Nr. 201.
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Horwärts
Berliner Volksblatt.
17. Jahrg.
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Die Redaktion des Vorwärts".
Bresci.
In Mailand wurde heute wider den Mörder König Humberts das Urteil gesprochen. Bresci verfällt dem Kerker, in dem ein graufiger Strafvollzug ihn langsam zu Tode martert, ein Strafvollzug, vielmals entsetzlicher als schneller Tod. So sühnt die bürgerliche Gesellschaft das begangene Verbrechen. Sie straft den Mörder mit der gleichen Gewalt, die dieser in wahnwviziger Verblendung gegen eine Perfönlichkeit richtete, die er für verantwortlich an dem Elend feines Volts wähnte. Gewalt gegen Gewalt das ist die Losung der Propaganda der That" gleichwie der christlich- bürgerlichen„ Kultur".
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Die deutsche Scharfmacherpresse ist erhaben über der Zumutung, weitere Lehren als die der vergeltenden Rache aus dem Ereignis von Monza zu ziehen. Die Berliner Neueste Nachrichten" haben fein andres Mittel zu fünden als dieselbe Gewaltsamkeit, der Bresci huldigte:
" Der Polizei Italiens und aller andern Staaten liegt mun mehr die Aufgabe ob, diesen Spuren nachzugehen und die Anarchistenbrut aus ihren Nestern auszuheben. Sache der italienischen
Donnerstag, den 30. August 1900.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3. Fernsprecher: Amt I, Nr. 5121,
gänge in Molinella die Bauern jener Region aufreizen Während der Gerichtshof sich zur Beratung zurückgezogen hatte, müssen? Sie streiken in berechtigter Weise. Kein gesetzwidriger lieft Bresci ruhig in der Anklageschrift und betrachtet ohne ErAft ist ihnen nachzureden, alles verläuft ruhig. Da provoziert regung das Publikum. die Regierung diese friedlichen Bauern, indem sie Sol daten hinschickt, welche die Reisernte besorgen. So treibt man zu Revolten.
Ein noch typischeres Beispiel: Die Angestellten der italienischen Bahnen bildeten eine Liga, um Aktien der verschiedenen Linien zu kaufen und eine Vertretung ihrer Interessen in den Verwaltungsräten zu erlangen. Man fürchtete einen Ausstand auf einer Linie. Was thun die Behörden? Sie fagen einfach, sämtliche Angestellte unterstehen militärischer Ordnung, so daß sie, käme es zu einem Streit, wegen Jusubordination bestraft würden. Ich nenne das Sklaverei und der König hätte dagegen protestieren sollen.
Der Präsident läßt sodann die Anklageschrift ver lesen, was längere Zeit in Anspruch nimmt. Dieselbe führt die bekannten Thatsachen an. Ferner geht aus ihr hervor, daß Bresci sich fortwährend im Scheibenschießen übte, um sein Opfer nicht zu fehlen, und daß er die Kugeln seines Revolvers in besonderer Weise bearbeitete, um sie noch gefährlicher zu machen. Aus andren Thatfachen geht hervor, daß Bresci mit leberlegung handelte. Hierauf werden die 16 Zengen in den Saal geführt, elf der felben sind von der Anklagebehörde, fünf von der Verteidigung vorgeladen.
