehr abstreiten. Dazu kam nun noch der Umstand, daß die Börse durch die Heranziehnng zu den Kosten der Flotte weitere Nahrung zu pessimistischer Auffassung erhielt; es kamhinzu, daß die von der Industrie und dem Verkehr dringend erwartete Kanal- Vorlage wieder hinausgeschoben wird. So fraß sich der Pessimismus allmählich in den Kapitalistenkreisen durch und der 6. Juni bezeichnete den Tag, an dem die Baissepartei an der Börse den offenen Sieg über die Haussiers errang. Am 8. Juni schlug die rückläufige Bewegung der Kurse ein Tempo an, das nicht nur für den Kapital-, sondern auch für den Arbeitsmarkt bedrohlich er- scheint. Der Wert der Jndustriepapiere, namentlich der Montanaktien wurde um ganze Prozente geworfen, Laura- Aktien fielen um etwa 7. Bochumer um 13. Dortmunder um 33/4, Gelsenkirchen um 13''«, Hibernia um 7V», Harpener um 9, Konsolidationumll, Tannenbaum um 6 undso der Reihe nach die übrigen. ES war ein Sturz, der auch den ruhiasten und un- erschrockensten Kapitalbesitzer nervös und ängstlich machen mußte. Wie immer in einer solchen Situation: sobald erst einmal der Schrecken angesteckt und wirkt und sich von der Börse und den Bankiers auf das Kapitalistenpublikum fortsetzt, dann drängen die nämlichen Mitläufer, die die Kurse bisher durch ihre Kausordres auf eine unvernünftige und schädliche Höhe getrieben haben, so schnell wie möglich zum Verkaufe, da sie ganz genau wissen, daß die letzten von den Hunden ?cbissen werden, d. h. daß man desto mehr verliert, je pätcr man in einer solchen Situation verkauft. Aus diesem Grunde ist es daher ganz erklärlich, daß sich an der Börse vom 9. Juni der Kursrückgang fortsetzte. Wie auS den Börsen­berichten vom 9. Juni hervorgeht, war es namentlich das Provinzpublikum, daS durch die Panik am 8. Juni erschreckt stark verkaufte und dadurch die Kurse weiter drückte. Die nächsten Tage werden lehren, ob der panikartige Rückgang zu einer förmlichen Katastrophe führt oder ob es sowohl den großen Banken als auch den industnellen Syndikaten gelingt, die rückläufige Bewegung der Kurse sowie der Konjunkturkurve in ruhiger Bahn zu halten. Deutsches Peich. SchweinburgS Waschung. Die Neklamcposaune mehrerer preußischer Minister, Herr Ehren-Schlveinburg, wird nächster Tage wieder von sich reden machen. Bekanntlich eröffnete im Herbst v. I. die Berliner Tägliche Rundschau", ein allerdings unsäglich dnmin redigiertes Blatt, einen gewaltigen Fcldzng namens dcS Flottenvereins gegen dessen Begründer und absoluten Alleinherrscher Schwein« bürg. ES gab kaum einen Schimpf, der ihn, nicht öffentlich nachgesagt wurde, und wenn auch llcbcrtreibunge» unverkennbar waren so ward Schweinbnrg doch vorn Flotten- Verein an die Luft gesetzt und mußte alsbald auch bei de» Kruppschen Neuesten Nachrichten" die Thür von außen zumachen. Schweinburg verkündete damals öffentlich, daß er seine Angreifer, den Fabrikanten Strohschein und dieTägliche Rundschau" vor Gericht ziehen werde und einen Rechtsanwalt mit der Sache beauftragt habe. DieferRechtsaMvalt hat aber die Sache für zu schmutzig befunden, sich die Finger damit zu besudeln, und Schweinburg geraten, sein Hei! auf dem ihm ja so bekannten Wege der Hintertreppen zu versuchen. Schweinburg hat infolgedessen die blutigsten Beleidigungen, die ein Journalist erfahren kann, sechs Monate lang auf sich si tzen lassen, Jetzt verlautet, daß ei» gewisser langer Arm im Kastanienwäldchen, der der Schweinburgschen Rcklametrompcte ganz besonders bedarf, die Mohrenwäsche in die Hand genommen hat. Der Prozeß mußte natürlich um jeden Preis vermieden werden, es hätten da unange- nehme Dinge an die Oeffentlichkeit kommen können. Schweinburg hat schon einmal Miene gemacht, die schwarze Wäsche des Flottenvereins öffentlich zu'.oaschen, die vielleicht nicht viel sauberer war als seine eigne und da hätte es am Ende