Nr. 1.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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Redaktion: Beuth- Straße 2.
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annst Du zurückdenken die Zeit,
Kan
Freitag, den 1. Januar 1892..
Zum Nenen Jahre 1892.
Idee der Entwickelung.
Als der Mensch sich losriß vom Thier auf Erden?
Weißt Du den Geburtstag des Erdenmenschen?
Als er fühlte mit dumpfem Schauer
Das Anklopfen des göttlichen Gastes,
Das Pochen an sein Gehirn,
Als in ihm zum ersten Mal
Der Funke des Bewußtseins wach ward?
Wie hob sich des Menschenthieres Haupt Im scheuen Besit, sich selbst zu wissen, Zu wissen von eig'ner Schöpfungskraft! Wie blickt er auf zum ersten Mal Mit leuchtenden Augen umfassend
1891-1892.
1.
In stiller Nacht den blauen Aether über ihm, Die wandelnden Lichter des Weltenraums!
Jahrhunderttausendmal umflog Der Erdball seine Sonne,
Und in den hunderttausend Jahren Auf dem Erdball in blutigem Kampf Gegen einander kämpfte das Menschenthier
Siehe nun,
Ein neuer Geburtstag bereitet sich vor.
Mit dumpfem Schauer fühlt die Menschheit Das Anklopfen des göttlichen Gastes, Das Pochen an das Gehirn
Expedition: Beuth- Straße 3.
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Ungezählter Menschenmassen, Ein Aufwachen,
Ein Aufflammen des Menschheitbewußtseins.
Ein höheres Wesen will ersteh'n, Ein lebend'ger, gewaltiger Gliedbau, Ein Einheitskörper, die Erd' umspannend Mit planvoll vorgedachter Arbeit!
Kühn in selbstbewußter Schöpfungskraft Schaut er vom sicheren Grund empor, Die Erde sein Sig,
Kurz vor Anfang des vorigen Jahres hatte der Zu sammenbruch des englischen Riesen- Bankhauses Baring Brothers die Geschäftswelt jäh aufgeschreckt. Die Plan lofigkeit der modernen Produktion und deren Kinder: die tolle Spekulations" und die Spielwuth", thaten ihr Werk. Bankrott folgte auf Bankrott. Umsonst das Bemühen, größeren Katastrophen vorzubeugen schließlich kam der Kladderadatsch an den Börsen von Berlin , Paris , Wien .
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Die Thatsache des Mißwachses ließ sich nicht aus der aussichten auch für das nächste Jahr keine günstigen sind und Welt schaffen die Getreidepreise mußten steigen. Allein die abnorm hohen Preise sich behaupten. Bur heurigen Rein gutes Jahr, wenn gut heißt, was Glück und die natürliche Theuerung wurde noch künstlich gesteigert Jahreswende herrscht Theuerung, und das Jahr 1892 Freude bringt, war das Jahr, an dessen Ende wir jetzt an durch den Kornzoll, der das arme Volt von jeder droht ein Theuerungsjahr zu werden. gelangt find. Rein gutes Jahr. Denn es stand im Zeichen Tonne Getreide, die es zum täglichen Brot braucht, 50 M., der Noth, der Theuerung, des Geschäftsrückganges, der d. h. ein gutes Drittel des Durchschnittspreises, den reichen Krise, des Krachs. Das Jahr 1891 begann mit einem un Landlords zu zahlen zwingt. Der Ruf: Fort mit den Korngewöhnlich harten Winter Monate und Monate lang zöllen! erscholl und brauste lauter und lauter durch das waren alle Arbeiten im Freien unterbrochen und Millionen Land. Aber die Regierung antwortete durch den Mund von Menschen arbeitslos, während das Ausgabebudget der des Reichskanzlers von Caprivi : Arbeiter und kleinen Leute durch die außerordentlichen Kosten der Feuerung, bei gleichbleibendem oder vermindertem, oder Und das Volk mußte forthungern und die fünftlichen gar ganz wegfallendem Verdienst aufs Doppelte und Dreifache Theuerungspreise weiter bezahlen und den Landlords die eines gewöhnlichen Winters emporgetrieben, und die Leiden Hungersteuer auf's Brot weiter entrichten. der Armuth durch die grimmige Kälte bis zur Unerträglichfeit gesteigert wurden. Die Reichen freilich, in ihren wohlgeheizten Salons, verspürten die Kälte des Winters nicht, und auf den Nothschrei des arbeitenden Volks ant wortete Herr von Fordenbeck, der Oberbürgermeister von Berlin , mit dem berühmt gewordenen Wort:
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Es giebt teinen Nothstand!"