Sodann beginnt das Verhör Brescis. Derselbe er flärt, er habe nach den Vorgängen in Sicilien und Mailand Das Komitee des Kreises Macerta hatte mich zu einer Ge- beschlossen, den König zu ermorden, um das Elend des Volks denkfeier für Umberto eingeladen. Da die Depesche zu spät ein- und sein eigues zu rächen. Er halte den König verantwortlich traf, entschuldigte ich mich telegraphisch. Den blutigen Tod des für die Politik feines Landes, da er alle Gesetze und Dekrete unterKönigs, so bemerkte ich, halte ich für eine Le te fchredzeichne. In seinem Namen seien die Massacres der armen Bauern liche Mahnung, dem verhängnisvollen und Arbeiter in vielen Gegenden Italiens erfolgt. Bresci erzählt Pfad zurückzukehren; im September werde ich weiter: Er habe immer schwer arbeiten müssen, habe aber trotzdem mich mit den Wählern über die Haltung anseinander ein miserables Leben führen müssen, wie alle Arbeiter. sezen, welche die Volksparteien fünftig einzunehmen haben, Dessen sei er müde geworden. Er habe allein gehandelt, ohne um Wandel zu schaffen und dem Herrscher die Möglich- Natgeber oder Mitschuldige zu haben. Bresci giebt zu, keit zu geben, daß er sich mit weitblickenden loyalen Räten um sich im Scheibenschießen geübt und die Kugeln feines Revolvers in gebe, welche trachten, daß wie dem Reichen so auch dem Armen besonderer Weise bearbeitet zu haben. Er spricht mit leifer Stimme sein Recht werde. und ruhig. Bresci erklärt alsdann, er habe drei Schüsse in einer Dieses Telegramm wurde von der Censur unter- Entfernung von zwei oder drei Meter abgegeben. Man zeigt ihm schlagen, als hätte ich zum Bürgerkriege aufgeftachelt. hierauf die Waffe und zwei Bretter, gegen welche er Scheibe geGlauben Sie etwa, solche Vorkommmiffe haben die Billigung der schossen hatte. Nach Verlesung der Schriftstücke wird die Sitzung aufgeklärten, ehrenhaften Schichten? Bei ihrem willkürlichen Ge- um 121/2 Uhr unterbrochen. bahren berbargen fich die Minister hinter dem König; kein Wunder, wenn man schließlich in ihm ihr Instrument sah. Nach der Revolte in Mailand blieb zwei Jahre lang ein erzreaktionäres Um 134 1hr wird die Sizung wieder eröffnet und das ZeugenKabinett am Nuder. Es beseitigte durch Dekrete Preß-, verhör begonnen. Der Brigadier der Gendarmen Sal. Bersammlungs- und Associationsfreiheit. In Barlament famatori erzählt die näheren Umstände bei der Verhaftung Brescis es darob zur Obstruktion, deren Konsequenz die allgemeine der von der Menge halbtot geschlagen wurde und blutüberströmt Lähmung war. Der König entledigte sich dieses Kabinetts nicht, und mit zerriffenen Kleidern im Gefängnis anlangte. General. wie sehr ihm auch die öffentliche Meinung darüber bekannt war; faud, sagt ebenfalls über die Thatumstände aus. Er fragte, als die adjutant Avogadro, der sich mit dem König im Wagen bes wieder ein großer Fehler. Schüsse gefallen waren, den König, ob er getroffen fei, und dieser erwiderte:„ Ich glaube in der That ja!" Darauf verschied er.( Allgemeine Bewegung.) Die bei der That gegenwärtigen Zeugen Galimbert und Olivieri berichten über bereits bekannte Einzelheiten. Der Reiffnecht des Königs, Lupi, macht gleiche Aussagen und er flärt, er habe sich auf Bresci gestürzt und denselben am Halse ge padt. Der Zeuge Ramella, bei welchem Bresci und feine Freunde 3 Tage vor dem Verbrechen wohnten, sagt, jener habe ein ruhiges Wesen zur Schau getragen.
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Man weiß, daß der Krieg das Hindernis war, an welchem Man weiß, daß der Krieg das Hindernis war, an welchem die Reduktion der Heereskosten fortwährend scheiterte. Diese Hartnäckigkeit, die afrikanische Expedition, die blinde Zärtlichkeit für Crispi, welcher als Retter der Monarchie geltend, nur Schmutzereien rettete", all das untergrub die Verehrung für einen König, in seinen Thronreden ſtets Versprechungen machte, die unerfüllt blieben. In den Reihen der Proletarier und fleinen Gewerbe und Handels treibenden fraß sich so langsam eine Animosität ein und schließlich fand sich ein verrückter Kerl, in welchem sie zum tollen Haß ausbarst. Der Mordgedanke ließ ihn nicht mehr los und ein günstiger Augenblick drückte ihm die Waffe in die Hand. Eine Nechtfertigung giebt es freilich nicht für diese Unthat, doch nian begreift, wie
alles kommen konnte."
turpfuschend Symptome der Krankheit bekämpft, sondern der Das sind Weisungen eines verständigen Mannes, der nicht Krankheit tiefere Ursache sucht.