eine solche Blamage gegeben, daß darüber nicht nur der Flottenverein. sondern vielleicht gar die Flottenvorlage gestolpert wäre. Daher fanden sich viele fleißige hohe Hände bereit, Sand auf den Schmutz zu werfen, damit er nicht weiter gen Himmel stinkt. DieTägliche Rundschan" wird Ehren-Schiveinbnrg öffentlich Abbitte leisten und versichern, eS fei nicht wahr, daß kein anständiger Hund iin Deutschen Reich von ihm ein Stück Brot annimmt; ein maßgebender Redakteur des Blattes wird dafür einen Ehrenposten bei Schweinburg oder Iva? fast dasselbe ist beim Litterarischen Bureau des StaatSministeriuniS erhalten. Ans Rücksicht nur auf die Floticnvorlage ist dieEhrenerklärung" noch nicht erschienen. Was muß doch diese Flottenvorlage für ein gebrechliche» Ding sein I Allerdings hätte dieBegeisterung" den Schweinburgschen Gestank schwer ertragen. Aber Miguel, sein Schüler Rheinbaben, Posa« dowSky und andre behalten ihren Posaunenengel und daS ist die Hauptsache. An den Ludergeruch muß sich da» deutsche Volk halt gewöhnen._ Der 11. evangelisch-sociale Kongreß tagte am Donnerstag in Karlsruhe . Von politisch bekannten Persönlichkeiten waren u. a. anwesend Pfarrer Naumann. Adolf Wagner . Da- m a s ch k e it. In Anwesenheit vieler offizieller Persönlichkeiten referierten dann Prof. Dr. B a u m g a r t e n au« Kiel und Prof. Dr. T r o e l t sch aus Karlsruhe über da« Thema:Was muß geschehen, um uusre der Volksschule entwachsene männliche Jugend besser als bisher auf die religiösen, nationalen und wirtichastlichen Aufgaben unsreS Volkslebens vorzubereiten." Die Vorträge wie die darauf folgende Debatte drehten sich in der Hauptsache um die Frage, wie die Arbeitersugend vor der Social- demokratie zu bewahre» sei. Die Meinung der Versammlung drückt sich in der folgenden Resolntio» aus: 1. Der Ev. Soc. Kongreß erblickt im allgemeinen Anschluß an die Thesen der Referenten in der Entfremdung der schulentlasfeiicu männlichen Volksjugend gegenüber dem religiösen und nationalen Gemeinschaftsleben eine Erscheinung, die zum erheblichen Teil a»f natürlichen Trieben des erwachenden Selbständigleits- und GattungS- bewußtseins der Jugend beruht und darum zu pessimistischen Auf- fassnngen an sich keinen Anlaß bietet. 2. Eine Besserung ist durch planmäßige Fortführung bestehender und Anknüpfung neuer Berbindunge» der schulentlasieiien Jugend mit den socialen Bildungen, in die sich da« Volksganze gliedert und organisiert, zu erwarten. Bevorzugte Mittel dafür werden sein: die den Kirchengemeinden möglichst eng anzugliedernden Jünglings- vereine, sowie die obligatoriiche und der Jugend daS Bewußtsein des Schülerstandes erhaltende Fortbildungsschule. 8. Ohne eine stärkere Bethätigung der Kirchengemeinden an der VolkSerzichung und ohne Fortführung einer die Gesinnung der Er- wachsenen beeinflussenden stetigen socialen Reformpolitik wird jede Bemühung, die heranwachsende Arbeiterjugend den zersetzenden socialdemökratischen Einflüssen allmählich zu entziehen, vergeblich sein." AnS den Vorträgen ist nur bemerkenswert, daß der Professor Tröltsch einegesonderte Behandlung der Jugend- lichen bei kündigungSlosen Streiks' verlaugt. Nach ihm habenMinderjährige nicht das Recht, die schärffte Waffe des Arbeiters zu verwenden". DaS heißt also entweder kriminelle Bestrafung oder zwangsweise Zurückführung der noch nicht 21 Jahre alten Arbeiter zur Arbeit beim sogenannten Kontraktbruch. Und das nennt sichsociale Reformthätigkeit". Am Nachmittag ward über die Wohnungsfrage verhandelt und zur Verbesserung der WohnungSverhältniff« daS Eingreifen der Gesetz- gebung als geboten bezeichnet. Die Schnlkonfcrenz wurde gestern abend geschloffen, nachdem noch über die Hebung deS Unterrichts in den neueren Sprachen. Raturwiffenschaften. Mathematik und Geschichte, sowie über körper- liche Uebungen gesprochenZworden