"
Es giebt feinen Noth stand!"
Wer es vorher nicht gewußt hatte, wußte es jetzt: Der Wille des Volkes ist in Deutschland nicht Gesetz. Und das Wohl des Volkes ebensowenig.
es jetzt:
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Und wer es vorher nicht gewußt hatte, der wußte Die Ordnung dieser bürgerlichen Gesellschaft ist in Wahrheit Unordnung, wüste Anarchie.
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Die Berliner Banks und Börsenstandale kamen. Und die junkerlichen Herren Brotvertheurer suchten nach dem bekannten Muster des verfolgten Diebes, der„ Haltet den Dieb!" ruft den Volkszorn von sich ab und auf die Börse zu lenten. Sie sei schuld an der Brotvertheuerung, die sie selber in ihrer maßlosen Begehrlichkeit durch ihre Kornzölle und ihren Groß- Kornwucher erzeugt haben.
Schlimmer und schlimmer gestalteten sich die Verhältnisse. In allen europäischen Staaten war die Ernte mangelhaft, und in dem Haupt- Roggenland, durch dessen Ueberschuß Deutschland sein Defizit an Brotforn zu decken pflegt, in Rußland war die Ernte vollständig miß Das Wort sollten wir noch einmal zu hören bekommen. cathen und flopste die Hungersnoth an die Hütten der Infolge der ausnahmsweisen Härte und Dauer des Winters arbeitenden Millionen in Stadt und Land. litten die Saaten und, da auch die Witterung des Frühlings Die Kornpreise stiegen und stiegen bis in den Herbst Und neben diesen Standalen sonst noch Standal sehr ungünstig war, stieg der Preis der Lebensmittel, bis er im- die Kornzölle blieben; und erst durch die Handelsverträge über Standal. Ueberall brachen die Eiterbeulen auf an Sommer, der den Saaten womöglich noch verderblicher war als mit Desterreich und Italien sollen sie, nicht abgeschafft dem faulen Gesellschaftskörper. Die Bochumer Steuerder Winter und Frühling, eine Höhe erreichte, wie sie seit nein blos gemildert werden, herabgesetzt von 50 auf hinterziehungen, der Prozeß Baare, die Bismarck 'schen den Hungerjahren zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht 35 M. ein Zugeständniß, mit dem das deutsche Volt Manipulationen mit dem Welfenfonds, die Enthüllungen erreicht worden war. sich unmöglich zufrieden geben kann, zumal die Ernte- betreffs des Ordens- und Aemterschachers, an dem selbst ein
Feuilleton.
Nachdruck verboten.]
Am Webstuhl der Zeit.")
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Beitgenössischer Roman in 3 Büchern von A. Otto Walster . ( In neuer vom Verfasser bewirkter Bearbeitung.)
Erstes Buch. 1. Rapitel.
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Im Innern der Stadt schienen die Straßen fast aus aber meist vergeblich mit dem allbesiegenden Schlafgotte gestorben; wer es irgendwie möglich zu machen gewußt, ringt. Die sonst so munteren Tauben träumen auf den war schon am frühen Morgen hinaus gewandert, um in Dächern und öffnen nur in immer länger werdenden schattigen Thälern oder auf luftigen Höhen die Erde im Zwischenpausen einen mißtrauischen Blick auf die Haustate, Festtagsgewande zu bewundern. Die Anderen aber, welche welche nicht weit von ihnen in beschaulicher Ruhe verharrt. durch die Arbeiten und Pflichten des Hauses oder Bu solcher Zeit Jemandem einen Besuch abstatten zu der Familie zu lang zurückgehalten worden, mochten wollen, gehört wohl zu den bedenklichsten Wagnissen, denn wohl die Ruhe und Kühle ihrer Wohnungen wohin immer man fommen mag, begegnet man schlafeinem späteren durch die Hitze beschwerlich gewordenen Spaziergange vorgezogen haben, denn nur selten sieht man eine menschliche Gestalt in diesem beängstigend stillen, zu anderen Zeiten so geräuschvollen Häusermeer auftauchen.