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Polizei insbesondere ist es, in ihrer Energie bei der Bekämpfung der anarchistischen Senche nicht zu erlahmen, nachdem die politischen Morde der letzten Zeit erwiesen haben, daß der Anarchismus bei teinem Bolt der Welt so gelehrige Schüler gefunden hat, wie in Opfer um Opfer schlachtet ein franter Staat fann so nicht Wenn Bresci im Kerker vergeht und die Polizeigewalt Italien . Aber auch anderwärts wird man den Anhängern und Aposteln der Lehre vom politischen Morde vor allem dadurch mit genesen. Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich genügen läßt, aller Rüdfichtslosigkeit zu Leibe gehen, daß man ihnen den den Attentäter niederzuschlagen und auf Vermehrung ihrer Freibrief entzieht, der in der fünftlichen Unterscheidung Gewaltthätigkeit zu sinnen, so wird sie, statt den Wahn der zwischen politischen Morden und andren Verbrechen gegen das Thatpropaganda zu heilen, seine verheerende Ausbreitung vor
Leben enthalten ist. Die Erfahrung gerade der letzten Jahre hat bereiten. gezeigt, daß keine Staatsform vor anarchistischen Anschlägen geschützt ist. Es handelt sich um eine allen Kulturstaaten gemeinfame Gefahr, die eine rückhaltlose und entschlossene Bekämpfung mit allen Mitteln der Macht und des Rechts erheischt."
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Prozeßbericht.
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Die Wirtin Cambiaghi und die Milchhändlerin Carenzi bezengen, daß Bresci während seines Aufenthalts in Monza vor dem Verbrechen eine große Nube an den Tag gelegt habe. Andre Belastungszeugen bringen nichts Neues zur Sache vor. Teresa Brugnoli aus Bologna , welche Brescis Geliebte war, erklärt, Bresci habe am 21. Juli ein Telegramm enthalten, dessen Inhalt die Zeit seines Aufenthalts in Prato ein gutes 2eumunds sie nicht kenne, und sei darauf nach Mailand abgereift. Die von der Verteidigung geladenen Zengen geben Bresci für eugnis, seine Familie besaß dort ein kleines Grundstück, sein
Bruder ist Offizier.
roturator sein Plaidoyer. Nach Beendigung der Zeugenvernehmung beginnt der Generalschaften des Königs Humbert, giebt ein Bild des Thatbestands, Er gedenkt der edlen Eigen schaften des Königs Humbert, giebt ein Bild des Thatbestands, zeigt, daß der Angeklagte sich der Strafbarkeit feiner That bes wußt war und mit Ueberlegung handelte. Er betont, daß derselbe Mitfchuldige hatte, und verurteilt die anarchistischen Lehren, welche so abscheuliche Verbrechen zur Folge haben. Bresci fönne sich nicht mit seiner elenden Lage entschuldigen, derselbe sei fein impulsiver Fanatiker, sondern ruhig, chnisch und hartnäckig, sein Ziel sei ein verdanumenswertes gewesen. Der Generalprokurator beantragt, der Gerichtshof möge Bresci für schuldig erklären ohne 3 ubilligung mildernder Umstände.