war. Die ostelbisch« Junkerwirtschaft in amtlich italienischer Beleuchtung. Wie dieBoss. Ztg." mitteilt, hat das AuS- wältige Amt in Rom eine Warnung gegen die A u Wanderung italienischer Landarbeiter nach Ost Preuße» er-' lassen, in der sich folgende Stelle befindet: Die Gleichgültigkeit und Habsucht der Grund- b e s i tz e r bereite den Tagelöhnern eine so elende Lage, daß die Lohn«. Nahrüngs- und Wohnungsverhält« nisse selb st in Italien beffer seien." Unlängst erst nahmen wir von dem einen Artikel derKöln . Volks-Ztg." Notiz, in dem die Frage der Verwendung schwedischer und italienischer Landarbeiter erörtert wurde. Auch in diesem Artikel, der angenscheinlich aus sachkundiger Feder stammte, war betont worden, daß die Versuche mit schwedischen und italienischen Landproletariern kläglich gescheitert seien, da die agrarische Behandlung und Entlohnung keinerlei Reiz für sie besessen habe. Und nun übt daS Auswärtige Amt in Rom an der Habsucht unsrer Agrarier eine derartig ätzeitde Kritik! Eine Kritik, die dadurch nichts an ihrer Schärfe einbüßt. daß die italienischen Grundbesitzer hinter ihren ostpreußischen Kollegen an Habsucht kaum zurückstehen dürften. Die Worteselbst in Italien " atmen übrigens neben der ehrlichen Entrüstung über unsre Agrarier auch einen schätzenswerten Grad ehrlicher Selbst- erkenn tnis. Erst die agrarischen, dann die Verkehrsintereffen. Wie mächtig den Agrariern gegenwärtig wieder der Kamm geschwollen ist, beweist folgende Notiz der«Deutschen Tagesztg.", die die Stich- markeDer Bähnfiskns und die Arbeiternot' trägt: Immer, wenn im Parlament die derzeit brennendste Not, der ländliche Arbeitermangel, behandelt wird, hören wir vom Ministertische die allerschönsten Zusicheningen, daß seitens der Regierung alles geschehen werde, was menschenmöglich sei, um dieser Not zu steuern. Insbesondere seitens der Bau- Verwaltungen werde streng darauf gehalten werden, daß in der Zeit des landwirtschaftlichen Hauptbedarfs an Arbeitern, also während der Bestell- und Erntezeit, alle nicht zur Betriebsführung dringend nötigen Arbeiten unterlassen werden würden. Trotz dieser Lusichcrungen erleben wir aber fortgesetzt, daß sowohl die militärische als auch die Bahnverwaltung die Konsequenzen dieser von den leitenden Stelleu gegebenen Zusicherungen,«cht ziehen. Dies- bezügliche Klagen laufen fortgesetzt aus fast allen Landes- teilen ein, und selbst in der Nähe des Sitzes der centralen Verwaltungsstellen bleiben die Verfprechnugen unbeachtet. So werde» gegenwärtig unter Au bietung hohen Tagesverdi e n st e s Arbeiter im Kreise Teltow für Bahnarbeiten angeworben, just zu dem Zeitpunkt, Ivo das Ein- bringen der Futtererute so wie so die schärfste Konkurrenz um die noch vorhandenen Reste ländlicher Arbeiter unter den Landwirte» hervorruft. Die von diesem bahnfiskalischcn Verfahren schwer be- troffenen ländlichen Kreise müssen sich damit Wösten, daß eS bei der nächsten Erörterung der Arbeiternotfrage im Parlament, im kommenden Winter, an neuen beruhigenden Er- t l ä r u n g e n des Herrn Ministers wiederum nicht mangeln wird." Die Agrarier, die der Regierung soeben die Flotte tewilligt haben, die dem platten Lande viele tausend Arbeitskräfte entziehen wird, fordern nunmehr mit erhöhter Dringlichkeit, daß sie ander« weitig schadlos gehalten werden. Die fiskalischen Bauarbeiten sollen nur dazu dienen, den ländlichen Saisonarbeitern zur Zeit ihrer B e s ch ä f t i g u n g s l o s i g k e i t ll n t e r h a l t zu ge- währen, sich aber beileibe nicht»ach den V e r k e h r s i n t e r e s s e ir richten. Unter keinen Umständen aber darf der Fiskus durch Äubietuiig hohen Tagesverdienstes" den Agrariern ihre Arbeiter wegschnappen. Der BahufiSknS und ein hoher Tages- verdienst! Schade, daß dieDcnischc Tageszeitung" den Hoheit Tagesverdienst nicht genau angegeben