schweren Augen und wenig erfreuten Gesichtern. Trotzdem müssen wir den gefälligen Leser einladen, uns nach einer Gesellschaft zu begleiten, welche wenigstens die löbliche Gewohnheit hat, einen Besuch zu jeder Zeit als eine willAuf den Halteplätzen steht nur hier und da ein ver- fommene Abwechslung und sehr erwünschte Unterhaltung zu einzeltes Fuhrivert, auf dessen Boden der Lenker männlich, begrüßen. Und diese Gesellschaft fühlt sich um so mehr zu Eine geschlossene Gesellschaft. einem freundlichen Empfange verpflichtet, als der Zugang zu wenn auch die Nachfrage nicht aufhörte, so ist ihr und dies zwar ohne irgend welche Schuld von ihrer Die ersten Tage des ob seiner Milde überall beliebten und Monats September waren bereits herangebrochen, aber noch die Zahl der Gremplare, die feit 1878 in Deutschland abgefeßt Seite nicht zu den angenehmsten und bequemsten gehört. niemals, soweit die Erinnerungen der zur Zeit lebenden wurden, doch eine sehr geringe; und wenn wir bedenken, welch Wir stehen vor einem der ältesten, düster dreinschauenden
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Menschen zurückreichten, hatten selbst im Hochsommer die riesige Fortschritte unsere Partei in diesen dreizehn Jahren ge Häuser einer auch zu andern Zeiten wenig belebten Straße.
macht hat, so fann es feinem Zweifel unterliegen, daß nur ein
Sonnenstrahlen eine solche Gluth in den Straßen der Hauptgeringer Bruchtheil unserer Leser den Roman fennt. Aber auch Ziefes Schweigen herrscht da überall. Weder aus der gestadt erzeugt, wie an diesem Sonntag- Nachmittage, der nach dieser Bruchtheil wird ihn in der neuen Bearbeitung, die räumigen Hausflur, noch aus einem der großen Stockwerke vielen vorausgegangenen Regentagen einen heiteren und an wir bieten, mit Genuß leſen tönnen. Die Bearbeitung, tritt uns ein lebendes Wesen entgegen, ebensowenig verNaturfreuden reichen Herbst heranzuführen versprach. die sich richtiger als Umarbeitung bezeichnen ließe, ist nimmt man sonst ein Zeichen vom Vorhandensein etwaiger eine vollständige. Der Verfasser hat nach seine Rückkehr aus Bewohner.
Der Roman, dessen Veröffentlichung in den Feuilleton Amerika im vorigen Winter, nachdem er dort bereits eine zweite spalten des Borwärts" mit heutigem Tage beginnt, ist zu An- revibirte Auflage veranstaltet hat, auf unseren Wunsch sein bis uns ein verschlossenes Gitter den weiteren Fortgang In dem Hause steigen wir fünf lange Stiegen empor, fang der siebziger Jahre geschrieben. Es war der erste Verfuch populärstes Dichtwerk in allen Theilen einer genauen Durchricht wehrt. Nun sehen wir einen halbverrosteten Klingelzug in in Deutschland , die moderne sozialistische Bewegung dichterisch in unterworfen, und sehr wesentliche Aenderungen vorgenommen. einer längeren Erzählung darzustellen. In der deutschen Ar- Auch für Diejenigen, welche den Roman in der ersten Gestalt Bewegung und gedulden uns, bis sich endlich schwerfällige beiterwelt fand der Roman die günstigste Aufnahme. Unter fennen, wird er in seiner jezigen Gestalt nicht ganz ohne den Schritte vernehmen lassen. Das grämliche Gesicht einer der Herrschaft des Sozialistengesetzes wurde er verboten, Reiz der Neuheit sein.- ältlichen Frauensperson erscheint hinter dem Gitter und