Gegenüber dieser unsittlichen und aussichtslosen Unterbrückungspolitik ist immer von neuem auf die eigentlichen Ju der Umgebung des Justizpalastes herrscht große Bewegung; Ursachen der politischen Attentate zu verweisen. Wir haben der Zutritt zum Verhandlungssaal ist nur gegen Eintrittstarten oft den socialen Untergrund geschildert, aus dem gestattet, besonders zahlreich sind Vertreter der in- und ausländischen der Anarchismus der Gewalt in Italien aufwuchert. Jetzt Breffe anwesend. Vor Eintritt in die Verhandlungen beantragt die bringt die Genfer Suisse" ein weiteres Beugnis Verteidigung Vertagung des Prozesses wegen Nichtigkeit Der Berteidiger Merlino nimmt in seinem Plaidoyer wider die wirklichen Urheber der italienischen des Eröffnungsbeschluffes. Der Antrag wird vom Gerichtshofe die Anarchie gegen den Vorwurf in Schutz, daß sie die treibende Attentats Epidemie. Der ani der Genfer Univer- abgelehnt und darauf zur Bildung der Jury geschritten. Kraft des Verbrechens gewesen sei; alle Parteien hätten, wie die fität Nationalökonomie lehrende Professor Pantaleoni, Verteidiger Brescis find der vom Gericht bestellte Advokat Geschichte zeige, Königsmörder gehabt. Als der Redner sich ein Italiener, der bei der legten Wahl in seiner Heimat zum Martelli, Vorsitzender der Handelskammer in Mailand , und darüber verbreiten will, welche Gründe die Anarchisten zu Deputierten gewählt wurde, bekennt sich zum Individualismus Advokat Merlino aus Nom, bekannter Verfaffer anarchistischer Verbrechen veranlaßten, wird er vom Präsidenten unterbrochen. und Liberalismus und ist Gegner des Socialismus. Er sprach Schriften. Merlino bittet zum Schluß die Geschwornen, Gerechtigkeit sich über die Zustände seines Vaterlands und die Ursachen des Bresci verhält sich ruhig auf seinem Blake und erscheint aber nicht Rache zu üben und dem Angeklagten mildernde Attentats folgendermaßen aus: beinahe gleichgültig. Der Ordnungsdienst wird von Gendarmen und Umstände zu beivilligen. " Ich brauche nicht besonders zu versichern, daß ich den von Militär versehen. Advokat Martelli bittet die Geschwornen um Nachsicht für Bresci begangenen Mord als einen abscheulichen, unqualifizierbaren Advokat Merlino beantragt nochmals Bertagung der Ber den Angeklagten, der sich der ganzen Schwere seiner That nicht beAft betrachte. Unertlärlich ist er aber nicht; er hat seinen Handlung, weil ihm seine Ernennung zum Verteidiger wußt sei. Brescis Verbrechen sei zu verdammen, seine Exaltation Ausgangspunkt, feine Ursachen. Umberto war ein durchaus Brescis erst gestern mitgeteilt worden sei. Bresci aber zu verstehen. Die sonstige gute Führung des Angeklagten errechtschaffener Mann, aber ein höchft eng veranlagter erklärt, zunächst an Advokat Merlino als seinen Berteidiger gedacht heifche Mitleid. Herrscher, welcher das Werkzeug einer reattionären zu haben. Man habe ihm aber seitens der Magistratspersonen den protettionistischen Partei war, einer Partei, die jede Advokaten Turati vorgeschlagen. Nach der Ablehnung dieses habe öffentliche Freiheit unterbrüdt. Die durch ver- man ihm die Korrespondenz mit Merlino erschwert. Zum Beispiel faffungswidrige Gewaltmaßregeln betroffenen Massen ge- jei ihm ein Expreßbrief Merlinos erst nach vier Tagen zugestellt rieten in Erbitterung und begannen zu erörtern, wer wohl da- worden, er habe sich nicht mit seinem Verteidiger befür verantwortlich set. Der König ist schuld, hieß es; er schenkt raten tönnen und ersucht gleichfalls um Ber sein Vertrauen Leiten, welche dieses mißbrauchen. tagung. Der General Staatsanwalt spricht sich gegen Wie man bei uns gegen die unteren Klassen verfährt, zeigt die Vertagung aus, worauf der Antrag Merlinos vom Gerichtshof fich gerade in diesem Moment. Glauben Sie nicht, daß die Vor- abgelehnt wird.
Nach einigen kurzen Worten Brescis, welcher sagte: Verurteilen Sie mich; es ist mir gleichgültig; ich erwarte die herannabende Revolution!" verliest der Präsident des Gerichtshofs die einzige Schuldfrage und läßt hierauf die Geschwornen zur Beratung sich zurückziehen.
營
Bresci wurde zu lebenslänglichem Kerker verurteilt.