hat! Austand. Die KrisiS tu Ostasicn hat noch immer keine andre Gestalt angenommen. Die chinesische Regierung bekundet noch immer keine Absicht, den Boxeranfstand energisch niederzuwerfen, und die Mächte fahren trotz Ehinas Ein­spruch fort. Truppen zu lauden und nach Tieiiisiu und Peking zu werfen. Alle Telegramme betonen die von sämtlichen Mächten an­erkannte Notwendigkeit eines g e m e i» s a in e n Vorgehens und be­richten von fortdauernden diplomatischen Verhandlungen, während doch eiisiveilen jeder einzelne Staat auf eigene Faust soviel Mamischasten als möglich heranzieht, um auch dabei zu sein, wenn eine Macht schließlich den Mut findet, als erste zuzugreifen. Am besten gerüstet sind die beiden Gegner Rußland und Japan , die sich seit ihrem Konflikt wegen Korea ? für den Ausbruch eines Krieges vorbereitet haben. Rußland hat in Port Arthur und Ta-lieii-Wau(starke Truppen- abteilungen angesammelt, und Japan , dem eS am leichtesten fallen würde, auf dem Seetvege eine starke Macht auf den Kriegsschauplatz zu werfen, soll auch bereits 20 000 Mann in Korea stehen haben. Japans Kriegsflotte, bestehend aus 4 Schlachtschiffen, 2 Panzer- krenzern, 13 gedeckten Kreuzern, 17 Kanotzienboten und einer starken Torpedoflottille, ist dem russischen ostasiatischen Geschwader bedeutend überlegen, nicht nur an Tonnengehalt, sondern auch qualitativ, da sie aus Schiffen modernster Konstruktion besteht. Wenn eS in Ostasten zum Zusammenstoß käme, würden fieilich auch die andren Mächte Partei ergreifen nutffen. Die Furcht vor einem der- artigen internationalen Kriegshandel größten Stils veranlaßt beim auch vorläufig noch die Mächte zu den stereotypen Beteuerungen, daß man an leinerlei Eroberung denke, sondern lediglich die Christen vor den Verfolgungen durch die Boxer schützen wolle. Eine ähnliche Aktion der Mächte zum Schutze einiger hundert oder tausend fremder lluterthanen ist freilich noch nicht dagewesen. Kein Mensch glaubt denn auch den diplomatischen Beschwichtigungsversuchen. Wir stellen kurz folgende Nachrichten aus dem Aufstaudsgebiete zusammen: Etwa 20 Meilen von Tientsin in der Richtung auf Peking hat ein Gefecht zwischen chinesischen Truppen und Boxer« stattgefunden, über das nähere Nachrichten zur Stunde nicht vorliegen. Auch ans der S t r a ß e nach T a k u ist eS zu einem Zusammen- stoß gekommen. Bei Pooting-Fu sollen chinesische Truppen eine Niederlage erlitten haben. Die Eisenbahn-Verbindung von Tientsin nach Peking soll wiederhergestellt sein, doch verweigert die chinesische Regierung den Transport fremder Truppen nach Peking . England, das bereits 900 Mann auf chinesischem Gebiete stehen hat, soll jedoch entschlossen sein, nicht nur trotz deS Protestes des Tsung-Ii-Uamens weitere Truppen zu konzentrieren, sondern auch den Weg nach Peking zu erzwingen. In Tientsin sind weiterhin 75 Mann östreich-ungrischer und 80 Mann russischer Truppen eingetroffen. Ferner sind die französischen KreuzerD'Entrecarteaux" und Jean Bart", sowie der russische KreuzerRossija" in Taku eingetroffen. Auch hat sich der Chef deS deutschen Kreuzergeschwaders nach telegraphischer Meldung vom 7. von Chefoo mitHertha" und Hansa" nach Taku begeben. DaS deutsche Detachement für Tientsin ist um 30 Mann verstärkt worden. Ueber die R e a k t i o n in China , die daS Wachstum der fremdenfeindlichen Boxerbewegnng begünstigt hat. läßt sich die Nattonal-Ztg." aus Peking berichten: Die gegenwärtige Lage in China trägt das Gepräge andauernder Reaktion. Gegen die im Lande verbliebenen Anhänger der Reform- Partei, denen anfangs volle Verzeihung beziehungsiveise Duldung zugesagt worden war, wird in letzter Feit schärfer hervorgegangen. Besonders die Beamtenschaft wird einer gründlichen Säuberung von refonuerisch gesinnten Elementen unterzogen. Ist gar ein Beamter mehr als bloß verdächtig, irgendwelche auf